Samstag, 26. Februar 2011

Ausgezeichneter Nachwuchs oder: Warum die Realschule Stadtmitte nicht nur Jugendliche für besondere Leistungen ehrt


Ja, ja, die Jugend von heute. Die kann was! Davon konnte man sich am Dienstagabend in der Realschule Stadtmitte überzeugen. In der Aula, die jedem Kleinstadttheater zur Ehre gereichen würde, hatten 72 Schüler ihren großen Auftritt. Es waren Jugendliche, die von ihrer Schule ganz offiziell ausgezeichnet wurden, weil sie auf ganz unterschiedliche Weise etwas besonderes geleistet haben.Das Spektrum der mit Urkunden und kleinen Präsenten vom guten Buch bis zum Fußballticket für ein Länderspiel der U-17-Junioren ausgezeichneten Leistungen reicht von den extrem guten Noten der Jahrgangsbesten über das soziale Engagement der Schulsanitäter und Pausenhelfer bis zu den politisch engagierten Jugendstadträten und Schülersprechern.Man begegnet an diesem Abend Schülern, die sich als Streitschlichter bewährt haben, die bei Vorlesewettbewerben und Mathematik-Olympiaden gezeigt haben, was in ihnen steckt oder sich bei Fußball- und Badmintonturnieren als nicht nur erfolgreiche, sondern auch als faire Sportskanonen erwiesen haben.Tut man Schülern eigentlich einen Gefallen, wenn man sie als Vorbilder für die Schulgemeinschaft ins Rampenlicht stellt?


Kann diese Würde nicht auch zur Bürde werden. Die Zehntklässler Randi Käufer und Maik Stein, die an diesem Abend nicht nur durch das auch musikalisch reizvolle Programm führen und später für ihr Engagement als Schülersprecher ausgezeichnet werden, sehen das anders: „Das ist doch eine schöne Belohnung und ein Ansporn, weiterzumachen“, finden sie.Auch Neuntklässler Elias Luft, der mit einem atemberaubenden Notendurchschnitt von 1,4 als Jahrgangsbester ausgezeichnet wird, empfindet diese Ehrung als „angenehm und motivierend.“ Der für seinen Einsatz als Pausenhelfer ausgezeichnete Neuntklässler Marvin Steffen meint: „So etwas sollte es an jeder Schule geben, weil die Ehrung engagierter Schüler die Integration und den Zusammenhalt in der Schulgemeinschaft fördert.“Abgesehen davon, dass sich sein jetzt auch dokumentierter Einsatz als Pausenhelfer bei Bewerbungen gut macht, macht ihm seine ehrenamtliche Arbeit auch Spaß, weil er an der Schnittstelle zwischen Schulfreizeit und Unterricht: „meine Erfahrungen jüngeren Schülern vermitteln kann.“Konrektorin Susanne Dieker (Foto) sieht den vor drei Jahren eingeführten Festakt zur Ehrung besonderer Leistungen als Ausdruck einer „Erfolgs- und Förderkultur.“


Und Schulleiter Gebhard Lürig betont: „Wir machen durch diese Ehrung deutlich, dass wir Engagement und Leistungen auch jenseits der Zeugnisnoten wahrnehmen und anerkennen.“Anerkannt und ausgezeichnet wurden an diesem Abend in der Realschule Stadtmitte übrigens nicht nur Schülerleistungen. Ausgezeichnet wurden zum Beispiel auch der langjährige Berufsberater Reinhard Nastaly von der Agentur für Arbeit, der in den letzten 30 Jahren rund 6000 Schülern bei der Berufswahl geholfen hat, die ebenfalls langjährige und in verschiedenen Aufgabenbereichen engagierte Gabriele Kexel sowie die über ihre Pensionierung hinaus in der Ganztagsbetreuung engagierte Hausmeisterin Ursula Oesterwind.


Dieser Text erschien am 24. Februar 2011 in der NRZ

Donnerstag, 24. Februar 2011

Rückblick: Vor 100 Jahren wurde die erste Schloßbrücke eingeweiht

Wer zwischen Stadtmitte und Broich die Ruhrseiten wechseln will, geht oder fährt über die Schloßbrücke. Sie machte zuletzt mit Restaurierungsbedarf von sich reden. Die Stadt will die Abdichtung und die Fahrbahn der Brücke erneuern, braucht dafür aber im Rahmen ihrer vorläufigen Haushaltsführung erst mal grünes Licht von der Bezirksregierung.Die Schloßbrücke, wie wir sie heute kennen, wurde im September 1960 für den Verkehr freigegeben. Doch sie ist nicht die erste Schloßbrücke.

Die wurde bereits am 24. Februar 1911 in Betrieb genommen. Die erste Schloßbrücke trat die Nachfolge der 1844 eröffneten Kettenbrücke an. Heute kann man es sich gar nicht mehr vorstellen, dass man vor 1844 nur mit einer Fähre von einem zum anderen Mülheimer Ruhrufer kommen konnte, wenn nicht gerade das Hochwasser auch diesen Weg über den Fluss versperrte.Durch die Kettenbrücke kamen die Mülheimer links und rechts der Ruhr erstmals schneller zueinander. Zu Fuß konnte man sie gratis überschreiten. Fuhrwerke mussten ein Brückengeld entrichten. Doch schon 1874 zeigten sich die Kapazitätsgrenzen der Kettenbrücke, die damals verstärkt werden musste, um die zunehmende Verkehrsbelastung tragen zu können.Doch 1909 ging nichts mehr über die gerade einmal 7,53 Meter breite von den Mülheimern heiß und innig geliebte Kettenbrücke. Sie wurde von den Bürgern am Tag vor ihrem Abriss im Oktober 1909 mit einem Fackelzug feierlich verabschiedet.

Brückenabriss und Neubau waren nicht unumstritten. Der damalige Oberbürgermeister Paul Lembke musste sich den Vorwurf gefallen lassen, mit dem Abriss der Kettenbrücke ein Mülheimer Kleinod und Wahrzeichen zerstört zu haben. Diskutiert, aber nicht realisiert wurden Pläne, die Kettenbrücke zwischen Styrum und Speldorf wiederaufzubauen.Die aus massivem Klinker- und Ruhrsandstein gebaute Nachfolgerin der Kettenbrücke ließ sich die Stadt rund 500 000 Mark kosten. Errichtet wurde das 164 Meter lange und 14 Meter breite Bauwerk von der Firma Grün und Bilfinger. Die Brückenbauspezialisten aus Mannheim hatten sich bereits 1907 in einem von der Stadt ausgeschriebenen Wettbewerb gegen 20 Konkurrenten durchgesetzt. Während der zweijährigen Bauphase konnten die Mülheimer die Ruhr nur über eine provisorische Holzbrücke überqueren.

Die Eröffnung der ersten Schloßbrücke bedeutete einen enormen Mobilitätsfortschritt. Denn erstmals konnte die zentrale Ruhrbrücke nicht nur von Fußgängern und Fuhrwerken, sondern auch von der Straßenbahn und den immer häufiger über Mülheims Straßen fahrenden Automobilen überquert werden. Auch die Installierung einer elektrischen Brückenbeleuchtung war jetzt möglich.Ständchen zur EröffnungBei der Eröffnung der ersten Schloßbrücke, die mit mit Böllerschüssen und einem Ständchen des Männergesangvereins Frohsinn gefeiert wurde, gab Oberbürgermeister Paul Lembke seiner Hoffnung Ausdruck, dass dieser 24. Februar 1911 „einen glücklichen Fortschritt für die Entwicklung der Stadt bedeuten“ möge. Sein Baudezernent Carl Linnenmann wies in seiner Festansprache darauf hin, dass bei den Bauarbeiten niemand zu Schaden gekommen sei und stellte vor diesem Hintergrund fest: „Diese Tatsache mag uns in der Hoffnung bestärken, dass auch fürderhin ein guter Stern über diesem Bauwerk walten möge. Möge es alle Hoffnungen, welche die Bürgerschaft auf dieses neue Verkehrsmittel gesetzt hat, reichlich erfüllen und noch den entferntesten Geschlechtern ein Denkmal solchen Bürgersinns und technischen Könnens sein.“

Tatsächlich waltete über der Brücke, über die im Laufe der kommenden Jahrzehnte deutsche, französische, amerikanische und englische Soldaten marschieren sollten am 11. April 1945 ein guter Stern. Denn als einzige Ruhrbrücke überlebte sie das Kriegsende unzerstört, weil der Unteroffizier Rudolf Steuer den Befehl ihrer Sprengung nicht ausführte. Ironie der Geschichte: 15 Jahre später sollte sie dann ganz offiziell gesprengt werden, um für die neuen, jetzt 24,50 Meter breiten und damit viel autogerechteren Schloßbrücke Platz zu machen.

Dieser Beitrag erschien am 24. Februar 2011 in der NRZ

Montag, 21. Februar 2011

Fromm und fröhlich gesellt sich gern, wie die Närrische Festmesse in St. Mariae Rosenkranz zeigt


Um Gottes willen, mag mancher Karnevalsmuffel denken, wenn er hört, dass die Karnevalisten jetzt sogar in die Kirche einziehen. Doch die Tatsache, dass die närrische Festmesse die Styrumer Kirche St. Mariae Rosenkranz am vergangenen Sonntag bis auf den letzten Platz füllte (was man sonst nur Ostern oder Weihnachten erlebt), spricht für die Anziehungskraft der Symbiose aus Fromm und Fröhlich.Beides sind zwei Seiten der selben Medaille. Davon ist der Pastor von St. Mariae Rosenkranz, Norbert Dudek überzeugt.


Kein Wunder. Der Gottesmann wurde vor 42 Jahren in der Karnevalshochburg geboren. Deshalb fiel es ihm am Sonntag auch nicht schwer, eine Predigt in bester Büttenrednermanier zu halten, in der er unter anderem sagte: "Der gute Glaube hat Humor, über sich und seine Sachen. Wenn ein Schelm tritt dann hervor, lasst die Korken krachen. So kenne ich fröhliche Muslime und heitere Kommunisten. Doch oftmals gibt’s im Karneval im Rudel frohe Christen." Und der Pastor mit dem Karnevalsgen beließ es nicht nur bei der gereimten Predigt, sondern legte mit seiner Gitarre und eine Karnevalsständchen noch eins drauf.


O-Ton: "Ich möchte einmal im Leben Prinz Karneval heißen und für euch und die Leut Kamelle schmeißen." Die, die in Mülheim bereits Prinz und Prinzessin heißen, Hans & Urde sowie Yannik & Saskia, enthielten sich beim närrischen Hochamt allerdings des Kamellewerfens. Schließlich haben wir ja noch nicht Rosenmontag. Stattdessen brachten sie zum Beispiel die Hostien zur Gabenbereitung und brachten in den Fürbitten ihren Wunsch nach mehr Lebensfreude, und das nicht nur in der Fünften Jahreszeit, zum Ausdruck und beherzigten natürlich, was Pastor Dudek ihnen und den anderen närrisch gesinnten Christenmenschen mit auf den Weg gegeben hatte: "Ihr Jecken, lacht laut und frohgestimmt über andere und euch selber. Schaut, dass das Prinzenpaar sich gut benimmt und saut nicht wie die Kälber."Erstaunlich gut harmonierte auch die Orgel von St. Mariae Rosenkranz mit den Pauken und Trompeten, die von den Musikern der Karnevalsgesellschaften Blau Weiß, Houltköpp und Düse intoniert wurden. Da traf "Lobet und preiset den Herrn" wie selbstverständlich auf: "Wenn das Trömmelchen geht, dann stehen wir alle parat."Doch nicht nur das Hinhören, auch das Hinschauen lohnte sich in der närrischen Festmesse, in der das MükaGe-Tanzmariechen Noel Gaetke nach der Eucharistie im Altarraum bewies, dass eine professionelle Tanzgardistin auch auf kleinstem Raum eine große Show präsentieren kann.


Dafür gab es im Kirchenschiff voller Narren ebenso Applaus wie zuvor für Dudeks Predigt und Gesang. Zum guten Schluss der Festmesse kam Mülheims Chefkarnevalist Heiner Jansen in seinen Dankesworten zu dem Ergebnis: "Die Gemeinde St. Mariae Rosenkranz kann froh sein, einen so aktiven und innovativen Pastor zu haben. Als kleines Dankeschön für die geistliche Gastfreundschaft machte er das Angebot, einige Gemeindemitglieder im Rosenmontagszug mitfahren zu lassen, nicht ohne gleich zu versichern: "Die Wagen sind sicher und stabil gebaut. Da braucht keiner Angst zu haben."


Am Samstag, 5. März, gibt es um 19.11 Uhr im Styrumer Union-Saal an der Neustadtstraße unter dem Motto "Firlefanz im Engelkranz" einen närrischen Nachschlag.


Dieser Beitrag erschien am 17. Februar 2011 in NRZ und WAZ

Freitag, 18. Februar 2011

Wenn die Röhrengarde und ihre Freunde im Engelbertusstift für Spaß an der Freude sorgen, macht das Wiedersehen seit 40 Jahren Freude

Kann man im Altenheim Spaß haben? Man kann. Das beweist der Seniorenkarneval, zu dem die Röhrengarde Silber-Blau am vergangenen Sonntag in den Engelbertusstift einlud. Bereits seit 40 Jahren sorgten die silber-blauen Jecken an der Seilerstraße für Spaß an der Freude. Früher wurde das Altenheim noch von Nonnen geführt und Pfarrer Erich Endlein von St. Engelbert ging in die Bütt. „Nur einmal mussten wir aussetzen. Das war während des Golfkrieges 1991“, erinnert sich die Frontfrau der Röhrengarde, Elli Schott.

Der Ehrenvorsitzende der Röhrengarde, Werner Heise und seine Frau Waltraud haben 38 der 40 Karnevalsfeste im Engelbertusstift miterlebt: „Heute sind die Senioren viel aktiver als früher“, findet Heise. Thomas Straßmann von der KG Blau Weiß konnte das als Schlagersänger des närrischen Festtages nur bestätigen: „Die Leute kennen nicht nur die alten, sondern auch die neuen Schlager und singen alle mit“, lobte er sein Publikum. Das ließ sich auch trotz mancher sichtbaren Handicaps den Spaß an der Freude und das Schunkeln nicht verderben. Nur selten sieht man auch so viele kostümierte Jecken in einem farbenfroh dekorierten Saal wie am Sonntag im Engelbertusstift.Da konnte und wollte auch Einrichtungsleiter Lutz Sarzio als Blues Brother mit dunkler Sonnenbrille nicht nachstehen. „Da die meisten Bewohner das Haus nur selten verlassen können, um am normalen Alltagsleben teilzunehmen, wollen wir mit Festen wie diesen soviel Normalität wie möglich ins Haus holen“, beschreibt er den menschlichen Mehrwert des Karnevals im Engelbertusstift.

Auch die Bewohner, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr an der Karnevalsveranstaltung im Erdgeschoss des Altenheimes teilnehmen konnten, bekamen von der Röhrengarde einen bunten Clownsorden, den ihre Freunde aus den Fliednerwerkstätten für sie als kleinen Karnevalsgruß gebastelt hatten.Außerdem zogen die Musiker der KG Düse mit Pauken und Trompeten durch das gesamte Haus. „Wir hatten erst Bedenken, ob das vielleicht zu laut sein könnte. Doch dann haben uns die Bewohner und Mitarbeiter gesagt: Nein, kommt ruhig mit einer Musikkapelle. Denn je mehr Leben ins Haus kommt, desto besser.“, berichtet Elli Schott.

Dieser Beitrag erschien am 24. Februar 2011 in NRZ & WAZ

Donnerstag, 17. Februar 2011

Warum der örtliche Wasserversorger RWW mit Blick auf den Valentinstag zum Wassersparen rät

Viele Menschen fragen sich, wie sie Wasser sparen können. "Das ist bei uns eigentlich überflüssig, denn wir sind ein mit Wasser gesegnetes Land", sagt der Pressesprecher der RWW, Ulrich Schallwig. Allerdings findet er ,dass man sich Gedanken über das Einsparen von Wasser machen sollte, wenn man seiner Liebsten zum Valentinstag Blumen schenkt.Er weist darauf hin, dass rund 80 Millionen Rosen aus wasserarmen Entwicklungsländern wie Kenia, Äthiopien, Kolumbien oder Ecuador stammen.

"In jedem Rosenstrauß zum Valentinstag", so Schallwig, "stecken nahezu 120 Liter virtuelles Wasser aus Regionen mit dramatischer Wasserknappheit und einem täglichen Kampf um Trinkwasser. Das sind fast genauso viel, wie für den täglichen Bedarf im Haushalt eingesetzt werden, nämlich 122 Liter."Schallwig selbst zieht für sich die Konsequenz, dass er seiner Frau zum Valentinstag keine Blumen schenkt, sondern lieber mit ihr essen geht. Doch der Mann vom RWW will es sich auf keinen Fall mit der Floristik verderben und rät deshalb nicht zur Blumenabstinenz, sondern zum Kauf regionaler und saisonaler Blumen, für deren Herstellung und Transport nicht so viel Wasser und Energie aufgewendet werden muss, wie für Blumen aus Übersee.

Hans-Hermann Nagel, der mit seiner Frau Angelika auf dem Wochenmarkt an der Schloßstraße Blumen verkauft, sagt: "Wir ziehen unsere Blumen nicht selbst, sondern beziehen sie über den Großhandel. Im Moment verkaufen wir sehr viele saisonale Blumen, wie Tulpen, Zwiebelgewächse, Anemonen und Freesien. Aber Rosen sind natürlich das ganze Jahr über gefragt."Die meisten Blumen, so Nagel, die er und seine Frau verkaufen, kommen ohnehin aus der Region, vom Niederrhein und aus Holland. Allerdings hat er auch Rosen aus Ecuador im Sortiment, die besonders haltbar sind. Hans-Hermann Nagel und seine Frau bieten auch Rosen aus dem sogenannten Fairen Handel an, die aus Kundensicht aber den Nachteil haben, im Schnitt einen Euro teurer zu sein als die konventionell hergestellten Übersee-Blumen.

Claudia Brück von Transfair schätzt den Marktanteil der Rosen in der Republik auf etwa ein Drittel und den Anteil der Blumen aus fairem Handel und fairer Produktion auf etwa 2,4 Prozent. Damit Rosen und andere Blumen aus Übersee das grün-schwarz-türkis-farbene Fair-Trade-Zeichen bekommen, müssen sie ohne Kinderarbeit, zu fairen Löhnen, sowie umweltschonend hergestellt worden sein.

"Für Kunden müssen Blumen vor allem günstig sein", weiß die Styrumer Blumenhändlerin Edith Freitag. Auch ihre Kollegin Heike Simons aus Stadtmitte wird von ihren Kunden nie danach gefragt, woher ihre Blumen kommen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt werden. Dennoch bieten beiden Blumenhändlerinnen Fair-Trade-Blumen an. "Ich kalkuliere halt etwas anders", sagt Freitag, der es wichtig ist, fair hergestellte Blumen zu verkaufen und die geschätzte 95 Prozent ihrer Blumen aus der Region und den benachbarten Niederlanden bezieht.

Heike Simons Kundin Julia Roloff, die sich gestern bei ihr einen Strauß violetter Tulpen kaufte, gibt zu, dass sie bisher gar nicht wusste, dass unsere Blumen nicht nur aus Deutschland und Holland, sondern zum Teil auch aus Übersee zu uns kommen. Sie bevorzugte aber auch jetzt schon Blumen aus der jeweiligen Jahreszeit und Region. Jetzt gönnt sie sich Tulpen und etwas später im Jahr kommen dann die Pfingstrosen an die Reihe. Und wie sieht es mit den Blumenpreisen zum Valentinstag aus: "Das ist, wie immer auf dem Markt. Die Nachfrage bestimmt den Preis", sagt Blumenhändlerin Edith Freitag und rechnet im Großhandel mit Valentinstagsaufschlag von etwa fünf Cent pro Blume.

Dieser Text erschien am 11. Februar 2011 in der NRZ

Mittwoch, 16. Februar 2011

Wie ein Mülheimer mit ägyptischen Wurzeln die Revolution am Nil erlebt: Ein Gespräch mit Adel Saliman


Wie sieht und erlebt ein Mülheimer mit ägyptischen Wurzeln die Revolution im Heimatland seines Vaters, das er selbst aus eigener Anschauung gut kennt. Darüber sprachen ich für die NRZ mit Adel Saliman.

Haben Sie die revolutionären Ereignisse in Ägypten überrascht?
Das hat mich auf jeden Fall überrascht. Das ist ja ein Prozess, der nicht von heute auf morgen entschieden wird. Der Gedanke musste erst mal aufgebaut und die Angst der Menschen überwunden werden. Das fing alles mit dem tunesischen Studenten an, der sich selbst verbrannt und damit geopfert hat. Als ich das sah, habe ich mir zwar gedacht, dass die Proteste auch auf Ägypten überschwappen könnten. Ich habe aber nicht vorausgesehen, dass die Proteste ein solches Ausmaß annehmen würden.

Haben Sie bei Ihren Besuchen in Ägypten und bei Gesprächen mit dort lebenden Verwandten und Freunden etwas von der Unzufriedenheit der Menschen und vom Unterdrückungsapparat des Mubarak-Regimes gespürt?
Diesen Unterdrückungsapparat habe ich selbst gespürt. Das war ein Militärregime. Die Unterdrückung war da. Immer wieder wurden Menschen unterdrückt und niedergemacht. Es gab Folter. Es gab Mord. Es gab Familien, deren Angehörige plötzlich für Wochen verschwunden waren. Überall gibt es von Stadt zu Stadt Militärkontrollpunkte. Ich bin einmal mit Freunden 500 Kilometer von Scharm El-Scheich nach Suez gefahren und auf dieser Strecke fünf Mal kontrolliert worden. Man wollte wissen: Was macht ihr? Woher kommt ihr und wohin wollt ihr? Und warum wollt ihr dort hin, wo ihr hin wollt? Das war beängstigend. Das ist ein Polizeistaat in jeglicher Form, in dem sich die Menschen nicht wohl fühlen, weil sie frei sein wollen.

Sind Sie selbst auch von staatlichen Sicherheitskräften drangsaliert worden?
Das Problem hatte ich selbst nicht, weil ich nicht wie ein Ägypter, sondern wie ein Ausländer aussehe. Deshalb haben sie mich immer in Ruhe gelassen.

Wie frei konnten Sie in Ägypten mit Menschen sprechen?
Mit meiner Familie konnte und kann ich über alles sprechen. Da brauche ich keine Angst zu haben, dass etwas ausgeplaudert wird. Aber nach außen musste man schon vorsichtig mit seinen Äußerungen sein. Es gibt da eine Geheimpolizei, die für den Präsidenten und nicht für dich arbeiten. Alles, was falsch gesagt wird, wird gegen dich verwandt. Man konnte zwar über Politik reden, hat aber manche Themen nicht so angesprochen, wie man es sollte. Man hat zum Beispiel nicht gesagt, dass der Präsident Unrecht tut. Unter Freunden hat man darüber geredet und jeder wusste, worum es geht, ohne es konkret auszusprechen. Denn die Angst war groß, morgen nicht mehr da zu sein.

Sehen Sie die Ereignisse in Ägypten anders, als der deutsche Fernsehzuschauer und Zeitungsleser ohne familiäre Verbindungen nach Ägypten?
Natürlich. Das ist ein Teil von mir, weil meine Familie dort lebt. Und es tut mir weh, zu sehen, dass die Menschen dort so viele Jahre Leid und Unrecht ertragen mussten und umso mehr freue ich mich jetzt darüber, was sie tun.Frage: Würden Sie sich in die Massenproteste einreihen?Antwort: Ich würde sofort mit auf die Straße gehen. Aber ich würde unterscheiden zwischen Gewalt und Demonstration. Die Eskalation der Gewalt ist nicht richtig, weil man damit nicht rüberbringt, was man will, nämlich ein friedliches Leben in einem demokratischen Sozialstaat und dass der jetzt noch amtierende Präsident auf eine faire Weise geht.

Im Westen haben viele Menschen Angst vor einer Machtübernahme durch die Moslembrüder. Wie sehen Sie die Zukunft Ägyptens?
Ich sehe das mit gemischten Gefühlen. Die Moslembrüder werden mit an die Macht kommen. Das bleibt gar nicht aus. Denn sie sind die stärkste Oppositionsgruppe in Ägypten. Gut ist, dass sie Mohammed El-Baradei akzeptieren. Denn das ist eine Person, die sich als ehemaliger Generalsekretär der Internationalen Atomenergiebehörde in der Welt auskennt. Er hat den Friedensnobelpreis bekommen und ist auf der politischen Ebene bekannt und kennt das internationale Recht. Dass die Moslembrüder so eine Persönlichkeit akzeptieren, deutet darauf hin, dass sie doch nicht so islamistisch sind, wie man vielleicht denkt. Sicher müssen sie sich in der Zusammenarbeit mit El-Baradei auf Kompromisse einlassen. Es wäre mein Wunsch, dass Ägypten ein Sozialstaat und eine Demokratie wird, in der alle Menschen frei und friedlich zusammenleben können, ohne Angst zu haben, etwas Falsches zu sagen.


Adel Saliman wurde vor 34 Jahren als Sohn eines ägyptischen Vaters und einer deutschen Mutter in Mülheim geboren. Als Adel (Dieser Name bedeutet: Der Schlichter) fünf Jahre alt war, übersiedelte die Familie nach Suez, wo der Vater als Bauzeichner sechs Jahre lang für britische und amerikanische Firmen arbeitete. Danach kehrte die Familie nach Mülheim zurück.Doch Saliman, der inzwischen beim zentralen Außendienst des Ordnungsamtes arbeitet, bewahrte sich einen engen Kontakt zum Heimatland seines Vaters, indem er jedes Jahr für mehrere Wochen seine in Suez und Alexandria lebenden Verwandten besucht. Außerdem lebt auch seine Schwester, die mit einem Ägypter verheiratet ist, inzwischen wieder in der Heimat des Vaters.Nach Angaben der Stadtforschung lebten in Mülheim Ende 2010 72 ägyptische Staatsbürger

Dieser Text erschien am 9. Februar 2011 in der NRZ

Montag, 14. Februar 2011

Vom Untergang einer kleinen Geschäftswelt: Vor 30 Jahren wurden die Bahnbögen an der Bahnstraße geöffnet



Der 30. und 31. Januar ist in meinem Kalender rot angestrichen", erzählt Familienforscherin Bärbel Essers. Dass das so ist, hat mit der Geschichte ihrer Familie zu tun. Denn am 30. und 31. Januar 1981 wurde das Geschäft ihrer Eltern am Bahnbogen 19 abgerissen. Mit diesem Abriss ging vor 30 Jahren eine lange Geschäftstradition unter den Bahnbögen an der Bahnstraße zu Ende. Denn als Gerhard Essers 1955 dort sein Geschäft für Angler- und Campingbedarf eröffnete, war er nicht der einzige Geschäftsmann, der unter den 1865 errichteten und 1866 als Eisenbahntrasse in Betrieb genommenen Bahnbögen sein Quartier aufgeschlagen hatte.
Seine 1961 geborene Tochter erinnert sich nicht nur an eine legendäre Pommesbude, eine Eisdiele und den Löschbogen, der damals noch wirklich unter dem Bahnbogen Bier und mehr ausschenkte und die traditionelle Stammkneipe der Marktleute war.


Als Essers noch ein Kind war, handelten ihre Nachbarn unter den Bahnbögen zum Beispiel mit Lederwaren, Obst und Gemüse, Kartoffeln, Kleidung und Futtermitteln oder sie verdienten ihr Geld zum Beispiel mit der Reparatur von Fahrrädern.


Wenn man den bunten Branchenmix unter den Bahnbögen betrachtet und sieht, wie die Bahnbögen heute aussehen, wundert man sich im Rückblick darüber, warum man in den 70er Jahren auf die Idee kam, die Bahnbögen zu öffnen und die dort ansässigen Geschäfte, Wohnungen und Lagerräume abzureißen. "Man war damals der Ansicht, dass die Bahnbögen mit ihren Geschäften ein verkehrshemmendes Bauwerk darstellen", erinnert sich Essers an den fortschrittsgläubigen und autogerechten Zeitgeist der 70er Jahre. "Treibende Kraft für das Projekt war der damalige Bürgermeister und Planungsausschussvorsitzende Gerd Müller", erinnert sich der heutige Stadtsprecher Volker Wiebels, dessen Eltern als begeisterte Camper zu den Stammkunden von Familie Essers gehörten.

Die zog bereits ein Jahr vor der Öffnung der Bögen 1980 mit ihrem Geschäft zur Auerstraße. Wer die alten Bilder von den belebten Bahnbögen betrachtet erkennt über einigen Geschäften auch Wohnräume.


Konnte man denn unter der Bahnstrecke überhaupt wohnen ohne taub zu werden? "Unsere 50 bis 60 Quadratmeter große Wohnung war sehr gut gedämmt und ausgebaut", erinnert sich Essers an ihre Kindheit unter der Eisenbahnbrücke. Die Vibrationen der Züge nahmen sie und ihre Eltern, im Gegensatz zu Gästen gar nicht mehr wahr. Und selbst ihre Lehrer, die sich bei einem Hausbesuch davon überzeugten, dass man auch unter dem Bahnbogen in aller Ruhe seine Hausaufgaben machen konnte, staunten über dem vergleichsweise großen Wohnkomfort.
Bei ihren Recherchen ist Essers auf einen Artikel aus dem Mülheimer Generalanzeiger vom 24. Juli 1905 gestoßen, der belegt, dass man schon damals über eine Öffnung der Bahnbögen nachdachte. Dort ist unter anderem zu lesen: "In der vor längerer Zeit durch die Spalten verschiedener Zeitungen gegangenen Polemik betreffend der Umgestaltung der hiesigen Bahnhofsverhältnisse wurde auch die Verlegung der Rheinischen Bahn und im Interesse der Verschönerung der Stadt durch Beseitigung der Eisenbahnbrücke und des Bahndammes gefordert."


Bereits 1890 dokumentiert ein Zeitungsbericht über einen Geschäftsbrand unter den Bahnbögen, das geschäftige Treiben an diesem Ort am Rande von Ruhr und Rathausmarkt. Und 1954 beschrieb die NRZ (siehe Kasten) die Wiederauferstehung der Ladenstraße unter den Bahnbögen. Doch in den 1970er Jahren, als mit dem Rhein-Ruhr-Zentrum und dem City Center erste Einkaufszentren und an der Schloßstraße eine Fußgängerzone entstand, erschien dieses alte Geschäftsquartier an der Bahn buchstäblich auf der Strecke zu bleiben und vom Zug der Zeit überrollt worden zu sein. Die Öffnung der Bahnbögen, die man mit Ranken, Bäumen und Blumenkübel aufhübschen wollte, begriff man damals als Teil der Innenstadterneuerung, in deren Zuge auch die Bahnstraße und ihre alten Gründerzeithäuser restauriert, umgebaut und erneuert wurden. Nach der Öffnung der Bahnbögen wurden 1982/83 Bahngleise für die heutige Straßenbahnlinie 102 verlegt, die inzwischen aber seit 13 Jahren unterirdisch durch den Ruhrtunnel fährt. In den 90er Jahren wurde dann noch einmal darüber diskutiert, ob man die Bahnbögen nicht wieder durch Geschäfte und Wohnungen beleben könne. Das verwarf man dann aber aus Kostengründen.


Klaus Beisiegel, der sich als Referent der Baudezernentin federführend mit dem Thema Ruhrbania beschäftigt, kann sich in diesem Zusammenhang auch an Vorschläge erinnern, die Bahnbögen als Kunst- und Kulturräume zu nutzen. Im Rahmen des Ruhrpromenaden-Baufeldes 3 gibt es, laut Beisiegel, Pläne ein Wohngebäude direkt an die Bahnbögen anzubauen, so dass man dieses Haus dann durch deren Torbögen betreten könnte, während die alte Bahntrasse dann zum Rad- und Fußweg würde.



Im April 1954 schreibt die Mülheimer NRZ: "Die unansehnlichen Bögen des Bahndammes in der Bahnstraße scheinen nun hübsch dekoriert zu werden. Den Anfang machte das Handarbeitsgeschäft Kunigunde Buschmann. Es richtet unter dem Torbogen 23 ein hübsches Ladenlokal ein. Die Stadt ist wieder sehr daran interessiert, eine sogenannte Ladenstraße anzulegen. Obwohl die Bahnbögen schon seit langem genutzt werden, geben sie als Verschläge und Werkstätten kein angenehmes Bild ab. Dass man daraus eine für das Stadtbild vorteilhafte Bahndammfront schaffen kann, ist nun zu beweisen. Und auch Nachahmer haben sich gefunden, so dass sich vielleicht über kurz oder lang das unschöne Gesicht des Bahndammes vollkommen wandeln wird."


Dieser Beitrag erschien am 31. Januar 2011 in der NRZ

Sonntag, 13. Februar 2011

Quo vadis Stadkirche? Quo vadis Priesteramt: Ein Gespräch mit Mülheims Ehrenstadtdechant Manfred von Schwartzenberg, der seit 1971 Priester ist



Die katholische Kirche sucht sie, findet sie aber hierzulande immer seltener Priester. Im letzten Jahr wurde im Ruhrbistum nur ein Priester geweiht. 2011 werden es gerade mal zwei sein. Ehrenstadtdechant Manfred von Schwartzenberg wurde vor 40 Jahren zum Priester geweiht. Für die NRZ sprach ich mit ihm über die Sonnen- und Schattenseiten eines Berufes, der für ihn bis heute Berufung und Traumberuf geblieben ist.


War das Priesteramt immer schon Ihr Traumberuf?
Nein. Ich wollte erst Theaterwissenschaftler und Regisseur werden, angeregt durch das Vorbild zweier Lehrer, die mit uns Theater gespielt und kreative Sachen gemacht haben.


Warum sind Sie dann doch Priester geworden?
Der Tick des Heiligen Geistes kam bei mir durch die besagten Lehrer und zwei Priester, die ich im Essener Münster kennen gelernt habe. Das waren Menschen, die ich nicht nur als fromm, sondern auch als kreativ erlebte und die mich darin bestärkten, dass ich ein Stück Berufung in mir haben könnte. Dieses Gefühl hat sich dann während meines Studiums verstärkt, in dem ich auch einen Chor für neue liturgische Musik aufbauen konnte.


Was begeistert Sie für Ihren Beruf?
Seine Vielschichtigkeit. Ich würde auch im Rückblick nicht behaupten, dass ich ein sehr frommer Mensch gewesen wäre, der seinen Hauptgenuss im Beten und Meditieren gefunden hätte. Mir hat es immer Freude gemacht, mich Menschen zuzuwenden und ihnen helfen zu können, aber auch mit ihnen die Freude am Glauben zu teilen und Feste zu feiern.


Was macht einen guten Priester aus?
Das Wichtigste ist, dass man sich für Menschen Zeit nimmt und ihnen zuhört. Das tut ihnen gut und macht mir Freude, auch wenn man an dem Leid, mit dem man als Priester konfrontiert wird, oft nicht viel ändern kann.


Haben Sie 1971 so etwas, wie Aufbruchstimmung erlebt?
Wir hatten ein enormes Selbstbewusstsein. Mit unserem Studium begann auch die Umsetzung des II. Vatikanischen Konzils, das für eine Erneuerung der Kirche sorgte. "Wandelt euch durch neues Denken." Dieses Paulus-Wort war damals in aller Munde.


Erleben Sie Ihre Kirche heute im Abbruch?
Wir arbeiten in unserer Gemeinde derzeit an einem Pastoralplan, in dem wir auch der Frage nachgehen, wie kann kirchliches Leben in Zukunft organisiert werden. Zurzeit spüren wir noch keine Not. Denn wir haben für jede Gemeinde einen Pastor. Doch in fünf Jahren wird das schon anders aussehen und in 20 Jahren wird es in Mülheim nur noch eine Pfarrgemeinde geben, St. Mariae Geburt, in der sich alle katholischen Christen versammeln. Wir werden weniger Gläubige und damit auch weniger hauptamtliches Personal, weniger Kirchen und Gemeindehäuser haben.


Frustriert Sie diese Aussicht?
Wir müssen die Situation realistisch sehen, um keine falschen Erwartungen zu wecken und damit Frustration zu erzeugen. Mein Lebensprinzip ist es, in neuen Situationen immer wieder neue Antworten zu finden. Man darf nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen. Denn dabei geht nur der Kopf kaputt.

Was bedeutet das für die Kirche der Zukunft?
Die Kirche der Zukunft wird ganz anders sein als heute. Wir werden nicht mehr überall einen Pastor und eine Kirche haben. Die Laien werden einen Lernprozess durchmachen und künftig noch mehr Leitungsfunktionen in der Kirche übernehmen. Dann werden die Gottesdienstbesucher vielleicht die Kommunion für einen kranken Nachbarn selbst mitnehmen und es werden sich vielleicht auch mehr private Haus- und Bibelkreise gründen. Viele neue Formen von Kirche sind denkbar und nötig, ohne das man heute schon sagen könnte, wie diese Formen konkret aussehen.


Könnte die Aufhebung des Pflichtzölibates den Priestermangel beheben?
Es gibt sicher viele Priester, die den Zölibat nicht um des Zölibates Willen auf sich nehmen, sondern weil ihnen das Priesteramt und das Mittun in der Kirche etwas bedeuten. Der Kirche in Deutschland würde es sicher weiterhelfen, wenn man auch verheirateten Männern, die das wollen, den Zugang zum Priesteramt ermöglicht. Warum auch nicht? Aber das hätte Konsequenzen für die gesamte Weltkirche. Und das ist der Haken daran. Ich glaube aber auch, dass der Zölibat nicht ausschlaggebend dafür ist, dass sich heute nur wenige Männer zum Priesteramt berufen fühlen. Früher wurden Priesteramtskandidaten viel mehr von der Gesellschaft getragen und mussten sich nicht die Frage gefallen lassen: "Bist du verrückt?" Die jungen Männer, die aber trotzdem heute Priester werden, sind oft besonders fromm und würdig, Priester zu sein.


Weshalb kommt es dann zu Missbrauchsfällen und sexuellen Entgleisungen katholischer Priester?
Die größte Gefahr sehe ich in der Einsamkeit, wenn ein Priester sich in seiner Gemeinde nicht anerkannt, sondern isoliert und missverstanden fühlt. Dann besteht das Risiko, dass er sich die Anerkennung wo anders sucht und im Extremfall in kriminelle Entgleisungen abdriftet, die etwa in einen Missbrauch münden können. Oft ist es aber so, dass solche Priester sich ihre Anerkennung dann in einer Partnerschaft suchen und damit den Zölibat und ihr Amt aufgeben.


Zur Person: Der in Essen aufgewachsene Manfred von Schwartzenberg (66) wurde nach seinem Theologie- und Philosophiestudium in Münster, Bonn und Bochum am 15. Januar 1971 vom ersten Ruhrbischof Franz Hengsbach in St. Engelbert zum Priester geweiht. Nach ersten Kaplansjahren in Gelsenkirchen, kam er 1976 als Kaplan und Stadtjugendseelsorger erstmals nach Mülheim, wo er bis 1982 in der Gemeinde St. Mariae Rosenkranz tätig war, ehe er für zehn Jahr als Militärseelsorger zur Bundeswehr wechselte. Doch 1992 kam er als Pfarrer von St. Barbara zurück nach Mülheim und übernahm 1993 für 15 Jahre zusätzlich das Amt des Stadtdechanten. Seit 2006 steht er an der Spitze der neuen Nord-Pfarrei St. Barbara, zu der neben St. Barbara (Dümpten) auch die Gemeinden St. Mariae Rosenkranz (Styrum), Christ König (Winkhausen) und St. Engelbert (Eppinghofen) mit insgesamt knapp 20 000 Seelen gehören. 2008 wurde von Schwartzenberg zum Ehrenstadtdechanten ernannt und im Jahr darauf für seine Verdienste als Seelsorger mit der Nikolaus-Groß-Medaille ausgezeichnet. Er hat das Libretto für ein Musical über den 1945 ermordeten Widerstandskämpfer Nikolaus Groß geschrieben, das seit 1998 von Gemeindemitgliedern aus St. Barbara fast 60 Mal aufgeführt worden ist.


Dieser Text erschien am 29. Januar 2011 in der NRZ

Samstag, 5. Februar 2011

Ein Blick über den Tellerrand nach Lateinamerika: Ein Interview mit dem brasilianischen Bischof Alfredo Schaffler



Der langjährige Weihbischof und ehemalige Vorsitzende von Adveniat, Franz Grave, nutzt seinen geistlichen Ruhestand als Seelsorger in der Mülheimer Pfarrgemeinde St. Mariae Geburt. Doch seine langjährige Bindung zu Lateinamerika, das er auch aus eigener Anschauung kennt, hat der 78-jährige Theologe nicht verloren und deshalb im Dezember 2010 den brasilianischen Bischof Alfredo Schaffler (Foto) zu einer Lateinamerika-Woche ins Ruhrbistum eingeladen. Bei einem Einkehrtag in der Mülheimer Pfarrgemeinde St. Mariae Geburt suchten Priester und Laien das Gespräch mit Schaffler, um Impulse für die eigene Gemeindearbeit zu bekommen. Für Die Tagesspost traf den brasilianischen Bischof bei dieser Gelegenheit zu einem Interview und lernte einen Gottesmann kennen, der uns nicht über Lateinamerika viel zu sagen hat.


Wie wird man als Österreicher Bischof in Brasilien?
Ich bin durch das Fernsehen in Brasilien gelandet. Man sieht: Das Fernsehen hat auch seine guten Seiten. Dort habe ich während des Zweiten Vatikanischen Konzils einen brasilianischen Bischof gesehen und sprechen gehört, der mit 16 aus Österreich nach Brasilien gegangen- und dort Priester geworden war. Das hat mich damals aus meiner europäischen Ruhe gebracht. Das war der Grund, warum ich mein Leben umgekrempelt und neu angefangen habe. So wurde auch ich nach meinem Studium Priester in Brasilien und später Bischof.


Was nehmen Sie von Ihrem Besuch im Ruhrbistum mit nach Brasilien?
Dankbarkeit, Freude und die Überzeugung, dass die Welt zu einem globalen Dorf geworden ist, in dem wir enger zusammenrücken müssen, in dem wir aber auch voneinander lernen und geschwisterlich zusammenleben können, wenn wir aufeinander hören.


Was haben Sie hier selbst gelernt?
Es gibt soviel positives in Deutschland, was in Jahrhunderten christlicher Verkündigung gewachsen ist und sich heute als Grundgedanke in der Wirtschaft, in der Politik oder in der Schule wiederfindet. Ich habe aber auch viele engagierte Gemeindemitglieder kennengelernt, die sich einbringen, weil sie erkannt haben, dass die Kirche nicht nur aus Priestern besteht und das wir alle als Gläubige in einem Schiff stehen, jeder an seinem Platz.


Aber ohne Priester funktioniert Kirche auch nicht und wir haben hier im Gegensatz zu Brasilien einen Priestermangel.

Das Priester fehlen ist sicher auch ein Zeichen Gottes. Er will uns vielleicht dahin führen, dass wir wieder stärker von der Taufe ausgehen, damit jeder Gläubige seinen Beitrag dazu leistet, dass die Kirche immer wieder eine lebendige und fußwaschende Kirche ist, die als Zeichen der Hoffnung für die Menschen wahrgenommen wird, in dem wir durch die Kirche immer wieder neu lernen, dass wir geschwisterlich in einer Welt zusammenleben können.

Was kann die katholische Kirche in Brasilien und Lateinamerika von der Kirche in Deutschland lernen und umgekehrt?
Es steht mir nicht zu, zu sagen, was die deutsche Kirche von uns lernen kann. Aber was wir von der Kirche in Deutschland lernen können, das sind viele Elemente. Ich denke zum Beispiel an die gute Organisation, die man hier hat. Wir können hier von der Gründlichkeit lernen, mit der man zu einer Sache steht und sie überzeugend weiterführt. Aber wir können auch von der Offenheit der Menschen für unsere Welt lernen. Wie viele Menschen hier haben im Laufe der Jahrzehnte gelernt, über Grenzen zu sehen und Horizonte zu erkennen. Als Mitglied der Bischofskonferenz Brasiliens kann ich nur dankbar sein. Denn was wäre unsere Kirche in Brasilien und in Lateinamerika ohne das Dahinterstehen der vielen Katholiken Deutschlands, durch Adveniat, Miserior oder andere Aktionen. Wir wären sicher nicht die Kirche, die wir heute sind. Wir sind sicher nicht nur eine heilige, sondern auch eine sündige Kirche. Aber wir haben sicher viele Zeichen der Heiligkeit, der Hoffnung und der Veränderung setzen können, weil wir aus dem Hintergrund durch die Aktion Adveniat in 50 Jahren viel Hilfe erfahren haben. Dafür empfinden wir tiefe Dankbarkeit. Und das war auch ein Grund für mich, der Einladung zu folgen, um Danke zu sagen. Das ist eine Brücke, die geschlagen worden ist. Aber eine Brücke wird nur durch Pfeiler getragen. Und so ein Pfeiler ist Franz Grave. Solche Pfeiler sind aber auch die beiden Priester aus dem Ruhrbistum, die heute in meiner Diözese durch ihren überzeugenden Einsatz segensreich wirken.


Sie haben bei Ihrem Besuch aber auch mit Erfolg um finanzielle Unterstützung für den Zisternenbaum in Ihrem Bistum geworben. Warum?
Wir leben in einer ausgesprochenen Trockenzone, in der es sechs Monate im Jahr nicht regnet und in der die Menschen nicht einfach den Wasserhahn aufdrehen können, um Wasser zu trinken. Was ist aber Leben. Also bauen wir Zisternen, mit denen wir Regenwasser auffangen können, damit Familien in den Trockenmonaten Regenwasser haben, das sie nutzen können, um zu waschen, zu trinken und zu kochen. Für 400 Euro kann man schon eine Zisterne bauen, die etwa 15.000 Liter Regenwasser auffängt. Dass bedeutet, dass die Leute die Trockenzeit überstehen und nicht in die Städte abziehen oder sogar ihr Land verlassen müssen. Sie können bleiben, um ihre Kinder großzuziehen und ihr Land zu bestellen. Das bedeutet Leben. Natürlich haben wir auch Sozialzentren, in denen wir Kinder aufnehmen, deren Zuhause die Straße ist, in denen wir Näh- oder Kochkurse geben und den Leuten zum Beispiel zeigen, wie man einen Gemüsegarten anlegt. Denn was man mit der einen Hand empfängt, das muss man mit der anderen Hand weitergeben, um den Menschen Hoffnung zu geben.


Wie beurteilen Sie als katholischer Bischof das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im Brasilien des jetzt aus seinem Amt geschiedenen sozialistischen Präsidenten Lula?
Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat ist ein relativ friedvolles. Man sucht den Dialog und die Bischofskonferenz wird mit viel Respekt vom Präsidenten angehört. Aber leider bleibt es dann oft auch dabei und geht nicht in die Realität hinein.

Zuletzt machten menschenunwürdige Verhältnisse in Brasilien Gefängnissen Schlagzeilen. Wie ist es um die Menschenrechte in Brasilien bestellt?
Ich war vor zehn Monaten in einer Haftanstalt. Da saßen 158 Männer ein. Von denen waren 60 Prozent jünger als 25 und nur 30 rechtskräftig verurteilt. Die anderen warteten auf ihren Prozess. Das kann oft Jahre dauern, auch wenn die Menschen unschuldig sind. So verlieren auch unschuldige Menschen oft zwei oder drei Jahre ihres Lebens, in denen sie nichts positives für ihr Leben lernen können. Das ist gegen die Menschenrechte. Und diesbezüglich sehen wir bei der amtierenden Regierung nicht viele Fortschritte, weil es an Grundwerten fehlt. Ich meine damit Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. Wir haben leider sehr viel Betrug und Korruption. Und Lüge wird oft solange erzählt, bis sie als Wahrheit verkauft wird.


Was erwarten Sie von der Nachfolgerin Lulas, Dilma Rousseff?
Als Kirche müssen wir immer eine hoffende Kirche sein, um Hoffnung zu schenken. Und so hoffen wir, dass sie als Frau vielleicht eine größere Sensibilität hat, um ihre Mitarbeiter zum Handeln zu bringen, damit es zum Beispiel im Gesundheitssystem besser wird. Das was auf dem Papier steht, muss auch umgesetzt werden, nämlich, dass auch der arme Mensch die Möglichkeit hat, eine medizinische Behandlung zu bekommen, dass sich das Schulwesen verbessert und wir weniger Analphabeten haben. Das wir weniger Korruption haben und das mit mehr Ehrlichkeit gewirtschaftet wird und es weniger Unterschlagung gibt. Das erwarten wir.

Wie versucht die katholische Kirche in Lateinamerika auf die Herausforderung durch die evangelikalen Sekten zu reagieren?
Die fünfte lateinamerikanische Bischofskonferenz hat einen Impuls gegeben, damit wir wieder etwas mehr zu einer missionarischen Kirche werden. Wir dürfen uns nicht an Kirche gewöhnen. Denn wenn man sich an etwas gewöhnt, besteht die Gefahr, dass man schläft. Und die Kirche darf nicht schlafen. Die Evangelisierung war bei uns oft oberflächlich. Das Herz des Brasilianers gehört Jesus Christus, aber der Kopf dem, der als erster kommt und das waren nicht immer wir, weil wir nicht immer mit missionarischem Elan ausgezogen sind. Wir haben in Brasilien aber auch eine Verfassung, die allen Religionsgemeinschaften Steuerfreiheit gewährt, aber nicht genau definiert, was eine Religionsgemeinschaft ist. Und so kann jeder an der nächsten Straßenecke die Kirche von den blauen Augen Gottes aufmachen, um seine Steuern hinterrücks zu verstecken. Denn die meisten Sekten sind ein rein finanzielles Unternehmen und dem können wir nur entgegenwirken, in dem wir wieder stärker eine missionarische Kirche werden.

Wie beurteilen Sie die Lage der katholischen Kirche in lateinamerikanischen Ländern, die wie Venezuela, von einem neosozialistischen Regime regiert werden und in denen es eine Frontstellung zwischen Kirche und Regierung gibt?
In Brasilien haben wir jetzt nach sehr vielen Jahren ein Konkordat, in dem das juristische Verhältnis von Kirche und Start definiert ist. Was wir auf der lateinamerikanischen Ebene hören, von Leuten, die dort her kommen, so ist die wirtschaftliche Lage in Venezuela sehr schlecht und die Armut groß. Das ist ein sozialistisches System, in dem Präsident Chavez oft mit Schikanen und Gewalt das existierende Konkordat mit Füßen tritt. Das ist zwar ein internationales Abkommen, aber er macht das auch mit anderen Ländern. Für uns ist das natürlich eine Sorge, so einen Mann an der Regierung zu haben, der um Anhänger wirbt, aber auch nicht so viele Anhänger hat. Da sind wir als Kirche näher dran an den Menschen, weil man merkt: Da wird zwar viel gesprochen, aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Für die Kirche ist das eine schwierige Situation. Denn es gibt so gut wie keine Opposition. Alle Nachrichten werden kontrolliert. Die Demokratie wird mit Füßen getreten. Denn zur Demokratie gehört Meinungsfreiheit und die wird nicht angenommen. Und diesbezüglich hat es natürlich auch gewisse Tendenzen in Brasilien. Die zukünftige Präsidentin hat jetzt gesagt: Der Lärm auf der Straße ist besser als das Schweigen in der Diktatur. Sie hat ja selbst unter einer Diktatur gelitten. Wir hoffen, dass sie ihr Wort auch durchhält. Aber es gibt gewisse Tendenzen bei uns, dass man die Meinungsfreiheit beschneiden und das Nachrichtenwesen kontrollieren will. Das macht uns Sorge.


Welche Bedeutung hat aus Ihrer Sicht der Alternative Nobelpreis für Ihren brasilianischen Bischofskollegen aus der Diözese Xingu, Erwin Kräutler, der sich ja für den Erhalt der tropischen Regenwälder und die Rechte der Indios einsetzt?
Dieser Preis ist für ihn wichtig, damit sein Wort vielleicht etwas mehr gehört wird. Konkret: Denn man versucht in seiner Gegend ein riesiges Stauwerk aufzubauen. Das wird jetzt gemacht, obwohl ihm der Präsident versprochen hat, dass es nicht gemacht wird. Die Folge: Es werden da 30.000 Menschen durch das Wasser aus ihren Häusern vertrieben. Und da ist kein Plan vorhanden, was mit diesen Leuten geschehen soll. Da stellt er sich hin und fragt: Kann man da zu stimmen? Das hat er auf friedliche Weise getan. Die Firmen, die diesen Bau machen und daran interessiert sind, sehen ihn natürlich nicht gerne. Er muss mit Polizeibewachung gehen. Man muss bedenken. In den Überschwemmungsgebieten leben Indianerstämme, für die es wichtig ist, dort zu leben, wo ihre Ahnen begraben sind. Würden sie von ihrem Land vertrieben, käme das in ihrem Bewusstsein einer Ausrottung ihres Stammes gleicht. Und dagegen erhebt sich der Bischof Kräutler. Aber leider wird er trotz aller Versprechungen bei den öffentlichen Stellen Brasiliens nicht immer gehört.


Zur Person: Alfredo Schaffler wurde 1941 im österreichischen Waldhofen geboren und ist damit ein Landsmann seines ebenfalls aus Österreich stammenden brasilianischen Bischofskollegen Erwin Kräutler, der jetzt für seinen Einsatz für die Rechte der Indios und den Erhalt der tropischen Regenwälder mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden ist.
Nach seinem Hauptschulabschluss ging Schaffler 1955 nach Wien, um dort der Kongregation der christlichen Schulbrüder beizutreten. Von 1963 bis 1966 arbeitete er als Religionslehrer und Erzieher in Feldkirch. Danach entschloss er sich Österreich zu verlassen, um als Priester in Brasilien zu arbeiten. Nach seiner Weihe 1966 war er zunächst im brasilianischen Bistum Picos tätig, ehe er 1978 für ein kirchenrechtliches Aufbaustudium nach Rom ging.
Zurück in Brasilien, übernahm Schaffler die Aufgabe eines Bischofsvikars für Wirtschaftsfragen und war gleichzeitig als Pfarrer in Teresina tätig. Seit 1985 leitet er die 1944 gegründete und 20.500 Quadratkilometer große Diözese Parnaiba im Nordosten Brasiliens. Hier leben rund 550.000 Menschen, von denen etwa 80 Prozent katholisch sind, sechs Prozent mehr als im brasilianischen Landesdurchschnitt.


Die katholische Tageszeitung DIE TAGESPOST hat im Januar 2011 eine gekürzte Fassung dieses Gespräches veröffentlicht. Weiterführende Informationen finden Sie im Internet unter: www.die-tagespost.de und: www.adveniat.de

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