Im August feiert die Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung ihren 60. Geburtstag. Der vor 30 Jahren mit einem Down-Syndrom geborene Yannick Rüth und seine Mutter Sabine erklären im Gespräch mit der Lokalredaktion, wie ihnen der 1963 aus einer Elterninitiative um den Saarner Pastor Ewald Luhr und seine Frau Luise hervorgegangene Lebenshilfe geholfen hat, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Sie leben in einer von der Lebenshilfe betreuten 50
Quadratmeter großen Wohnung. Wie kam es dazu?
Yannick Rüth: Ich bin 2019 hier eingezogen. Ich habe eine
eigene Wohnung, genauso wie meine nichtbehinderten Geschwister Alexandra und
Niklas.
Wie kam es dazu?
Sabine Rüth: Die Lebenshilfe ist Mitglied im Trägerverein
des Gemeinschaftswohnprojektes Fünter Hof, das mithilfe der Mülheimer
Wohnungsbaugenossenschaft rund um eine ehemalige Schule am Fünter Weg
realisiert werden konnte. Ich selbst bin Mitglied der Lebenshilfe und des
Trägervereins Fünter Hof. Denn Yannicks Vater und mir ist es wichtig, dass
unser Sohn möglichst selbstständig, aber auch beschützt leben kann.
Wie haben Sie sich auf das Leben in Ihrer eigenen Wohnung
vorbereitet?
Yannick Rüth: Mein Freund Felix, der heute hier mein Nachbar
ist und ich, haben gemeinsam die Förderschule an der Rembergstraße besucht. In
dieser Zeit haben wir in einer Wohnung der Lebenshilfe am Hingberg ausprobiert,
was mal alles machen muss, wenn man in einer eigenen Wohnung lebt.
Können Sie Ihren Alltag denn ganz alleine organisieren?
Yannick Rüth: Nein. Ich werde von den Leuten der Lebenshilfe
unterstützt. Einer von ihnen ist immer hier im Haus, um uns zu helfen, wenn wir
Hilfe brauchen.
Was können Sie selbst und wobei brauchen Sie die Hilfe der
Leute von der Lebenshilfe?
Yannick Rüth: Ich kann waschen und kochen, zum Beispiel
Kartoffelpüree mit Fischstäbchen. Ich kann selbst einkaufen und mit meiner
Karte bezahlen, auf die meine Mutter mein Taschengeld überweist. Die Leute von
der Lebenshilfe schreiben mit mir einen Einkaufszettel und gehen mit mir
zusammen einkaufen, obwohl ich eigentlich immer alles im Kopf habe, was ich
einkaufen will. Ich muss mich auch immer eincremen, damit ich keine trockene
Haut bekomme. Dabei brauche ich Hilfe, denn ich kann ja meinen Rücken nicht
selbst eincremen.
Was gefällt Ihnen am Lebenshilfe-Wohnhaus im Fünter Hof?
Sabine Rüth: Yannick wohnt hier in seinen eigenen vier
Wänden und kann gleichzeitig die Vorzüge einer Wohngemeinschaft genießen. Seine
behinderten und nichtbehinderten Nachbarn sind nett und gehen auf ihn ein.
Lebenshilfe ist mit mindestens einem Betreuer rund um die Uhr als
Ansprechpartner vor Ort, wenn es Fragen und Probleme gibt. Das gibt Yannick und
mir ein gutes Gefühl der Sicherheit und fördert unsere Lebensqualität.
Wie gestalten Sie Ihren Alltag innerhalb und außerhalb ihrer
Wohnung?
Yannick Rüth: Ich stehe morgens schon um 5 Uhr auf. Dann
ziehe ich mich an und frühstücke. Am Wochenende treffe ich mich auch schon mal
mit meinen Nachbarn zum Frühstück. Um 6 Uhr klingelt dann ein Betreuer von der
Lebenshilfe an, um zu sehen, ob ich auch aufgestanden bin, obwohlich das gar
nicht brauche.
Um 7.15 Uhr gehe ich zu Fuß zur Arbeit. Ich arbeite in der
Schreinerei der Theodor-Fliedner-Stiftung an der Geitlingstraße und brauche
eine Viertelstunde für meinen Arbeitsweg. Mittags esse ich in der Werkstatt. Am
Wochenende kocht die Lebenshilfe für uns. Dann essen wir gemeinsam bei uns
zuhause. Sonntags gehe ich mit meiner Mutter spazieren. Um 15 Uhr habe ich
Feierabend. Dann gehe ich nach Hause. Nachmittags gehe ich regelmäßig
Fußballspielen oder schwimmen. Dann fahren mich die Leute von der Lebenshilfe ins
Heißener Schwimmbad oder zum TUS Union 09. Ich bin Stürmer und kann gut Tore
schießen.
Und wie sieht es darüber hinaus mit der Wohn- und
Lebensgestaltung aus?
Sabine Rüth: Die Lebenshilfe steht Eltern geistig
behinderter Kinder in allen Lebensfragen mit Rat und Hilfe zur Seite. Sie geht
auch auf Wünsche und Vorschläge von Bewohnern und Eltern ein und hälte alle
immer auf dem Laufenden, was gerade ansteht. Das reicht von gemeinsamen
Ausflügen und Kinobesuchen bis hin zur gemeinsamen Gartenarbeit mit den
Nachbarn des Fünter Hofes. Auch ein gemeinsamer Urlaub der Bewohner im
Lebenshilfehaus ist geplant, konnte aber auch durch Corona noch nicht
realisiert werden. Ich selbst schaue ein- bis zweimal pro Woche bei Yannick nach
dem Rechten.
Yannick Rüth: Und ich gehe auch mit meinem Vater gerne auf
Schalke und trinke in der Halbzeitpause ein Bier. Denn ich bin Schalke-Fan,
auch wenn mein Verein jetzt leider in die Zweite Liga abgestiegen ist.