Samstag, 30. Juli 2022

Aber bitte mit Sahne

 „Wir machen nicht zu, sondern weiter!“ Diese Botschaft ist Anke und Friedhelm Großenbeck angesichts immer wiederkehrender Schließungsgerüchte wichtig. Das Mülheimer Konditoren-Paar leitet in siebter Generation das Stadtcafé Sander am Kohlenkamp. Der Familienbetrieb kann auf eine 262-jährige Geschichte zurückblicken.

„Solange wir gesund bleiben und unser tolles Team weiter so mitzieht, wie bisher“, machen wir weiter“, betonen der 62-Jährige und die 57-Jährige, die beide das Konditorenhandwerk gelernt haben und seit 1990 an der Spitze der Traditions-Konditorei stehen, die unter anderem zwei Weltkriege, eine Revolution, eine Hyperinflation und eine Diktatur überlebt hat.


Erst 2015 haben die Großenbecks viel Geld in die Hand genommen, um das Stadtcafé zu modernisieren und den Wohlfühlfaktor der Kundschaft zu erhalten. „Unsere 1989 und 1991 geborenen Kinder Martin und Anja haben bereits als Schüler als Bedienung im Café mitgearbeitet. Sie haben uns aber schon vor etlichen Jahren signalisiert, dass sie beruflich andere Wege und den Familienbetrieb nicht als achte Generation fortführen wollen“, sagen die Großenbecks. Und sie fügen hinzu: „Wir respektieren diese Entscheidung unseres Sohnes, der heute bei der Bezirksregierung arbeitet und unserer Tochter, die im internationalen Projektmanagement tätig ist.“


Friedhelm Großenbeck, der schon als kleiner Junge von seinen Eltern Friedrich und Marie hörte: „Du übernimmst ja mal den Betrieb“, hat seine Berufswahl als Konditormeister und Café-Betreiber nie in Frage gestellt. „Als ich 1974 meine Lehre begann und nach meinen Gesellenjahren in Remscheid und Düsseldorf die Meisterschule besuchte, habe ich mir gesagt: ‚Du wärst dumm, wenn du etwas anderes machen würdest‘“, erinnert sich Friedhelm Großenbeck. Auch seine Frau Anke Großenbeck-Holthaus, die als Auszubildende 1982 ins Stadtcafé Sander kam und 1985 ihre Ausbildung als Jahrgangsbeste abschloss“, kann sich noch an die 1970er Jahre erinnern. „Wir hatten damals mehrere Stammtische, die sich bei uns im Café trafen“, berichtet Anke Großenbeck. Und ihr Ehemann ergänzt: „Damals hatten wir es mit Gästen zu tun, die unter dem Eindruck der Hungerjahre während und nach dem Zweiten Weltkrieg standen und die im Zuge des westdeutschen Wirtschaftswunders zu Wohlstand gekommen waren und einen enormen Nachholbedarf hatten. Damals kannte man noch keinen Gesundheits- und Diätwahn. Wer ins Cafè kam, der aß auch schon mal zwei Stücke Kuchen oder drei und gönnte sich bei der Zigarette danach auch noch einen weiteren Kaffee und einen Cognac.“


Die Großenbecks leben und lieben ihren Beruf leben, weil sie das kreative Konditoren Handwerk lieben, „bei dem man sehen und schmecken kann, was man geschafft hat“ und auch das positive Feedback ihrer Kunden, a la: „Das sieht ja wieder toll aus!“ nicht missen möchten. Dennoch verstehen sie die Entscheidung ihrer Kinder, die die Familientradition nicht fortsetzen wollen. „Unsere Kinder scheuen nicht den Arbeitsumfang, sondern eher die betriebswirtschaftlichen Unwägbarkeiten, die man als selbstständiger Konditor in Kauf nehmen muss“, sagt Anke Großenbeck. „Die Stadtmitte hat sich in den letzten Jahrzehnten ja leider auch nicht zu ihrem Vorteil entwickelt. Das unsere Straße als Spielstraße genutzt wird und hier die Fußbälle gegen Fensterscheiben und Werbung knallen, wären früher undenkbar gewesen“, schildert Friedhelm Großenbeck seine unfreiwilligen Alltagsabenteuer als Bewohner und Kaffeehausbetreiber in der Innenstadt.

Doch trotz aller wirtschaftlichen und sozialen Unwägbarkeiten, können sich Friedhelm und Anke Großenbeck eine Zukunft des Stadtcafès Sander vorstellen, die über ihren eigenen Eintritt in den Ruhestand in fünf, sechs, vielleicht aber auch erst in sieben oder acht Jahren, hinaus geht. „Wir könnten uns externe Nachfolger aus dem Konditoren Handwerk vorstellen, aber vielleicht auch Nachfolger, die aus unserem eigenen Team heranwachsen. Ohne unsere großartigen Mitarbeiter könnten wir das Stadtcafe Sander ohnehin nicht betreiben.

 

Ein Stadtcafé mit Geschichte


Der 1714 als Bauernsohn in Dümpten geborene Bäcker Georg Sander gründete 1760 in einem Fachwerkhaus am Kohlenkamp eine Bäckerei, in der er von seiner früh verwitweten Mutter unterstützt wurde. Ebenfalls tatkräftig unterstützt wurde er von seinem 1760 geborenen Sohn Dietrich. Er ging bei seinem Vater in die Lehre und erlebte so den Ausbau der Bäckerei, die bald nicht nur Brot, sondern auch Zuckerwerk und Pfefferkuchen. backte. Außerdem konnte man bei Sander auch seinen eigenen Teig zu Brot verbacken lassen. Nach dem Tod des Vaters übernahm Dietrich 1792 die Leitung des Familienbetriebs und erweiterte das Sortiment um Schokoladenkuchen. Dietrichs 1802 geborener Sohn Hermann trat als einziges von acht Geschwisterkindern in die beruflichen Fußstapfen seines Vaters. Er baute das Kuchensortiment aus und verkaufte auch kandierte Früchte. Außerdem richtete er ein Schaufenster für die Produktpräsentation ein. Als Hermann Sander 1863 starb, war sein Sohn August erst 22 Jahre alt. Er war der erste Konditormeister in der Familie Sander und nahm Spekulatius als Weihnachtsgebäck ins Sortiment auf. Mit seiner Frau Marie Halfmann eröffnete 1868 am Kohlenkamp das Stadtcafé Sander. Nach seinem Tod führte seine Witwe Marie ab 1885 das Stadtcafé weiter. 1895 ersetzte sie das alte Fachwerkhaus durch ein repräsentatives Steinhaus mit moderner Innenbeleuchtung. Zwei ihrer fünf Kinder, zunächst August (1902-1910) und dann Gustav Sander (1902-1950) führten unternehmerische Erbe ihrer 1925 verstorbenen Mutter fort. Nach Gustavs Tod führte seine Witwe Ermine das Stadtcafé für 13 Jahre   bis ins Jahr 1963 als Alleininhaberin weiter. Als Tochter eines Duisburger Konditormeisters war Ermine Sander (1894-1980) eine Frau vom Fach. Als Mutter musste mit dem frühen Kriegstod ihrer Söhne Gustav und Helmut leben, die in Russland gefallen waren. Als Betriebsinhaberin bewältigte sie 1952 den stadtplanerisch erzwungenen Neubau des Kaffeehauses am Kohlenkamp 12.


Statt ihrer im Zweiten Weltkrieg gefallenen Brüder Helmut und Gustav, setzte ihre 1921 geborene Schwester Marie Sander die Familientradition fort. Mit ihrem gleichaltrigen Ehemann, dem Konditormeister Friedrich Großenbeck übernahm sie die Leitung des elterlichen Betriebs, in dem sie seit 1936 gearbeitet hatte. Während ihrer fast 30-jährigen Betriebsleitung prägten die 2014 verstorbenen Eheleute die bis heute für das Stadtcafé Sander geltende Firmenphilosophie: „Qualität, die man schmeckt!“ 

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