Ich war fünf Jahre alt und wünschte mit vom Nikolaus ein Telefon, eines mit Drehscheibe, dass so echt, wie möglich aussehen sollte. Doch die Erzieherinnen i n meinem katholischen Gemeindekindergarten, es waren die frühen 1970er Jahre, wollten mir und meinen Altersgenossen, pädagogisch aufgeklärt, reinen Wein einschenken.
Deshalb erfuhr ich von ihnen, dass der Heilige Nikolaus ein Bischof aus der Türkei gewesen sei, der schon lange tot sei. Das war zu viel Wahrheit für mich. Weinend und verzweifelt ließ ich meine Mutter wissen: "Der Nikolaus ist tot. Wer schenkt mir jetzt mein Telefon?"
Wie dem auch sei: Ich bekam am Nikolaustag mein erwünschtes Telefon und begriff, dass meine Mutter der wahre Nikolaus war oder einen guten Draht zu Jenen hatte, die in seine Fußstapfen getreten und in sein Gewand geschlüpft waren.
Als ich ein Jahr später im ersten Schuljahr von meiner eher konservativen Lehrerin zu hören bekam, wir sollten uns gut benehmen, wenn wir vom Nikolaus etwas geschenkt und nicht die Leviten gelesen bekommen wollten. Unüberhörbar ließ ich meine Lehrerin als Freund der selbst erfahrenen Wahrheit wissen: "Was Sie uns erzählen stimmt nicht. Der Nikolaus ist schon lange tot." Meine Lehrerin verstand keinen Spaß und bestellte meine Mutter ein, um sie wissen zu lassen, dass ich ihre pädagogische Autorität untergrabe und die ganze Klasse in Aufruhr bringe, Seitdem wusste: "Wer die Wahrheit sagt, macht sich nicht nur Freunde." Natürlich wurden wir auch in diesem ersten Schuljahr von einem Mann beschert, der sich als Nikolaus ausgab und entsprechend gewandet war. Problemlos identifizierte ich den strengen und doch gütigen und freundlichen Nachfolger von St. Nikolaus als unseren Rektor.
An diese Nikolausgeschichte aus meinem eigenen Leben musste ich jetzt zurückdenken, als ich für die Mülheimer Presse über das Nikolausessen des Malteser Hilfsdienstes berichtete und mit dessen 50 bedürftigen Gästen, die es sich in der Teeestube der Diakonie an der Auerstraße in guter Gesellschaft schmecken und sich beschenken zu lassen.
Vier ehrenamtlich Mitarbeitende des Malteser Hilfsdienstes verteilten nicht nur gutes Essen, sondern auch gute Dinge für den täglichen Bedarf: Lebensmittel, Kleidung, Hygieneartikel, Süßigkeiten. "Die Not wird ja leider nicht wenig", bekam ich von den Maltesern zu hören, als ich sie nach ihrer Motivation befragte.
Viele Gäste wollen nicht mit der Presse sprechen. Über die eigene Not zu sprechen, tut auch jenen Menschen weh und beschämt sie, die sich dann doch auf ein Gespräch darüber einlassen, was sie nicht nur an diesem Nikolaustag in die Teestube des Diakonischen Werkes gebracht hat.
Warum sie auf Hilfe angewiesen sind und sich ein Herz genommen haben, sie anzunehmen, erklären die sichtbar vom Leben gezeichneten Menschen dies- und jenseits ihrer Lebensmitte, mit den Wechselfällen ihres Lebens, vor denen auch jene nicht sicher sind, die heute auf der Seite der Helfenden stehen und so etwas, wie ein gutbürgerliches Leben führen.
Die Hilfesuchenden, die hier nicht nur materielle Hilfe, sondern auch menschliche Zuwendung und seelische Stärkung. Sie berichten von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Arbeitsunfähigkeit, unwürdigen und belastenden Lebensverhältnissen, von steigenden Preisen und hohen Mieten sowie von Altersdiskriminierung bei der Jobsuche. Demografischer Wandel hin. Fachkräftemangel her.
Der Mann von der Presse geht an diesem Tag der guten Tat und der guten Gemeinschaft geht mit dem beschämenden Gefühl nach Hause, dass nicht die Hilfesuchenden beschämt sein sollten, sondern eine reiche, konsum- jugend- und leistungsfixierte Gesellschaft, die wider besseren Wissens viel zu viele Menschen nicht mitnehmen kann und will und deshalb lieber Almosen als Arbeit zu finanzieren,
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