Sonntag, 31. Juli 2022

Top Ten

 Stadtarchiv und Spannung. Diese beiden Begriffe wird nicht gleich jeder miteinander in Verbindung bringen. Und doch kommt der Besuch des Stadtarchivs im Haus der Stadtgeschichte an der Von-Graefe-Straße einer spannenden Zeitreise gleich, bei dem man historische Schätze entdecken kann. Der Leiter des Stadtarchivs Dr. Stefan Pätzold und sein Stellvertreter Jens Roepstorff begeben sich mit dieser Zeitung auf eine solche Entdeckungstour durch das Magazin des Archivs, wo das auf Papier dokumentierte kollektive Gedächtnis der Stadt, immer schön dunkel, vor Tageslicht geschützt, und bei optimalen Raumtemperaturen gelagert wird.

Top 1:

Als ältestes Dokument des Stadtarchivs stellt uns Archivleiter Dr. Stefan Pätzold eine mit Tinte und Federkiel kunstvoll auf Pergament geschriebene Urkunde von 1221 vor. Die 49,5 Zentimeter breite und 29 Zentimeter hohe Urkunde, die das Stadtarchiv seit 1974 als Leihgabe der Pfarrgemeinde St. Mariä Himmelfahrt verwahrt, ist für ihr Alter erstaunlich gut erhalten. Sie beurkundet eine Waldschenkung an kurz zuvor gegründete Kloster Saarn, in dem bis 1808 Zisterzienserinnen beteten und arbeiteten. Die in Latein verfasste Schenkungsurkunde berichtet, dass der Kölner Erzbischof Engelbert 1216 bei der Einweihung des Klosterfriedhofes, sinngemäß und salopp gesagt, festgestellt habe, dass die Saarner Klosterfrauen arm wie die Kirchenmäuse waren. Deshalb drängte er vermögende Grundbesitzer zu der Schenkung an das Saarner Kloster, indem er sie ermahnte, auf diese Weise zur Sicherung ihres Seelenheils beizutragen.

TOP 2

Auch die alten Mülheimer wollten gut informiert sein. Das zeigt uns Roepstorff, indem er eine DINA-5 große Kladde aus dem Jahr 1797 aufschlägt, in der sich der erste Jahrgang der Mülheimer Zeitung befindet. Die erste Ausgabe datiert auf den 3. Januar. „Mülheimer Zeitung – von Kriegs- und Staatsgeschäften“ lesen wir im Titelkopf. Ihre erste Ausgabe im neuen Jahr 1797 beginnt die Mülheimer Zeitung mit einem Gedicht, in dessen ersten Versen es heißt: „Blutig und schrecklich verfloss, durch Ströme von Tränen begleitet, das nun vergangene Jahr. Ach! Die Menschheit bebt und erschaudert zurück vor dem Dunkel, welches die Zukunft bedeckt! Man sieht: Zukunftsängste angesichts unsicheren Kriegs und Krisenzeiten sind nichts Neues. Schon ab der zweiten Ausgabe lässt ihr Herausgeber, der Buchdrucker Gerhardt Wilhelm Blech, die Mülheimer Zeitung, zweimal wöchentlich, mit dem etwas weniger martialischen Untertitel „von neuesten Begebenheiten“ erscheinen.

TOP 3

Mit dem nächsten Archivschatz, den uns Pätzold in Form eines Amtsregisters anno 1893 aus dem Magazin holt, werden wir weltlich, bleiben aber in Saarn. Dort beurkundet ein Standesbeamter der Landbürgermeisterei unter dem 10. Juni des Jahres, dass dem Medizinalrat Dr. Eduard Pankok und seiner Frau Maria (geborene Frühling) am 6. Juni vormittags um halb 12 in Saarn ein Sohn Namens Georg Karl Otto geboren worden ist, den wir heute als berühmten Künstler und Namenspatron der Schule kennen, an der er selbst 1912 das Abitur abgelegt hat. „Der heutige Stadtteil Saarn gehörte 1893 zur damals noch eigenständigen Landbürgermeisterei Broich“, erklärt uns der Stadtarchivleiter den historischen Zusammenhang. Interessant: Auf der Geburtsurkunde Pankoks sind auch sein Hochzeitstag (14. April 1921) und sein Todestag (20. Oktober 1966) verzeichnet.

 

TOP 4

Mit Jens Roepstorff gehen wir im Magazin des Stadtarchivs einige Schritte von 1893 ins Jahr 1905. Er öffnet einen langen schmalen Karton, in dem eine auf den 21. September 1905 datierte Pergament-Urkunde liegt. In deutscher und hebräischer Sprache berichtet die Urkunde von der Grundsteinlegung des 1907 vollendeten Synagogen-Baus am Viktoriaplatz, der heute Synagogenplatz heißt. Dort, wo die am 9. November 1938 vom damaligen Feuerwehrchef Alfred Freter im Auftrag der NS-Machthaber in Brand gesetzte Synagoge stand, steht seit 2009 das Medienhaus, an dessen unterer Frontseite ein Relief an die Synagoge erinnert. „Diese Urkunde war zusammen mit einer Tageszeitung vom 21. September 1905 in den Eckstein des am 2. August 1907 eingeweihten jüdischen Gotteshauses eingemauert worden. Diese Urkunde kam auf einem heute nicht mehr nachvollziehbaren Weg ins Stadtarchiv, wo es 1999 im Magazin entdeckt wurde “, weiß Roepstorff zu berichten.

TOP 5

Wir gehen mit Stefan Pätzold im Magazin des Stadtarchivs vom Jahr 1905 ins Kriegsjahr 1917 und schlagen mit ihm eine Kladde auf, in der Abgangszeugnisse der 1892 gegründeten Luisenschule gebunden sind. Der Leiter des Stadtarchivs schlägt die Seite mit dem Abgangszeugnis von Clärenore Stinnes auf, die in den Jahren 1927 bis 1929 als erster Mensch mit einem Auto die Erde umrunden wird. Ihr Reisebegleiter, der schwedische Fotograf, Carl-Axel Söderström, wird 1930 ihr Ehemann. Das Paar lebt auf einem Landgut ihres Vaters, des Mülheimer Großindustriellen und Großunternehmers Hugo Stinnes (1870-1924), der sich selbst untertreibend als „Kaufmann aus Mülheim“ bezeichnet. Bis zu seinem Tod ist Clärenore Vertraute und Assistentin des Vaters. Doch nach seinem Tod verweigert ihr die Mutter den Eintritt in die Unternehmensleitung. In ihrem Zeugnis wird uns Clärenore Stinnes als Tochter des Kaufmanns Hugo Stinnes vorgestellt, die am 21. Januar 1901 in Mülheim geboren ist und vom Herbst 1912, bis Ostern 1917 das Lyzeum der Stadt Mülheim besucht hat. Erst 56 Jahre nach Clärenore Stinnes‘ Schulentlassung, 17 Jahre vor ihrem Tod, nimmt die Luisenschule auch Schüler auf. Ironie der Geschichte: Während Clärenores Abgangszeugnis ihr gute Noten in Englisch und Deutsch bescheinigt, bekommt die Frau, die später in einem Adler-Standard-6-Automobil die Erde umfahren wird, in Erdkunde eine Fünf.

TOP 6

Während Clärenore Stinnes die Welt mit friedlicher Abenteuerlust durchfuhr, ließ Adolf Hitler ab 1939 Deutschlands Nachbarn in einem Angriffskrieg von der Wehrmacht überfallen. In diese dunkle Zeit führt uns Archivar Jens Roepstorff mit einem Flugblatt, das die britischen und amerikanischen Flugzeuge 1944 und 1945 über unserer Stadt abwarfen. „Es ist ein in deutscher und englischer Sprache verfasster Passierschein, der vom alliierten Oberkommandierenden General Dwight D. Eisenhower unterzeichnet worden ist und allen deutschen Soldaten, die von der Wehrmacht desertieren, sicheres Geleit, gute Versorgung, medizinische Behandlung und eine baldige Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft verspricht. Dieses und andere Flugblätter haben wir als Nachlass des gebürtigen Speldorfers Karl-Heinz Schauenburg bekommen“, berichtet Roepstorff. Auch in dieser Zeitung hat der 1929 geborene und 2019 verstorbene Karl-Heinz Schauenburg davon berichtet, wie er als Schüler während des Krieges alliierte Flugblätter heimlich sammelte und versteckte, und so erstmals von den Verbrechen erfuhr, die im Namen der NS-Ideologie und im Namen Deutschlands begangen wurden. Auf einem dieser Flugblätter, so Schauenburg, wurde der damalige Reichsstatthalter von Dänemark, Werner Best, mit den Worten zitiert: „Vernichtung fremden Volkstums widerspricht den Lebensgesetzen nicht, wenn sie vollständig geschieht.“ Umso mehr war Schaumburg entsetzt, als er später davon erfuhr, dass dieser Werner Best nach dem Krieg in Mülheim wohnte und als Justiziar bei Stinnes gearbeitet hatte.

 

TOP 7

Von dem Flugblatt, das die Alliierten während des Zweiten Weltkriegs über Mülheim abwarfen, gehen wir mit Archivleiter Stefan Pätzold zu einem Foto, das das Kriegsende in Mülheim dokumentiert, indem es amerikanische Soldaten der 79. US-Infanteriedivision auf der Schloßstraße zeigt. „Dieses Bild, das von dem Mülheimer Wilhelm Neuhoff am 11. April 1945 gemacht worden ist, obwohl es damals verboten war, Soldaten zu fotografieren, ist eines von sehr wenigen Fotos, dass wir von dem Tag haben, an dem in unserer Stadt der Krieg zu Ende ging“, erklärt Pätzold. Bei ihrem Einmarsch in die Innenstadt waren bei einem Schusswechsel am Dickswall noch einmal amerikanische und deutsche Soldaten gestorben. Die GIs waren in Mülheim nur die militärische Vorhut der britischen Rheinarmee, die am 5. Juni 1945 als Besatzungsmacht und Militärregierung, die die Befehlsgewalt und Verantwortung für eine Trümmerstadt mit 88.000 Einwohnern übernahmen, auf deren Straßen nach 160 Luftangriffen 800.000 Kubikmeter Schutt lagen. Erst 1953 wurde Mülheim für „trümmerfrei“ erklärt.

Top 8

Wir kommen noch einmal auf den 1893 in Saarn geborenen Maler, Grafiker und Bildhauer Otto Pankok zurück und gehen mit Jens Roepstorff ins Jahr 1945. In einer städtischen Aktenmappe wird ein Brief Pankoks an die Ehefrau des damals von der britischen Militärregierung abgesetzten und internierten, aber später wieder in sein Amt eingesetzten Oberbürgermeister Edwin Hasenjaeger (1888-1972) aufbewahrt. Unter dem 24. September 1945 schreibt Pankok an seine Adressatin: „Sobald ich von ihrem Unglück in Mülheim erfuhr, habe ich Ihnen diesen Brief geschrieben. Wenn  ich etwas unternehmen kann, dann will ich es tun. Bitte, teilen Sie mir mit, ob von anderer Seite etwas unternommen worden ist. Machen Sie von meinem Brief Gebrauch, wie Sie es für richtig halten!“ In einem mit Schreibmaschine verfassten Brief an die britische Militärregierung, der Pankoks handschriftlichem Brief beiliegt, setzt sich Otto Pankok für die Freilassung und politische Rehabilitation Hasenjaegers ein. Er weist darauf hin, dass ihn Hasenjaeger in der Zeit des Nationalsozialismus, als der regimekritische Pankok als „entarteter Künstler“ angesehen wurde, mit Ausstellungsmöglichkeiten und Werkkäufen unterstützt habe. Außerdem weist er darauf hin, dass Hasenjäger in seiner 1936 begonnen Amtszeit, die ruinierten Stadtfinanzen saniert und die Lebensmittelversorgung während des Krieges vorbildlich geregelt habe. Sein Eintritt in die NSDAP sei 1937 nur unter dem Zwang der damaligen Verhältnisse zustande gekommen.

Top 9:

Wir schreiten mit dem Leiter des Stadtarchivs voran ins Jahr 1950 und finden im Magazin mit dem Programmheft des legendären Löwenhof-Kinos ein filmreifes Zeitdokument. „Das ist uns durch eine private Schenkung in die Hände gekommen“, berichtet Stefan Pätzold. Der 1946 eröffnete und von Max Uhle geführte Löwenhof stand bis zu seinem umstrittenen Abriss 1980, an der Ecke Bahnstraße/Eppinghofer Straße, auf halbem Weg zwischen Hauptbahnhof und Schloßstraße. Der Kinobetreiber, der seine Gäste 1950 auf Holzklappsitzen Platz nehmen lässt,  preist den Löwenhof in seinem Programmheft vom November 1950, „als eines der modernsten Theater des Westens“ an, dessen „Technik der Zeit weit vorausgeeilt ist.“ Er weist darauf hin, dass hier nicht nur Filme aus deutscher Produktion und aus der Weltproduktion, sondern auch Fox‘ Tönende Wochenschau zu sehen ist. Zwei Jahre vor der Einführung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sind die Wochenschauen im Kino-Vorprogramm eine beliebte filmische Informationsquelle über das Weltgeschehen. „Film ab!“ heißt es im November 1950 für den Liebesfilm „Ein Herz schlägt für dich“ mit Rudolf Prack und Anneliese Rheinhold in den Hauptrollen, das amerikanische Liebesdrama „Schweigende Lippen“ mit Jane Wyman und Lew Ayres in den Hauptrollen. Darüber hinaus können sich die Kinozuschauer im Herbst 1950 auch auf „Pat und Patachon als Mädchenräuber“, auf den Kriminalfilm „Der Schatten des Herrn Molitor“ mit Karl Raddatz in der Hauptrolle und auf die Filmbiografie „Eroica“ freuen, in der der Wiener Burgschauspieler Ewald Walser Ludwig van Beethoven verkörpert.

TOP 10:

Auch Karl Mays Helden Winnetou, Old Shatterhand und Co kannten die Mülheimer von der Kinoleinwand. Doch das Plakat, das uns Jens Roepstorff zum guten Schluss unserer Zeitreise als „einen Schatz im Stadtarchiv“ präsentiert, erinnert an die Karl-May-Fest-Spiele, bei denen Winnetous und Old Shatterhands Erben vom 25. Juni bis zum 21. Juli 1971 durch die 37 Jahre zuvor eröffnete Freilichtbühne an der Dimbeck ritten. Die Hauptdarsteller ritten auch werbewirksam durch Innenstadt und rauchten mit Oberbürgermeister Heinz Hager eine Friedenspfeife. Etliche Mülheimer Schüler besserten als Karl-May-Statisten im Sommer 1971 ihr Taschengeld auf. Doch obwohl insgesamt 40.000 Karl-May-Fans Winnetou, Old Shatterhand und das Geheimnis der Bonanza in der Freilichtbühne miterlebten, blieb der Wilde Westen an der Dimbeck aus Kostengründen ein einmaliges Erlebnis.


Meine Texte für NRZ/WAZ


Zum Stadtarchiv



Samstag, 30. Juli 2022

Aber bitte mit Sahne

 „Wir machen nicht zu, sondern weiter!“ Diese Botschaft ist Anke und Friedhelm Großenbeck angesichts immer wiederkehrender Schließungsgerüchte wichtig. Das Mülheimer Konditoren-Paar leitet in siebter Generation das Stadtcafé Sander am Kohlenkamp. Der Familienbetrieb kann auf eine 262-jährige Geschichte zurückblicken.

„Solange wir gesund bleiben und unser tolles Team weiter so mitzieht, wie bisher“, machen wir weiter“, betonen der 62-Jährige und die 57-Jährige, die beide das Konditorenhandwerk gelernt haben und seit 1990 an der Spitze der Traditions-Konditorei stehen, die unter anderem zwei Weltkriege, eine Revolution, eine Hyperinflation und eine Diktatur überlebt hat.


Erst 2015 haben die Großenbecks viel Geld in die Hand genommen, um das Stadtcafé zu modernisieren und den Wohlfühlfaktor der Kundschaft zu erhalten. „Unsere 1989 und 1991 geborenen Kinder Martin und Anja haben bereits als Schüler als Bedienung im Café mitgearbeitet. Sie haben uns aber schon vor etlichen Jahren signalisiert, dass sie beruflich andere Wege und den Familienbetrieb nicht als achte Generation fortführen wollen“, sagen die Großenbecks. Und sie fügen hinzu: „Wir respektieren diese Entscheidung unseres Sohnes, der heute bei der Bezirksregierung arbeitet und unserer Tochter, die im internationalen Projektmanagement tätig ist.“


Friedhelm Großenbeck, der schon als kleiner Junge von seinen Eltern Friedrich und Marie hörte: „Du übernimmst ja mal den Betrieb“, hat seine Berufswahl als Konditormeister und Café-Betreiber nie in Frage gestellt. „Als ich 1974 meine Lehre begann und nach meinen Gesellenjahren in Remscheid und Düsseldorf die Meisterschule besuchte, habe ich mir gesagt: ‚Du wärst dumm, wenn du etwas anderes machen würdest‘“, erinnert sich Friedhelm Großenbeck. Auch seine Frau Anke Großenbeck-Holthaus, die als Auszubildende 1982 ins Stadtcafé Sander kam und 1985 ihre Ausbildung als Jahrgangsbeste abschloss“, kann sich noch an die 1970er Jahre erinnern. „Wir hatten damals mehrere Stammtische, die sich bei uns im Café trafen“, berichtet Anke Großenbeck. Und ihr Ehemann ergänzt: „Damals hatten wir es mit Gästen zu tun, die unter dem Eindruck der Hungerjahre während und nach dem Zweiten Weltkrieg standen und die im Zuge des westdeutschen Wirtschaftswunders zu Wohlstand gekommen waren und einen enormen Nachholbedarf hatten. Damals kannte man noch keinen Gesundheits- und Diätwahn. Wer ins Cafè kam, der aß auch schon mal zwei Stücke Kuchen oder drei und gönnte sich bei der Zigarette danach auch noch einen weiteren Kaffee und einen Cognac.“


Die Großenbecks leben und lieben ihren Beruf leben, weil sie das kreative Konditoren Handwerk lieben, „bei dem man sehen und schmecken kann, was man geschafft hat“ und auch das positive Feedback ihrer Kunden, a la: „Das sieht ja wieder toll aus!“ nicht missen möchten. Dennoch verstehen sie die Entscheidung ihrer Kinder, die die Familientradition nicht fortsetzen wollen. „Unsere Kinder scheuen nicht den Arbeitsumfang, sondern eher die betriebswirtschaftlichen Unwägbarkeiten, die man als selbstständiger Konditor in Kauf nehmen muss“, sagt Anke Großenbeck. „Die Stadtmitte hat sich in den letzten Jahrzehnten ja leider auch nicht zu ihrem Vorteil entwickelt. Das unsere Straße als Spielstraße genutzt wird und hier die Fußbälle gegen Fensterscheiben und Werbung knallen, wären früher undenkbar gewesen“, schildert Friedhelm Großenbeck seine unfreiwilligen Alltagsabenteuer als Bewohner und Kaffeehausbetreiber in der Innenstadt.

Doch trotz aller wirtschaftlichen und sozialen Unwägbarkeiten, können sich Friedhelm und Anke Großenbeck eine Zukunft des Stadtcafès Sander vorstellen, die über ihren eigenen Eintritt in den Ruhestand in fünf, sechs, vielleicht aber auch erst in sieben oder acht Jahren, hinaus geht. „Wir könnten uns externe Nachfolger aus dem Konditoren Handwerk vorstellen, aber vielleicht auch Nachfolger, die aus unserem eigenen Team heranwachsen. Ohne unsere großartigen Mitarbeiter könnten wir das Stadtcafe Sander ohnehin nicht betreiben.

 

Ein Stadtcafé mit Geschichte


Der 1714 als Bauernsohn in Dümpten geborene Bäcker Georg Sander gründete 1760 in einem Fachwerkhaus am Kohlenkamp eine Bäckerei, in der er von seiner früh verwitweten Mutter unterstützt wurde. Ebenfalls tatkräftig unterstützt wurde er von seinem 1760 geborenen Sohn Dietrich. Er ging bei seinem Vater in die Lehre und erlebte so den Ausbau der Bäckerei, die bald nicht nur Brot, sondern auch Zuckerwerk und Pfefferkuchen. backte. Außerdem konnte man bei Sander auch seinen eigenen Teig zu Brot verbacken lassen. Nach dem Tod des Vaters übernahm Dietrich 1792 die Leitung des Familienbetriebs und erweiterte das Sortiment um Schokoladenkuchen. Dietrichs 1802 geborener Sohn Hermann trat als einziges von acht Geschwisterkindern in die beruflichen Fußstapfen seines Vaters. Er baute das Kuchensortiment aus und verkaufte auch kandierte Früchte. Außerdem richtete er ein Schaufenster für die Produktpräsentation ein. Als Hermann Sander 1863 starb, war sein Sohn August erst 22 Jahre alt. Er war der erste Konditormeister in der Familie Sander und nahm Spekulatius als Weihnachtsgebäck ins Sortiment auf. Mit seiner Frau Marie Halfmann eröffnete 1868 am Kohlenkamp das Stadtcafé Sander. Nach seinem Tod führte seine Witwe Marie ab 1885 das Stadtcafé weiter. 1895 ersetzte sie das alte Fachwerkhaus durch ein repräsentatives Steinhaus mit moderner Innenbeleuchtung. Zwei ihrer fünf Kinder, zunächst August (1902-1910) und dann Gustav Sander (1902-1950) führten unternehmerische Erbe ihrer 1925 verstorbenen Mutter fort. Nach Gustavs Tod führte seine Witwe Ermine das Stadtcafé für 13 Jahre   bis ins Jahr 1963 als Alleininhaberin weiter. Als Tochter eines Duisburger Konditormeisters war Ermine Sander (1894-1980) eine Frau vom Fach. Als Mutter musste mit dem frühen Kriegstod ihrer Söhne Gustav und Helmut leben, die in Russland gefallen waren. Als Betriebsinhaberin bewältigte sie 1952 den stadtplanerisch erzwungenen Neubau des Kaffeehauses am Kohlenkamp 12.


Statt ihrer im Zweiten Weltkrieg gefallenen Brüder Helmut und Gustav, setzte ihre 1921 geborene Schwester Marie Sander die Familientradition fort. Mit ihrem gleichaltrigen Ehemann, dem Konditormeister Friedrich Großenbeck übernahm sie die Leitung des elterlichen Betriebs, in dem sie seit 1936 gearbeitet hatte. Während ihrer fast 30-jährigen Betriebsleitung prägten die 2014 verstorbenen Eheleute die bis heute für das Stadtcafé Sander geltende Firmenphilosophie: „Qualität, die man schmeckt!“ 

Samstag, 23. Juli 2022

Starke Tradition

 Sie lassen die Kirche im Dorf und feiern wieder ihr Schützenfest. Wie die beiden Weltkriege hat jetzt die Coronavirus-Pandemie für eine Unterbrechung dieser Tradition gesorgt. "Wir müssen erst wieder reinkommen", sagt der Brudermeister der Sankt-Sebastianus-Schützenbruderschaft, Stefan Berg. Ein 30-köpfiges Organisationsteam der insgesamt 100 Selbecker Schützen hat es möglich gemacht, dass am dritten Juli-Wochenende am Stockweg gefeiert werden konnte.

Wie in den Vor-Corona-Jahren wurde dort nicht nur der Vogel abgeschossen. Auch Kirmes,- Musik- und Partyfans kamen auf ihre Kosten. "So ein Schützenfest fördert die dörfliche Gemeinschaft. Deshalb sind wir froh, dass auch viele Kinder und Jugendliche unter den Besuchern sind", betonen Schützenkönig Marcus Bause (47) und seine Schützenkönigin Vanessa (42). Die Beiden sind auch jenseits der Schützenbruderschaft ein Paar. "Ich kann mir durchaus vorstellen in einem der kommenden Jahre selbst den Vogel abzuschießen und dann als Schützenkönigin meinen Ehemann als Prinzgemahl zu wählen", betont Vanessa Bause.

Sie ist der lebende Beweis dafür, dass auch eine Schützenbruderschaft, die 121 Jahre auf dem Buckel hat, mit der Zeit gehen. Längst kann nicht nur Mann bei den Selbeckern den Vogel abschießen. Den aktuellen Beweis liefert Schützenschwester Melina Kammann, die als Schützenprinzessin der U-25-Schützen den Vogel abgeschossen hat. Und auch an den Erfordernissen der schönen neuen Arbeitswelt sind die Selbecker Schützen nicht vorbeigekommen. Vor sieben Jahren haben sie ihr Schützenfest von vier auf drei Tage gekürzt und sich mit Rücksicht auf das Berufsleben ihrer Mitglieder den blauen Schützenmontag gespart.

"Inzwischen ist bei uns auch die Ökumene eingekehrt. Früher konnten nur katholische Männer Schützenbrüder werden. Heute erwarten wir nur noch die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche, weil wir uns weiterhin als christlicher Verein verstehen", betont Schriftführer Dominik Oing, der in diesem Jahr den Schützenwettkampf am Stockweg moderierte.

Und natürlich durfte beim Selbecker Schützenfest auch der Umzug durchs Dorf und der anschließende Krönungsball im Festzelt nicht fehlen. "Das kann sich jeder leisten. Und es ist empfehlenswert, weil es einfach viel Spaß macht", machen Marcus und Vanessa Bause potenziellen Thronfolgern Mut. Natürlich wird auch von ihnen ein festlicher Ornat, der Besuch befreundeter Schützengesellschaften und so manche Saalrunde erwartet, die nach ihren Berechnungen mit 1200 bis 2000 Euro in ihrer Haushaltskasse zu Buche schlagen werden. Allerdings wird ihre einjährige Regentschaft auch von der Schützenbruderschaft mit einem Königsgeld unterstützt, "Hoffentlich macht uns das Corona-Virus auch 2023 keinen Strich durch die Rechnung. Denn so gerne wir 2022 die Schützenkönigswürde übernommen haben, so legen wir es doch nicht darauf an, länger auf dem Schützenthron zu sitzen, als uns selbst lieb ist", blickt Schützenkönigin Vanessa Bause hoffend und bangend in die Zukunft. "Schützen und Schützinnen dürfen nur alle fünf Jahre Schützenkönig oder Schützenkönigin sen. Denn schließlich sollen ja möglichst viele Schützengeschwister in den Genuss dieser Ehre kommen", erklärt Marcus Bause das Reglement. Er selbst ist nach 2011 jetzt zum zweiten Mal Schützenkönig geworden.


Zur Sankt-Sebastianus-Schützenbruderschaft



Sonntag, 17. Juli 2022

Hoch hinaus

Als Iduna Hochhaus wurde er gebaut. 50 Jahre nach seiner Vollendung sprechen wir vom Forum-Tower. Der von einer Versicherung Iduna gebaute Wohnturm ist der mit 81 Metern höchste von fünfen, die in den Jahren 1970 bis 1974 am neuen Hans-Böckler-Platz entstanden sind.

In den frühen 1970er Jahren, in denen Mülheim mit absoluter SPD-Mehrheit regiert wurde, bot es sich an, einen neuen und zentralen Platz der Innenstadt nach dem ersten DGB-Vorsitzenden zu benennen.

Wo früher am Hans-Böckler-Platz 1 Mieter der Iduna zu Hause waren, sind seit den 1990er Jahren Eigentümer und Mieter von privaten Wohnungseigentümern daheim. 81 Meter hoch, bietet der Forum Tower auf über 20 Etagen Platz für 242 Wohnungen.

Als Krönung des modernen und urbanen Wohnkomforts gönnte die Iduna als Bauherrin ihren Mietern 1972 auch ein hauseigenes Schwimmbad, von einem Blockheizkraftwerk und einem integrierten Müllentsorgungssystem ganz zu schweigen. Inspiriert vom Versicherungskonzern, ging auch die 1951 gegründete und damals von Horst van Emmerich geführte SWB in den frühen 1970er Jahren am Hans-Böckler-Platz unter die Hochhausbauherrn. Eines ihrer dortigen Hochhäuser dient seit 2006 als Technisches Rathaus.

Als das Iduna-Hochhaus, Baukosten, rund 45 Millionen D-Mark, vor 50 Jahren stand, gingen Oberstadtdirektor, Heinz Heidehoff, Oberbürgermeister Heinz Hager und Baudezernent Philipp Otto Gellinek nicht ohne Stolz durch das neue Haus. Sie ließen sich unter anderem auf dem Balkon des 19. Stockwerks fotografieren. Von dort aus konnten sie schon der nächsten Hochhausbau am Hans-Böckler-Platz in Augenschein nehmen.

So umstritten die Hochhäuser am Hans-Böckler-Platz in der kritischen Rückschau sein mögen, so euphorisch, wurden sie vor 50 Jahren von den Stadtspitzen als Spitze des städtebaulichen Fortschritts gefeiert.

Baudezernent Gellinek sprach von einer „Pioniertat des modernen Städtebaus“. Oberbürgermeister Hager würdigte das Projekt Hans-Böckler-Platz mit seinem hoch hinausgehenden modernen Wohnungsbau als ein „hervorragendes Beispiel für den Städtebau der Zukunft.“ Für ihn war der neue Hans-Böckler-Platz, zu dem auch ein Parkhaus, ein Kaufhaus und ein Einkaufszentrum, der Forum-Vorgänger City Center  gehören sollten, zum Sinnbild, „einer Innenstadt, die mit ihrem verdichteten und multifunktionalen Wohnraum optimal an Dienstleistungen und an den Verkehr angeschlossen wird und so ein echtes Lebenszentrum der Stadt sein kann.“ Der selbst mit einen Innenraumausstattungsgeschäft am Hans-Böckler-Platz ansässige Kaufmann Kurt Remberg nannte das neue Stadtquartier „eine großartige Bürgerinitiative.“ Oberstadtdirektor Heiderhoff, sah das neue Stadtquartier, als „ein gelungenes Beispiel für eine moderne Stadtplanung, die eine Stadt schafft, die Gemeinschaft und individuelle Freiheit stiften und so zum Liebesobjekt ihrer Bürger werden kann.“

1966 hatte Oberstadtdirektor Heinz Heidehoff erste Gespräche mit Investoren geführt. Sein Ziel war die attraktive und verkehrstechnisch angebundene Erweiterung der Innenstadt nach Norden und Osten. Weite Teile des 47.000 Quadratmeter großen Areals zwischen Hingberg, Eppinghofer Straße und Dickswall waren seit dem Kriegsende 1945 Brachflächen. Hier hatten vor dem Krieg unter anderem eine Eisengießerei und eine Kirche gestanden.

Mit dem Ziel einer modernen Innenstadt-Bebauung hatte die Stadt dort ab 1952 systematisch private Grundstücke aufgekauft. Mit den privaten Grundstückseigentümern, der Iduna, der SWB, der Düsseldorfer Treufinanz und der Hertie-Warenhaus-Gesellschaft hatte die Stadt 1969 eine Projektentwicklungsgesellschaft gegründet. Deren Ziel war eine Stadtmitte II unter dem Projektnamen Hans-Böckler-Platz. Im Rahmen einer Aufbaugemeinschaft wurden auch der örtliche Einzelhandelsverband, die Industrie- und Handelskammer und die örtlichen Energie- und Wasserversorger in die Bauplanung einbezogen. Als für die Planung verantwortlicher Architekt wurde Hanns Henning Lautz gewonnen.

Hintergrund des großstädtischen und dem fortschrittsgläubigen Zeitgeist geschuldeten Bauprojekt war die Tatsache, dass Mülheim 1972 mit 193.000 Einwohnern seinen Bevölkerungshöchststand erreicht hatte und Baudezernent Gellinek perspektivisch mit einer Einwohnerschaft von rund 230.000 Menschen rechnete.

Nachdem das neue Wohn- und Dienstleistungsquartier am Hans-Böckler-Platz mit der Eröffnung des City-Centers im März 1974 fertiggestellt worden war, stieg die Einwohnerzahl der Innenstadt auf 25.000. Der Lokalchef dieser Zeitung, Alexander Kranki, schrieb damals über das, auch mit finanzieller Unterstützung des Landes und des Bundes realisierte 300-Millionen-D-Mark-Projekt Hans-Böckler-Platz: „Auf einem riesigen Trümmergelände wurde Utopia zur Wirklichkeit. Hier soll Wohnraumverdichtung die Verödung der Innenstadt verhindern. Im neuen City-Center soll das Leben Spaß machen.“


Meine Beiträge in NRZ und WAZ



Montag, 11. Juli 2022

Nur Mut!

 Um das Thema Depressionen zu enttabuisieren, radeln Betroffene quer durchs Land. Nun machten sie in Mülheim Halt – mit wichtiger Botschaft.

40 Männer und Frauen treten kräftig in die Pedale, um mehr Wissen über das Tabuthema Depression zu verbreiten. Anfang Juli machte der Tandem-Tross der bundesweiten „Mutmach-Tour“ Station auf dem Kurt-Schumacher-Platz in Mülheim, um mit Passanten ins Gespräch zu kommen.

Da passte es gut, dass der Paritätische Wohlfahrtsverband einen Infostand zum Thema aufgebaut hatte, der die Infoflyer der Mutmacher ergänzte. „Ich finde es großartig, dass sich hier Betroffene auf den Weg machen und ihr Gesicht zeigen, um mit den Menschen über ein gesellschaftlich wichtiges Thema zu sprechen“, sagt Tourteilnehmer Ralf Klose. Seine Tandem-Partnerin Paulina Schorn wünscht sich, „dass sich Betroffene und ihre Angehörigen rechtzeitig Hilfe holen und keine Angst haben, um Hilfe zu bitten“. Beide Mutmacher nennen dauerhafte Antriebslosigkeit und Schlaflosigkeit als klassische Symptome einer Depression.

Zur Hilfestruktur, die depressionskranken Menschen und ihren Angehörigen unter die Arme greift, damit die seelische Not nicht übermächtig wird, gehört auch die neue Leiterin des beim Paritätischen Wohlfahrtsverband am Tourainer Ring 4 ansässigen Selbsthilfebüros Lena Schütter. Auch wenn Schütter keine Psychotherapeutin, sondern Sozialarbeiterin ist, übernimmt sie eine wichtige Lotsenfunktion, um professionelle therapeutische Unterstützung zu beschaffen und Kontakt zu einer der aktuell sechs Mülheimer Depressions-Selbsthilfegruppen herzustellen.

„Für Betroffene ist es wichtig, zu erfahren, dass sie mit ihrer Krankheit nicht allein sind“, betont Schütter. Dafür sprechen die 18 Prozent der Krankschreibungen in Deutschland, die nach den Erkenntnissen der Deutschen Angestellten Krankenkasse auf eine Depression zurückgehen. Folgt man der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, die unter der kostenfreien 0800 33 44 533 ein Infotelefon anbietet, dann leiden aktuell 5,3 Millionen Deutsche unter einer Depression. 22 Prozent der Betroffenen haben derzeit keine therapeutische Begleitung.

Paulina Schorn und Ralf Klose wünschen sich deshalb, dass das stationäre und ambulante Therapieangebot in Deutschland ausgebaut wird, um zu verhindern, dass Betroffene wochen- und monatelang auf einen Therapieplatz warten müssen. Der Faktor Zeit ist lebenswichtig, da bei einer Depression Erwerbsunfähigkeit und Suizid-Gedanken zum Krankheitsbild gehören. „Depression ist eine Krankheit, die jeden Menschen in jedem Alter treffen kann. Davor kann sich niemand schützen“, unterstreicht Ralf Klose, bevor er mit seinen Mutmachern zur nächsten Etappe nach Duisburg radelt.

Die Leiterin des paritätischen Selbsthilfebüros, Lena Schütter, ist erreichbar unter 0208 30 04 814 und . Infos zu den Mutmachern: www.wiemanriesenbekaempft.de


Meine Text in NRZ und WAZ

Sonntag, 10. Juli 2022

Baustelle Kirche

 Die katholische Stadtkirche in Mülheim liegt im Bistumstrend. Allein im letzten Jahr haben 631 Mülheimer Katholiken ihre Kirche verlassen. Im Jahr davor waren es 387. Dem stehen im gleichen Zeitraum 23 Kircheneintritte gegenüber. Seit 2010 ist die Zahl der Mülheimer Katholiken damit von 52.000 auf jetzt 43.000 zurückgegangen. Im Gespräch mit dieser Zeitung äußert sich Stadtdechant Pfarrer Michael Janßen zu den alarmierenden Zahlen.

Welche Gefühle lösen die Zahlen des Ruhrbistums bei ihnen aus?

Pfarrer Michael Janßen: Die zahlreichen Kirchenaustritte gehen mir sehr nahe, weil sie das gute und karitative, was haupt- und ehrenamtlich in der Kirche geleistet wird. überdecken. Leider wird katholische Kirche in der öffentlichen Meinung zurzeit überwiegend mit einer Minderheit gleichgesetzt, die durch sexuellen Missbrauch Schutzbefohlener unserer Kirche massiv geschadet haben.

Welche Folgen werden die Massenaustritte für die katholische Kirche haben?

Es wäre für unsere Stadtgesellschaft fatal, wenn die Kirche aufgrund sinkender Mitgliedszahlen und damit auch sinkender Kirchensteuereinnahmen ihre karitativen Aufgaben in vielen Bereichen nicht mehr leisten könnte. Ich schätze die Lage so ein, dass sich die Mitgliederzahl der katholischen Stadtkirche auf niedrigem Niveau einpendeln wird.


Wie muss die Kirche auf die Austrittswelle reagieren?

Ich bin sehr froh, dass wir einen Bischof haben, der mutig Reformen angeht. Der Synodale Weg, den Papst Franziskus jetzt auch für die Weltkirche angekündigt hat, ist der richtige und einzig gangbare Weg. Wir müssen die überfälligen Reformen anpacken, um wieder an Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Ich denke dabei zum Beispiel an das Diakonat und Priestertum der Frau oder auch die Zulassung verheirateter Männer zum Priesteramt, wenn sie sich in der Ehe und im Familienleben bewährt haben.

Darüber hinaus müssen wir über neue Formen einer zeitgemäßen Verkündigung der Frohen Botschaft nachdenken. Das Passionsmusical auf dem Essener Burgplatz, das vor Ort von 5000 Zuschauern und am Fernsehen von einer Million Zuschauer verfolgt wurde, geht in die richtige Richtung. Ich denke aber auch an Beispiele an einen Gottesdienst, in dem sechs Gemeindemitglieder berichtet haben, was der Glaube für sie und ihr Leben bedeutet. Das ist anstelle einer klassischen Predigt sehr gut bei den Gottesdienstbesuchern angekommen. Auch das sind neue Wege in der Verkündigung.

Ich glaube, dass Papst Franziskus in Rom nicht allein entscheiden kann. Denn, wenn er es könnte, wären wir auf unserem Reformweg sicher schon viel weiter. Es schadet dem Ansehen der katholischen Kirche außerdem, dass sich die deutschen Bistümer in der Aufarbeitung der priesterlichen Missbrauchstaten nicht zu einer einheitlichen Linie haben durchringen können. Es kommen immer wieder häppchenweise neue Missbrauchsfälle ans Licht der Öffentlichkeit und jedes Bistum reagiert ganz unterschiedlich und für sich darauf. Es wäre besser, wenn man hier zu einer konzertierten Aktion käme und alle Fakten gemeinsam auf den Tisch legt und daraus die notwendigen Konsequenzen zieht und diese auch öffentlichkeitswirksam kommuniziert.

Wie gehen Sie mit Menschen um, die bei Ihnen ihren Austritt aus der katholischen Kirche anzeigen?

Ich spreche mit Menschen, die sich ihre Entscheidung nicht leicht machen und lange damit gerungen haben. Es sind auch Menschen darunter, die bis vor kurzem sicher nicht daran gedacht hätten, ihrer Kirche den Rücken zu kehren. Ich höre immer wieder von den Menschen, die aus der Kirche austreten: „Das hat nichts mit meinem Glauben oder mit dem Verhalten der Ortskirche zu tun. Aber ich kann die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und wie sie mit diesen umgeht, nicht weiter mittragen.

Ich sage diesen Menschen dann: „Wenn Sie der Überzeugung sind, dass sie diesen Schritt gehen müssen, dann müssen Sie ihn gehen. Aber ich halte Ihnen unsere Türen weiter offen. Ich möchte auch weiterhin Ihr Pastor sein und ich würde mich darüber freuen, wenn Sie weiterhin in unserer Gemeinschaft ihren christlichen Glauben mit uns feiern würden. Natürlich werbe ich in diesen Gesprächen auch dafür, dass es besser ist, in der Kirche aufzutreten und Dinge zum Besseren zu verändern als einfach nur aus der Kirche auszutreten.


Meine Text in NRZ und WAZ

Donnerstag, 7. Juli 2022

Krieg und Frieden

 Auf Einladung des psychosozialen Krisenmanagements der Stadt beleuchtete der Styrumer Pfarrer Michael Manz das angesichts des Kriegs in der Ukraine leider brandaktuelle und zugleich zeitlose Thema Krieg und Frieden. Der evangelische Theologe wählte einen persönlichen Zugang, in dem er vom Kriegstod seines Großvaters am 8. April 1945 und von seinem Engagement in der westdeutschen Friedensbewegung der frühen 1980er Jahre berichtete.


"Bis zum Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar galt für mich, was der Ökumenische Rat der christlichen Kirchen 1948 in Amsterdam so formuliert worden ist: 'Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!'", erklärte Manz. Er räumte aber ein, "dass ich unter dem Eindruck von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine näher beim 1945 ermordeten evangelischen Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich  Bonhoeffer bin, der gesagt hat: "Wenn ein Mensch von einem Rad überrollt wird, reicht es nicht, den Verwundeten unter dem Rad zu verbinden. Man muss dem Rad in die Speichen greifen!"

Kann Krieg gerecht sein?


Manz zitierte nicht nur biblische Friedensbekenntnissse, wie etwa aus der Bergpredigt Jesu, in der es heißt: „Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Töchter und Söhne Gottes genannt werden“ und das Jesus-Wort: "Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen", sondern auch den mittelalterlichen Kirchenlehrer Thomas von Aquin. Er habe im 13. Jahrhundert die These aufgestellt, dass ein Krieg dann als "gerecht" bezeichnet werden könne, wenn er der Wiederherstellung des Friedens und des Rechtes diene.

Als "unglaublich" bezeichnete es Pfarrer Manz, dass der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche, Kyrill, den Angriffskrieg Putins rechtfertige. In der Diskussion, die sich aus dem inhaltsreichen Impuls des Styrumer Pfarrers ergab, wurde die "Zerrissenheit" sichtbar, die Manz auch der theologischen Diskussion in den christlichen Kirchen attestiert hatte. Es gab Befürworter wie Gegner von Waffenlieferungen an die Ukraine, die ihre Haltung aus ihrer christlichen Ethik heraus begründeten. Die Ablehnung von Waffenlieferungen wurde vor allem mit dem Hinweis auf die noch nicht ausgeschöpften Mittel der Diplomatie und auf die Gefahr einer drohenden atomaren Eskalation des Krieges begründet. Die Befürwortung solcher Waffenlieferung wurde mit dem Recht der Ukraine auf Notwehr und Selbstverteidigung begründet. An Papst Franziskus wurde appelliert, seinen diplomatischen Einfluss auf den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill geltend zu machen.
 

Aus der Krise lernen


Den christlichen Kirchen wurde einerseits bescheinigt, mit Waffensegnungen in den beiden Weltkriegen und mit den Kreuzzügen ins Heilige Land selbst eine unheilige Kriegsgeschichte zu haben. Auf der anderen Seite wurde ihre konkrete Friedensarbeit gelobt, die sich aktuell zum Beilspiel in ihrer humanitären Flüchtlingshilfe zeige. Auch in der Vergangenheit habe die Kirche als Raum der Freiheit, des Friedens und der Versöhnung wesentliche Beiträge zur deutsch-französischen und deutsch-polnischen Verständigung sowie zur politischen Freiheits-Wende im kommunistischen Ostblock geleistet. "Wir dürfen uns als Kirche nicht klein reden, wenn es um unsere Möglichkeiten geht, im Alltag Frieden zu stiften", betonte Diakonin Iris Schmitt aus der Vereinten Evangelischen Kirchengemeinde Mülheims.

Mittwoch, 6. Juli 2022

Als die erste Straßenbahn kam

 Lange, bevor man vom Klimawandel und von umweltfreundlicher Mobilität sprach, praktizierte man sie in Mülheim. Am 9. Juli 1897 fährt zum ersten Mal eine elektrische Straßenbahn durch Mülheim. Ihr Streckennetz ist mit 12,5 Kilometern zunächst begrenzt. Vom Rathausmarkt aus kann man damals im 15-Minuten-Takt mit der Bahn bis Styrum und Oberhausen, über die Dohne bis zum Kahlenberg oder über den Hingberg bis zum Heißener Markt fahren.


Über diesen denkwürdigen 9. Juli 1897 schreibt die Mülheimer Zeitung: „Der Tag ist ein wichtiger Markstein in der Geschichte unseres Gemeinwesens, dürfen wir uns doch von der neuen Einrichtung eine weitere Förderung des Verkehrs, des Erwerbslebens, des Handels und Wandels in unserer Stadt versprechen.“

Elektromobilität anno 1897


Je nach Strecke kostet das Ticket für die Tram 1897 zwischen 10 und 20 Pfennigen. in den ersten 30 Jahren ihrer Existenz wird das Streckennetz der Mülheimer Straßenbahn, die heute zur Ruhrbahn gehört, auf 44 Kilometer ausgebaut. Damit kann man jetzt auch nach Essen, nach Broich Speldorf und Duisburg, zum Oppspring und zum Steinknappen fahren. Noch bevor die Mülheimer das Auto als ihr liebstes Fortbewegungsmittel entdecken, wird die Straßenbahn zum Massenverkehrsmittel. Im 50. Jahr ihres Bestehens transportiert sie 1947 32 Millionen Fahrgäste. Im 80. Jahr ihres Bestehens begann für die Mülheimer Straßenbahn mit der Stadtbahnlinie U18 das U-Bahn-Zeitalter. Folgt man der aktuellen Ruhrbahnstatistik, so ist das Mülheimer Streckennetz der Straßenbahn inzwischen auf fast 64 Kilometer angewachsen. 160 Schienenfahrzeuge sind für die Ruhrbahn in Essen und Mülheim auf elf Straßenbahnlinien unterwegs. Hinzu kommen 283 Omnibusse auf 54 Linien. Allein in Mülheim nutzen jährlich rund 18 Millionen Fahrgäste Bus und Bahn. In Essen sind es 83 Millionen. Zum Vergleich: Während die Mülheimer Einwohnerzahl zwischen 1955 und 2021 von 163.000 auf 172.000 angestiegen ist, hat sich die Zahl der in Mülheim gemeldeten PKWs im gleichen Zeitraum von 4438 auf 117.336 erhöht.

Montag, 4. Juli 2022

Gemeinsam stark

 Krieg, Corona, Inflation. Da kann einem Angst und bange werden. "Angst ist nicht grundsätzlich schlecht, wenn sie uns motiviert, statt uns zu lähmen. Angst kann uns signalisieren, dass wir in unserem Leben etwas verändern müssen", sagt die Mülheimer Heilpraktikerin für Psychotherapie Christina Steinbeck. 


Sie diskutierte jetzt auf Einladung des kommunalen psychosozialen Krisenmanagements mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern über Strategien, wie man dem emotionalen Negativtrend der Krise widerstehen kann. Die Psychologie spricht in diesem Zusammenhang von Resilienz.

Steinbeck wies bei ihrem Vortrag im Evangelischen Gemeindezentrum am Scharpenberg auf Zahlen der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) hin, wonach Erkrankungen des Knochen- und Muskelapparates (22 Prozent) sowie Depressionen (17 Prozent) für einen wesentlichen Teil der Krankschreibungen in Deutschland verantwortlich seien. Steinbecks gute Botschaft lautete: "Wir haben als Menschen einen Überlebenswillen, der uns die Kraft gibt, auch schwierige Situationen zu überstehen." 

Was tut mir gut?


In diese Richtung ging auch ihre Feststellung, dass das Knüpfen sozialer Netzwerke und menschlicher Beziehungen sowie die Inspiration durch Vorbilder, auch schwierigste Lebensverhältnisse meistern lassen könne. Am Anfang stehe für jeden Menschen die Frage: "Was tut mir gut?" Dies gelte auch für die Berufs- und Partnerwahl oder für die Freizeitgestaltung. Bemerkenswert war Steinbecks These, dass die Deutschen aufgrund des NS-Erbes psychosozial weniger stabil, weil weniger selbstbewusst seien als andere Landsleute.

Im Plenum war man sich einig, dass sich unsere ökonomisierte Leitungsgesellschaft einseitig auf unsere Defizite konzentriere und zu wenig die vorhandenen Stärken wertschätze und fördere, in dem sie Menschen ermutige und ihnen ermögliche, ihre Talente zum Wohle aller zu entfalten.

Der kommunale Sozialplaner Jörg Marx und Diakonin Iris Schmidt von der Vereinten Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim formulierten in diesem Zusammenhang die Faustregeln der sozialen Netzwerkbildung. Menschen müssen demnach ermutigt und ermächtigt und Dinge müssen ermöglicht werden. Für die sozialen Netzwerkbildung, so Marx und Schmidt, müsse gelten: "Ich für mich. Ich mit anderen für andere. Und Andere mit Anderen für mich!"

Samstag, 2. Juli 2022

Die Neue im Schloss

 Lara Kaiser ist die neue Künstlerin im Schloss Styrum. Wo früher die Styrumer Grafen und später August Thyssens Direktoren lebten, arbeiten seit dem Müga-Jahr 1992 sechs Künstler in ihrem Atelier mit wunderschönem Blick in den Schlossgarten. Der städtische Kulturbetrieb macht es möglich.


"Mir ist der Austausch mit anderen Künstlerinnen und Künstlern sehr wichtig, um mich mit meiner eigenen Arbeit weiter entwickeln zu können", sagt die 1996 in Witten geborene Lara Kaiser, die sich zurzeit auf ihr Examen an der Münsteraner Kunstakademie vorbereitet. Und sie ergänzt: "In einem mietfreien Atelier zu arbeiten, ist für mich ein großes Privileg, da es heute sehr schwer ist, in Großstädten bezahlbaren Atelierraum zu bekommen." Kaisers jüngste Arbeiten hängen bereits an den Wänden ihres neuen Ateliers, das einen wunderbaren Blick in den Schlosspark freigibt und mit seinen hohen Decken eine gewisse Großzügigkeit ausstrahlt.

"Malen ist das, was ich kann und was ich will", sagt Lara Kaiser. Ihre im Styrumer Atelier aufgehängten Bilder sind mit Ölfarben gemalte Kleinformate, die ihre Meisterschaft im Umgang mit Farbe, Perspektive Raum Licht und Schatten zeigen.  Auch ihre im Internet anzuschauenden Aquarelle und Papierarbeiten offenbaren ihre Vorliebe für das kleine Format.

"Malen ist das, was ich will und was ich kann!" (Lara Kaiser)

"Die Entscheidung für die freie Kunst war die beste Entscheidung meines Lebens", sagt die junge Frau, die es nach ihrem Examen von Münster nach Düsseldorf ziehen wird. Dann liegt das Atelier im Styrumer Schloss schon fast vor ihrer Haustüre. Im Gespräch zeigt sich Kaiser als Frau, die instinktsicher ihrer eigenen Inspiration folgt und deshalb in sich ruht und optimistisch in ihre sicher nicht immer einfache Zukunft als freie Künstlerin schaut. So viel Lebensmut und Aufbruchstimmung machen Freude. "Im November plant der Mülheimer Kunstverein einen Atelierbesuch. Außerdem wird Lara Kaiser im Laufe ihrer Styrumer Atelierzeit auch eine Werkschau zeigen", erklärt Simone Scholten. Sie betreut als Kuratorin des städtischen Kunstmuseums auch das seit 2018 jeweils für zwei Jahre vergebene Atelierstipendium. Vor Kaiser haben die Atelier-Stipendiaten Tabea Borchardt, Julian Ryser und Yoanna Todorova das Atelier im Schloss produktiv genutzt. Kaisers aktuelle Atelier-Nachbarn sind Ulrich Erbe, Vera Herzogenrath, Reiner Komers, Friedhelm Brandt, Sabrina Seppi und Ralf Rassloff.

Ob Lara Kaiser ihre in Styrum geschaffenen Werke schon im modernisierten und wiedereröffneten Kunstmuseum Alte Post oder an einem anderen Ort in Mülheim präsentieren wird, steht, laut Scholten, noch nicht fest. Gerade erst hat Lara Kaiser ihre Arbeiten an der Münsteraner Kunstakademie präsentiert. Und vom 14. August bis zum 2. Oktober werden ihre Arbeiten im Kunstverein Lippstadt zu sehen sein. Mehr erfährt man über die junge Künstlerin auf ihrer Internetseite: www.lara-kaiser.com

Freitag, 1. Juli 2022

Comeback der Oldtimer

 Oldtimer-Fans und solche, die es noch werden wollen, sollten sich den 7. August vormerken. Denn an diesem Tag wird die aus 120 Mitgliedsbetrieben bestehende Werbegemeinschaft Saarn, zwischen 13 und 18 Uhr im Dorf an der Düsseldorfer Straße nicht nur zum verkaufsoffenen Sonntag, sondern auch zu einer Wanderfahrt legendärer Oldtimer einladen.


Im Mittelpunkt des Saarner Oldtimer Cups wird eine Präsentation stehen, die der Mülheimer Oldtimer-Experte und Oldtimer-Liebhaber Hartmut Mäurer moderiert. Bei einem Fototermin im Autohaus Audi Wolf gaben Mäurer und die beiden Werbegemeinschafts-Vorstände Marcel Leydag und Dennis Boehmke einen kleinen Einblick, der Lust auf mehr Automobilgeschichte zum Anschauen und Anfassen macht.
 

Kunstwerke auf vier Rädern


Zugegeben: Das 1957 gebaute Mercedes-Cabriolet SL 300, dass der Mülheimer Oldtimerfan Norbert Bartel seit zwölf Jahren sein Eigen nennt oder der 1962 gebaute Volvo 121, den die Mülheimer Heide Ternieden ihrem aus dem gleichen Baujahr stammenden Ehemann Klaus zum 60. Geburtstag geschenkt hat, reißen jede Abgasnorm und manche der alten Schätzchen aus den wirtschaftswunderbaren Fünfzigern oder aus den schwungvollen Sechzigern haben noch nicht mal einen Sicherheitsgurt. Doch die motorisierten Kunstwerke auf vier Rädern strahlen mit ihrem eleganten Design ein PS-starkes Lebensgefühl, dem sich auch notorische und umweltbewusste Fußgänger, Fahrgäste und Fahrradfahrer nicht entziehen können und wollen.

Die Autolegenden, die heute nur noch bei schönem Wetter ausgefahren und von gleichgesinnten und mit raren Ersatzteilen ausgestatteten Oldtimer-Clubmitgliedern in Schuss gehalten werden, stammen aus einer Zeit, als das Autofahren noch kein umweltzerstörendes Massenphänomen, sondern ein mobiler Traum von Freiheit und Wohlstand war. Doch dieser Traum war auch ein Luxus, der seinen Preis hatte, den sich nicht jeder leisten konnte. So kostete der 1957 gebaute Mercedes SL 300 als Neuwagen 32.000 Mark, als das durchschnittliche Brutto-Jahresgehalt der Westdeutschen gerade mal bei 5000 Mark lag. Auch von Stau und Blechlawinen konnte noch keine Rede, als 1955 in Mülheim gerade einmal 4438 PKWs registriert waren. 2022 sind es nach Angaben des städtischen Bürgeramtes 96.487 Personenkraftwagen, die neben diversen anderen Kraftfahrzeugen täglich über Mülheims Straßen rollen.

Aber bei der Saarner Oldtimer-Show am 7. August darf es dann ruhig noch einmal etwas mehr heiliges Blech sein. "Wir haben bisher 65 Anmeldungen und können vielleicht noch zehn bis 15 Fahrzeuge mitnehmen", erklärt Hartmut Mäurer. Oldtimer-Besitzer, die ihr rollendes Schätzchen am 7. August in Saarn dem interessierten Publikum präsentieren und an der Wanderfahrt teilnehmen möchten, können sich per E-Mail bei:info@werbegemeinschaft-saarn.de anmelden. "Wenn sich das Bonner Haus der Geschichte kurzfristig mit Konrad Adenauers Dienst-Mercedes anmelden würde, würden wir bestimmt nicht Nein sagen", betont Mäurer mit einem Augenzwinkern. Der Mercedes 300, in dem sich der erste (selbst führerscheinlose) Bundeskanzler chauffieren ließ, wurde zwischen 1951 und 1962 für einen Grund-Neu-Preis von 20.000 Mark gebaut. 

Schöne Straße?!

  Für die Mülheimer Presse und das neue Mülheimer Jahrbuch habe ich mich an 50 Jahre Schloßstraße erinnert. So alt bin ich also schon, dass ...