Freitag, 28. Februar 2020

Ganz schön erbaulich

"Wir möchten die Familien hier in Styrum mit der Liebe Gottes in Berührung bringen", sagt Jugendpastor Holger Sielemann mit Blick auf die Arbeit der an der Mittelstraße 14 ansässigen evangelischen Andreas-Gemeinde. Das klingt fromm und hat an diesem Wochenende ganz konkrete Folgen. Denn die Gemeinde verwandelt ihren Kirchenraum, in dem sonntags um 10.30 Uhr Gottesdienste gefeiert werden, in eine Holzbauwelt, um Eltern und ihren Kindern eine gemeinsame und schöne Zeit zu schenken.
50 Eltern und ihre Kinder gehen gemeinsam ans Werk. Sie nehmen sich Zeit fürs kreative Werkeln und sie nehmen sich vor allem Zeit für einander. Smartphones und Tablets haben Pause. Stattdessen verbauen kleine und große Holzhandwerker insgesamt 45.000 Kappler-Steine. Gebaut wird ganz ohne Werkzeuge. Die flachen Holzbausteine lassen sich einfach zusammenlegen und entwickeln im fertigen Bauwerk eine erstaunliche  Stabilität. 
Gemeindepraktikant Jannik Goseberg, Pastor Nepomuk Planitzer und Jugendpastor Holger Sielemann haben mit einigen Kindern sogar einen Stuhl gebaut, auf dem problemlos Platz nehmen kann. Wer mag, kann einfach drauf los bauen. Wer Hilfe braucht, dem assistieren  Ronja Fürst  und Franzi Buntrück  vom Jugendverband Entscheiden für Christus. Sie haben die Holzbausteine für das Projektwochenende, bei dem auch gemeinsam gegessen und Kaffee getrunken wird, mit nach Styrum gebracht. "In der Holzbauwelt wird die Zusammenarbeit gefördert. Vieles läuft hier über Beziehung und die Kinder erkennen, dass es nicht schlimm ist, wenn mal was kaputt geht und wieder neu aufgebaut werden muss", sagt Ronja Fürst.

Kreative Auszeit vom Alltag

"Das ist mal eine schöne Gelegenheit, um mit anderen zusammen etwas zu machen und anderen zu begegnen", sagt Johannes Gernert. Er hat mit seinem siebenjährigen Sohn Tawan erstaunlich perfekt das Empire State Building nachgebaut. New York lässt grüßen. Auch André Blies errichtet mit seinen Söhnen Jamie (9) und Lasse (12) den gleichen Wolkenkratzer. "Das ist hier super organisiert und der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt", lobt Blies. Doch er vermutet; "Vor allem den Kleinen wird das Herz bluten, wenn wir am Ende des Wochenendes alles wieder einreißen müssen und von unseren Bauwerken nur noch Erinnerungsfotos übrigbleiben."
"Das ist ein gutes Training fürs Fingerspitzengefühl", findet Markus Große-Boymann. Er baut mit seiner siebenjährigen Tochter Charlotte an einer Tempelanlage. Er meint: "Man hat hier einfach mehr Platz als zuhause und vor allem ist so ein Wochenende der richtige Freiraum, in dem man mal als Elternteil mit den Kindern etwas zusammen machen kann, für das die Arbeit einem sonst nur wenig Zeit lässt." Das sehen Jens Schilling und sein zehnjähriger Sohn Mika von der Nachbarbaustelle genauso. "Hier herrscht einfach eine angenehme Atmosphäre und deshalb kommen wir gerne hier hin", sagen sie.
Was auffällt: Im Gottesdienstraum der Andreas-Gemeinde, der zum Werkraum geworden ist, wird auch baustellenübergreifend zusammengearbeitet. Ein Nachbar hilft dem anderen und geht dann wieder zu seiner Baustelle zurück. Gleich zwei Türme, nämlich einen Fernsehturm und den Eiffelturm (Paris lässt grüßen) haben Markus Berndsen  und seine beiden Kinder Max (6) und Maja (9) errichtet: "Schön, dass das hier angeboten wird", sind sich die drei einig, Und Vater Berndsen schwärmt: "Mit Holz kann man ja soviel machen."
Dieser Text erschien am 18. Februar 2020 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Donnerstag, 27. Februar 2020

Nicht so hastig

Die aktuelle Berichterstattung über die Sechsjährigen, die jetzt schon als Fünfjährige die Schulbank drücken müssen, weil sie zu früh sechs Jahre alt werden, hat mich daran erinnert, dass ich selbst erst mit sechs Jahren eingeschult wurde und ein Jahr länger, als vorgesehen die Schulbank gedrückt habe. Irgendwie war ich immer schon spät dran. Und dennoch habe ich nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Überfüllte Klassen, überforderte Lehrer, überfüllte Arbeitsmärkte, überzogene Leistungsanforderungen, unterirdische Arbeitsbedingungen, hochfliegende Pläne und brutale Bruchlandungen. All das und das Gegenteil davon habe ich, nach meinem Gefühl, noch früh genug erlebt. Auch wenn wir heute in der digital beschleunigten Welt mit dem permanent schlechten Gewissen leben, nicht früh und schnell genug auf der Höhe der Zeit zu sein und deshalb zu spät zu kommen, lehrt mich meine Lebenserfahrung, dass jeder, jede und alles seine Zeit hat und wir gerade dann gut daran tun, uns Zeit zu nehmen, wenn wir glauben, es eilig haben zu müssen. Denn am Ende haben wir nur Zeit, wenn wir sie uns nehmen.

Dieser Text erschien am 27.02.2020 in der NRZ

Mittwoch, 26. Februar 2020

Aus der Traum?

„Siehe da. Auch ein Flugkapitän fährt mit der Deutschen Bahn.“ So dachte ich gestern, als mir am Hauptbahnhof, ein entsprechend uniformierter Vertreter dieser hochfliegenden Berufsgruppe an diesem profanen und in  Teilen daniederliegenden Ort entgegenkam. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich, dass der vermeintliche Flugkapitän eine kleine Prinzessin an seiner Hand führte und gar kein Flugkapitän, sondern ein später Karnevalsjeck war, der mit seinem Nachwuchs am Veilchendienstag einem närrischen Last-Minute-Spaß entgegenging. Und was ist heute? Aschermittwoch! Aus der Traum? Alles vorbei? Muss das sein? Müssen wir jetzt in Sack und Asche gehen? Besser nicht. Mir klingt noch der Satz der Gast-Prinzessin aus Frechen-Bachem, Katja I. (Wallraf) im Ohr: „Glaubt an eure Träume und arbeitet an ihnen“, hatte sie die Jecken beim inklusiven Karnevalsfest in der Stadthalle aufgefordert. Gut gesagt und noch besser getan, auch nach Aschermittwoch, wenn noch lange nicht alles vorbei ist und der Ernst des Lebens mit Humor und Fantasie ertragen und gestaltet sein will. Die Narren haben es uns bis gestern vorgemacht und wir sollten ihre Inspiration bis zum nächsten Elften im Elften nicht vergessen, sondern als Kraftquell für den Alltag im Herzen tragen. Das wünsche ich natürlich auch der Deutschen Bahn und uns allen, die wir am Hauptbahnhof aus- und einsteigen, dass sie möglichst erfolgreich und zügig an ihrem Traum von der Sanierung des Hauptbahnhofes arbeitet, damit dieser nicht am Ende nicht noch der unendlichen Baugeschichte des neuen Berlin Großflughafens Konkurrenz macht. Bei allem gebotenen Humor können wir auf diese Lachnummer getrost verzichten. 

Dieser Text erschien am 26.02.2020 in der NRZ

Dienstag, 25. Februar 2020

Unterwegs mit en närrische Nachwuchsregenten


Ohne Prinzessin Sarah-Katharina müssen die Kindertollitäten am Samstag das Finale des Saalkarnevals bestreiten. Denn die närrische Nachwuchsregentin liegt erkältet und fiebrig im Bett. Bei jedem ihrer sechs Auftritte nehmen Prinz Simon I., Pagin Celina und Page Serafino die besten Genesungswünsche mit. Alle Karnevalisten und Jecken drücken Sarah-Katharina die Daumen, dass sie beim Rosenmontagszug wieder mit von der närrischen Partie sein kann.


Zumindest mit ihrer Stimme auf dem Playback-Tonband ihrer Tanzshow mit den Liedern „Wir malen die Welt bunt an und lassen sie erstrahlen in Regenbogenfarben“ und: „Wir feiern das Leben“ ist Sarah-Katharina auch am Samstag mit dabei. Bevor am Nachmittag die erste Saalveranstaltung im Speldorfer Pflegeheim Marienhof auf dem Programm steht, chauffieren die beiden Adjutanten Christian Krebber und Sabine von Zitzewitz die kleinen Tollitäten zum Närrischen Biwak am Kurt-Schumacher-Platz. Beim regnerischen und fast vom Winde verwehten Auftritt vor dem Forum zeigt sich, wie gut es ist, dass die kränkelnde Kinderprinzessin an diesem Tag zuhause geblieben ist.

Nach der ersten Bühnenshow des Tages stellen sich Simon, Serafino und Celina als Losverkäufer im Forum noch in den Dienst der Rosenmontagstombola. Nicht nur beim Gang durchs Forum, sondern auch bei der Fahrt durch die Stadt und natürlich bei den Auftritten in den Sälen merkt man, den Kindertollitäten fliegen die Herzen und Symapthien zu. Das Prinzenmobil wird bei seiner Fahrt durch die Stadt immer wieder erkannt und angehupt. Menschen am Straßenrand winken den Kindertollitäten zu.


Auf dem Weg von einem Termin zum nächsten studiert Prinz Simon seine von Sabine von Zitzewitz vorbereiteten Sprechkarten. Bei seinen Auftritten spricht er dann frei. Die Erzieherin Sabine von Zitzewitz und Simon kennen sich bereits aus der geneinsamen Kindergartenzeit. Nicht nur beim Biwak und bei den Bewohnern des Marienhofs, sondern auch bei den abendlichen Karnevalsveranstaltungen der KG Blau Weiß im Altenhof, der MüKaGe und der Gemeinden St. Engelbert und St. Mariae Rosenkranz im Autohaus Extra und der Mölmschen Houltköpp im Wintergarten der Stadthalle zeigen sich die Kindertollitäten, trotz ihrer ersatzgeschwächten Besetzung an diesem Tag erstaunlich souverän, locker und gut aufeinander eingespielt. Das gesprochene Wort und die getanzte Show kommen beim Publikum an und lassen den Funken überspringen. Auch im Marienhof schauen die Kindertollitäten in fröhliche Gesichter und einige der Senioren vollziehen die Showgesten Simons, Celinas und Serafinos mit ihren Händen und Armen nach. „Es ist schön, dass wir den alten Menschen in ihrem wenig abwechslungsreichen Alltag, etwas Freude bringen können. Auch wir werden irgendwann so alt sein wie sie“, sagt Kinderprinz Simon. Später, auf der Fahrt zur Geburtstagsfahrt des Karnevals-Geschäftsführer Hans Klingels, der an diesem Karnevalssamstag 70 Jahre alt wird, macht sich der zwölfjährige Kinderprinz, der das Gymnasium Broich besucht,  Gedanken wie der Mülheimer Karneval mehr Nachwuchs gewinnen könnte: „Man sollte an den Schulen mehr Werbung machen, zum Beispiel durch Flyer und durch die Gemeinschaftsveranstaltungen, damit mehr Kinder und Jugendliche den Karneval nicht nur am Rosenmontag kennen lernen. Gut wäre es auch, wenn mehr moderne und auch englischsprachige Lieder im Karneval gespielt würden, die bei Jugendlichen besser ankommen. Außerdem könnte man die Gardeuniformen moderner designen“


Mehr als 100 Bühnenauftritte haben offensichtlich ihre Wirkung getan und die Nachwuchsregenten nicht nur auf der Bühne wachsen lassen. Page Serafino kann sich jetzt vorstellen, wie Simon in einer der kommenden Sessionen den Sprung vom Pagen zum Prinzen zu machen. Gustav-Heinemann-Schüler Serafino (11) und Simon sind nicht nur tänzerisch gut aufeinander eingestimmt. Beide spielen im Fanfarenzug der Mölmschen Houltköpp Trompete und begeistern auch an diesem Karnevalssamstag ihr Publikum mit dem Trompeten-Solo: „Ach wäre ich nur ein einzig mal ein schmucker Prinz im Karneval.“ Für Simon ist dieser Traum bereits in Erfüllung gegangen. Und unermüdlich tauschen Serafino und Simon nach ihrem letzten Auftritt bei den Holtköpp im Wintergarten der Stadthalle um 21.30 Uhr ihr Tollitäten-Ornat gegen das Outfit ihres Fanfarenkorps, um noch mal eben dessen Show-Block mitzuspielen. 


Adjutanten sprangen ein



Nicht nur die Kindertollitäten, sondern auch ihre im Hintergrund fleißigen Adjutanten Christian Krebber und Sabine von Zitzewitz bekommen am Samsatgabend bei den Karnevalisten viel Lob und Applaus: „Wir sind euch sehr dankbar für euren Einsatz“, sagt Blau-Weiß-Präsident Thomas Straßmann im Altenhof. „Ihr habt eure Aufgabe, von der ihr drei Tage vor der Kinderprinzenproklamation noch nichts wusstet, bravourös gemeistert“, lobt MüKaGe-Geschäftsführer Rolf Völker und lässt die Jecken im Autohaus Extra für die Adjutanten, die im Januar kurzfristig für den verstorbenen Hofmarschall Hermann-Josef Hüßelbeck eingesprungen sind, eine Saal-Rakete zünden. „Wir sind dankbar, dass nicht nur unsere Arbeitgeber, sondern auch die Kinder, die wir schon von früheren gemeinsamen Auftritten her kennen, so toll mitgezogen haben“, betont das Adjutanten-Paar. Ein wichtige Station für das Team der Kindertollitäten ist nicht nur an diesem Karnevalssamstag das von Martin Hesse geführte Hotel Handelshof. Hier können sich die närrischen Regenten während ihrer Auftrittspausen auf Kosten des Hauses stärken, und im Billardzimmer des Traditionshauses ihrem neuen Lieblingsspiel nachgehen. „Nach dem plötzlichen Tod von Hermann-Josef Hüßelbeck, habe ich den Handelshof gerne als Hofburg zur Verfügung gestellt, um das Team damit zu unterstützen und zu entlasten“, erklärt Hesse.

Dieser Text erschien am 23. Februar 2020 in NRZ & WAZ

Grenzenloser Spaß an der Freude


Grenzenlose Lebensfreude im besten Sinne des Wortes konnte man am Freitagabend im Festsaal der Stadthalle erleben. Musik- und Tanz verbanden dort rund 420 Menschen mit und ohne Handicap. Nicht nur im grandios farbenfroh kostümierten Publikum, sondern auch bei den Akteuren auf der Bühne wurde deutlich, was möglich ist, wenn Menschen sich vor allem als Menschen sehen und sich deshalb vorbehaltlos aufeinander einlassen.


Bereits zum siebten Mal hatten sich der städtische Kulturbetrieb, der Verein für Bewegungsförderung und Gesundheitssport (VBGS) und die KG Mülheimer Stadtwache als Veranstalter aufeinander eingelassen und so den Inklusionskarneval in der Stadthalle möglich gemacht. Zwischen und Bühne und Parkett pendelten ein Show-Express und auch die eine oder andere Polonaise. Mal sorgten die Flotten Socken aus Essen, Cheerleader aus Duisburg und der Musikzug Oberhausen, mal die tanzenden Pottkids von der KG Mölm Boowenaan, die Stadtwächter-Showtanztruppen der Raudis und der New Generation und die mit fantastischen Flug- und Hebefiguren zaubernden Dürscheder Mellsäck für gute Unterhaltung. „Ihr seid einfach spitze. Und deshalb sind wir heute auch hier hin gekommen, weil dieser Auftritt, als einer von 13 an diesem Karnevalswochenende, eine Herzenssache ist“, erklärte Kommandant Julius Körner, warum seine Dürscheder Mellsäck trotz ihres überfüllten Terminkalenders Zeit für einen gagenfreien Auftritt beim Inklusionskarneval in der Mülheimer Stadthalle übrig hatten.


Natürlich gaben sich auch die Mölmschen Tollitäten mit ihren Gesangs- und Tanzshows die Ehre. Stadtprinz Dennis I. war so begeistert von der Begeisterungsfähigkeit seines Publikums, dass er während seiner Show die Bühne verließ und jeden Jecken, der ihm alle Fünfe geben wollte, herzlich abklatschte.


Doch an diesem inklusiven Karnevalsabend hatten nicht nur die Mölmschen Tollitäten einen starken Auftritt. Katja und Kai Wallraf aus Frechen-Bachem zeigten als inklusives Prinzenpaar Katja I. und Kai I. mit dem in Gebärdensprache dargestellten Lied: „Du bist Kölle“, dass auch für einen jungen Autisten, dem die Worte nur schwer über die Lippen kommen, der Traum, einmal Prinz im Karneval zu sein und das Publikum zu begeistern, in Erfüllung gehen kann. „Glaubt an eure Träume und arbeitet an ihnen. Wir haben es, trotz anfänglicher Bedenken gemacht und wissen deshalb heute, dass es die beste Entscheidung unseres Lebens gewesen ist“, sagte Prinzessin Katja unter dem tosenden Applaus des Publikums. Und zu Ehren der rheinischen Gäste, die gleich 40 Mitglieder ihrer Gesellschaft „Bachem bleibt Bachem“ mit in die Ruhrstadt gebracht hatte, verschwammen an diesem Abend auch die Helau- und Alaaf-Grenzen des Karnevals, so dass es ausnahmsweise auch mal. „Frechen-Bachem Helau!“ und: „Uss Mölm, Alaaf!“ heißen durfte. 


Stimmen zum Inklusions-Karneval


Kulturdezernent Marc Buchholz: „Wir erleben hier, wie das kulturelle Brauchtum Karneval ganz unterschiedliche Menschen zusammenbringt und Zusammenhalt stiftet. Und wenn heute die Grenzen zwischen Alaaf und Helau verschwimmen, dann ist auch noch mehr möglich, um die Grenzen in unseren Köpfen und die Barrieren zwischen uns zu überwinden.“


Alfred Beyer, Vize-Vorsitzender der Stadtwächter und VBGS-Vorsitzender: „Der Festsaal der Stadthalle ist proppenvoll und die Leute sind begeistert. Da kann man nur zufrieden sein.“

Annette Klövekorn, Ratsmitglied und stellvertretende VBGS-Vorsitzende: „Das ist hier der richtige Karneval, weil hier alle aufeinander zugehen und gemeinsam Spaß haben, weil sich alle auf unterschiedlichen Ebenen einbringen können.“


Christa Kraus, ehrenamtliche Helferin des VBGS: „Hier verschwinden Grenzen und alle ziehen an einem Strang. Wir erleben, dass wir alle Menschen wie du und ich sind und dass es keinen Sinn macht, Menschen auszugrenzen. Es macht einfach Freude, in so viele fröhliche Gesichter zu schauen und zu spüren wie der ganze Saal vibriert.“

Stadtprinz Dennis I.: „In dem wir alle mit einbeziehen und gemeinsam den Karneval feiern, zeigen wird, dass jeder Mensch gleich viel zählt.“


Heino Passmann, Vizepräsident des Hauptausschusses Groß-Mülheimer Karneval und Präsident der Prinzengarde Rote Funken: „Hier erleben wir den Kern des Karnevals. Hier ist der Mensch einfach nur Mensch und wird so angenommen und ist so willkommen wie er ist.“

Dieser Text erschien am 23. Februar 2020 in NRZ & WAZ

Mülheimer Rosenmontag


Trotz Wind und Regen kamen mehrere 1000 Jecken zum Rosenmontagszug in die Innenstadt. Der Hauptausschuss Groß-Mülheimer Karneval geht von rund 30.000 Zugbesuchern aus. Die Polizei spricht von rund 8000. Vor allem an der Kaiserstraße und an der Leineweberstraße standen die Jecken und Kamellejäger dicht beieinander. An den anderen  Abschnitten der Zugstrecke waren die Zuschauerreihen etwas lichter. Erstmals hatten sich auch im Tunnel an der Eppinghofer Straße schaulustige Jecken postiert. 


„Dass es an der Zugstrecke zu keinen besonderen Vorkommnissen kam“, nannte Chefkarnevalist Markus Uferkamp bei der Abschluss-Pressekonferenz in der Stadthalle „eine der erfreulichsten Nachrichten des Tages.“ Der stellvertretende Einsatzleiter des Deutschen Roten Kreuzes, Christian Burger meldete sechs medizinische Hilfseinsätze, bei denen aber nur in einem Fall ein Notarzt einbezogen werden musste. Es handelte sich hierbei um Einsätze, die durch Alkoholeinfluss, Kreislaufstörungen und einen allergischen Schock notwendig wurden. Zwei Kinder konnte das DRK, nach wenigen Minuten wieder der Obhut ihrer Eltern übergeben.


Zugleiter Rainer Bleier und die stellvertretende Einsatzleiterin des Technischen Hilfswerkes, Verena Thöne, sprachen von einigen PKWs, die vor dem Beginn des seit 1958 stattfindenden Rosenmontagszuges abgeschleppt werden mussten. Neben Zugleiter Rainer Bleier, bedankten sich auch Hauptausschusspräsident Markus Uferkamp, Bürgermeisterin Margarete Wietelmann und  Stadtprinz Dennis I. (Weiler) ausdrücklich für die gute Zusammenarbeit der Karnevalisten und deren Unterstützung durch THW, DRK, Feuerwehr, Polizei und Ordnungsamt. Allein das Deutsche Rote Kreuz war beim Rosenmontagszug mit 77 Helfern im Einsatz. Das Technische Hilfswerk war mit 38 Einsatzkräften vor Ort, wobei die Helfervereinigung des THWs die Zugteilnehmer mit Erbsensuppe versorgte. „Diese gut funktionierende Zusammenarbeit spricht für unsere Stadtgesellschaft und zeigt, dass wir gemeinsam viel Gutes für die Bürger auf die Beine stellen können“, sagte Margarete Wietelmann. Seinen Dank an alle Zugteilnehmer und Unterstützer verband Stadtprinz Dennis mit der Bitte um mehr Rücksichtnahme an der Zugstrecke. „Wenn ich versucht habe, Kindern am Zugweg gezielt Kuscheltiere, eine Tafel Schokolade oder einen Ball zuzuwerfen, habe ich es leider immer wieder erlebt, dass sie den Kindern von Jugendlichen und Erwachsenen vor der Nase weggeschnappt worden sind.“



Trotz der widrigen Wetterverhältnisse waren nicht nur unter den rund 1200 Zugteilnehmern, sondern auch unter den Zuggästen am Straßenrand viele Kostümierte zu sehen. Da tummelten sich kleine und große Cowboys, Indianer, Clowns, Drachen, Prinzessinnen, Pippi Langstrümpfe, Tiger, Elefanten und viele andere tierische und närrische Fabelwesen. Zu den kostümierten Zugteilnehmern gehörten auch Katzenfrau Eva, Ritter Norbert, Cowboy Gunnar, Pirat Dieter, Clownsfrau Nicole, Prinzessin Anna, Musketier Justin, Lady Christin, Clown Christian und Knastbruder Dominik. Sie fuhren als Bewohner des Fliednerdorfes auf einem Zugwagen der Röhrengarde mit. In dessen Gefolge ging auch der 25-köpfige Musikzug der Silber-Blauen im Zug mit und spielte alle Karnevalsschlager rauf und runter. Die Bewohner des Selbecker Fliednerdorfes wurden von ihren Betreuern, (Hippie) Andreas Hesse, (Hase) Timo Wäller, (Tigerfrau) Angela Buchner und vom (Schwarzen Schaf) Nadine Malinowsky und vom Ehrenpräsidenten der Röhrengarde Lothar Schott begleitet. Die Gäste aus dem Fliednerdorf, die bereits zum dritten Mal auf einem Rosenmontagswagen der Röhrengarde mitfuhren, brachten nicht nur selbst gebastelte Venezianische Masken für die Dekoration des Wagens, sondern auch Wurfgut für insgesamt 1100 Euro mit, das sie mit vollen Händen und Begeisterung unter das närrische Straßenvolk brachten. „Das ist für uns der schönste Tag des Jahres“, freute sich Andreas Hesse. Sein Kollege Timo Wäller fühlte sich angesichts von vielen 1000 enthusiastischen Gesichtern „wie ein Rockstar.“ Ihre Kolleginnen Angela Buchner und Nadine Malinowsky sprachen mit Blick auf die närrische Stimmungs- und die klimatische Wetterlage von „einer feucht-fröhlichen Angelegenheit“ und von „einer ganz neuen Sicht auf den Rosenmontagszug. Auch die Bewohner des Fliednerdorfes hatten trotz des Segens von oben viel Freude am Kamellewerfen. Vor allem Musketier Justin ging als Stimmungskanone mit närrischem Beispiel voran und motivierte die Wagenbesatzung zu der einen oder anderen Schunkel- und Tanzrunde. 


Der bei der Theodor-Fliedner-Stiftung für den Bereich Wohnen für Menschen mit Behinderung zuständige Friedhelm Tissen begleitete den Zug als einer von insgesamt 230 Ordnern, die mit ihren blauen Absperrseilen an den Wagenachsen dafür sorgten, dass kein Kamellejäger unter die Räder des Rosenmontagszuges kam. Alle Zugteilnehmer aus dem Fliednerdorf waren sich nach der zweistündigen Rosenmontagsfahrt einig: „Nächstes Jahr sind wir wieder mit dabei.“

Bei der Abschluss-Pressekonferenz des Rosenmontagszugs gab der Geschäftsführer des Hauptausschusses Groß-Mülheimer Karneval, Hans Klingels, die von den Vorsitzenden der 13 Mülheimer Karnevalsgesellschaften mit 150, 100 und 50 Euro prämierten Wagen des Rosenmontagszuges bekannt. Es sind dies der Motivwagen zum Thema Ökumene im Karneval. Dieser Wagen zeigt die evangelische Immanuelkirche in Styrum und die katholische St.-Engelbert-Kirche in Eppinghofen mit einer Narrenkappe. In beiden Kirchen wurden in dieser Session ökumenische Karnevalsgottesdienste gefeiert. Den zweiten Platz belegte der Gesellschaftswagen der Karnevalsgesellschaft Blau Weiß mit dem aus 4500 Styropor-Steinen nachgebauten Schloss Broich, gefolgt vom Regenbogen-Wagen der zur Mülheimer Stadtwache gehörenden Showtanzgarde New Generation. Weitere Motivwagen des Rosenmontagszuges thematisierten die Plastik-Vermüllung der Weltmeere und die Forderung der Karnevalsvereine nach der Anerkennung als Kulturgut und einer entsprechenden Förderung der Stadt. Mit den Wappen der Stadt und des Hauptausschusses Groß-Mülheimer Karneval, die sich an der Hand halten und dem Schriftzug „Kultur und Karneval – Zwei, die zusammengehören“, wurde dieses politische Thema ins Bild gesetzt. Unter den 28 Wagen des Rosenmontagszuges waren diesmal fünf Motivwagen. 

Dieser Text erschien am 24. Februar 2020 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Sonntag, 23. Februar 2020

Man(n) folgt dem weiblichen Vorbild

Petrus war am ersten der Tollen Tage gnädig mit den Jecken und Möhnen. Abgesehen von einigen Regentropfen am Mittag blieb es trocken und zwischendurch schien sogar die Sonne. Auf dem Rathausmarkt und auf dem Saarner Pastor-Luhr-Platz nutzten jeweils gut 200 närrische Frauen und Männer die Gunst der Stunde, um sich vom musikalischen und tänzerischen Bühnenprogramm in Karnevalslaune zu bringen.
Auf beiden Plätzen beließen es die jecken Frauen und ihre männlichen Gesinnungsgenosssen nicht beim Zuhören, Klatschen und Mitschunkeln. Auf beiden Partymeilen starteten sie zwischenzeitlich zu einer Polonaise. Eine davon wurde in Saarn vom blau-weißen Schlagersänger Thomas Straßmann ("Ich bin kein Mann für eine Nacht!") angeführt. Er pendelte wie die Tollitäten zwischen der Stadtmitte und dem Saarner Dorf. "Die Gesangsshow der Tollitäten ist wirklich erfrischend und macht Lust auf den Sommer", fand die Saarnerin Tanja Brammer. Sie war mit ihren Freundinnen und Nachbarinnen Nicole Einmold, Kathleen Zabinski und Hanne Kaluza zum Pastor-Luhr-Platz gekommen, "weil die Atmosphäre hier so schön familiär und dörflich ist und alle Generationen gemeinsam den Karneval feiern." Auch Margit Schettler von der Werbegemeinschaft Saarn, die die 50. Saarner Altweiberparty mit der Mülheimer Stadtwache organisiert hat schätzt den familiären Charakter des Festes, "das ein echtes kulturelles Brauchtum ist und funktioniert, weil die sozialen Kontakte stimmen und die Menschen sich auch vom Wetter nicht abhalten lassen, hier hin zu kommen."

Gemeinsam gelebtes Brauchtum

Aber auch beim Möhnensturm auf dem Rathausmarkt konnte man fröhlich feiernde Clownsfrauen, Blumenfrauen und närrische Teufelsweiber bei ihrem Gute-Laune-Handwerk beobachten. "Wenn uns schon mal ein so tolles Showprogramm von den Möhnen und Karnevalisten geboten wird, müssen wir das doch unterstützen. Es ist ja sonst leider wenig genug los", fanden Ilse Hegmann und Ursula Bialek. "Wir haben hier eine gute Gemeinschaft und eine sehr schöne Atmosphäre", lobte Monika Richter. Die Geschäftsführerin der Arbeiterwohlfahrt, Michaela Rosenbaum war als A-Woman mit der Ansage: "Mit Herz gegen soziale Kälte" und einigen Kolleginnen zum Rathaussturm der Mohnen gekommen. "Die Betreuungssituation für Kinder und pflegebedürftige Angehörige müsste verbessert werden, damit mehr Menschen Familie und Beruf miteinander vereinbaren könnten", nannte Rosenbaum nur eine mögliche Aufgabe der närrischen Regenten. "Eine gute Lösung für den öffentlichen Personennahverkehr", wünschte sich der entmachtete Stadtdirektor Frank Steinfort von den Tollitäten.

Verspäteter Startschuss

Die hatten nach einem verspäteten Startschuss durch die Konfettikanone der Karnevalsgesellschaft Wagaschei und nach einem siegreichen Geduldsspiel gegen Bürgermeisterin Margarete Wietelmann um 12.30 Uhr die Stadtschlüssel erobert. Als erste Amtshandlung ermächtigten sie die Möhnen dazu, Wietelmann und den als Roten Teufel erschienenen Kulturdzernenten Marc Buchholz für die närrische Putzkolonne zu verpflichten. Die Amtsträger ergaben sich entspannt in ihr Schicksal und Bürgermeisterin Wietelmann forderte Mohnen und Tollitäten auf: "Lasst die Karnevalskultur erwachen und bringt die ganze Stadt zum Lachen."
Dieser Text erschien am 20. Februar im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Fröhliche Frontfrau

Drei Fragen an die Mülheimer Stadtprinzessin Josephine Stchelhaus

Frage 1: Warum sollte man den Möhnensturm aufs Rathaus und die Altweiberparty auf dem Pastor-Luhr-Platz in Saarn auf keinen Fall verpassen?

!!! Diese Frage ist ganz einfach zu beantworten: Mit diesen Veranstaltungen beginnt der Straßenkarneval – also der Höhepunkt in unserer Amtszeit. Ganz nach unserem Motto „Mülheim mit Jeck & Herz“ feiern die Mülheimer Karnevalisten gemeinsam die wohl schönste Zeit im Jahr. Diese Chance sollte sich kein Karnevalist entgehen lassen.

Frage 2: Was würden Sie als Regentin in unserer Stadt und in unserem Land gerne durchsetzen, wenn Sie die Macht dazu hätten?

!!! Wenn ich so drüber nachdenke, dann ist die Liste ganz schön lang. Das wichtigste Thema für mich ist allerdings die Gleichstellung aller Menschen. Jeder hat das Recht auf Gleichbehandlung und respektvollem Umgang. Natürlich würde ich als närrische Regentin dafür sorgen, dass der Karneval einen höheren Stellenwert bekommt. Karneval ist Brauchtum und muss gepflegt werden. Demnach würde ich den Mülheimer Karneval in den städtischen Kulturbetrieb aufnehmen. Ich hoffe, dass es auch ohne mich – als närrische Regentin – passieren wird. Vielleicht dauert es ja gar nicht mehr so lange.

Frage 3: Wo hört für Sie als Frau dies- und jenseits der tollen Tage und der fünften Jahreszeit der Spaß auf?

!!! Ganz klar: Beim Thema Respekt. Ein ganz klares No-Go für mich ist es, wenn Menschen nicht respektiert werden. Das Schöne – gerade im Mülheimer Karneval – ist, dass jeder Jeck anders ist und das das auch akzeptiert wird. Daher wünsche ich mir, dass das auch über die fünfte Jahreszeit hinaus, gelebt wird.

Dieser Text erschien am 20. Februar 2020 in NRZ & WAZ

Donnerstag, 20. Februar 2020

Frohes Schaffen


Karneval macht Freude, aber auch viel Arbeit. Das sieht und begreift man sofort, wenn man die etwa 30 Frauen und Männer aus der Karnevalsgesellschaft Blau Weiß dabei beobachtet wie sie den Saal des Altenhofes in einen karnevalistischen Veranstaltungsort verwandeln. Manche arbeiten stundenweise mit. Andere sind ganztägig im Einsatz. Manche kommen vor oder nach der Arbeit vorbei. Andere nehmen sich Urlaub. 


Da wird die Bühne und der Elferratstisch aufgebaut. Da werden 19 Kilometer Kabel verlegt, die Mischpulte für die Ton- und Lichttechnik installiert und die Traverse-Gerüste aufgestellt und mit Bühnenscheinwerfern und Lautsprechern bestückt. Lampions und blau-weiße Fahnentücher müssen unter die Saaldecke gezogen werden.


Wenn hoch hinaus geht, kommt ein etwa fünf Meter hohes Rollgerüst zum Einsatz, das die 250 Mitglieder starke Karnevalsgesellschaft, die 1947 aus der Kolpingfamilie Broich-Speldorf hervorgegangen ist, eigens für diesen Zweck angeschafft hat. Und auch so scheinbar simple Dinge wie die Tisch-Deko, das Wurfgut für den Kinderkarneval wollen herangeschafft und an Ort und Stelle drapiert und deponiert werden. Ein LKW pendelt als Transporter zwischen dem Lager der Karnevalsgesellschaft an der Sandstraße und dem Altenhof an der Kaiserstraße.


Im Altenhof, dem Haus der Evangelischen Kirche, werden an den Tollen Tagen die Altweiberparty, der Kinderkarneval, die Prunksitzung und der Rosenmontagsball über die Bühne gehen.


Blau-Weiß-Präsident Thomas Straßmann (57), der als Verbesserungsmanager in der Karnevalshochburg Düsseldorf für einen deutschen Automobilhersteller arbeitet, ist nur eines der Mitglieder seiner Gesellschaft, die sich zwischen 10- und 14 Tage Urlaub genommen haben, um vor und hinter den Kulissen ganztags ins Karnevalsgeschehen eingreifen zu können. „Früher war das für noch mehr Mitglieder unserer Gesellschaft selbstverständlich. Aber heute machen das viele Arbeitgeber nicht mehr mit. Und ich bin meinem Arbeitgeber dankbar dafür, dass er da mitzieht, weil er das karnevalistische Brauchtum zu schätzen weiß“, sagt Straßmann. Während sein Sohn Tim und er im Altenhof mit anfassen, managt Mutter und Ehefrau Birgit Straßmann im Homeoffice den Kartenverkauf für die Veranstaltungen der Blau-Weißen.


„Heute ist unser Jahresurlaub eng begrenzt. Aber im Vorstellungsgespräch habe ich meinem Arbeitgeber gesagt: Wenn ich Karneval nicht keinen Urlaub bekommen kann, fange ich erst gar nicht bei Ihnen an“, erzählt der Vorsitzende der KG Blau Weiß, Christian Hövelmann (30). Er verdient seinen Lebensunterhalt bei einem Nutzfahrzeughersteller investiert vor den Tollen Tagen täglich 5 bis 15 Stunden in die umfang- und facettenreiche Aufbauarbeit im Altenhof. „Wenn es eine Dusche gäbe, würde ich hier auch übernachten“, scherzt Hövelmann. 


Warum investiert man soviel Zeit, Arbeit und auch Geld in den Karneval? „Die Leute hier sind positiv verrückt und gehen mit Herzblut ans Werk“, sagt Thomas Straßmann. „Hier hilft einer dem anderen. Und wenn ich hier hinkomme, weiß ich, dass ich unter Freunden bin“, betont Christian Hövelmann. Jörg Heise (57), der als Posaunist im Musikzug BPM und als Tanz-Papi bei den blau-weißen „Muddis“ auch mit auf der Bühne steht, erklärt seine Motivation so: „Wir sind eine echte Karnevalsfamilie. Das ist kein Spruch. Das wird hier das ganze Jahr über gelebt.“ Für Wagen- und Bühnenbauer Dieter Kolkmann (43) und Christiane Heckeroth (43) von den „Muddis“ ist der Karneval „ein Familiehobby.“ Sie sind sich einig: „Es macht einfach viel Freude, wenn man gemeinsam etwas positives auf die Beine stellt und dafür sorgt, dass Menschen in einer Welt, in der es viel Unerfreuliches gibt, für ein paar frohe Stunden glücklich sind und die Sorgen ihres Alltags vergessen können.“ 

Dieser Text erschien am 19. Februar 2020 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Mittwoch, 19. Februar 2020

Als Bismarck zum Mülheimer ehrenhalber wurde

Den Bismarckturm auf der gleichnamigen Straße kennt in Mülheim jedes Kind. Doch dass der erste Reichskanzler Otto von Bismarck vor 125 Jahren zum Mülheimer Ehrenbürger ernannt wurde, wissen sicher nur wenige Mülheimer.

Abgesehen davon, dass Mülheim Teil des 1871 von Bismarck geeinten Deutschen Reiches war, hatte der sogenannte Eiserne Kanzler mit der Ruhrstadt nichts zu tun. Dass er dennoch am 19. Februar 1895 auf Vorschlag des damaligen Oberbürgermeisters Karl von Bock von der Stadtverordnetenversammlung einstimmig zum Ehrenbürger Mülheims ernannt wurde, war eine politische Demonstration. Die bürgerlich-konservative Elite der Stadt wollte den Reichsgründer ehren, unter dem Deutschland einen wirtschaftlichen Aufstieg und die Einführung der Sozial- und Krankenversicherung erlebt hatte.


Viele, aber nicht alle Mülheimer feierten Bismarck, zum Beispiel mit Festbanketten. Denn Bismarck hatte als Kanzler zunächst die katholische Kirche und ihre Partei, das Zentrum und ab 1878 die 1863 aus der Arbeiterbewegung entstandene Sozialdemokratie als sogenannte Reichsfeinde bekämpft und verfolgt.


Im Jahr 1895, fünf Jahre nach dem von Kaiser Wilhelm II. erzwungenen Ende seiner 19-jährigen Kanzlerschaft, hatte sich der politische Schlachtenlärm um den Fürsten Bismarck gelegt. Ein beliebtes Hotel und Restaurant an der heutigen Friedrich-Ebert-Straße trug damals seinen offensichtlich werbewirksamen Namen. Anlässlich seines 80. Geburtstags, den der Altkanzler am 1. April 1895 feiern konnte, machten ihn 378 deutsche Städte zu ihrem Ehrenbürger. Entsprechend groß war der Andrang, als die 30-köpfige Delegation aus Mülheim als eine von 56 Stadtdelegationen aus dem Rheinland, Bismarck in seinem Wohnsitz Friedrichsruh die Ehrenbürgerurkunde überreichte. Deren Text spricht Bände für die damalige Bismarck-Begeisterung. Im Urkunden-Text heißt es: „In unbegrenzter Verehrung des größten Staatsmannes unseres Jahrhunderts, der seinem Könige nicht bloß ein teuer sondern auch ein freimütiger und furchtloser Ratgeber war, des Mannes der unter dem Zepter des großen und unvergesslichen Königs Wilhelm I. als erster das Deutsche Reich einigen half, der dem deutschen Gewerbefleiß, dem Handel der Industrie und allem guten und nützlichen allzeit ein tatkräftiger und erfolgreicher Förderer war, der sein ganzes Sein und seine volle Kraft dem Kaiser und dem Vaterlande hingab, ernennt die Stadt Mülheim an der Ruhr seine Durchlaucht, den Fürsten Otto von Bismarck zu ihrem Ehrenbürger und bestätigt durch diese Urkunde, dass es ihr zum freudigsten Stolze gereicht einen solchen Mann einen der ihrigen nennen zu dürfen.“


Bismarck antwortete seinen Gästen auf die vielfache Ehrenbürgerschaft mit den Worten: „Meine Herren! Ich bin sehr glücklich gerade Sie vom Rhein zu sehen. Die Verleihung von so vielen städtischen Bürgerrechten ist für mich etwas Überwältigendes. Sie ist mir eine unverdiente Ehre, die ich mir persönlich nicht zurechnen kann.“


Auch nachdem Otto von Bismarck am 30. Juli 1898 gestorben war, hatte der Nachruf der Mülheimer Zeitung das gleiche Pathos wie der Text der Ehrenbürgerurkunde. Das Lokalblatt schrieb über den Alt-Kanzler: „Als treuester Diener des Reiches hat er Deutschland aus seiner Zerrissenheit emporgehoben. Er hat als Schmied unseres Vaterlandes dafür gesorgt, dass die deutsche Misere zu Ende gekommen ist. Und er hat als solcher Deutschland zu einem Reiche geschaffen.“

Zehn Jahre nach Bismarcks Tod begann am Kahlenberg der Bau des Bismarckturmes, der am 1. April 1909, dem 95. Geburtstag des Eisernen Kanzlers eröffnet werden konnte. Es liegt in der Tragik der deutschen Geschichte, dass der Bismarckturm am Kahlenberg ab 1933 zum symbolträchtigen Ziel- und Mittelpunkt nationalsozialistischer Kundgebungen werden sollte. Hier beging etwa die Hitler-Jugend ihre Sonnenwendfeiern. 

Hintergrund:


Der erste Reichskanzler Otto von Bismarck sollte nicht der einzige Ehrenbürger Mülheims bleiben, dessen Ernennung politisch motiviert war und nichts mit Verdiensten um die Stadt und ihre Bürgerschaft zu tun hatte. So kürte der von der NSDAP dominierte Stadtrat im März 1933 den damaligen Reichskanzler Adolf Hitler und den damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, der den Führer der NSDAP am 30. Januar zum Reichskanzler ernannt hatte, zu Ehrenbürgern Mülheims. Diese Ehrenbürgerschaften wurden ebenso wie die 1941 an den Hüttenwerksdirektor Adolf Wirtz verliehenen Ehrenbürgerrechte 1946 und dann noch einmal 1995 von den damaligen Stadtparlamenten getilgt. 1995 bestätigten die damals gewählten Stadtverordneten den Beschluss, den ihre von der alliierten Militärregierung ernannten Vorgänger bereits im Juli 1946 gefasst hatten. Mülheimer Ehrenbürger sind der Pfarrer Peter Thielen (1880), der Jurist, Politiker und Unternehmer Adolf Hamacher (1888), der Industrielle August Thyssen (1912), der Oberbürgermeister Paul Lembke (1928), der Oberbürgermeister Heinrich Thöne (1960), der Bürgermeister und Kreishandwerksmeister Max Kölges (1962) und der Chemiker und Nobelpreisträger Karl Ziegler (1963).



Dienstag, 18. Februar 2020

Lach mal wieder

In einer Seniorenresidenz kann man richtig Spaß bekommen. Die Schauspieler des Komödchen Sorglos treten mit ihrem neuen Stück "Resturlaub im Ladyhort" den Beweis dafür an. Am 29. Februar hat ihr 120-minütiger Dreiakter aus der Feder von Bernd Spehling um 15 Uhr im Theater der Alloheim-Seniorenresidenz im Wohnpark Dimbeck  an der Dimbeck 6 bis 12 Premiere. 
"Das liegt uns und die Leute wollen mal lachen und abschalten", erklären die beiden Sprecher des Ensembles, Jürgen Loss und Dagmar Schauerte, warum das 1998 aus der Kolpingfamilie Broich-Speldorf hervorgegangene "Komödchen Sorglos" alle Jahre wieder seinem Namen Ehre und seinem Publikum Freude macht. Nach "Stress im Champus-Express" und: "Die Stepphühner" bringen die immer wieder mittwochs (von 20 bis 22 Uhr) im professionell ausgestatteten Theater an der Dimbeck probenden Komödianten bereits zum dritten Mal ein Stück des 1969 in Verden geborenen und heute bei Hannover lebenden Bernd Spehling auf die Bühne. "Seine Theaterkomödien haben einen unglaublichen Wortwitz und ein Gag jagt bei ihm den nächsten", lobt Regisseur Andreas Pawlowski den seit 1988 immer wieder zur Feder greifenden Theaterautor.
Wer also am 29. Februar, am 1. März, am 8. März, am 15. März, am 22. März oder am 29. März den Weg zum Theater an der Dimbeck/Ecke Rochusstraße findet, darf sich auf ein ausgiebiges Training seiner Lachmuskeln freuen. Probeneindrücke berechtigen den Theaterfreund zu den schönsten Hoffnungen auf kurzweilige Unterhaltung. Wenn, wie beim "Resturlaub im Ladyhort", ein von seiner frustrierten Ehefrau verlassener Macho-Mann in eine Wohngemeinschaft mit drei alleinstehenden nicht gerade unkomplizierten Damen einzieht und dann im weiteren Verlauf der Handlung von seiner Ehefrau ausspioniert wird, sind die Lacher programmiert.

Komödie mit Kaffee und Kuchen

Vor dem ersten Vorhang, der sich jeweils um 15 Uhr hebt, und in den beiden Pausen dürfen sich die Zuschauer auf Kaffee und Kuchen freuen. Einlass ist jeweils um 14.45 Uhr. Das komödiantische und kulinarische Nachmittagsvergnügen ist im Vorverkauf für neun Euro und an der Tageskasse für elf Euro zu haben. Vorverkaufsstelle ist das Blumengeschäft Flower Power an der Hingbergstraße 319. Telefonische Auskünfte zum Kartenvorverkauf erhält man unter der Rufnummer: 0176-74722211. 
Theaterenthusiasten, die das Ensemble des Komödchen Sorglos als Schauspieler oder als Ton- und Lichttechniker unterstützen möchten, erreichen Jürgen Loss unter der Rufnummer: 0208-51261 oder treten über die Internetseite: www.komoedchen-sorglos.net mit dem Ensemble in Verbindung.
Dieser Text erschien am 16. Februar 2020 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Montag, 17. Februar 2020

Wenn es funkt

Am Samstagabend funkte es im Altenhof. 300 Jecken hatten bei der Funkensitzung ihren Spaß. „Ihr wart einfach ein geiles Publikum“, lobte Präsident Heino Passmann die farbenfroh kostümierten Jecken am Ende eines viereinhalbstündigen Marathons der guten Laune.

Waldgeist Andrea Jatzkowski, Micky-Maus Thomas Straßmann und Chiristian Becker, alias Lucky Luke, verdienten sich ein kleines mölmsches Flachgebinde, weil ihre Kostüme in den Augen der Elferräte die Originellsten waren. „Heute können wir hier noch mal ganz entspannt feiern, bevor wir in der kommenden Woche mit unserer eigenen Prunksitzung ranmüssen“, sagte Jörg Heise von der KG Blau Weiß. Er hatte mit einigen seiner Vereinskameraden als Krümmelmonster-Gruppe den Weg zur befreundeten Prinzengarde gefunden. Und Ex-Prinz Marc Waldschmidt, der sich mit seinen Freunde als clownesker Baskenmützenträger al a francaise unter den amüsierwilligen Narren war, meinte: „Die Stimmung und die Atmosphäre sind hier einfach toll. Deshalb kommen wir hier immer wieder gerne hin.

Stimmung und Atmosphäre zauberten nicht nur die tanzenden Funken auf die Bühne. Sie eroberten zum Beispiel als kleine Feuerwehrleute und als Superhelden die Herzen der Narren. Stadtprinz Dennis nahm nach seiner Gesangsshow „Für die Jeckenzeit“ die vierjährige Joline aus der Minigarde der Funken spontan auf den Arm und meinte: „Vielleicht ist das hier eine künftige Kinderprinzessin!“ Da ließ sich auch der an diesem Abend zum Ehrenvorsitzenden gekürte Funkenpräsident Heino Passmann vom Stadtprinzen nicht zweimal bitten und stieg als Backgroundtänzer in die Bühnenshow der Tollitäten ein. Einen gelungenen Einstieg feierte auch der unter anderem mit Schlagzeug und E-Gitarre neu formierte Musikzug der Roten Funken, der seine Zuhörer unter anderem mit einem Rock-Medley begeisterte. Ein musikalisches Heimspiel hatte auch der aus Dümpten stammende Schlagerstar Olaf Henning, der das Publikum im Altenhof nicht nur mit seinem Hit: „Komm, hol das Lasso raus. Wir spielen Cowboy und Indianer“ stimmungsmäßig einfing und auf Touren brachte. Nicht immer, aber immer mal wieder witzig und deshalb ein Gewinn fürs Publikum war Büttenredner Ludger K. Der Essener begründete die Popularität des Bochumer Musical-Dauerbrenners „Starlight Express“ damit, „dass die Menschen im Ruhrgebiet eine riesige Sehnsucht nach pünktlich fahrenden Bahnen und Zügen haben.“ 

Dieser Text erschien am 17.02.2020 in NRZ & WAZ

Sonntag, 16. Februar 2020

25 Jahre für die Städtepartnerschaften


Obwohl Mülheim 1993 für seine internationalen Kontakte und Städtepartnerschaften von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates mit dem Europapreis zur Europastadt gekürt wurde, tat man sich schon damals schwer, die Städtepartnerschaften finanziell ausreichend zu fördern. Deshalb gründete sich am 21. Februar 1995 der Förderverein Mülheimer Städtepartnerschaften. Mit gut 400 Mitgliedern hat der Verein heute viermal so viele Mitglieder wie vor 25 Jahren. Dennoch ist seine Arbeit seitdem nicht leichter, aber auch nicht weniger wichtig geworden.


Seit 2015 ist der Verein finanziell auf sich allein gestellt. Denn vor fünf Jahren stellte die Stadt ihre Förderung der bürgerschaftlichen Begegnungen mit den Partnerstädten von zuletzt 7400 Euro jährlich ein. „Dadurch ist uns der Jugendbereich weitegehend weggebrochen, weil wir keinen Austausch mit Schulen und Vereinen mehr fördern können“, bedauert der heutige Vereinsvorsitzende Gerhard Ribbrock. Mit Hans-Dieter Flohr, Joachim Schiwy und Manfred Krister bildete er 2015 einen Vorstand, „weil es zu schade gewesen wäre, den Verein und seine gute Sache einfach kaputt gehen zu lassen.“


Für Geschäftsführer Hans-Dieter Flohr, der bereits dem Gründungsvorstand angehört hat, steht fünf Jahre nach dem erzwungenen Neuanfang fest: „Es ist gut gegangen!“ Das kann Flohr vor allem deshalb sagen, weil seine Vorstandskollegen und er keine Alleinunterhalter sind, sondern sich seit 2015 auf mehrköpfige Kompetenzteams stützen können, die Begegnungen mit Menschen in und aus den Partnerstädten organisieren. Der Gründungsvorsitzende des Fördervereins, Peter Wolfmeyer, hat zum Beispiel als Kompetenzteamleiter für Israel neuen Schwung in die Nahost-Kontakte gebracht. In den vergangenen fünf Jahren hat der Förderverein zehn Bürgerfahrten organisiert, mit deren Hilfe 350 Mülheimer die Partnerstädte Darlington (England), Tours (Frankreich), Kouvola (Finnland), Oppeln/Opole (Polen) und Kfar Saba (Israel) kennen lernen konnten. In der gleichen Zeit waren Mitglieder des Fördervereins zehnmal Gastgeber für Freunde aus den Partnerstädten. „Die 2008 mit Beykoz-Istanbul aufgenommenen und zuletzt 2014 durchgeführten Begegnungen ruhen derzeit leider, weil wir dort, anders, als in den anderen Partnerstädten keine Ansprechpartner aus der Zivilgesellschaft haben“, erklärt Ribbrock. Dennoch wollen er und seine Vorstandskollegen Mülheims jüngste Städtepartnerschaft nicht aufgeben. „Die Beziehung mit Beykoz ist für Mülheim mit seiner starken türkischstämmigen Gemeinschaft interessant. Aber leider haben wir aus dieser Gruppe, trotz vieler Absichtserklärungen, bisher leider keine Unterstützer gewinnen können“, sagt Joachim Schiwy. Deshalb setzt der Vorstand des Vereins jetzt auf die Deutsch-Türkische Universität in Beykoz. Deren Grundsteinlegung hatten die Mülheimer Gäste 2014 bei ihrem letzten Besuch am Bosporus selbst miterlebt. Gerhard Ribbrock sähe den Förderverein Mülheimer Städtepartnerschaften gerne als Teil eines Dreiecks mit der Deutsch-Türkischen Universität in Beykoz und der hiesigen Hochschule-Ruhr-West, um die daniederliegende Städtepartnerschaft wiederzubeleben.


Mithilfe der Stadt und anderer Geldgeber würde Hans-Dieter Flohr auch die Förderung von Jugend- und Schulbegegnungen gerne wiederbeleben, „um mehr junge Leute in den Verein zu bekommen.“ Denn mit Sorge sieht er, dass 194 der 403 Vereinsmitglieder zur Generation 70 plus gehören. 44 Mülheimer haben dem Städtepartnerschaftsverein seit seiner Gründung die Treue gehalten.

Gerhard Ribbrock weiß, dass junge Mülheimer in Zeiten des Internets und des grenzenlosen Europas keinen Städtepartnerschaftsverein brauchen, um ins Ausland zu reisen. Dennoch sieht er den Förderverein und seine bürgerschaftlich organisierten Begegnungen in den Partnerstädten als unverzichtbar und wertvoll an. „Wir organisieren keine touristischen Reisen. Wir lernen in den Partnerstädten und deren Regionen Land und Leute kennen. Wir werden von ortsansässigen Freunden geführt, kommen mit Menschen in den Partnerstädten ins Gespräch und wohnen zum Teil vor Ort in Familien. So etwas erlebt man nicht, wenn man als Tourist nach Mallorca fliegt“, erklärt Ribbrock den menschlichen Mehrwert der Bürgerfahrten. Wie Ribbrock sieht auch Schiwy die Bürgerbegegnungen mit Menschen aus und in den Partnerstädten als Plattform für ein besseres gegenseitiges Verständnis. Als Sohn einer 1945 aus Schlesien vertriebenen Mutter hat er in Oppeln erfahren, „dass auch die Polen ihre rund 15 Millionen Vertriebenen hatte, die aus den ehemaligen Ostgebieten kamen, die 1945 der Westverschiebung des Sowjetunion verloren gingen.“ Und er hat im heute polnischen Oppeln und in Schlesien Menschen kennen gelernt, die ein ausgesprochen modernes, reflektiertes und versöhnliches Verhältnis zur deutsch-polnischen Beziehung in Europa gewonnen haben. In vielen Bereichen erscheint Schiwy Polen heute fortschrittlicher als Deutschland. „Der Brexit zeigt, dass wir so etwas wie Städtepartnerschaften brauchen, um unsere Denkweisen, Mentalitäten und Reaktionen besser verstehen zu können“, sagt Gerhard Ribbrock. Und er ist sich mit Hans-Dieter Flohr einig, „dass wir uns in Mülheim und Darlington auch durch den Brexit nicht auseinanderdividieren lassen werden.“ 


Hintergrund:



Unter dem Motto: „Paten für die Partnerschaften“, waren der NRZ-Redakteur Heinz Ingensiep und die damalige Leiterin des Amtes für Rats- und Repräsentationsangelegenheiten, Ilse Steinberg, 1994/95 die Initiatoren der Vereinsgründung. In den vergangenen 25 Jahren konnte der Förderverein Mülheimer Städtepartnerschaften 53 Bürgerfahrten und 22 Besuche aus den Partnerstädten organisieren. Durch Spenden, Mitgliedsbeiträge und Sponsoren wie die Sparkasse und die Leonhard-Stinnes-Stiftung konnte der Förderverein von 1995 bis 2014 insgesamt knapp 300.000 Euro für bürgerschaftliche Begegnungen im Rahmen der Städtepartnerschaften zur Verfügung stellen. Sein Jubiläum feiert der Verein vom 21. bis 24. August mit einer Veranstaltungsreihe, an der auch Gäste aus den Partnerstädten teilnehmen werden.

Dieser Text erschien am 15. Februar 2020 in NRZ & WAZ

Samstag, 15. Februar 2020

Fromme Floristen?

Eigentlich ist Mutter einem Blümchen nicht abgeneigt. Auch ich hätte ihr gestern gerne eines geschenkt. Doch als Mutter bei unseren Innenstadtrundgang sah, welche preistechnischen Blüten der Valentinstag getrieben hatte, verging ihr die Lust auf ein Sträußchen. Obwohl ich mich ihr spontan als Rosenkavalier anbot und gerne auch einen Euro mehr ausgegeben hätte, ließ sich Mutter in ihrer Contra-Kommerz-Haltung nicht erweichen. Denn auch wenn Mutter Sympathien für geschäftstüchtige Menschen hat, ging ihre Liebe am gestrigen Valentinstag dann doch nicht so weit, dem allzu geschäftstüchtigen Blumenhandel einen Bonus auf Kosten des heiligen Valentin zu gewähren. Es wollte ihre partout nicht in den Kopf, warum das Gewerbe der Floristen ausgerechnet am Todestag des heiligen Valentin florieren soll. Der Schutzheilige der Liebenden verlor am 14. Februar 269 nur deshalb den Kopf verlor, weil er als Priester entgegen dem Gebot des römischen Kaisers Claudius II. Liebende nach dem christlichem Ritus traute und ihnen zur Vermählung Blumen aus seinem Garten schenkte. So gab es für Mutter gestern von ihrem Sohn keine Blümchen, sondern nur ein Küsschen. Das war ihr nicht nur preiswerter, sondern auch lieber und sicher auch im Sinne des heiligen Valentin und seiner Frohen Botschaft der Liebe. Aber, liebe Floristen! Keine Bange. Das nächste Blümchen für Mutter kommt bestimmt auf den Tisch oder auf die Fensterbank, sobald sie ihren heiligen Zorn über den Preisschock vom Valentinstag überwunden hat und ihr eure Preisschraube ganz still, fromm und flott auf Normalmaß zurückgedreht habt. 

Dieser Text erschien am 14.02.2020 in der NRZ

Freitag, 14. Februar 2020

Wohin führt der synodale Weg?

Der in Frankfurt am Main begonnene Synodale Weg bewegt auch die Katholiken im Ruhrgebiet. Bei einer Abendveranstaltung in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg diskutierten Generalvikar Klaus Pfeffer, Deutschlandfunk-Journalistin Christiane Florin und der Münsteraner Theologie-Professor Michael Seewald mit rund 200 Katholiken darüber wie der Synodale Weg zu einem kirchlichen Aufbruch führen könne.



Skepsis und Hoffnung hielten sich sowohl auf dem von Akademiedozent Jens Oboth moderierten Podium als auch im Auditorium die Waage. Aus dem engagiert mitredenden Publikum waren kritische Stimmen zu hören: „Die Kleriker haben uns Laien in unserer eigenen Kirche entmachtet und enteignet!“ und: „Wollen wir wirklich so werden wie die Evangelische Kirche?“ oder: „Wir brauchen keine Strukturdiskussion, sondern mehr gelebte Liebe und Umkehr im Geiste Jesu!“, hieß es da zum Beispiel.



Applaus und Zustimmung erfuhr Christiane Florin für ihre Forderung nach einer echten Gleichberechtigung der Frauen in der katholischen Kirche, die sich nach ihrer Ansicht nur dann reformieren kann, „wenn die Bischöfe auf Macht verzichten“ und sich die reformbereite „Mehrheit der Katholiken nicht länger von einer autoritären Minderheit in ihrer Kirche vor sich hertreiben“ lasse. Dazu gehört für Florin auch ein menschlicherer Umgang mit Homosexuellen und wiederverheirateten Geschiedenen.



Ausdrücklich verteidigten Florin und Seewald die Tatsache, dass sich die katholische Kirche mit ihrem synodalen Weg die Zeit für Strukturdebatten nehme. „Wenn die Kirche aufbrechen und umkehren will, muss sie vor die Entscheidung treffen, in welche Richtung gehen soll“, betonte Michael Seewald. Und Christiane Florin, die beim Deutschlandfunk die religiöse Sendung „Tag für Tag“ moderiert, unterstrich: „Nicht nur mir geht langsam die Geduld aus. Denn die Tatsache, dass wir seit über 40 Jahren immer wieder über die gleichen Themen diskutieren müssen, zeigt doch, dass die Leute in der Kirche noch so gut sein können, wenn deren Strukturen nicht stimmen.“ In diesem Zusammenhang wies Professor Seewald auf die Entscheidungskompetenz des Papstes hin und warnte die Bischöfe vor den negativen Folgen „einer gespielten Beteiligung der Kirchenmitglieder“. Wie Florin sieht der Dogmatiker von der Universität Münster keine „zwingenden theologischen Gründe“, Frauen den Zugang zum Priesteramt zu verwehren. Hoffnungsvoll stimmt ihn die Tatsache, „dass sich die Spannungen in der Kirche entladen, ohne dass es bisher darüber zu Ausgründungen gekommen wäre.“



Mit Blick auf die Reformdebatte des Synodalen Weges riet Generalvikar Klaus Pfeffer zu einer „verbalen Abrüstung“ und zu einem toleranten „Aushalten der ambivalenten Vielfalt in unserer Kirche.“ Angesichts der diskutierten Fragen wie dem Priesteramt der Frau oder der gleichberechtigten Mitbestimmung der Laien, wenn es zum Beispiel um den Einsatz der Kirchensteuermittel gehe, betonte Pfeffer: „Der Bischof von Essen ist nicht der Papst, der morgen schon Frauen zu Priesterinnen weihen könnte.“ Gleichzeitig ließ Pfeffer keinen Zweifel daran, dass es sich die Bischöfe mit ihrer vielfach kritisierten 2/3-Mehrheit im Kirchenparlament nicht erlauben könnten, „dass beim synodalen Prozess nix rauskommt.“ Dass auch Frauen und verheiratete Männer künftig mehr geistliche Aufgaben und Ämter in der Kirche übernehmen werden, liegt für Pfeffer angesichts von aktuell sieben Priesteramtskandidaten im Bistum Essen auf der Hand. Und die Kritik an einer Protestantisierung der katholischen Kirche konterte der Generalvikar mit einem Bormot, mit dem der die Lacher auf seiner Seite hatte: „Vielleicht tut es uns ja ganz gut, wenn die katholische Kirche etwas protestantischer und die evangelische Kirche etwas katholischer wird. Mehr Informationen zum Thema findet man auf der interaktiven Internetseite: www.synodalerweg.de


Wer war Washington?

  Washington. Der Name dieser Stadt ist heute ein Synonym für die Politik der Supermacht USA, bei der auch nicht alles super läuft. Auf Hoch...