Wie die meisten im Saal hat sich auch Porscha im Bündnis für Bildung und damit für den Bürgerentscheid zum Erhalt des weiterführenden Schulstandortes an der Bruchstraße engagiert. „Dass das Wählervotum von 17?000 Ja-Stimmen für den Erhalt des Schulstandortes von den etablierten Parteien gar nicht wahrgenommen worden ist“, macht für ihn die Gründung eines neuen Wähler- und Bürgerbündnisses „zu einer absoluten Notwendigkeit, um sich als Bürger Respekt zu verschaffen, den Lobbyismus zu beenden und Kommunalpolitik selbst positiv zu beeinflussen.“ Porscha, der sich „nur im Hintergrund und nicht in der ersten Reihe engagieren möchte“, hat Angst, dass nach der Hauptschule auch der Sportplatz und die Kleingartenanlage an der Bruchstraße Einfamilienhäusern weichen und das Quartier zur „Ruhestätte“ degenerieren könnte.
Wie der Berufsschullehrer Andreas Rohde und der Betriebswirt Detlef Puchar, ist Porscha davon überzeugt, dass das Bündnis vor allem Bürger gewinnen kann, „die sich bei den etablierten Parteien nicht mehr aufgehoben fühlen.“
Neben Akteuren aus dem Bündnis für Bildung, allen voran dem Sozialpädagogen Richard Grohsmann vom Jugendzentrum Stadtmitte, und den Linken-Ratsmitgliedern Achim Fänger und Carmen Matuszewski sowie zwei Mitgliedern des linken Frauenverbandes Courage sitzen auch „interessierte Bürger, die einfach mal zuhören und schauen wollen, wohin das geht“, mit am Tisch. Zu diesen interessierten Bürgern gehört auch die Rektorin der trotz gewonnenem Bürgerentscheid vor dem Aus stehenden Max-Kölges-Schule, Gabriele Klar. Sie will sich an diesem Abend aber nicht äußern. Dafür diskutiert ihr 18-jähriger Sohn, der Physikstudent und Jugendstadtrat Leonhard Klar, mit über Satzung und Programm, ehe er später am Abend in den fünfköpfigen Vorstand gewählt wird. „Ich will hier mitmachen, weil ich mich schon immer für Politik interessiert habe und mich dafür einsetzen möchte, dass es in Mülheim ein flächendeckendes und gutes Bildungsangebot für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gibt,“ erklärt Klar sein Engagement. Er sieht das neue Bündnis „als offenes Forum für interessierte Bürger und als ein Zeichen dafür, dass viele Bürger etwas anderes wollen, als das, was ihnen von den etablierten Parteien geboten wird.“
Als resolute Moderatorin, die jeden Teilnehmer zu Wort kommen lässt, aber auch konsequent eingreift, wenn ein Debattenbeitrag aus dem Ruder zu laufen droht, führt die an der Max-Kölges-Schule tätige Theaterpädagogin Claudia Butta durch den Abend. So bekommt ein Veranstaltungsteilnehmer nicht nur von ihr, sondern auch von Achim Fänger und Richard Grohsmann kräftig Kontra, als er fordert, das Bekenntnis zur deutschen Leitkultur in das Programm zu schreiben. Schnell wird deutlich, dass er damit allein auf weiter Flur steht. Grohsmann und andere machen deutlich, dass sich das Bündnis, das seine Wurzeln im 94-Nationen-Stadtteil Eppinghofen hat, zur Anerkennung und Toleranz gegenüber allen Kulturen und Religionen bekennt.
Zunächst wird jedoch über den Namen des Bündnisses diskutiert. Dann kommen ein zweiseitiges Thesenpapier zur Kommunalpolitik und eine vierseitige Satzung auf den Tisch. Bei der Namenswahl setzt sich das „Bündnis für Bürger“ knapp gegen das „Bündnis für Bildung“ durch. Dieser Name sei einfach offener und spreche mehr Menschen an, findet nicht nur Achim Fänger.
Bei der Programmdiskussion, die jetzt immer mittwochs ab 20 Uhr im Vereinslokal von Rot Weiß Mülheim mit interessierten Bürgern fortgesetzt werden soll, betont Claudia Butta: „Das ist alles noch nicht in Stein gemeißelt. Daran müssen wir noch weiterarbeiten. Und deshalb sind wir auch für neue Ideen aufgeschlossen.“
Nach einer kurzen Sitzungspause, treten elf Bürger dem neuen Wahlbündnis bei. Fünf von ihnen (Claudia Butta, Andreas Rohde, Richard Grohsmann, Leonhard Klar und Detlef Puchar) werden in den Vorstand gewählt. Butta und Grohsmann glauben nicht, dass das Bündnis, bei der Kommunalwahl im Mai 2014, wie beim Bürgerentscheid im April 2012 17?000 Stimmen bekommen kann, halten aber 6000 Stimmen und damit fünf bis sechs Ratsmandate für möglich.
Eine Mutter und ihre Tochter, die die Versammlung interessiert verfolgt haben, aber an ihrem Ende dem Bündnis noch nicht beitreten, nehmen den Eindruck mit nach Hause: „Auch wenn die Thesen noch etwas oberflächlich sind, steckt hier viel Energie drin, die frischen Wind in die Mülheimer Politik bringen könnte.“
Erste Programmpunkte
Erhalt aller Schulstandorte und Beachtung des Elternwillens
Einrichtung einer Gesamtschule in Eppinghofen
Gemeinsamer Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung, unterstützt von durch das Land finanzierten Sozialpädagogen
Verbesserung des Öffentlichen Personennahverkehrs. Straßenbahnen sollen erhalten bleiben und durch Busse ergänzt werden.
Kein weiterer „Ausverkauf“ der Stadt.
Erhalt aller Schwimmbäder und dezentraler Sportplätze sowie Ausbau des Breitensportes.
Behutsame Erschließung neuer Gewerbeflächen und bessere Nutzung vorhandener Gewerbeflächen. Förderung von Kleinbetrieben und Rückführung der Aufgaben Wirtschaftsförderung, Stadtmarketing und Tourismus in die Stadtverwaltung.
Mehr Bürgerbeteiligung und eine ganz allgemeine Unterstützung von Bürgerbewegungen. Offene Prozesse mit Presse und Bürgerbeteiligung soll es in allen Bereichen geben, wo immer das rechtlich möglich ist.
Ratsbürgerentscheide sollen zu kontroversen Kernthemen das letzte Wort haben
Dieser Text erschien am 15. November 2013 in der Neuen Ruhr Zeitung