Als junger Schreiner hätte sich Stefan Helmus nicht
vorstellen können, eines Tages als Bestatter zu arbeiten. Doch dann traf er vor
30 Jahren im Sommerurlaub Mirjam Fohrmann, deren Eltern ein Möbelhaus mit einem
angeschlossenem Bestattungsinstitut betrieben. Bald segelten die beiden in den
Hafen der Ehe und wurden auch beruflich ein Paar. Irgendwann fragte ihn der
Schwiegervater, ob er ihm bei der Überführung eines Verstorbenen helfen könne.
Der heute 49-Jährige half und begann damit eine zweite Berufslaufbahn, die ihn
zum Bestattungsmeister und Thanatologen werden ließ. Thanatologen sind
Fachleute, die auch schwer verletzte Unfall-Opfer mit Schminke, Wachs und
Füllstoffen so präsentieren, dass sich die Hinterbliebenen bei der Aufbahrung
würdevoll von ihnen verabschieden können. Genau das leisten Helmus und sein
ebenfalls entsprechend ausgebildeter Sohn Tristan an diesem Tag bei einem
jungen Mann, der sich von einer 100 Meter hohen Brücke in den Tod gestürzt hat.
Wenn Helmus, mit schwarzem Kittel, Einweghandschuhen und Mundschutz die vor ihm
auf einer Stahlbahre liegenden Verstorbenen versorgt, mutet er wie ein Arzt am
Operationstisch an.
„Man darf solche Situationen nicht zu nah an sich
heranlassen, sondern muss sich in diesem Moment ganz auf das Handwerkliche
konzentrieren“, antwortet Helmus auf die Frage, wie er mit solchen belastenden
Augenblicken seines Arbeitsalltages umgeht. „Wenn man seine Arbeit getan hat,
muss man sie hier im Bestattungshaus lassen und die Türe abschließen“, sagt er.
Obwohl auch seine Frau Mirjam und die beiden erwachsenen Söhne Tristan und
Leander im Familienbetrieb mitarbeiten, der seit gut 20 Jahren keine Möbel
mehr, sondern nur noch Bestattungsdienstleistungen anbietet, sind
Arbeitsgespräche nach Feierabend Tabu. Doch diese Regel lässt sich nicht immer
durchhalten. Denn wenn nicht einer seiner zwölf Mitarbeiter, sondern er selbst
Bereitschaftsdienst hat, ist das Handy immer griffbereit. Denn der Tod kennt
keinen Acht-Stunden-Tag. Kunden, die die Dienste der Bestatter-Familie Helmus-Fohrmann
in Anspruch nehmen müssen, rufen zu jeder Tages- und Nachtzeit oder auch
sonntags an, wenn die Familie vielleicht gerade frühstückt oder bei einem
Spaziergang unterwegs ist.
„Dann muss man sofort
umschalten und nicht nur sein Fachwissen, sondern auch sein Einfühlungsvermögen
mit einbringen. Denn die Menschen, die zu uns kommen, sind in der Regel in einer
seelischen Ausnahmesituation“, schildert der Bestattermeister, der seinen Beruf
„meine Berufung“ nennt, die entscheidende Herausforderung seines Alltags. Gibt
es Erfolgserlebnisse im Berufsleben eines Bestatters? „Ja, wenn ich spüre, dass
ich Hinterbliebenen ein Stück Halt und Trost geben kann, indem ich ihnen
beistehe und dafür sorge, dass sie ihre Trauer besser bewältigen können. So
können sie sich von ihrem Angehörigen würdig verabschieden und ihn so in einer
guten Erinnerung behalten“, sagt Helmus. Nach einer Mitarbeiterbesprechung, die
ein wenig wie ein Familienfrühstück anmutet, weil nicht nur über Dienstliches,
sondern auch über Privates gesprochen wird und werden darf, fährt er zum
Urnenfriedhof des Familienunternehmens, um mit seinem Mitarbeiter Marc Burian
eine Urnenbestattung vorzubereiten. Etwa 75 Prozent seiner Kunden wählen heute
diese vergleichsweise preiswerte und pflegefreie Bestattungsform. Das
Kolumbarium an der Augustastraße wirkt mit seinen holzvertäfelten oder
verglasten Urnenstellplätzen fast wie ein Wohnzimmer. Vor den Grabfächern
findet man nicht nur Blumen, sondern auch kleine Engel oder LED-Kerzen. Echte
Wachskerzen sind aufgrund der Brandgefahr im überdachten und für Angehörige
(per Zahlencode) rund um die Uhr zugänglichen Kolumbarium nicht erlaubt.
Besonders lebendig wirken die verglasten Urnengrabstellen, die den Blick auf
die Urne mit den sterblichen Überresten und auf ein Foto des Verstorbenen
freigeben. Helmus öffnet die sonst verschlossene Wand, um die Urne mit der Asche
des Verstorbenen in das für sie vorgesehene Grabfach heben zu können und die
Urnengrabstelle danach wieder zu verschließen. Er beendet die kurze
Beisetzungsfeier, in dem er einen irischen Toten-Segen vorliest. Anschließend
inspiziert er mit einem Handwerker die gerade eingesetzten Glastüren des
Erweiterungsbaus und zeigt die Stellen auf, wo noch nachzuarbeiten ist. Danach
baut Helmus mit im Gartenhof des Kolumbariums Sitzgarnituren und einen
Zelt-Pavillon auf, für den „Tag der offenen Tür“. Und dann geht es zurück an
den Schreibtisch.
„Von der Wiege bis zur Bahre. Formulare, Formulare“, meint
Helmus mit einem Augenzwinkern, während er mal telefoniert und dann per Hand
wieder seine Unterlagen bearbeitet. Jeder Verstorbene, den Helmus und seine
Mitarbeiter auf dem letzten Weg begleiten, bekommt eine Akte, die auch nach der
Beisetzung (zehn Jahre lang) im Bestattungshaus aufbewahrt werden muss. Nicht
nur Aufträge und Rechnungen, sondern auch Anschreiben an Versicherungen und
Ämter, standesamtliche Beurkundungen, Willensbekundungen, Meldebescheinigungen,
Sterbefallanzeigen und Totenscheine gehören zum Papierberg, den Bestatter
täglich zu bewältigen haben, damit auch nach dem Tod alles seine Ordnung hat
und Verstorbene auch aus den Registern der Rentenversicherung, der Krankenkasse
oder des Einwohnermeldeamtes zeitnah entfernt werden. „Für die Abwicklung einer
Bestattung, in die wir 20 bis 30 Arbeitsstunden investieren müssen, haben wir
maximal acht Tage Zeit. Das bedeutet, wir stehen immer unter Zeitdruck, müssen
aber unseren Kunden zeigen, dass wir für Sie alle Zeit der Welt haben“,
beschreibt Helmus seinen beruflichen Spagat zwischen Effizienz und
Einfühlungsvermögen. Auch an diesem Tag lässt er seine Papiere liegen, als erst
ein Kunde kommt, mit dem er in der Sarg- und Urnen-Ausstellung des
Bestattungshauses das passende Erdmöbel für eine Beerdigung aussucht und
anschließend zu einer Mutter fährt, deren Sohn an diesem Tag im Krankenhaus
gestorben ist. Zeit für Gespräche „Ein solches Gespräch kann 15 Minuten, aber auch
drei Stunden dauern“, sagt Helmus. Der Bestatter weiß aber auch, „dass das
Leben jeden Tag gelebt werden muss, weil jeder Tag der Letzte sein kann.“ Und
deshalb gönnt er sich jenseits seiner anspruchsvollen Arbeit auch erholsame
Spaziergänge, Urlaubsreisen, Segeltörns, Ausritte oder Kino- und
Restaurant-Besuche. Am liebsten im Kreise seiner Lieben.
Dieser Text erschien am 12. November 2016 in der Neuen Ruhr Zeitung