Kirchenaustritte, demografischer Wandel, Missbrauchsskandale,
Priestermangel. Weniger Kirchensteuer einerseits und Verschwendung von
Kirchengeldern andererseits. Die katholische Kirche hat viele Baustellen. Warum
lohnt es sich trotzdem oder gerade deshalb, als Laie in der Kirche aktiv zu
sein und sich auch für den Glauben zu engagieren? Und wie wird man auch in
Zukunft Menschen dafür begeistern und so Kirche und Glauben in unserer
zunehmend säkularen und multikulturellen Gesellschaft weiter leben können. Darüber
sprach das Neue Ruhrwort jetzt mit Wolfgang Feldmann und Daniel Wörmann, die
stellvertretend für zwei unterschiedliche Generationen aktiver Laien stehen.
Fangen wir
doch mal ganz grundsätzlich an: Warum glauben Sie eigentlich?
Feldmann: Weil ich als Kind mit Religion und Kirche
aufgewachsen bin. Vor allem durch den Einfluss meiner Großeltern waren das
Beten und der Gottesdienstbesuch für mich von Anfang an selbstverständlich.
Wörmann: Auch ich bin durch meine Familie in den Glauben
hineingewachsen und katholisch sozialisiert worden. Ich glaube aber auch, weil
ich weiß und spüre, dass da noch mehr sein muss und mehr ist, als das, was man
sehen und wissenschaftlich erklären kann. Da muss es jemanden geben, der das
Ganze lenkt. Das speist sich aus dem, was uns die Heilige Schrift gibt und was
wir als Gemeinschaft in der katholischen Kirche tun und weitergeben.
Warum lohnt
es sich aus Ihrer Sicht, sich ehrenamtlich in der katholischen Kirche zu
engagieren?
Feldmann: Ich habe nie Angst gehabt, meinen Mund aufzumachen
und zu sagen, was ich denke. Ich habe dann aber auch eingesehen, dass man nicht
nur kritisieren kann. Wer kritisiert, muss auch versuchen, selbst etwas besser
zu machen. Und das habe ich getan und dabei auch etwas bewegen können.
Wörmann: Ich halte es da mit Albert Schweitzer, der gesagt
hat: „Um Christ zu werden, reicht es nicht in die Kirche zu gehen. Man wird ja
auch kein Auto, wenn man in der Garage geht.“ Für mich geht es ganz konkret
darum, wie man Menschen mit der Frohen Botschaft und ihren Werten erreichen
kann, wenn man sie im Gottesdienst vielleicht nicht erreicht. Im Grunde dreht
sich alles um das Thema Nächstenliebe und die Frage, wie wir miteinander
umgehen und wie unsere Gesellschaft funktionieren soll. Da hat die katholische
Kirche den Menschen ganz viel zu sagen und mitzugeben.
Feldmann: Ich sehe das auch so. Wir müssen als Christen mit
offenen Augen durch die Welt gehen und sehen, wo Menschen unsere Hilfe und
Zuwendung brauchen. In unserer Gesellschaft sind viele Menschen alt und einsam.
Ich erlebe es bei meinem Engagement in der katholischen Ladenkirche immer
wieder, wie dankbar Menschen sind, die vielleicht eine schwierige
Lebenssituation durchmachen, wenn sie hier jemanden finden, der sich Zeit nimmt
und ihnen zuhört. Zeit und Zuwendung für Menschen, die einsam und in Not sind.
Das ist eine wichtige Aufgabe der katholischen Kirche.
Müssen auch
die Laien in der katholischen Kirche ihre Organisationsstrukturen überdenken?
Brauchen wir noch Katholikenräte?
Wörmann: Die Strukturfrage ist für mich nicht die erste
Frage. Sondern es geht darum, welche Schwerpunkte wir in unseren Gremien setzen
wollen. Und ich erlebe das gleiche, wie Herr Feldmann, wenn ich Ferienfreizeiten
für Kinder und Jugendliche organisiere und dafür auch um Spenden bitte, damit
auch die Kinder mitfahren können, deren Eltern sich sonst keinen Urlaub
erlauben können. Wenn mich diese Kinder dann nach der Freizeit anstrahlen und
sagen: Das war toll. So etwas erlebe ich sonst nie. Dann ist das doch das
besondere, was Kirche ausmacht und uns trägt. Wir müssen uns als Katholikenräte
fragen, mit welchen Themen können wir Menschen ansprechen, begeistern und
mitnehmen. Und man kann Menschen mitnehmen. Das erlebe ich, wenn sich der
Katholikenrat in Duisburg zum Beispiel für Flüchtlinge und die Schaffung einer
Willkommenskultur einsetzt und damit auch anderslautenden Forderungen von
Rechtsradikalen entgegentritt. Dann wird katholische Kirche plötzlich ganz
positiv wahrgenommen.
Feldmann: Wenn wir Menschen ansprechen und Themen in der
lokalen Öffentlichkeit setzen und Stellung beziehen wollen, brauchen wir aber
auch auf der stadtkirchlichen Ebene eine professionelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
Diese im Rahmen der Umstrukturierung 2006 abgebaut zu haben, war aus meiner
Sicht ein schwerer Fehler. Außerdem müssen wir, auf Sicht, wie in Lateinamerika.
dafür sorgen, dass. wenn es künftig weniger Pfarrgemeinden, Priester und
Kirchen geben wird, dass sich dann kleine Basisgemeinden vor Ort bilden, in
denen zuvor dafür ausgebildete Laien auch Seelsorgeaufgaben übernehmen können,
damit wir auch in Zukunft die Frohe Botschaft weitergeben können.
Wie aber
kann man künftig vor allem junge Menschen für den christlichen Glauben gewinnen
und ansprechen, wenn es das katholische Milieu nicht mehr gibt?
Wörmann: Das ist die Königsfrage. Wir müssen als katholische
Kirche offener sein für die, die kommen, und ihnen auch zeigen, dass sie auch
dann gerne gesehen sind, wenn sie sich vielleicht nur zeitweise und für
einzelne Projekte engagieren wollen. Wir haben in der Jugendarbeit gute
Erfahrungen damit gemacht, regelmäßige Angebote, die wir personell nicht mehr
stemmen können, durch punktuelle Events zu ersetzen und damit Jugendliche zu
erreichen und zu begeistern. Jugendliche sind heute natürlich auch mobiler und
nicht mehr an eine Pfarrgemeinde gebunden. Und wenn sie bei sich vor Ort kein Angebot
finden, das sie anspricht, ist es für sie auch kein Problem zu einem
jugendpastoralen Zentrum oder einer Jugendkirche in eine andere Stadt zu
fahren. Die Inhalte sind nicht das Problem. Man kann Jugendliche ansprechen.
Das hängt natürlich auch von Personen und ihrem Lebensbeispiel ab, das sie ihnen
geben. Wichtig ist aber auch, dass wir das nicht alles ehrenamtlich leisten
können, sondern hauptamtliche Strukturen brauchen, die ehrenamtliches
Engagement unterstützen und begleiten.
Feldmann: Menschen wollen sich heute nicht mehr über 20 Jahre
mit einer bestimmten Funktion binden. Sie sind aber in allen Generationen
bereit, sich für zeitlich begrenzte Projekte zu engagieren und dafür Zeit und
Arbeit einzusetzen. Ich habe das erlebt, als wir hier in Mülheim die
katholische Ladenkirche aufgebaut haben und auf die Straße gegangen sind, um
mit den Menschen das Thema Missbrauch in der katholischen Kirche zu
diskutieren. Und ich erlebe es auch derzeit bei der Vorbereitung des Barbaramahls,
das Ende November in der Dümptener Barbarakirche stattfinden und Spenden
zugunsten der lokalen Hospizarbeit einspielen wird. Das funktioniert aber nur
dann, wenn an der Spitze der Gemeinde auch eine charismatische
Priesterpersönlichkeit steht, die andere Menschen ansprechen und mitreißen
kann.
Was sagen
Sie den Menschen, die aus der Kirche austreten, auch deshalb, weil sie sagen:
Ich brauche keine Kirche, um zu glauben?
Wörmann: Auch wenn wir die Amtskirche kritisieren, muss es so
etwas, wie Kirche geben. Denn sonst verliert die Kirche ihre klare Linie und
der christliche Glaube würde der individuellen Willkür unterliegen. Aber wir
dürfen nie vergessen, dass Strukturen, wie immer sie auch heißen, dem Inhalt
der Frohen Botschaft dienen müssen. Und aus ihr heraus müssen wir erkennen, was
jetzt anliegt und was das für uns bedeutet. Entscheidend ist, dass wir, wie
Jesus, immer wieder auf die Menschen zugehen und erkennen, was sie brauchen.
Feldmann: Glauben ist natürlich eine persönliche
Angelegenheit. Aber ich kann mir nicht vorstellen, für mich alleine und ohne
Menschen zu glauben, die auch glauben. Es macht Freude, den Glauben in einer
Gemeinschaft miteinander zu teilen und die Frohe Botschaft zu verkünden. Das
ist für uns Christen ganz wesentlich. Und ich vertraue hier mit Blick auf die
Zukunft und vor dem Hintergrund meiner eigenen Lebenserfahrung auf die Kraft
des Heiligen Geistes und auf die Kraft des Gebetes. Es wird immer wieder
Menschen geben, die aus ihrem Glauben heraus sagen: Ich mache das jetzt und ich
bin dafür verantwortlich. Und wenn die Laien vor Ort wissen, dass sie sich
nicht in jeder Frage an einen Priester wenden müssen und wenden können, weil er
vielleicht nur noch alle zwei Monate vorbeikommt, um mit ihnen die Heilige
Messe zu feiern, dann wird das zwangsläufig auch den Zusammenhalt und die
Selbstständigkeit der Laien vor Ort stärken. Denn Verwaltungsaufgaben kann man
vielleicht zentral organisieren. Doch bei der pastoralen und seelsorgerischen
Arbeit funktioniert das eben nicht. Und hier werden Laien künftig eine viel
größere Rolle spielen.
Zur Person:
Wolfgang
Feldmann ist 63 Jahre alt, verheiratet und Vater von zwei erwachsenen
Kindern. Bis zu seiner Pensionierung arbeitete er in der pharmazoltischen
Industrie. Bevor er 2002 den Vorsitz des Mülheimer Katholikenrates übernahm,
war er über 20 Jahre Vorsitzender des Pfarrgemeinderates in St. Barbara
(Mülheim-Dümpten). Nach seiner Wahl zum Katholikenratsvorsitzenden gehörte
Feldmann auch dem Diözesanrat und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken
an. Vor kurzem hat er sein Ehrenamt in der katholischen Stadtkirche an seinen
bisherigen Stellvertreter Rolf Völker abgegeben.
Daniel Wörmann ist 28 Jahre alt. Er hat Betriebswirtschaft und
Sozialarbeit in Bochum studiert und arbeitet seit eineinhalb Jahren in der
Personalabteilung des Bistums Essen. Wörmann hat sich bereits früh als
Meßdiener und in der katholischen Jugendarbeit engagiert. Er kommt aus der
Duisburger Gemeinde St. Josef (Hamborn), die zur Pfarrei St. Johann gehört.
Seit einem halben Jahr steht er an der Spitze des Duisburger Katholikenrates.
Wörmann ist ehrenamtlich nicht nur für die katholische Kirche, sondern auch in
der Kommunalpolitik aktiv. Für die CDU saß er zwischen 2009 und 2014 in der Bezirksvertretung.
Inzwischen arbeitet er als sachkundiger Bürger im Schul- und im
Jugendhilfeausschuss des Duisburger Stadtrates mit
Dieser Text erschien am 1. November 2014 im Neuen Ruhrwort