Der 1969 geborene Styrumer Autor lehrt hauptberuflich Politik- und Sozialwissenschaften sowie Religionspädagogik. Während seines ersten Berufslebens hat der zweifache Familienvater als Journalist und später als Entwickler in einer Firma gearbeitet, die Computerspiele herstellt. In seiner Freizeit schreibt er unter dem Pseudonym Stefan Boucher Belletristik. Im Gespräch mit der Mülheimer Woche berichtet er über seinen neuesten Roman „Long Forgotten“.
Worum geht es in Ihrem in der Edition Vi:Jo erschienen Roman „Long Forgotten“, deutsch: „Lange vergessen“?
Boucher: Um Menschen, die im Mediensektor arbeiten und dort ein Start-Up-Unternehmen gegründet haben. Sie erzeugen virtuelle Wirklichkeiten, die mithilfe Virtueller-Realitäts-Brillen (VR-Brillen) genau das projizieren, was sich die Kunden individuell vorstellen wollen. Die Mitarbeiter des Berliner Unternehmens sind so in ihre Arbeit verliebt, dass sie gar nicht merken, dass sie die Wünsche, Träume und Ängste ihrer Kunden instrumentalisieren. Die meisten Mitarbeiter der Firma denken nicht daran, dass sie eine Unmenge von persönlichen Daten sammeln, die man auch kommerzialisieren und missbrauchen kann. Selbstverständlich geschieht genau das längst. Im Mittelpunkt des Romans steht der Entwicklungsleiter der Firma, Rico Darburg. Er lebt nur von einem Projekt zum nächsten. Doch er hat auch eine Geschichte. Vor 20 Jahren ist nach einem Streit seine Freundin und Kollegin spurlos verschwunden und Rico wird mit ihrem Verschwinden immer wieder in Verbindung gebracht.
Hört sich wie eine Mischung aus Science-Fiction und Krimi an?
Boucher: Ja, genau. Aber in diesem Fall spricht man von Near-Fiction, also von naheliegender Fiktion, die auf der Grundlage des heutigen Forschungs- und Entwicklungsstandes in ein oder zwei Jahren Realität sein könnte. Alle Technologien, die ich beschreibe, gibt es schon oder an ihnen wird aktiv geforscht. Die Handlung meines Romans reflektiert die Themen Datensicherheit, Beziehungsfähigkeit und Identitätsbewahrung.
Wie kamen Sie auf die Idee, diesen Roman zu schreiben?
Boucher: Die Idee zu meinem Buch kam aus meiner Biografie. Ich habe zehn Jahre als Spiele-Entwickler in der Computerspielbranche gearbeitet und dort sehr leistungsfähige Leute kennengelernt. Das waren in der Regel Leute, die gar keine Zeit dafür hatten, über die gesellschaftlichen Folgen ihrer hoch-qualifizierten Arbeit nachzudenken. Inzwischen habe ich die Seiten des Schreibtisches gewechselt und analysiere diese sehr innovative Branche, in der ich selbst gearbeitet habe, unter medienwissenschaftlichen Gesichtspunkten.
Das ist sehr aktuell. Unser Leben wird immer schnelllebiger.
Boucher: Ja. Und viele Menschen reflektieren nicht mehr, was sie tun, lesen oder sehen. Sie funktionieren nur und denken von einem Projekt zum anderen, von einer Schlagzeile zur nächsten.
Wie wird die kriminalistische Handlung Ihres Romans weiterentwickelt?
Boucher: Rico, der neben seiner Arbeit als Spiele-Entwickler auch als Dozent an der Games Academy arbeitet, wird eines Tages von einer Studentin auf seine verschwundene Freundin angesprochen, weil sie ihre Examensarbeit bei ihm über das Computerspiel schreiben will, das Rico in den 1990er Jahren mit seiner Freundin entwickelt hat. Das setzt ihn unter gewaltigen Druck und im weiteren Verlauf erleidet er Flash Backs, die ihn dazu zwingen, sich mit seiner Vergangenheit und dem Verschwinden seiner Freundin auseinanderzusetzen.
Was nehmen Leserinnen und Leser mit, die sich auf Ihren Roman einlassen?
Boucher: Der Roman bedient gleichermaßen Krimifans, Gamer und Medienkritiker. Er vermittelt die Erkenntnis, dass Vergangenheit aufgearbeitet werden muss, wenn sie nicht unser Leben in der Gegenwart und in der Zukunft belasten soll. Er vermittelt aber auch die in Zoom- und Corona-Zeiten besonders wichtige Erkenntnis, dass die technisch brillantesten und realitätsähnlichsten virtuellen Beziehungen reale menschliche Beziehungen nicht ersetzen können.
Warum schreiben sie als Hochschullehrer und Autor nicht nur wissenschaftlich, sondern auch literarisch?
Boucher: Oh, ich schreibe sehr viel mehr wissenschaftliche Texte. Aber Wissenschaftler und literarische Autoren verbindet das Forschen, Schreiben und Wissen vermitteln. Wenn Romane schlauer machen und Wissenschaft unterhaltsam ist, dient das allen. Mich motiviert, dass ich auf Fakten basierend schreiben kann. Ich liebe es, Realitäten aufzugreifen und zu recherchieren und zwischen diese dann eine fiktive Geschichte hineinzuflechten. Meine nächsten Romane werden historische Gegebenheiten behandeln. Im kommenden Jahr erscheint ein Buch, das in der Filmindustrie des Jahres 1944 spielt. Aktuell entführt mich ein Projekt in das Umfeld der deutschen Gesandtschaft in Teheran – in 1929. Für beide war ich wochenlang in in- und ausländischen Archiven unterwegs. Und die Fakten und Dokumente, auf die ich stoße, setze ich natürlich auch in meinen Lehrveranstaltungen ein.
Mehr zum Autor und zum Buch
Stefan Bouchers in der Edition Vi:Jo veröffentlichter Roman: „Long Forgotten – Zukunft hat Vergangenheit“ (374 Seiten) ist im Buchhandel als Hardcover (24,90 Euro) und als Softcover (16,90 Euro), sowie bei Amazon als Taschenbuch (13,90 Euro) und als E-Book (6,79 Euro) erhältlich.
Wer mehr über den Literaten Stefan Boucher erfahren möchte, dem seien seine Internetseiten empfohlen: www.stefanboucher.de.
Dieser Text erschien am 30. November im Lokalkompass der Mülheimer Woche