Weil die Jüdische Gemeinde die Gräber ihrer Verstorbenen nicht nach 25 oder 30 Jahren aufhebt und neu belegt, wird der Platz an der Gracht langsam, aber sicher knapp. Marx schätzt, dass neben den 2000 bestehenden Gräbern noch etwa 500 Grabstellen an der Gracht frei sind. „Damit kommen wir noch 20 oder 30 Jahre aus, wenn wir dort, wo es gewünscht wird, bis zu vier Familienangehörige übereinander beerdigen“, glaubt der Gemeindevorstand.
Weil der Friedhof an der Gracht aber auch danach noch erhalten bleiben soll, will die Jüdische Gemeinde noch in diesem Jahr damit beginnen, ihren Friedhof zu renovieren: Mauerwerk und Wege des alten Friedhofes müssen ebenso erneuert werden, wie das Dach der 1920 errichteten Trauerhalle und die Ornamente ihrer Eingangstür. Die unter Denkmalschutz stehende Trauerhalle soll auch eine Heizung und eine Toilette erhalten. Außerdem müssen Gitter und Schlösser am Friedhofseingang überarbeitet werden.
Marx und seine Mitstreiter aus der Gemeinde haben von einem Mülheimer Bürger bereits 10?000 Euro für diesen Zweck erhalten. Doch noch fehlen rund 50?000 Euro, ehe mit den Bau- und Restaurierungsarbeiten begonnen werden kann. Obwohl die Gemeinde auch eigene Kirchensteuergelder und Fördermittel des Landes in Anspruch nehmen kann, ist sie dringend auf Spenden angewiesen, weil sie neben ihrem Friedhof eine noch sehr viel größere Sanierungsaufgabe in ihrem 1999 errichteten Gemeindezentrum stemmen muss, die mit drei Millionen Euro zu Buche schlägt.
„Weil es bei der Bauausführung damals offensichtlich Mängel gab, müssen wird dort heute schon das Mauerwerk und die Fenster erneuern“, bedauert Marx. Weil die Jüdische Gemeinde aus Sicherheitsgründen hinter Panzerglas beten muss, wird vor allem die Erneuerung der Fenster im Gemeindezentrum eine teuere Angelegenheit.
„Natürlich ist das schade, aber das ist eben so“, kommentiert Marx die Tatsache, dass die Jüdische Gemeinde auch 75 Jahre nach der Reichspogromnacht und 68 Jahre nach Kriegsende immer noch von Neonazis und arabischen Fanatikern als Angriffsziel gesehen wird. „Ich selbst habe noch keinen Antisemitismus zu spüren bekommen und kann unbehelligt durch die Stadt gehen“, betont Marx. Mit Blick auf den Friedhof an der Gracht erinnert er sich aber daran, dass vor drei oder vier Jahren jemand ein Hakenkreuz an die Tür der Trauerhalle geschmiert habe.
Auf dem Jüdischen Friedhof finden sich inzwischen auch einige Gräber aus der Zeit des Nationalsozialismus, obwohl die meisten Gemeindemitglieder damals in ihrer Heimatstadt keines natürlichen Todes starben, sondern in Konzentrationslager deportiert und dort ermordet wurden.
Wer die Jüdische Gemeinde bei der Restaurierung unterstützen möchte, erreicht Patrick Marx in der Schloss-Apotheke (Schloßstraße 4) unter der Rufnummer: 0208/47?0054
Die Entwicklung der Jüdischen Gemeinde
1508 wird in Mülheim erstmals eine Jüdische Gemeinde erwähnt, die damals aus etwa 30 Familien bestand.
1700 wird der Friedhof an der Gracht eröffnet
1794 bekommt die Gemeinde eine Synagoge am Notweg, der heutigen Friedrich-Ebert-Straße
1907 wird eine größere Synagoge am Viktoriaplatz eingeweiht
1933 zählen etwa 600 Mitglieder zur Jüdischen Gemeinde. Etwa 270 jüdische Mitbürger werden bis 1945 von den Nazis ermordet.
1938 wird die Synagoge am Viktoriaplatz in der Reichspogromnacht niedergebrannt
1960 bezieht die neue 120-köpfige jüdische Gemeinde eine kleine Synagoge an der Kampstraße
1989 beginnt die Zuwanderung neuer Gemeindemitglieder aus der ehemaligen Sowjetunion, die heute etwa 98 Prozent der 2800 Gemeindemitglieder stellen.
1999 Die Gemeinde, zu der neben 1000 Mülheimern auch Oberhausener und Duisburger gehören, eröffnet im Duisburger Innenhafen ein neues Gemeindezentrum.
2013 Im Gemeindezentrum finden nicht nur Gottesdienste statt, die in der Regel von 30 bis 60 Gemeindemitglieder und an Festtagen von bis zu 150 Gemeindemitgliedern besucht werden. Hier finden auch Kulturveranstaltungen oder Jugend, Senioren- und Frauentreffen statt. Außerdem gibt es einen jüdischen Kindergarten. Den aktiven Gemeindekern schätzt Patrick Marx auf etwa 300 Mitglieder.
Dieser Text erschien am 16. November 2013 in der Neuen Ruhr Zeitung
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