Mittwoch, 10. Juli 2024

Lebendige Demokratie

 Unser Grundgesetz wird 75. Das war Anlass für eine Demokratiekonferenz. Eingeladen hatten die Katholische Akademie und das Centrum für bürgerschaftliches Engagement (CBE). 130 interessierte Menschen kamen zum Mitdenken und Mitreden in die Wolfsburg. 

"Wir sind als Demokratinnen und Demokraten viele und wir sind mächtig. Aber wir müssen mit unserem Engagement sichtbarer werden", sagte Johannes Karl. Der Mann vom Verein Artikel leitete einen Workshop mit dem vielsagenden Titel: "Das Grundgesetz, ein unbekanntes Buch!"

So unbekannt ist das Grundgesetz dann doch nicht, zumindest bei denen, die sich in den 15 Initiativen und Institutionen vor Ort für unsere Demokratie engagieren und an ihren Infoständen hinter der Akademie zum Gespräch einluden.

Stadtdirektor David Lüngen zeigte sich beeindruckt von der Vielfalt des Engagements, etwa am Stand des Jugendstadtrates oder am Stand der Astrid-Lindgren-Grundschule, die ihr Kinderparlament vorstellte. Einig war sich Lüngen mit Rektorin Katrin Grollmann, "dass Kinder schon früh in die Demokratie hineinwachsen müssen, indem sie merken, dass ihre Stimme gehört wird und das sie ihre Umwelt mitgestalten können.

Viel gewonnen wäre aus Lüngens Sicht, wenn Bund, Länder und Kommunen einen finanziell faire Lastenverteilung hinbekämen, "damit wir vor Ort auch noch etwas entscheiden und erleben können, dass Konrad Adenauer Recht hatte, als er sagte: 'Die Kommunalpolitik ist die beste Schule der Demokratie.'"

Manfred Zabelberg von der Mülheimer Zeitzeugenbörse und Andrea Stern vom Projekt "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" sind sich einig, dass Schule Kindern und Jugendlichen mehr projekt- und praxisbezogene Demokratiebildung anbieten muss, zum Beispiel in Form von Projekttagen und Zeitzeugengesprächen.

Viel beachtet war bei der Demokratiekonferenz auch Annika Lante vom Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr. Denn sie präsentierte auf Bierdeckeln kompakte Argumente gegen menschenfeindliche Stammtischparolen und Vorurteile.


Zum CBE



Montag, 8. Juli 2024

Nachrüstung 2.0

 Sicherheitspolitik bleibt in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg ein Thema. Nach dem Sicherheitspolitischen Berater Christian Mölling war hier jetzt der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, zu Gast. Der Jahresempfang des Ruhrbischofs Franz-Josef Overbeck macht es möglich. Im Podiumsgespräch mit Overbeck, der auch deutscher Militärbischof ist, betonte Breuer: "Kriege können nicht militärisch, sondern nur politisch gelöst werden. 

Eine dauerhafte Friedensordnung muss das Ziel sein." Dem schloss sich auch Bischof Overbeck an: "Frieden bleibt für uns Christen ein Ziel erster Ordnung. Aber es gibt auch keine Alternative zur Verteidigung unserer Freiheit", sagte Overbeck mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Breuer machte deutlich, dass die Nato angesichts der stark voranschreitenden Aufrüstung Russlands zu einer Nachrüstung gezwungen sei. Nur mit einer glaubwürdigen militärischen Abschreckung könne man einen russischen Angriff auf die Nato dauerhaft verhindern und den notwendigen Verhandlungsspielraum für einen "fairen Frieden in der Ukraine" schaffen. Deshalb sieht Breuer die ukrainische Selbstverteidigung gegen den russischen Luftangriff als "aktuell größte Friedensbewegung Europas."

Der oberste der aktuell 180.000 Soldaten will die Truppenstäke unserer Armee, mittelfristig auf 203.000 und langfristig auf 450.000 Mann steigern. Deshalb begrüßt er den Plan des Bundesverteidigungsministers, Boris Pistorius, mithilfe einer Jahrgangsbefragung zusätzliche Soldaten zu rekrutieren. "Das gesellschaftliche Ansehen der Bundeswehr ist in den vergangenen zehn Jahren wieder gestiegen. Und es gibt genug Männer, die bereit sind, unsere Demokratie zu verteidigen. Auch unsere Nato-Partner erkennen unsere neuen militärischen Bemühung an."


Die Wolfsburg

Samstag, 6. Juli 2024

Partnerstädte hatten die Wahl

Wie im Landestrend, hat auch in Mülheims nordenglischer Partnerstadt Darlington die Kandidatin der Labour Party bei der Unterhaus-Wahl am 4. Juli das Parlamentsmandat gewonnen. Lola McEvoy (Labour) erhielt nach Angaben der Regionalzeitung Northern Echo 16.621 Stimmen. Ihr konservativer Vorgänger, Peter Gibson, landete mit 14.323 auf Platz 2. Michael Walker konnte auf Platz 3 für die rechte Reform-UK-Party 6852 Stimmen. Der Kandidat der Grünen, Mathew Snedker, erhielt 2847 Stimmen, während sich 1735 Wählerinnen und Wähler für den Liberaldemokraten Simon Thorley entschieden.

Gibson war 2019 für Darlington ins Parlament eingezogen und hatte vor fünf Jahren die damalige Labour-Abgeordnete Jenny Chapmann abgelöst. Nach ihrer Wahl nannte Darlingtons neue Labour-Abgeordnete die Stärkung des Öffentlichen Dienstes, die Förderung von Kindern und den ökologischen Umbau der britischen Wirtschaft als ihre wichtigsten politischen Ziele.

Anders, als wir, haben unsere europäischen Mitbürgerinnen und Mitbürger aus Großbritannien bei Parlamentswahlen nur eine Wahlkreisstimme. Wer ins Unterhaus einziehen will, muss in seinem Wahlkreis die einfache Mehrheit der Stimmen erringen. Es gilt das Prinzip "The winner takes it all!"! Wie der Name es sagt, fördert das Mehrheitswahlrecht die Bildung parlamentarischer Mehrheiten. Anders, als bei uns, sind Koalitionsregierungen in Großbritannien nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Andererseits fallen durch das Mehrheitswahlrecht die Stimmen der im Wahlkreis unterlegenen Kandidatinnen und Kandidaten unter den Tisch.

Insofern ist unser seit 75 Jahren praktiziertes modifiziertes Wahlrecht mit seinen zwei Stimmen, die Mehrheits- und Verhältniswahlrecht miteinander verbinden weniger mehrheitsbildend, dafür aber repräsentativer und demokratischer.

Während des Kaiserreiches (1871-1918) wurde der deutsche Reichstag nach dem absoluten Mehrheitswahlrecht gewählt, das heute in Frankreich und damit auch in unserer Partnerstadt Tours angewandt wird. Deshalb kam es in den beiden Tourainer Stimmbezirken und in den 575 anderen Wahlkreisen bei der Wahl der neuen Nationalversammlung am 7. Juli zu einem zweiten Wahlgang, weil im ersten Wahlgang kein Bewerber die absolute Stimmenmehrheit auf sich vereinigen konnte. 
Nach Angaben der Regionalzeitung Nouvelle le Republique siegte im ersten Tourainer Wahlkreis der Abgeordnete der Neuen Volksfront Charles Fournier mit 57,9 Prozent der Stimmen. Sein Herausforderer, Pierre, aus der Präsidentenpartei Ensemble erreichte 42,1 Prozent. 61,8 Prozent der Wahlberechtigten stimmten ab.
Im zweiten Tourainer Wahlkreis lag die Wahlbeteiligung bei 70,3 Prozent. Hier konnte sich die Abgeordnete Sabine Thillaye aus der Präsidentenpartei Ensemble mit 59,7:42, Prozent gegen ihren RN-Herausforderer Ducamp durchsetzen.



Sonntag, 30. Juni 2024

Müssen wir uns warm anziehen?

 Dr. Christian Mölling ist Politikwissenschaftler und Politikberater. Jetzt stellte er in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg sein Buch: "Fragile Sicherheit" vor und überraschte sein Auditorium mit seiner These vom "Ende des Friedens"! Das hört sich nicht christlich an. Ist es aber realistisch? Darüber wurde am Falkenweg diskutiert?

Der an der Universität Duisburg/Essen studierte Politikwissenschaftler, der heute für die Deutsche Gesellschaft für Außenpolitik und demnächst für die Bertelsmann-Stiftung arbeitet, plädiert für eine zehnjährige Aufrüstungsperiode, damit die Nato und Europäische Union im Konfliktfall mit Putin und bei einem möglichen Ausfall der USA unter einem erneuten Präsidenten Trump nicht erpressbar und politisch handlungsunfähig wird. 

Vor diesem Hintergrund sieht er Forderungen nach einem schnellen und bedingungslosen Waffenstillstand in der Ukraine, für die Teile der AfD und das BSW plädieren als eine "friedenspolitische Rattenfängerei", von der man sich nicht verführen lassen dürfe.

Für seine Position bekam er Applaus, aber auch Gegenwind. Es sei unrealistisch, so wurde aus dem Publikum heraus gesagt, dass Russland mit seinen 150 Millionen Einwohnern angesichts einer volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die mit der Belgiens zu vergleichen sei, willens und in der Lage sei, nach der Ukraine auch die Nato anzugreifen.

Mölling hielt dem entgegen, dass Putin als Autokrat, "der die Demokratie nicht als sein Geschäftsmodell" ansehe, ganz anders, nämlich ohne Rücksicht auf Verluste, Menschen und Material einsetzen könne, um seine imperialistischen Ziele durchzusetzen und damit seine politische Macht auszubauen, die ihn davor bewahre, als politischer Verlierer "eines Tages aus dem Fenster zu fallen."

Die provokative Publikumsfrage: "Werden wir denn von Idioten regiert?", verneinte Mölling mit Blick auf die Reaktion der westlichen Demokratien auf den von Putin befohlenen Angriffskrieg in der Ukraine. Aber er räumte ein, dass die heutige politische Führung von der Friedensbewegung der frühen 1980er Jahre geprägt worden sei  und nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr auf die Führung eines globalen Konfliktes mit den Mitteln der militärischen Abschreckung zu führen und zu bestehen, um den Weltfrieden zu bewahren. 

Dies zu leisten, sieht der Politikwissenschaftler und Buchautor auch vor dem Hintergrund der deutschen NS-Geschichte, als moralische Verantwortung Deutschlands, "um diesmal auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen."

Christian Möllings Buch: "Fragile Sicherheit" ist, 224 Seiten stark,  bei Herder erschienen und für 20 Euro im Buchhandel erhältlich.


Zur Wolfsburg

Samstag, 15. Juni 2024

Gut gepflegt

 Dem Vermächtnis eines Mülheimer Gastronomen hat es die Evangelische Kirche zu verdanken, dass sie vor 50 Jahren auf dem vormaligen Grundstücks einer Gartengaststätte mit Ruhrblick mit dem Haus Ruhrgarten ein Pflegeheim errichten konnte, zu dem heute auch das benachbarte Haus Ruhrblick gehört. Anfangs bestand das Haus Ruhrgarten aus einem Altenheim für 60 orientierte und 40 desorientierte Bewohnerinnen.

Trägerin beider Häuser ist die Evangelische Altenhilfe, deren Doppelspitze heute vom Pflegedienstleiter Marco Warnath und von der Verwaltungsleiterin Nina Eurmann geleitet wird. Sie haben 2022 die Nachfolge von Oskar Dierbach (Pflegedienstleitung) und Peter Steinbach (Verwaltungsleitung) angetreten. Vor 50 Jahren bildeten Pfarrer Walter Sänger (als Verwaltungsleiter) und Schwester Anni Ostermann (als Pflegedienstleiterin) das erste Führungstandem der von den evangelischen Kirchengemeinden Mülheims getragenen Altenhilfe.

Von einem Förderverein und 20 ehrenamtlich tätigen Grünen Damen und Herrn unterstützt, kümmern sich hier 90 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um 113 pflegebedürftige Menschen. Zum Vergleich: 1983 hatte das Haus 36 hauptamtliche Pflegekräfte, die damals ehrenamtlich von 22 Grünen Damen und zwei Grünen Herren unterstützt wurden.

Finanziert wird ihre Arbeit durch die Beiträge der Bewohnerinnen und Bewohner sowie durch die Zuschüsse der Pflegekassen, des Sozialamtes und des Landschaftsverbandes Rheinland.

Eumann und Warnath führen das von ihren Vorgängern Dierbach und Steinbach  eingeführte Modell der therapeutischen und rehabilitativen Pflege durch. Dieses Modell wird inzwischen als Pilotprojekt der AOK Rheinland/Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss und der Fachhochschule Potsdam als Pilotprojekt einer künftigen Pflegestandardversorgung erprobt. 

Rehabilitation und Therapie in der Pflege sollen die Lebensqualität der pflegebedürftigen Menschen erhöhen und die Arbeitsbelastung der pflegenden Menschen und darüber hinaus auch den Einsatz von Medikamenten reduzieren.

Um diesen Ansatz in die Praxis umsetzen zu können, hat die Evangelische Altenhilfe in den Pflegesatzverhandlungen einen Personalzuschlag von 8,5 Prozent erhalten. Warnath, Eumann und ihr langjähriger Pflegedienstmitarbeiter Kofi Akoto sind sich einig, dass die stationäre Pflege, die zurzeit ein Drittel aller pflegebedürftigen Menschen in Deutschland versorgt, "ein schöner, sinnvoller, aber auch herausfordernder Beruf ist, dessen Realität viel besser ist als sein Ruf." Es ist ein Beruf, daran lassen die Drei keinen Zweifel, der neben Professionalität vor allem Empathie verlangt.


Zur Evangelischen Altenhilfe Mülheim an der Ruhr 

Donnerstag, 13. Juni 2024

Reden wir über Fußball

 Fußball regiert die Welt. So sagt der Volksmund. Hätte er doch Recht. Dann wäre manches in unserem Leben und in unserer Welt einfacher, Teamgeist und klare Regeln. Doch im kommerzialisierten Profifußball spielen keine elf Freunde, sondern elf Millionäre gegeneinander.

Als sich im frühen 20. Jahrhundert in Mülheim erste Fußballvereine mit so patriotischen Namen, wie Fürst Bismarck, Teutonia, Vorwärts, SC Preußen und Ballverein Rheinland gründeten, war der aus England importierte Fußball in Deutschland ein reiner Amateursport, der auch von den Schülern des Königlichen Gymnasiums an der Von-Bock-Straße, das wir heute als Otto-Pankok-Schule kennen, betrieben wurde. An Schulen und Hochschulen wurde auch schon im England um 1850 Fußball gespielt. 1857 gründete sich mit dem FC Sheffield der erste Fußballclub der Welt. 1863 entstand mit der Football Association der erste Fußballverband, der auch ein Spielreglement entwickelte, Ab 1888 wurde in Großbritannien in einer nationalen Liga um eine Fußballmeisterschaft gespielt. Im gleichen Jahr gründete sich in Berlin-Tempelhof der erste deutsche Fußballverein FC Germania, dem 1891 der Fußballverein Karlsruhe und 1893 der FC Altona folgte. Zehn Jahre später wurde erstmals eine Deutsche Fußballmeisterschaft ausgespielt, die der VFR Leiptig gewann. In Leipzig war 1900 auch der Deutsche Fußballbund (DFB) gegründet worden, dem heute 24.000 Fußballvereine angehören. 86 von ihnen sind Gründungsmitglieder. 16 von ihnen kommen aus Mülheim.

Fußball am Kahlenberg

Gespielt wurde zunächst auf dem Sportplatz am Kahlenberg, der mit Hilfe der Leonhard-Stinnes-Stiftung angelegt worden war, um dort die Vaterstädtischen Festspiele austragen zu können. Volkssport war damals nicht der Fußball, sondern das von Friedrich Ludwig Jahn im frühen 19. Jahrhundert auch als vormillitärische Leibesübung eingeführt wurde. Auch am Kahlenberg hatte man dem Turnvater Jahn ein Denkmal gesetzt. 

Der Fußball galt seinen deutschen Kritikern als "Fußlümmelei" und als "englische Krankheit", die eher das Risiko der Körperverletzung als die Chance der Körperertüchtigung mit sich brachte. Fußball war anfangs eher ein Mittelstandssport als ein Arbeitersport, Um 1910kostete ein Lederfußball zwischen 5 und 10 Mark. Fußballstiefel waren für 8,50 Mark zu haben, während der durchschnittliche Wochenlohn eines Arbeiters bei 21 Mark lag.

Mülheimer Erfolgsgeschichten

1919 gründete sich der VFB Speldorf und 1923 der 1. FC Mülheim-Styrum, die bisher die größten Erfolgsgeschichten des Mülheimer Fußballs geschrieben haben. Beide Vereine spielten zeitweise im 1925 nach Plänen des damaligen Baudezernenten Arthur Brocke errichteten Ruhrstadion, das heute 6000 Zuschauern Platz bietet.

Der 1. FC Mülheim Styrum spielte zischen 1974 und 1976 in der damals neu geschaffenen Zweiten Bundesliga. Der VFB Speldorf wurde 1956 Deutscher Vizemeister der Fußballamateure und qualifizierte sich 2010 für den DFB-Pokal. Der VFB Speldorf brachte mit Fritz Buchloh (*1909), Theodor Klöckner (*1934), Rudi Seeliger (*1951) und Hans-Günter Bruns (*1954) auch National- und Bundesliga-Spieler hervor.

Fritz Buchloh spielte ab 1927 am Blötter Weg als Torwart für den VFB Speldorf und ab 1929 auch für die Auswahlmannschaft des 1911 gegründeten Westdeutschen Fußballverbandes. So wurden Reichstrainer Otto Nerz und sein Co-Trainer Sepp Herberger auf Buchloh aufmerksam und beriefen ihn 1932 erstmals in die deutsche National-Elf. Bis 1936 stand Buchloh 17 Mal zwischen den deutschen Pfosten. Der 1998 verstorbene Buchloh gehörte zur Generation der deutschen Fußballamateure, die im besten Fall Fahrtkosten erstattet bekamen. 

Die Kommerzialisierung des deutschen Profi-Fußballs sah er kritisch. In dem Jahr, in dem Fritz Buchloh sein erstes Länderspiel absolvierte, beriet der DFB erstmals über die Einrichtung einer deutschen Fußballliga, die die damals 55 deutschen Regionalligen ersetzen sollte. Doch diese Pläne scheiterten am Widerstand der DFB-Regionalverbände, die um ihren Einfluss fürchteten, aber auch vor einer Kommerzialisierung des Fußballs warnten.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Zahl der deutschen Regionalligen von 55 auf 16 reduziert,

Später Frauenfußball

Anders, als in Großbritannien, wo bereits 1895 mit den British Ladies der erste weibliche Fußballclub gegründet wurde, blieb der Frauenfußball vom DFB verboten. Mit Blick auf Mülheim gebührt dem Post SV und Rot Weiß Mülheim der historische Verdienst der ersten Frauenfußballmannschaften, Seit 1990 gibt es neben der Bundesliga der Männer auch eine Fußballbundesliga der Frauen, die seit 1984 auch eine Europameisterschaft, seit 1991 eine Weltmeisterschaft und seit 1996 ein Olympisches Fußballturnier austragen, während die Männer bereits seit 1908 ein Olmpisches Fußballturnier, seit 1930 eine Weltmeisterschaft und seit 1960 auch eine Europameisterschaft austragen.

Mittwoch, 5. Juni 2024

Reden wir über Europa

Am 9 Juni sind 350 Millionen  Menschen in Europa zur Wahl des Europäischen Parlaments aufgerufen. Wahlberechtigt sind diesmal alle Bürgerinnen und Bürger der EU, die 16 Jahre und älter sind. Gewählt werden kann man aber erst ab 18.

Früher wählen

Mit der Absenkung des Wahlalters steigt die Zahl der Wahlberechtigten um rund eine Million Menschen. Mehr Menschen sind nur bei den Parlamentswahlen in Indien, 790 Millionen, aufgerufen.

Anders, als bei Landtags- und Bundestagswahlen haben wir diesmal nur eine Stimme. Denn das EU-Wahlrecht, des seit 1979 direkt gewählten Europäischen Parlaments kennt keine Wahlkreise, auch wenn dies die Sozialdemokraten für die nächste Europawahl 2029 fordern. Anders als in Frankreich oder Tschechien gibt es in Deutschland zurzeit keine 5% Sperrklausel. 0,5% der Stimmen reichen, um mit einem Mandat ins Europäische Parlament einzuziehen und eine Wahlkampfkostenerstattung der öffentlichen Hand in Höhe von 0,83€ zu erhalten.

Eine Chance für kleine Parteien

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass bei der letzten deutschen Europawahl 2019 mit der Tierschutzpartei, mit der Satirepartei Die Partei, mit den Piraten und mit dem Wahlbündnis Volt sowie mit der wertkonservativen Ökologisch Demokratischen Partei (ÖDP) auch Parteien ins Europäische Parlament eingezogen sind, die bei Bundestags- und Landtagswahlen aufgrund der dort angewendeten Fünfprozent-Sperrklausel keine Chance auf einen Parlamentssitz haben.

Bei der Europawahl stimmen die Wählerinnen und Wähler, 61 Millionen von ihnen kommen aus Deutschland und etwa 130.000 aus Mülheim, über eine Parteiliste ab. Gewählt wird nach dem reinen Verhältniswahlrecht, bei dem jede Stimme zählt. Dieses sehr demokratische Wahlrecht wurde in Deutschland auch während der Weimarer Republik von 1918 bis 1933 angewendet und wird heute auch in zahlreichen europäischen Staaten und in Israel praktiziert.

96 Abgeordnete kommen aus Deutschland

96 der 720 zu wählenden Mitglieder des Europäischen Parlaments, werden aus Deutschland kommen. Da die Bundesrepublik Deutschland ist das bevölkerungsreichste Land der EU und  stellt deshalb auch die größte Abgeordnetengruppe, gefolgt von Frankreich, dass 81 Abgeordnete ins Europäische Parlament entsendet. Doch einmal ins Europäische Parlament gewählt, die Wahlperiode dauert jeweils 5 Jahre, schließen sich die nationalen Abgeordneten zu transnationalen Fraktionen zusammen.

Seit 1979 direkt gewählt, geht das Europäische Parlament, mit dieser Wahl in seine 10. Wahlperiode. In der jetzt abgelaufenen neunten Wahlperiode stellten die europäischen Christdemokraten der Europäischen Volkspartei mit 176 Abgeordneten die stärkste Fraktion, gefolgt von den Sozialdemokraten mit 139 Abgeordneten, den Liberalen mit 102 Abgeordneten, den Grünen mit 72 Abgeordneten den europäischen konservativen Reformern mit 69 Abgeordneten und der Fraktion Identität und Demokratie mit 49 Abgeordnete. Weitere 29 Abgeordnete gehören zurzeit keiner Fraktion im Europäischen Parlament an. Das schränkt ihre parlamentarischen Rechte und Arbeitsmöglichkeiten stark ein.

Transnationale Fraktionen

Vor diesem Hintergrund ist der Ausschluss der deutschen AfD aus der rechtsextremen Fraktion Identität und Demokratie eine schwere Schlappe für die deutsche Rechtspartei, da sie sich nach einem Wiedereinzug ins Europäische Parlament zunächst um eine neue Fraktionszugehörigkeit kümmern müsste. Trotz der jüngsten Skandale um die beiden Listenführer der rechtspopulistischen AFD zeigen die jüngsten Umfragen, dass die AfD 14% der Stimmen erreichen könnte. Die in Berlin regierenden Sozialdemokraten von Bundeskanzler Olaf Scholz werden in den aktuellen Umfragen zwischen 14 und 16% und die Grünen bei etwa 14% gehandelt. Die FDP schwankt zwischen 4 und 5%. Die Linken schwanken zwischen 3 und 5%. Das Bündnis Sahra Wagenknecht, das sich von der Linken abgespalten hat, und zur Zeit als Gruppe im Deutschen Bundestag vertreten ist, kann laut den jüngsten Umfragen mit etwa 6% der Stimmen rechnen. Stärkste Partei dürfte demnach die Union werden, der mit CDU und CSU zwischen 29 und 31% vorhergesagt werden.

Mit der Kommissionspräsidentin und Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei, Ursula von der Leyen, und dem Fraktionsvorsitzenden der EVP Fraktion Manfred Weber stehen gleich 2 Deutsche an der Spitze der EVP Wahlliste.

Drei Abgeordnete aus dem Ruhrgebiet

Mit Jens Geier (SPD), Dennis Radtke (CDU) und Terry Reintke (Grüne) haben 3 Abgeordnete aus dem Ruhrgebiet eine sehr gute Aussicht, erneut ins Europäische Parlament einzuziehen. Geier kommt aus Essen, Radtke aus Bochum und Reitnke aus Gelsenkirchen. Die Mülheimer FDP Europakandidatin Alondra von Groddeck hat aufgrund ihres Listenplatzes keine Aussicht ins Europäische Parlament gewählt zu werden.

Sowohl bei der ersten Direktwahl des Europäischen Parlaments 1979 als auch bei der zweiten Direktwahl 1984 zogen mit dem Sozialdemokraten Heinz Oskar Vetter, dem damaligen DGB-Chef, und dem christdemokratischen Juristen Dr. Otmar Franz 2 Mülheimer ins Europäische Parlament ein. Die erste Direktwahl des Europäischen Parlaments war in Mülheim auch die erste Wange die Mithilfe der elektronischen Datenverarbeitung ausgezählt wurde. Das Europäische Parlament gibt es bereits seit 1952. Damals handelte es sich allerdings nicht um ein direkt gewähltes Parlament, sondern um eine parlamentarische Versammlung von auf nationaler Ebene gewählten Abgeordneten, die aus den jeweiligen Parlamenten der Mitgliedstaaten entsandt wurden. Die ersten Präsidenten des Europäischen Parlaments, der belgische Sozialdemokrat Henri Spaak, der italienische Christdemokrat Alcide de Gasperi und der französische Christdemokrat Robert Schumann waren die ersten Präsidenten des Europäischen Parlaments und gleichzeitig Gründungsväter der europäischen Integration. Sie war mit der Gründung der Montanunion 1952 begonnen und mit der Euratom und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957/58 fortgesetzt wirden.

Mit den Christdemokraten, Dr. Wilhelm Furler und Hans Gert Pöttering sowie den Sozialdemokraten, Klaus Hänsch, und Martin Schulz standen später auch deutsche Parlamentarier an der Spitze des Europäischen Parlaments.

Die Rechte des Europäischen Parlaments

Anders als Bundestag und Landtage hat das Europäische Parlament kein Initiativrecht in der Gesetzgebung. Dennoch konnte es in den letzten 45 Jahren seine Rechte erheblich ausweiten.

Ohne die Zustimmung des des Europäischen Parlaments kann keine Europäische Kommission ins Amt gewählt werden. Das Europäische Parlament hat die Möglichkeit einzelne Kommissare oder auch die gesamte Kommission abzuwählen. Außerdem können in der Europäischen Union keine Richtlinien und Verordnungen und kein Haushaltsplan verabschiedet werden, denen das Europäische Parlament nicht zustimmt. Das gilt auch für den Europäischen Rat, in dem die Vertreter der Regierungen der Mitgliedsstaaten sitzen. Das Initiativrecht in der Gesetzgebung der Europäischen Union, die aktuell etwa zwei Drittel der deutschen Gesetzgebung beeinflusst, liegt bei der 27-köpfigen EU-Kommission. Allerdings können sowohl das Europäische Parlament als auch der Europäische Rat die Europäische Kommission dazu auffordern zu einem bestimmten Politikfeld einem Gesetzesvorschlag vorzulegen. Wie in Deutschland findet die zweite Lesung der EU- Gesetzgebung in einem der aktuell 27 Fachausschüssen statt. Außerdem gibt es die Möglichkeit eines Vermittlungsverfahrens, wenn sich Rat und Parlament nicht einig sind, ob und wie sie einem Gesetzentwurf der Europäischen Kommission zustimmen oder nicht zustimmen sollen.

Politischer Wanderzirkus

Das Europäische Parlament tagt mit seinem Plenum in Straßburg, mit  seinen Fraktionen und Ausschüssen aber in Brüssel. Seine Verwaltung, das Generalsekretariat, hat seinen Sitz in Luxemburg. Diese kosten- arbeits- und zeitaufwendige Dreiteilung des Parlamentsbetriebs ist dem EU-Proporz geschuldet.

Zur zehnten Europawahl treten in Deutschland 35 Parteien mit insgesamt 1400 Bewerberinnen und Bewerbern an. Die Förderung des europäischen Binnenmarktes, die Förderung der Spitzenforschung, Freiheit Gerechtigkeit, Klimaschutz, Bürgerrechte, Wohlstand eine engere militärische Zusammenarbeit der EU Staaten und der gemeinsame Kampf gegen die Folgen des Klimawandels sind in unterschiedlicher Gewichtung in fast allen Parteiprogrammen zu finden. Die Nationalkonservativen und rechtsextremen Parteien lehnen die Europäische Union in ihrer jetzigen Form allerdings ab und wollen sie in einem Staatenbund souveräner europäischer Demokratien verwandeln. Der EU-Binnenmarkt soll erhalten bleiben, die Asylpolitik allerdings in den Aufgabenbereich der nationalen Regierung zurückgeführt werden.

Angesichts grenzüberschreitender Kriminalität und illegaler Migration wurden 1999 die EU-Polizeibehörde Europol und 2005 die EU-Grenzschutz Agentur Frontex ins Leben gerufen. Iim Vertrag von Prüm hat die Bundesrepublik 2006 eine polizeiliche Zusammenarbeit mit ihrem östlichen und westlichen Nachbarn innerhalb der EU vereinbart. Mit der Einführung des europäischen Binnenmarktes 1993 gelten in der Europäischen Union die 4 Freiheiten des Waren- Dienstleistungs- Personen- und Kapitalverkehrs. Gleichzeitig verpflichten sich die EU-Mitgliedsstaaten im Vertrag von Schengen zu einem gemeinsamen verstärkten Schutz der Außengrenzen beim gleichzeitigen Verzicht auf Binnengrenzkontrollen. Inwiefern vor dem Hintergrund der aktuellen Sicherheits- und Migrationslage nationale Grenzschutzkontrollen wieder eingeführt werden können oder müssen, diskutiert. Grundsätzlich sieht das Schengener Abkommen schon jetzt Ausnahmen vor, die nationale Grenzschutzmaßnahmen bei europäischen Großereignissen oder auch bei Gefahr im Verzug vorsieht.

Sowohl die Liberalen als auch die Grünen sprechen sich mit Blick auf die EU für eine Legalisierung des Cannabiskonsums aus. Sowohl SPD CDU FDP als auch Grüne sprechen sich für eine geordnete beziehungsweise rigide Asylpolitik aus, bei der das grundsätzliche Recht auf politisches Asyl aber erhalten bleiben soll. Dem verstärkten der Flüchtlinge setzen Linke und das Bündnis lange Wagenknecht die Förderung einer solidarischen Willkommenskultur entgegen. Im Gegensatz zu Union SPD FDP und Grünen kritisieren Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht auch die verstärkte Rüstung und die Waffenlieferungen der Eu-Staaten in die vom russischen Angriffskrieg bedrohte Ukraine.  Sie sprechen sich für den Stopp der Waffenlieferungen, für eine  generelle Abrüstung und für eine zivile Konfliktlösung aus.


Zum Europäischen Parlament


Montag, 3. Juni 2024

Hilfe für Flüchtlinge

Was tut der Evangelische Kirchenkreis An der Ruhr für die Menschen, die in unserer Stadt Zuflucht gefunden haben? Diese Frage beschäftigte jetzt 35 Mitglieder der Kreissynode, die rund 40.000 evangelische Christen aus sechs Mülheimer Kirchengemeinden vertritt.

Die Flüchtlingsreferentin des Kirchenkreises, Saskia Trittmann, und ihre beiden Mitarbeiterinnen Maren Helder und Kathrin Rothaas berichteten über ihre herausfordernde Arbeit, die einhelliges Lob erfuhr. Aktuelle betreut das vierköpfige Flüchtlingsreferat 1300 Geflüchtete in Mülheim. 

Bürgermeister Markus Püll bedankte sich im Namen von Rat und Verwaltung für die kompetente und engagierte Unterstützung der kommunalen Flüchtlingsarbeit. Er wies darauf hin, dass die Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft in den kommenden Monaten auf dem Gelände der alten Friedhofsgärtnerei am Hauptfriedhof 135 Wohnungen für die Unterbringung von Flüchtlingen errichten werde, die später als Sozialwohnungen genutzt werden sollten. 

Mülheim, dass auf der Basis des sogenannten Königssteiner Verteilungs-Schlüssels ein Prozent aller Flüchtlinge aufnehmen muss, die nach Nordrhein-Westfalen kommen, betreibt schon jetzt eine Zentrale Flüchtlingsunterkunft in Raadt.

Nach Angaben der Bezirksregierung Arnsberg leben in Mülheim aktuell 1669 geflüchtete Menschen. 

Saskia Trittmann warb um eine ökumenische Zusammenarbeit der katholischen und evangelischen Kirchengemeinden, um mehr Kirchenasylplätze zu schaffen. Binnen Jahresfrist habe das Flüchtlingsreferat 92 Anfragen nach Kirchenasyl erhalten, von denen 26 aus Mülheim kamen. Das Kirchenasyl, so Trittmann, biete in sogenannten Grenz- und Härtefällen abgelehnten Asylbewerbern einen Zeitgewinn und damit die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit ihres Asylantrages gegenüber dem letztendlich über den Asylanspruch auf der Basis des Grundgesetz-Artikels 16 entscheidenden Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu dokumentieren. Auch wenn es dem Quartett des evangelischen Flüchtlingsreferates in den vergangenen zwölf Monaten gelungen ist, zehn Flüchtlinge als Pflegefachkräfte zu vermitteln und ihnen so einen dauerhaften Aufenthaltsstatus zu verschaffen, räumten Trittmann und ihre Kolleginnen Maren Helder und Katrin Rothhaas  ein, dass nur wenigen Flüchtlingen der Spurwechsel zur Fachkraft gelinge.


Zur Flüchtlingsberatung der Evangelischen Kirche

Donnerstag, 30. Mai 2024

Glückwunsch, Grundgesetz!

 Zum 75. Geburtstag kam ich mit Mülheimer Kommunalpolitikern ins Gespräch. Warum engagieren sie sich im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung (Artikel 28/GG)? Für sie ist die Politik, anders als für die Bundes- und Landtagsabgeordneten kein Beruf, sondern nur Berufung. Auch wenn sie eine Aufwandsentschädigung erhalten, von der sie zwischen 25 und 65 Prozent zur Finanzierung der jeweiligen Fraktionsarbeit abführen, kann man sie als ehrenamtliche Politiker bezeichnen.

Ob Margarete Wietelmann (SPD), Christiana Küsters (CDU), Brigitte Erd oder Timo Spohrs (beide Grüne): Alle Fraktionsspitzen sprechen von ihrer Erfahrung, "dass Demokratie vom Mitmachen" lebt und von dem Willen zur Gemeinschaft im Sinne des Gemeinwohls und der damit verbundenen Konsensfindung lebt.

Spohrs weist auf das Prinzip der die kommunale Selbstverwaltung prägende Bürgernähe, in der Bürgerinnen und Bürger Politik für Bürger und Bürgerinnen machen, mit denen sie zusammen in einer, in ihrer Stadt zusammen leben und arbeiten und deshalb sich auch täglich begegnen und sich miteinander austauschen.

"Ich liebe Mülheim und möchte es deshalb noch lebens- und liebenswerter machen", beschreibt die Christdemokratin Christina Küsters die Motivation ihres kommunalpolitischen Engagements, das sie als "ein Privileg" empfindet. Ihre sozialdemokratische Amtskollegin Margarete Wietelmann berichtet von ihrer Politisierung durch ihren Geschichtslehrer und durch ihr politisches Idol Willy Brandt. Diese Politisierung brachte sie dazu, sich vor Ort, in ihrer Stadt vor allem für die Förderung von Bildung und soziale Gerechtigkeit stark zu machen und aktiv zu werden.

Ihre Grüne Amtskollegin, Brigitte Erd, sieht unsere Demokratie auch vor Ort von einem überzogenen Individualismus gefährdet, der "dem Gemeinschaftsgedanken des Grundgesetzes untergrabe.

Die Gefahr der Untergrabung der kommunalen Selbstverwaltung, als der lokalen Basis unserer im Grundgesetz-Artikel 20 beschriebenen rechts- bundes- und sozialstaatlichen Demokratie sehen Christdemokratin Christina Küsters und der Grüne Timo Spohrs in einer strukturellen und finanziellen Überforderung der Städte. Abhilfe dagegen sehen sie in einer Altschuldenregelung und in einer Reform der deutschen Finanzverfassung auf der Basis des Prinzips: "Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch!"

Zum Grundgesetz


Mittwoch, 29. Mai 2024

Frohe Pfingsten

 Menschen lassen sich vom Heiligen Geist begeistern und finden den Mut gemeinsam von ihrer Hoffnung zu sprechen. Das ist die christliche Pfingstgeschichte. Hinaus aus ihren Kirchen und hinein in den Stadthallengarten gingen am Pfingstsonntag die sechs Gemeinden des evangelischen Kirchenkreises An der Ruhr. Auch Menschen, die nicht zum harten Kern der Kirchgänger gehören, durften sich beim Freiluftgottesdienst, dem sich ein Familienfest anschloss, willkommen fühlen.

Besonders Hinhören und Hinschauen ließ ein Kommunikationsexperiment der Gastgeber. Mit moderierten Kommunikationsinseln und einem Begegnungsbingo wurden Menschen miteinander ins Gespräch gebracht, die sonst vielleicht acht- und wortlos aneinander vorbeigegangen wären.

So aber kamen Gäste, die wollten mithilfe von Fragekarten und Stichwortgebern miteinander ins Gespräch. Vorgegebene, aber deshalb nicht minder spannende und interessante Fragen, wie: "Was würde ich tun, wenn ich genug Mut dazu hätte?" oder: "Was finde ich in unserer Gesellschaft ungerecht?", ließen den organisierten Small Talk nicht peinlich, sondern bereichernd. Eine gute Idee zeigte: "Nur redenden Menschen kann geholfen werden!"

Das passt zu der Erkenntnis des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung, wonach aktuell ein Drittel der Menschen in Deutschland unter Einsamkeit leiden.


Zum Kirchenkreis An der Ruhr

Sonntag, 19. Mai 2024

Mülheim im Mittelalter

 Das Mittelalter erscheint uns fern und finster. Umso besser, dass der Leiter des Stadtarchivs, Dr. Stefan Pätzold, es uns am 23. Mai um 18 Uhr mit einem eintrittsfreien Vortrag im Haus der Stadtgeschichte näherbringen wird. Der Mann weiß, wovon er redet. Er ist Mittelalter-Historiker. 

Wir brauchen in unserer Stadt nicht weit zu gehen, um mittelalterliche Spuren zu entdecken. Zum Beispiel auf dem Kirchenhügel, wo einst die 1093 erstmals erwähnten Edelherren von Mülheim residierten und die Ursprünge der Petrikirche, als ihrer Hofkappelle, bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen. Noch älter sind die Kirche Sankt Laurentius und das Schloss Broich. Geschichte begann im spätkarolingischen 9. Jahrhundert. Noch eher als Mülheim, wurden Menden (811) und Styrum (1067) erstmals urkundlich erwähnt. Broich und Styrum gehörten zu den kleinsten eigenständigen Herrschaften des im 10. Jahrhundert gegründeten und 1806 untergegangenen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Anno 1372 traten die Herren von Broich an die Stelle der ausgestorbenen Edelherren von Mülheim. Und anno 1443 wurden das Schloss Broich und der Kirchenhügel erstmals zum militärischen Schlachtfeld, weil der damalige Kölner Erzbischof Dietrich von Moers übergriffig wurde und seine Truppen vom Rhein an die Ruhr schickte. Zwei steinerne Kanonenkugeln im Broicher Schlosshof und Stadtmauerreste am Fuße des Kirchenhügels zeugen bis heute davon. 

Ebenso ist das heute als Bürgerbegegnungsstätte genutzte Kloster Saarn, in dem ab 1214 Zisterzienserinnen, zur höheren Ehre Gottes und für das Seelenheil ihrer Gönner, beteten und arbeiteten. Die älteste Urkunde, die man heute im Haus der Stadtgeschichte an der Von-Graefe-Straße unter die Lupe nehmen kann, stammt aus dem Jahr 1221 und bezieht sich auf das Saarner Kloster Mariensaal, das 1808 aufgelöst wurde,


Sonntag, 12. Mai 2024

Reden wir über das C

Johannes Brands ist Christ, nicht nur dem Namen nach. Auch mit 85 engagiert er sich noch als ehrenamtlicher Mitarbeiter der katholischen Ladenkirche und als Sachkundiger Bürger im Kulturausschuss. In den 1990er Jahren war der Pädagoge als CDU-Fraktion Teil der ersten Schwarz-Grünen Zusammenarbeit in Deutschland.

Der Katholik aus der Pfarrgemeinde St. Barbara hat in der Katholischen Ladenkirche ein offenes Ohr für Menschen, "deren Leben in seelische und soziale Unordnung" geraten ist. Das C, dass seine Partei im Namen trägt, will er nicht mit dem Evangelium gleichsetzen. Für ihn "erinnert das C uns daran, dass der Mensch eine transzendente Beziehung zu Gott hat, dessen Sohn Jesus Christus für uns gelebt, gestorben und auferstanden ist."

Diese transzendente Beziehung beinhaltet für ihn die eigenverantwortliche Frage an jeden von uns: "Was darf ich und was darf ich nicht? Und wenn ich etwas darf, warum will ich es?" In diesem Sinne sieht der Christdemokrat das Ziel des politischen Handelns darin, auf der Basis der Erkenntnis, dass "Gott Liebe und nicht Strafe ist", ein sinnerfülltes Leben zu ermöglichen und vor diesem Hintergrund eine funktionierende und zugängliche soziale, wirtschaftliche und kulturelle Infrastruktur zu schaffen.

Gleichzeitig sieht Brands das C als Auftrag zum Fördern und Fordern der individuellen Eigenverantwortung, "indem wir Menschen sagen: Wir führen dich nicht mit Utopien in die Irre. Wir geben dir die Freiheit zum eigenverantwortlichen Handeln und stützen dich dort, wo du an deine Grenzen kommst!"


Mehr über Johannes Brands


Samstag, 11. Mai 2024

An einem Tag im Mai

Lange Reden zum Tag der Arbeit. Das war gestern. An diesem 1. Mai führen DGB-Chef Filip Fischer und IG-Metall-Sekretärin Wencke Hartjes durch eine musikalisch begleitete Talkshow. 1100 Menschen sind zur Müga-Drehscheibe am Ringlokschuppen gekommen. Die Tageslosung passt zum sonnigen Wetter: "Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit!" Fast zu schön, um wahr zu sein!?

"In der Kürze liegt die Würze", gibt Filip Fischer die Richtung vor und hält sich selbst daran. "Schließt euch uns an. Denn wir stehen als Gewerkschaften auch in den Betrieben für unsere Demokratie ein und stellen uns den Rechtsextremen entgegen, die unsere Gesellschaft mit ihrer Politik spalten wollen." Gleichzeitig räumt er mit Blick auf den Wirtschaftsstandort Mülheim, Stichwort: Rettung der Friedrich-Wilhelms-Hütte und Verlagerung des Valourec-Werkes, ein, dass die acht DGB-Gewerkschaften, denen in Mülheim derzeit 20.000 Menschen angehören, mit ihrem Einsatz für den Erhalt von Arbeitsplätzen nicht nur Erfolgsgeschichten schreiben.

"Wir leben an einer belebten Wegkreuzung der Weltgeschichte. Und wir brauchen die Gewerkschaften als Partner für ein Leben mit Bildung, Arbeit und sozialer Sicherheit", schlägt Bürgermeister Markus Püll (CDU) den Bogen von der Innen- zur Außenpolitik.

Den schlagen auch die Europa-Kandidaten Jens Geier (SPD), Dennis Radtke (CDU) und Alondra von Grodeck. Während der Sozial- und der Christdemokrat, die beide dem Europäischen Parlament angehören, mit ihrem Eintreten für EU-einheitliche Standards in Sachen Arbeitsmarkt, Tarifpolitik und Mitbestimmung eintreten, plädiert die 21-jährige Jura-Studentin und Kreisvorsitzende der FDP für eine nationale Regelung dieser Politikfelder, um so den sozialen und wirtschaftlichen Unterschieden in den EU-Staaten Rechnung zu tragen.

Europäisch denkt und handelt auch Siemens-Betriebsrätin Eva Hans. Sie sieht die Notwendigkeit, "dass wir die Menschen bei der Transformation unserer Gesellschaft mitnehmen müssen, wenn der Schuss nicht nach hinten losgehen soll und wir nicht ein Erstarken der extremen Rechten erleben!" Für Hans kommt es arbeitsmarkt- und sozialpolitisch darauf an, dass die EU die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Tarifbindung der Auftragnehmer bindet." 


DGB MEO


Dienstag, 7. Mai 2024

Baustelle Inklusion

 "Wie inklusiv ist Mülheim und wie inklusiv ist Europa und wie inklusiv muss die Europäische Union, in der zurzeit 100 Millionen Menschen mit Behinderung leben, inklusive Mülheim, noch werden?"

Darüber diskutierten am Europatag, dem 5. Mai, die Vorsitzende des Blinden und Sehbehindertenvereins, Maria ST. Mont, ihre Stellvertreterin, Nicole Schmidt-Siegfried, der Vorsitzende des Vereins für Bewegungsförderung und Gesundheitssport, Alfred Beyer und die selbst körperbehinderte stellvertretende Vorsitzende des Sozialausschusses im Europäischen Parlament, Katrin Langensiepen bei einer Veranstaltung, zu der die Mülheimer Grünen ins Nachbarschaftshaus der Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft an der Hingbergstraße in Heißen eingeladen hatten.

Viele Baustellen

"Wo da anfangen?", fragten Maria ST Mont und Alfred Beyer, als sie von den Moderatoren Melsa Yildrim und Philipp Hoffmann nach ihren Wünschen in Sachen Barrierefreiheit gefragt wurden. Beyer verwies auf die 1992 von der Mülheimer AGB entwickelte und heute bundesweit genutzte Checkliste für barrierefreies Bauen, die leider immer noch nicht von allen Architekten beachtet werde. Beyer plädierte in diesem Zusammenhang dafür, dass das Wissen um barrierefreies Bauen, auch mit Blick auf dem demografischen Wandel unserer Gesellschaft, zum Pflichtinhalt der Architektenausbildung werden müsse. 

Mit Blick auf die Ruhrbahn begrüßte ST Mont aber, dass das lokal Verkehrsunternehmen seinen offenen Arbeitskreis Öffentlicher Personennahverkehr wiederbelebt habe. Allerdings, so ST Mont, würde sie es noch mehr begrüßen, wenn die Ruhrbahn auf einen zweiten Geschäftsführer zugunsten der Einstellung von neuen Bus- und Bahnfahrern, verzichten würde. Außerdem kritisierte sie die überlangen Arbeitskämpfe im öffentlichen Personennahverkehr. Davon, so ST Mont seien vor allem Menschen mit Behinderung in Mitleidenschaft gezogen worden, "die nicht mal eben aufs Fahrrad oder ins Auto steigen können."

Nicht behindert, sondern benachteiligt

Beyer und ST Mont waren sich einig: „Wir sind nicht behindert. Wir werden durch die Gesellschaft benachteiligt. Beyer verwies, auf die von der Mülheimer AGB 1992 entwickelte und inzwischen in ganz Deutschland genutzte Cheackliste für barrierefreies Bauen, die leider immer noch nicht von allen Architekten beherzigt werde. Rampen, Induktionsschleifen, Gebärdendolmeterscher, taktile Leitlinien, Aufzüge, rollstuhlkompatible Türen, auch für Sehbehinderte und für Menschen mit kognitiven Einschränkungen lesbare und verständliche Hinweise und Infotafeln sind nur einige Mittel der Wahl, wenn es um Inklusion im öffentlichen Raum geht.

ST-Mons machte am Beispiel der abgesenkten Bürgersteige deutlich, dass der Teufel auch bei der Barrierefreiheit im Detail steckt: „Was für die Rollstuhl- und Rollatorfahrer von Vorteil ist, kann für Blinde und Sehbehinderte lebensgefährlich werden.“ In der Beharrlichkeit sieht die Vorsitzende des seit 1921 aktiven Blinden- und Sehbehindertenvereins die wichtigste Fähigkeit, die Menschen mit Handicap trainieren müssen, um zu ihrem Recht zu kommen. Ärgerlich findet es ST Mont, dass es blinde Menschen erheblich schwerer haben, einen Pflegegrat zu bekommen als etwa demenzkranke Menschen.

AGB hat sich bewährt

Die beiden Moderatoren von den Jungen Grünen wollten von den Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitsgemeinschaft der Behinderten-Selbsthilfe und chronisch Kranker (AGB )auch wissen, ob es aus ihrer Sicht sinnvoll sei, die AGB in einen Inklusionsratsausschuss umzuwandeln. Aus Sicht von Beyer und ST Mont hat sich aber die in Mülheim 1996 bewusst gewählte Option der AGB bewährt. Beide räumten bei aller Kritik im Detail ein, dass die Sensibilisierung für die Belange von Menschen mit Behinderung innerhalb der Stadtverwaltung in den letzten Jahren deutlich zugenommen habe.

Katrin Langensiepen ließ ihre Sympathie für einen parlamentarischen Inklusionsausschuss durchblicken, stellte aber diplomatisch fest: "Entscheidend ist, dassein solches Gremium auch Zähne hat, um Forderungen durchzusetzen." 

Mehr Solidarität

Neben der Solidarität aller Menschen mit Behinderung sieht es Langenspiepen gesellschaftspolitisch als entscheidend an, dass Menschen mit Behinderung mehr als bisher in Machtpositionen, etwa in Parlamenten und Verwaltungen, vordringen, um in Schlüsselpositionen den Abbau von Barrieren durchzusetzen. "Wir haben kein Erkenntnisproblem. Wir haben aber einen akuten Handlungsbedarf", unterstrich Langensiepen.

Mit Blick auf Europäische Union sieht die Grüne Parlamentarierin unterschiedliche Geschwindigkeiten in der Inklusion. Am rückständigsten sind aus ihrer Sicht Ungarn und Polen. Italien und Spanien sieht sie als Vorreiter in der schulischen und beruflichen Inklusion, während die skandinavischen Staaten bei den Sozialleistungen und die baltischen Staaten in Sachen Digitalisierung die Nase vorn hätten.

Die in Deutschland betriebenen Förderschulen, Wohneinrichtungen und Werkstätten für behinderte Menschen sieht die Europapolitikerin aus Hannover als überholt an, weil diese Einrichtungen einem selbstbestimmten Leben behinderter Menschen in einer inklusiven Gesellschaft zuwiderlaufen.

Europäischer Schwerbehindertenausweis

Positiv beurteilt sie, dass das Europäische Parlament in der zu Ende gehenden Legislaturperiode den EU-Schwerbehindertenausweis auf den Weg gebracht hat. Er soll nach dem Vorbild des deutschen Schwerbehindertenausweises Menschen in allen EU-Ländern freie Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln gewähren. Anders, als die deutsche Variante, soll der Schwerbehindertenausweis der EU kostenfrei zu bekommen sein und nicht nur für den öffentlichen Personennahverkehr und den regionalen Bahnverkehr, sondern auch für den ICE-Fernverkehr gelten. Langensiepen ließ keinen Zweifel daran, dass sie sich einen Ausbau des neuen EU-Schwerbehindertenausweises wünscht. Mit Blick auf den öffentlichen Personennahverkehr, auf den behinderten Menschen in besonderer Weise angewiesen sind, drängt das Europäische Parlament, laut Langensiepen, auf eine Richtlinie, die die Eisenbahngesellschaften wie die Deutsche Bahn zur Mitnahmepflicht für behinderte Passagiere zwingt. "Es reicht mir nicht, wenn die Deutsche Bahn erklärt: Wir erstatten Ihnen den Fahrpreis, weil sie nicht in der Lage war, einen Rollstuhlfahrer oder einen Rollatorfahrer barrierearm von A nach B zu bringen."

Mit Blick auf den Schwerbehindertenausweis, der hier zu Lande 90€ kostet und im Gegenzug freie Fahrt im öffentlichen Personennahverkehr und im regionalen Bahnverkehr sowie Steuererleichterungen und privilegierte Parkmöglichkeiten mit sich bringt, wies Alfred Beyer daraufhin, dass das Sozialamt in Essen auch für die Mülheimer Antragsteller zuständig sei, die einen Schwerbehindertenausweis beantragen oder ihn verlängern wollen.

Dass die Bereitschaft zur Inklusion auf dem ersten Arbeitsmarkt noch deutlich zunehmen muss, machte die stellvertretende Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenvereins, Nicole Schmidt-Siegfried deutlich: "Viele Menschen mit Handicap haben Probleme damit zu ihrer Behinderung zu stehen, weil sie befürchten, von ihren Arbeitgebern aussortiert zu werden, auch wenn sie qualifiziert sind und gute Arbeit leisten.

Keine Taxi-Zuschläge 

Ein Mann aus dem Publikum empfahl den Grünen, sich dafür einzusetzen, dass Rollstuhlfahrer und Rollatorfahrer in Mülheim keinen Aufschlag mehr in Höhe von 5€ bezahlen müssen, wenn sie ein rollstuhlgerechtes Taxi bestellen. Und mit Blick auf das nicht nur für Sehbehinderte ärgerliche Kleingedruckte im amtlichen Schriftverkehr wies die Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenvereins, Maria ST Mont daraufhin, dass die 2006 verabschiedete und 2009 von Deutschland ratifizierte Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen die öffentliche Verwaltung dazu verpflichte, ihre Schreiben, auf Nachfrage, in einer sehbehindertenfreundlichen Schrift zu versenden. Darüber hinaus gebe es für blinde und sehbehinderte Menschen die Möglichkeit, bei den bevorstehenden Europawahlen am 9. Juni Wahlschablonen zu nutzen, um ihre Stimme barrierefrei abgeben zu können.

Das Wahlrecht nutzen

In diesem Zusammenhang waren sich ST Mont und Langensiepen einig, dass behinderte Menschen ein besonders ausgeprägtes Interesse daran haben sollten, im Sinne ihrer Belange, bei den Europawahlen ihre Stimme für Parteien abzugeben, die für eine barrierefreie und tolerante Gesellschaft eintreten. Ausdrücklich begrüße es die Europaabgeordnete, dass auch Menschen mit geistiger Behinderung inzwischen nicht mehr vom Wahlrecht ausgeschlossen werden können. Allerdings sieht sie noch Nachholbedarf bei der barrierefreien und flächendeckenden Information der Wählerinnen und Wähler mit einer geistigen Behinderung.

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Mittwoch, 1. Mai 2024

Als der Ofen aus war

 Berg- und Stahlarbeiter haben das Ruhrgebiet zur Region der Malocher gemacht, auch bei uns in Mülheim. Als die Industrialisierung erst in Fahrt kam, war es Johann Dinnendahl, der hier 1811 die Friedrich-Wilhelms-Hütte eröffnete und dort 1849 den ersten mit Koks betriebenen Hochofen des Ruhrgebietes in Betrieb nahm. Sein Teilhaber Friedrich-Wilhelm Liebrecht machte diese Investition und Innovation erst möglich und wurde deshalb zum Namensgeber der Friedrich-Wilhelms-Hütte, die seit 2023 Teil des deutsch-französischen Rüstungsproduzenten KNDS ist.

Die jüngste Übernahme der FWH zeigt den permanenten Wandel des traditionsreichen Industrieunternehmens, in dem am 11. Mai 1964 der letzte Hochofen stillgelegt wurde. Warum? Weil Erdgas und Roheisen-Importe damals deutlich billiger geworden waren, als Koksgas und Roheisen, made in Germany, by FWH. Zwei Jahre, nachdem in der Friedrich-Wilhelms-Hütte an der Ruhr der Ofen aus war, sollte mit Rosenblumendelle Mülheims letzte Zeche schließen und Mülheim die erste bergbaufrei Stadt an der Ruhr werden.

Im Jahr nach dem letzten Hochofenanstich in der Friedrich-Wilhelms-Hütte schrieb Friedrich Bertram in der Mülheimer Lokalpresse:

 „Das alles ist nicht mehr: Blutrotes Leuchten am nächtlichen Himmel über der Ruhr, das Tosen eines polternden, zischenden und brüllenden Orkans zwischen Öfen, Walzen, zwischen Kränen und grauen Gerüsten. Seit mehr als einem Jahr ist Mülheims Friedrich-Wilhelms-Hütte nur noch dem Namen nach eine Hütte. Wo früher vermummte Gestalten in gleißender Hitze flüssigem Roheisen den Weg bahnten, herrscht Stille. Nach 123 Jahren unentwegter Produktion wurde im Mai 1964 dem letzten Hochofen der Hütte das Lebenslicht ausgeblasen.“

Aber das war schon das nächste Kapitel der Never-Ending-Story vom Strukturwandel im Ruhrgebiet. Vor 60 Jahren, als in Deutschland tatsächlich noch Vollbeschäftigung herrschte, wurden die Stilllegungen von Hochöfen und Zechen noch dadurch sozial abgefedert, dass die Stahl- und Bergarbeiter bruch- und problemlos einen neuen Arbeitsplatz, oft sogar im gleichen Betrieb oder im gleichen Beruf finden konnten. Auch der damalige FWH-Chef Birkenkämper versicherte im Mai 1964: "Bei uns wird niemand auf die Straße gesetzt!"

Das sieht heute, etwa nach dem Weggang des Stahlproduzenten Vallourec in Richtung Brasilien ganz anders aus. Durch die Globalisierung hat sich der internationale Standortwettbewerb und die damit verbundenen sozialen Verwerfungen erheblich verschärft. Bei der jüngsten Maikundgebung erinnerte Mülheims DGB-Chef Filip Fischer daran, dass der Vallourec-Vorgänger Mannesmann in den 1970er Jahren, auf dem Höhepunkt des deutsch-sowjetischen Erdgasröhrengeschäftes allein in Mülheim 13.000 Menschen Lohn und Arbeit gab.

Zur FWH


Donnerstag, 25. April 2024

Junge Schule

 Schülerinnen und Schüler machen Schule. Das nahm die Schülervertretung an der Willy-Brandt-Schule in Styrum an einem von ihr organisierten Projekttag zum Thema Diskriminierung, sexualisierte Gewalt und Stress beim Wort.

Nachdem sie sich selbst mit einer Schulung darauf vorbereitet hatten, boten die Mitglieder der Schülervertretung ihren Mitschülern Workshops zu den genannten Themen an und präsentierten deren Ergebnisse am Abend des Projekttages der über die Schulgemeinde hinausgehenden interessierten Öffentlichkeit im Rahmen eines Marktes der Möglichkeiten.

"Was ihr heute hier gemeinsam erarbeitet habt zeigt uns, dass Rassismus und Diskriminierung an unseren Schulen keinen Platz habt. Deshalb: Macht weiter so!" lobte Bildungsdezernent David Lüngen das Enagagement der Schülerinnen und Lehrer, das durch die Assistenz der Lehrkräfte und externer Fachleute der Mülheimer Stadtverwaltung und der Mülheimer Sozialverbände unterstützt worden war.

Im Mittelpunkt der abschließenden Präsentation standen ein Schüler-Theaterstück, dass Mülheimer Opfer des Holocaust in Erinnerung rief und das Einreißen einer aus Pappkartons gebauten Mauer, hinter der eine vom Essener Bildhauer Roger Löcherbach geschaffene Holzskulptur Willy Brandt freigab. Zweifellos wäre Willy Brandt stolz auf das Engagement der Jugendlichen an der 1986 gegründeten und seit 1992 nach ihm benannten Schule gewesen. 

„Wir haben uns besser kennengelernt und Mauern in unseren Köpfen abgebaut und wir haben gezeigt, dass Diskriminierung, Rassismus und sexualisierte Gewalt viele Gesichter haben können“, bilanzierte Schülersprecherin Farida Kepekpassi.

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Samstag, 20. April 2024

Wo die Kumpel zuhause waren

 Der Mülheimer Bergbau ist Geschichte. 1966 machte mit Rosen Blumen gelle die letzte Zeche dicht Punkt Mülheim war damals die erste Bergbau freie Stadt des Ruhrgebietes. In einer Zeit als noch rund 3000 Bergleute auf den Mülheimer Zechen Humboldt, Wiesche, Sellerbeck und Rosenblumendelle arbeiteten, begann der Mülheimer Bergwerksverein 1899 mit dem Bau der Colonie Wiesche. Der Name war Programm. In der Siedlung, die bis 1911 fertiggestellt wurde, fanden die Bergleute der Zeche Wiesche und ihre Familien ein preiswertes zu Hause inklusive Garten, Hof und Schweinestall. Doch das hatte seinen Preis.

Zwei Seiten der selben Medaille 

Wer politisch aufmüpfig wurde, streikte oder überzogene Lohnforderungen stellte, riskierte mit seinem Arbeitsplatz auf der Zeche Wiesche auch seinen Wohnraum in der Colonie. Denn der Arbeits- und der Mietvertrag waren zwei Seiten derselben Medaille. "Der Bergmann muss sich auch zu Hause wohlfühlen, damit er seine Arbeit gut und gerne tut", begründete der Industrielle Hugo Stinnes den Bau der Colonie Wiesche, die heute aus 106 Doppelhäusern besteht. Heute leben nur noch wenige ehemalige Bergleute in der Siedlung Mausegatt und Kreftenscheer: Die Straßennamen gehen auf ehemalige Kohlenflöze der Mülheimer Zechen zurück.

Erinnerung an den Bergbau

Loren und eine 2006 vom Mülheimer Bildhauer Jochen Leyendecker geschaffene Bergmannsskulptur weisen am Siedlungseingang auf die Geschichte der ehemaligen Bergmannssiedlung an der Schnittstelle zwischen Heißen und Holthausen hin. Die meisten Menschen, die heute in den Häusern an der Mausegattstraße und an der Kreftenscheerstraße zu Hause sind, sind die Erben ehemaliger Bergmannsfamilien oder sie haben sich als Zugezogene ein ehemaliges Zechenwerkshaus von ehemaligen Bergmannsfamilien gekauft. So sieht der Strukturwandel aus.

Wirtschaftlicher Strukturwandel

Nachdem mit Rosenblumendelle 1966 die letzte Zeche Mülheims stillgelegt worden war, verkaufte Stinnes auch seine Bergmannssiedlung. Eine Bürgerinitiative, aus der die heutige Siedlergemeinschaft hervorgegangen ist, sorgte 1977/78 dafür, dass die damaligen Bewohner zwischen einem Vorkaufsrecht zum Vorzugspreis oder einem lebenslangen Mietrecht wählen konnten. Die meisten der Bewohner entschieden sich für den Kauf ihres Häuschens, auch wenn das viel Arbeit und Geld für die Modernisierung des nicht mehr zeitgemäßen Whnraums in der alten Zechensiedlung bedeutete.

Vom Plumpsklo zum Badezimmer

Erst Mitte der 1950er Jahre wurde die Mausegattstraße asphaltiert. Erst Anfang der 1960er Jahre bekamen die Menschen in der Siedlung ein eigenes Bad. Bis dahin waren das Duschen auf der Zeche und das samstägliche Zinkwannenbad in der Küche, nebst Plumpsklo für die Bergmannsfamilien, die sich selbstironisch auch als Püttologen bezeichneten, Standard. Das Badewasser wurde samstags auf dem Herd heiß gemacht. Die Sickergrube des Plumpsklos wurde regelmäßig von der Zeche ausgepumpt.

Bis Mitte der 1980er Jahre, als die Siedlung unter Denkmalschutz gestellt wurde, wurde in allen Häusern noch mit Kohle geheizt. Das sogenannte Bergmannsdeputat (125 Zentner Kohle pro Jahr) machte es möglich. Dabei arbeiteten viele ehemalige Mülheimer Bergleute damals schon bei den Mannesmannröhrenwerken, die ab 1970 durch das deutsch-sowjetische Erdgasröhrengeschäft eine Hochkonjunktur mit rund 15.000 Arbeitsplätzen erlebte.

Erstaunlich progressiv

Hugo Stinnes und August Thyssen, die Mülheimer Industriellen, die 1898 zusammen mit dem Bankier Leo Hanau den Mülheimer Bergwerksverein gegründet hatten und in seinem Auftrag die heutige Mausersiedlung errichten ließen, waren bekanntermaßen Gewerkschaftsfresser, auch wenn Hugo Stinnes 1918 mit dem Gewerkschaftsführer Carl Legien für die deutschen Arbeitgeber ein Abkommen aushandelte, das die Gewerkschaften als Tarifpartner und als Vertretung der Arbeiter anerkannte und der Einführung des Achtstundentages zustimmte, um damit im Gegenzug die Sozialisierung der deutschen Wirtschaft und damit die Enteignung der deutschen Unternehmer zu verhindern. Aber ihre Idee, als Arbeitgeber für ihre Arbeiter preiswerten Wohnraum zu schaffen, der sie ihren Arbeitsplatz fußläufig erreichen ließ, wirkt heute geradezu progressiv. Angesichts hoher Mieten und Lebenshaltungskosten würde man sich manchmal jene Unternehmer zurückwünschen, die es als ihre Pflicht ansahen, ihren Arbeitern, natürlich aus auch im eigenen Interesse, ein Dach über den Kopf zu verschaffen. Heute wissen wir, dass preiswerter Wohnraum, verbunden mit einem guten sozialen Umfeld, wie es die heutige Mauseganttsiedlung bietet, einen sozialen und wirtschaftlichen Standortvorteil darstellt, wenn es darum geht, in einer demografisch gewandelten Gesellschaft darum geht, Arbeitskräfte zu gewinnen und zu behalten.
 gewinnen und zu behalten.

Donnerstag, 18. April 2024

Planet Ozean

 1929 als Gasbehälter errichtet, dient der 117 Meter hohe Gasometer in Oberhausen seit 30 Jahren als extravaganter Ausstellungsraum. Dieser Ausstellungsraum hat es in sich. "Schauen Sie immer auf den Boden. Denn wir haben hier mit den Widrigkeiten eines alten Industriebaus zu kämpfen", sag Gästeführerin Ramona Mohr mit Blick auf das tückische Bodenrelief, inklusive Stahlträgern, in einem dunklen Raum, in dem nur die Exponate von Scheinwerfern angestrahlt werden. 

Noch bis Ende des Jahres sind dort mehr als 200 großformatige Fotografien und Objekte aus der Meeresfauna und Meeresflora zu sehen, Wer mit Kulturmanagerin Ramona Mohr, die sich als nebenberufliche Gästeführerin das Wissen einer Meeresbiologin angeeignet hat und es anschaulich an die Teilnehmenden ihrer 90-minütigen Führungen weitergibt, muss ihr Recht geben, wenn sie mit Blick auf unseren blauen Planeten Erde sagt: "Angesichts der Tatsache, dass 70 Prozent der Erdoberfläche mit Wasser bedeckt ist, müsste die Erde eigentlich Planet Ozean heißen."

Diesen Titel haben die Ausstellungsmacher aus dem Gasometer denn auch ihrer aktuellen Schau gegeben, die faszinierende und zugleich auch erschreckende Einblicke in die fünf Weltmeere gibt, die zwischen 4000 und 11.000 Metern tief sind. Der tiefste Punkt des Planeten Ozean ist der Mariannengraben, benannt nach der spanischen Königin Anna Maria von Österreich. Der Imperialismus des 17. Jahrhunderts lässt grüßen.

Ein bezeichnendes Licht auf den Imperialismus heutiger Tage, der auf den Weltmeeren zum Beispiel in Form von Kreuzfahrtouristen, überbevölkerter und durch Bettenburgen flankierten Meeresstrände an der Costa Brava oder  in Person asiatischer Gourmets mit Vorleibe für Haifischflossensuppe für 80 Euro, pro Teller, daher kommt.

Wer zum Beispiel das Kreuzfahrtschiff sieht, dass durch die Lagune fährt und dabei den venezianischen Dogenpalast um das Doppelte überragt, braucht kein Statiker zu sein, um zu begreifen, dass der so erzeugte Wellengang die ohnehin maroden und aus dem 13. und 16. Jahrhundert stammenden Fundamenten Venedigs zusetzt und dessen ohnehin bis 2100  befürchteten Untergang beschleunigt. 

Nach mir die Sintflut. Das scheinen auch jene Zeitgenossen zu denken, die sich sündhaft teure und buchstäblich auch sündhaft hergestellte Haifischflossensuppe schmecken lassen. Wenn Ramona Mohr berichtet, dass die im Meer gefangenen Haie an Bord der Fangschiffe brutal um ihre Flossen gebracht und anschließend schwer verwundet und manövrierunfähig ins Meer zurückgeworfen werden, wo sie dann auf den Meeresboden absinken und dort langsam und qualvoll ersticken, raubt das auch dem profanen Fischstäbchenesser den Atem.

Zum Gasometer

Montag, 15. April 2024

Heiße Nächte

 "Heiße Nächte"! So heißt die neueste Komödie aus der Feder von Martina Rudziok, die am 13 April im Zimmertheater des Arteliers Rudziok am Heelweg 10 in Winkhausen Premiere hatte. Wer diesen Abend mit den Schauspielerinnen Andrea Hagemeier-Gilga (als Brunnhilde), Ines Klappers (als ihre Nichte Jennifer) und Martina Rudziok (als Brunhildes beste Freundin Karla) erleben durfte, kann die von ihrem Wortwitz und ihrer temporeichen Situationskomik lebende Komödie dem geneigten Publikum nur wärmstens empfehlen.

In den "Heißen Nächten" geht es um Wunsch und Wirklichkeit dreier Frauen, von denen zwei als Mittfünfzigerinnen mit den Risiken und Nebenwirkungen der Wechseljahre zu kämpfen haben. Während sie die Hitze der Nacht in ihrem Liebesleben schmerzlich vermissen müssen, machen ihnen ihre Hitzewellen und ihre Schlaflosigkeit das Alltagsleben schwer. Als Dritte im Frauenbunde versucht die Nichte ihre Tante und deren beste Freundin auf Trab zu bringen und das Beste aus ihrem fortgeschrittenen Leben zu machen. Es mangelt ihr nicht an guten und wohlfeilen Ratschlägen, die manchmal auch als Schläge und manchmal auch als Bumerang daher und zurückkommen.
Denn auch als Frau, die noch weit von den Wechseljahren entfernt ist, erlebt man in Liebesdingen und anderen Lebenslagen nicht nur angenehme Überraschungen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn es um die Risiken und Nebenwirkungen des anderen Geschlechts geht.

Kurzweilige Unterhaltung

90 Theaterminuten vergehen im kleinen und feinen Zimmertheater, in dem 25 Zuschauerinnen und Zuschauer Platz finden, vergehen angesichts der weiblichen Spitzfindigkeiten und Raffinessen wie im Flug. Sie trainieren die Lachmuskeln und sorgen damit beim geschätzten Publikum für die Erhöhung der sozialen Resilienz im Sinne der Erkenntnis, die der Schriftsteller und Satiriker Joachim Ringelnatz einst so formuliert hat: "Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt." Insofern erkennen auch die Protagonistinnen der jüngsten Rudziok-Komödie, dass das Leben eine Baustelle ist und bleibt. Egal, wie schön man es sich redet, so muss man auf der Baustelle des Lebens immer wieder erkennen, dass der Mensch, ob weiblichen oder männlichen Geschlechts, alles andere als perfekt ist. Und so zeigen und die drei großartigen Darstellerinnen auf der keinen Bühne des Zimmertheaters am Heelweg, mit ihren urkomischen Schlagfertigkeiten, dass die größte Lebenskunst darin besteht, in jeder Lebenslage und in jedem Lebensalter, aus dem allzu menschlich imperfekten hier und jetzt das Beste zu machen. Nicht von ungefähr war es ein Komödienregisseur, Billy Wilder, der aus seinen fröhlichen Lebensweisheiten, zu denen auch die Erkenntnis gehört: "Altern ist nichts für Feiglinge", unsterblich schöne Filmkomödien, wie: "Manche mögen's heiß auf die Kinoleinwand und in die Herzen seiner Zuschauerinnen und Zuschauer zauberte. Hätte Wilder die Premiere von "Heiße Nächte" im Artelier Rudziok noch miterleben können, hätte er sich sicher die Filmrechte der Komödie gesichert.

Gut zu wissen

Die Komödie "Heiße Nächte" ist am im Atelier Rudiok an der Hellweg 10 in Mülheim-Winkhausen noch einmal an folgenden Terminen zu sehen.

- Freitag, 26.04.24, um 19:30 Uhr
- Sonntag, 26.05.24, um 15:00 Uhr
- Freitag, 07.06.24, um 19:30 Uhr

Der Eintritt ins Theatervergnügen kostet 14 €. Aufgrund des begrenzten Platzangebotes ist eine telefonische Anmeldung bzw. Reservierung unter der Rufnummer 0208 444 209 48 oder online unter: www.artelier-rudziok.de erforderlich.

Zum Artelier Rudziok



Donnerstag, 11. April 2024

Das walte Hugo

 Vor 100 Jahren starb der Mülheimer Industrielle Hugo Stinnes. Dass er am 10. April 1924 an den Folgen einer misslungenen Gallenblasenoperation im Alter von 54 Jahren sterben musste, zeigt Reichtum schützt vor Unglück nicht.

Reich wie Stinnes

"Reich, wie Stinnes!" oder: "Das walte Hugo!", waren auf dem Höhepunkt seines unternehmerischen Schaffens in Deutschland ein geflügeltes Wort. Seine Zeitgenossen sahen den 1870 in Mülheim geborenen Hugo Stinnes als "den König an der Ruhr" und sagten ihm nach: "Er kauft Unternehmen, wie andere Leute Briefmarken." Tatsächlich war Stinnes ein geschickter Sanierer, der auch marode Unternehmen wieder auf Gewinnkurs bringen und so einen vertikal und international organisierten Mischkonzern mit mehr als 4500 Unternehmen und rund 3000 Betriebsstätten aufbauen konnte.

In seinem Todesjahr beschäftigte Hugo Stinnes, der sich selbst als "Kaufmann aus Mülheim" bezeichnete, 600.000 Menschen. Doch auf seinem Sterbebett warnte er seine Erben: "Meine Kredite sind Eure Schulden!" Doch sein namensgleicher Sohn und Nachfolger an der Spitze des Stinnes-Konzern schlug die Mahnung des Vaters in den Wind, sich auf das Kerngeschäft, den Kohlenhandel und die Kohlenförderung zu beschränken und alle anderen Unternehmen des Konzerns zu verkaufen. 

Schon im Jahr nach dem Tod von Hugo Stinnes geriet sein Konzern in finanzielle Schieflage und unter die Kontrolle amerikanischer Geldgeber.

In den Fußstapfen seines Großvaters

Zufall der Geschichte. Hugo Stinnes wurde genauso alt, wie sein Großvater Mathias Stinnes, der 1845, ebenfalls mit nur 54 Jahren gestorben war. Ebenso wie sein Großvater, der sein Geld als Kohlenhändler, Zechenbesitzer und Reeder verdient hatte, gehörte sein Enkel dem Mülheimer Stadtrat an und war mit seinem Mülheimer Industriellen Kollegen August Thyssen der größte Steuerzahler der Stadt.

Mit August Thyssen und dem Mülheimer Bankier Leo Hanau gründete Stinnes 1897 den Mülheimer Bergwerksverein und ließ ab 1899 die Colonie Wiesche errichten, in der die Bergleute der gleichnamigen Heißener Zeche und deren Familien ein Zuhause fanden. "Der Arbeiter muss sich auch zuhause wohlfühlen, damit er seine Arbeit gut und gerne tut", wusste Hugo Stinnes. Und er wusste auch, dass Werkswohnungen mit Gärten, Ställen und Höfen ein probates Mittel waren, um Arbeiter an ihren Arbeitgeber zu binden und sie von überzogenen Lohnforderungen, Streiks und gewerkschaftlichem Engagement abzuhalten.

Der Pragmatiker und Pionier

Stinnes kannte den Arbeitsalltag der Bergleute. Im Rahmen seiner kaufmännischen und bergbautechnischen Ausbildung war er 1890 selbst als Bergmann auf Wiesche eingefahren. Von ihm ist auch die Selbsterkenntnis überliefert: "Wäre ich als Arbeiterkind geboren, wäre ich wahrscheinlich ein Arbeiterführer geworden." Zu dieser Erkenntnis gehörte auch sein Engagement als Stipendiengeber für begabte, aber materiell minderbemittelte junge Menschen.

Doch Hugo Stinnes war Spross einer Unternehmerfamilie und hatte die Ambition, als Unternehmer Großes zu leisten. Dabei war Pragmatismus sein prägender Wesenszug. Seine Ausbildung und sein Studium in Mainz und Berlin brach er ab, als er den Eindruck gewonnen hatte, alles gelernt zu haben, was er als Unternehmer wissen müsse.

In atemberaubender Dynamik wuchs sein 1892 mit einem Mitarbeiter gegründetes Unternehmen zu einem branchenübergreifenden und internationalen Konzern heran. Mit August Thyssen war er 1898  maßgeblich an der Gründung des bis heute bestehenden und für seine Anteilseigner gewinnbringenden Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk beteiligt.

Auch politisch war Stinnes, der von 1918 bis 1924 dem Deutschen Reichstag angehörte, ein Pragmatiker. Als Nationalliberaler lehnte er bis zum Ende des Deutschen Kaiserreiches die Gewerkschaften ab, weil er sich von ihnen in seiner unternehmerischen Handlungsfreiheit beschnitten sah. Doch unter dem Eindruck der Novemberrevolution von 1918 schloss er sich der von Gustav Stresemann gegründeten national- und wirtschaftsliberalen Deutschen Volkspartei an und wurde zum Verhandlungsführer der deutschen Arbeitgeber, um mit den Gewerkschaften einen historischen Kompromiss auszuhandeln.

Während die von Carl Legien angeführten Gewerkschaften auf die Sozialisierung der Wirtschaft und damit auf die Enteignung der Unternehmer verzichteten, erkannten Stinnes und seine Arbeitgeberkollegen die Gewerkschaften als Tarifpartner und damit als legitime Vertretung der Arbeitnehmer an. Hinzu kam die von den Gewerkschaften schon lange geforderte Einführung des Achtstundentages.

Umstrittener Unternehmer und Politiker

In seiner letzten Lebensphase war Hugo Stinnes, der sich auch in die Reparationsverhandlungen mit den alliierten Siegermächten des Ersten Weltkrieges einschaltete, politisch umstritten.

In der Kritik stand Stinnes als "Inflationskönig", der seinen kreditabhängigen Konzern im Hyperinflationsjahr 1923 konsolidieren konnte. Kritisiert wurde aber auch seine politische Nähe zu den Putschisten Wolfgang Kapp, dem er auf seinem schwedischen Landgut Asyl gewährte und mit dem Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff, dessen gemeinsamer Putschversuch mit Adolf Hitler im November 1923 gescheitert war. Stinnes liebäugelte mit einer Diktatur auf Zeit, weil die politischen Mühlen der Republik für ihn zu langsam mahlten. Adolf Hitler, den er 1923 traf, lehnte Stinnes aber als gefährlichen politischen Fantasten ab.

Auch wenn 100 Jahre nach dem Tod von Hugo Stinnes sein einstiger Weltkonzern Wirtschaftsgeschichte ist, wirken die aus der Familie Stinnes hervorgegangenen Stiftungen als Geldgeber für soziale und kulturelle Zwecke bis heute in unserer Stadtgesellschaft segensreich. Mehr über Hugo Stinnes


Zum Autor & Zur Cläre- und Hugo-Stinnes-Stiftung & Zur Leonhard-Stinnes-Stiftung

Freitag, 5. April 2024

Schon einmal wieder aufgemacht

 Als Ruhrbastion wurde er am 8. Juli 1927 eröffnet. Doch der Volksmund taufte ihn schon bald in "Wasserbahnhof" um. Errichtet auf einem ehemaligen Werft- und Schlachthofgelände wurde er als Start- und Zielpunkt der Weißen Flotte zu einem Mülheimer Wahrzeichen.

Als der Urlaub noch vor der Haustür stattfand, ließen sich Ende der 1920er Jahre bis zu 500.000 Fahrgäste von den damals acht Schiffen der Weißen Flotte von deren Kapitänen mit auf die Reise nach Kettwig oder Duisburg nehmen.

Doch die Weltwirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg unterbrachen die Erfolgsgeschichte der Weißen Flotte und des Wasserbahnhofes. Nach dem Krieg quartierten sich dort Offiziere der britischen Besatzungsarmee und machten den Wasserbahnhof zu ihrem Club.

Doch am 7. April 1949 bekamen die Mülheimerinnen und Mülheimer ihren Wasserbahnhof, wie es in der Lokalpresse hieß, "als angenehme Erholungsstätte zurück." Nicht nur Oberbürgermeister Heinrich Thöne freute sich vor 75 Jahren darüber, "dass wir jetzt endlich wieder Herr im eigenen Haus des Wasserbahnhofes sind." Und Baurat Borchert ließ beim Eröffnungsfrühstück im Wasserbahnhof mit seinen 600 Sitzplätzen keinen Zweifel daran, dass die städtischen Handwerker 66 Tage lang alle Hände voll zu tun hatten, um die Spuren "des ungezwungenen Soldatenlebens" im Wasserbahnhof zu beseitigen.

"Was unsere Handwerker geleistet haben, kann sich bei den zukünftigen Gästen sehen lassen", lobte die Lokalpresse und hob in diesem Zusammenhang den Lichterglanz hervor, den die neue Außenbeleuchtung des Wasserbahnhofes auf die Wasserfläche der Ruhr zaubere. Nicht alle, die den Wasserbahnhof in den nachfolgenden Jahrzehnten gastronomisch bewirtschafteten, erfüllten den Wunsch Heinrich Thönes nach "so gut kalkulierten Preisen, dass sich auch der Mann im einfachen Kleid hier wohlfühlen kann."

Doch heute, da der Wasserbahnhof nicht mehr der Stadt, sondern der Schweizer Conle-Gruppe gehört, kann man im dritten Jahr nach dem Ruhrhochwasser des Sommers 2021 noch nicht mal über die gastronomische Preisgestaltung im Wasserbahnhof streiten, Denn seit der Überflutung der Schleuseninsel ist im Wasserbahnhof der Ofen aus und die Küche kalt. "Wie lange noch?", fragt sich so mancher Mölmsche und wünscht sich eine zweite Renaissance des Wasserbahnhofes, wie einst im April 1949.

Lebendige Demokratie

 Unser Grundgesetz wird 75. Das war Anlass für eine Demokratiekonferenz. Eingeladen hatten die Katholische Akademie und das Centrum für bürg...