Samstag, 29. Oktober 2022

Närrischer Nachwuchs

 Bei der Prinzenproklamation am Elften im Elften wird diesmal nicht das Stadtprinzenpaar, sondern das Kinderprinzenpaar im Mittelpunkt stehen.

„Das Stadtprinzenpaar Kevin und Tamara, das in der kommenden Session erneut antreten wird,  haben wir ja schon am 11.11.2021 proklamiert“, erklärt der Präsident des Hauptausschusses Groß-Mülheimer Karneval, Markus Uferkamp. Normalerweise wird das Stadtprinzenpaar am 11.11. im Festsaal der Stadthalle und das Kinderprinzenpaar am ersten Januar-Sonntag im Dümptener Autohaus Extra inthronisiert.


Dort, im Autohaus Extra, an der Fritz-Thyssen-Straße 6 wird am 11.11. ab 18.30 Uhr der Sessionsauftakt gefeiert. Kinderprinz, Louis Ossmann, Kinderprinzessin, Emily Westhoven (11), und ihre Pagen Felix Antonio Tremel (11) und Marie Stehen (13) trainieren schon, zusammen mit ihren Adjutanten, Josphine Stachelhaus, und Aunes-Ees-Geschäftsführer Bastian Wahl für den ersten ihrer 150 geplanten Sessionsauftritte. Verraten wird aber noch nichts.  Kinderprinz Louis (12) und Kinderprinzessin Emily (11) geben aber schon mal die Richtung vor: „Wir wollen den Menschen zeigen, dass Karneval nicht nur Spaß macht, sondern das man im Karneval auch Gemeinschaft und Freundschaft erleben kann!“, sagen sie.


Das designierte Kindertollitätenteam kommt aus den Reihen der inklusiven Karnevalsgesellschaft Aunes Ees, die in der kommenden Session ihr fünfjähriges Bestehen feiern kann. Aunes ees ist Mölmsch Platt und bedeutet: „Anders als“. Emily, Louis und Marie haben als Tanzmariechen und als Tanzmajor bereits Bühnenerfahrung. Felix ist der einzige Karnevalsneuling im Team. Aber auch er, der mit Louis befreundet ist, sagt mit Blick auf seinen ersten Sessionsauftritt: „Ich habe kein Lampenfieber!“


„Mal sehen, wie das am 10. und 11.11. aussieht“, sagt Adjutantin und Ex-Stadtprinzessin, Josephine Stachelhaus mit einem Augenzwinkern. Seinen zweiten Sessionsauftritt wird das Team der Kindertollitäten am 26. November im Festsaal der Stadthalle haben, wenn dort der Prinzenball und die Verleihung der Spitzen Feder an den Comedian, Dave Davis, alias Motombo Umbokko, gefeiert wird.

Darüber hinaus werden die Karnevalisten in der kommenden Session, von der sie mit närrischem Zweckoptimismus hoffen, dass sie trotz Corona-Pandemie ein vollständige werden möge, den Spaß an der Freud im Dümptener Autohaus Extra und in den Räumen der Alten Dreherei feiern. Im November und Dezember soll dort eine närrische Hochburg mit Bühne und Sitzreihen entstehen. Dort wird am 20. Januar auch der Mölmsche Narr an Jörn Backhaus verliehen, der als Geschäftsführer des Autohauses Extra zu den wichtigsten Sponsoren des Mülheimer Karnevals gehört und in dieser Funktion auch das Kinderprinzenmobil zur Verfügung stellt.


Zum Mülheimer Karneval und: Zur Mülheimer Tagespresse

Freitag, 28. Oktober 2022

Viel zu tun im Weinberg des Herrn

 Der Stadtkatholikenrat, die Vertretung der 43.000 katholischen Laien in Mülheim, wird erstmals von einer Doppelspitze geführt. Die katholische Stadtkonferenz, die aus den haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden des Stadtdekanates besteht, wählte den Arzt Dr. Martin Linssen und den Ingenieur Dr. Raimund Bülte zu gleichberechtigten. Sie treten die Nachfolge des bisherigen Stadtkatholikenratsvorsitzenden, Rolf Völker, aus der Pfarrgemeinde St. Barbara.


Bülte ist Vorsitzender des Pfarrgemeinderates von St. Mariae Geburt. Linssen gehört dem Pfarrgemeinderat von St. Mariä Himmelfahrt. „Wir wollen nicht in die Pfarrgemeinden hineinregieren, sondern Impulse aus den Pfarrgemeinden aufnehmen und diese als Vertreter und Koordinatoren der katholischen Laien in den Dialog mit deren weltlichen und geistlichen Vertretern in die Stadtgesellschaft hineintragen“, sagten Bülte und Linssen nach ihrer Wahl.

Beitrag für Reformen


Beide möchten mit ihrem Engagement in ihrer vierjährigen Amtszeit „einen Beitrag zur strukturellen Reform unserer Kirche“ leisten. „Wer Kirche positiv verändern will, darf nicht austreten, sondern muss sich in der Kirche für ihre Erneuerung engagieren, damit unsere Kirche weniger hierarchisch und dafür geschwisterlicher und demokratischer werden kann“, betont Martin Linssen.

Mit Blick auf den Synodalen Weg und die Deutsche Bischofskonferenz sieht Linssen, einschließlich des Ruhrbischofs Dr. Franz-Josef Overbeck, die reformbereiten Kräfte in einer deutlichen Mehrheitsposition.

Mit einer christlichen Stimme sprechen


Das Laien heute in der katholischen Kirche beerdigen und Wortgottesdienste leiten können, dass gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften gesegnet werden und dass es auch in unserer Stadt mit Sigrid Geiger (in St. Mariae Rosenkranz) eine Gemeindeleiterin gibt, sehen Bülte und Linssen als Beleg dafür, „dass sich etwas in der katholischen Kirche bewegt.“
„Wir müssen mit einer christlichen Stimme sprechen, wenn wir uns im Sinne der Frohen Botschaft als Kirchen in der Stadtgesellschaft zu politischen, sozialen, wirtschaftlichen und ethischen Fragen zu Wort melden“, betont Stadtdechant Michael Janßen mit Blick auf die ökumenische Zusammenarbeit mit dem Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr, die ihm sehr am Herzen liegt.
Auf der Grundlage des Votums der erweiterten katholischen Stadtkonferenz ist der Pfarrer von St. Mariae Geburt vom Ruhrbischof für sechs weitere Jahre zum Stadtdechanten ernannt worden.

Zu Beginn seiner nunmehr dritten Amtszeit hat Janßen seinen Amtsbruder, Christian Böckmann, der als Pfarrer an der Spitze von St. Barbara und St. Mariä Himmelfahrt steht, zu seinem Stellvertreter ernannt. Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck hat Böckmann inzwischen auch in das Essener Domkapitel berufen. Darüber hinaus arbeitet dem Stadtdechanten, mit Miriam Weinert-Al-Jubori eine neue Assistentin zu. Die studierte Betriebswirtin und dreifache Mutter sehen ihren Schwerpunkt in der Öffentlichkeitsarbeit. „Wir können hier in Mülheim nicht die Welt verändern. Aber wir können tun, was uns möglich ist, um die Welt hier ein etwas besser zu machen. Und ich möchte das, was Gemeinden und Stadtkirche in diesem Sinne tun in das Bewusstsein der Öffentlichkeit hineintragen“, sagt Miriam Weinert-Al-Jubori.
Aktuell sehen die beiden Mülheimer Pfarrer und die beiden neuen Vorsitzenden des Stadtkatholikenrates die Umsetzung der 2015 angestoßenen und 2018 durch die Voten der dreien Mülheimer Pfarreien konkretisierten Pfarreientwicklungspläne als dringlichste Aufgabe an. Dazu erklärt der Stadtdechant: „Die Entscheidungsfindung in den Gemeinden ist durch die Corona-Pandemie verszögert worden, nimmt aber jetzt wieder Fahrt auf, so dass wir der Öffentlichkeit mittelfristig auch konkrete Veränderungen mitteilen können, wobei ich davon ausgehe, dass Mülheim auch langfristig mit St. Mariae Geburt, St. Mariä Himmelfahrt und St. Barbara drei Pfarrgemeinden behalten wird. Mit Blick auf die Gemeindeverwaltung könnte ich mir aber durchaus eine Zentralisierung auf dem Kirchenhügel vorstellen.“

Donnerstag, 27. Oktober 2022

Helfen und handeln, wo es notwendig isr

 Was kann unsere Stadtgesellschaft stark machen? Der Vorsitzende des Mülheimer Caritasverbandes und des Seniorenbeirates, Paul Heidrich, der sich als Christdemokrat seit sechs Jahrzehnten auch sozial- und kommunalpolitisch engagiert, appelliert im Gespräch mit der Mülheimer Woche an das soziale und politische Gewissen seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger.


Was hat Ihr sozialpolitisches Engagement inspiriert?
Paul Heidrich: Das hatte mit dem Vorbild meines Vaters Hubert zu tun, der sich im Kolpingwerk und in der Katholischen Arbeitnehmerbewegung engagiert hat. Hinzu kamen meine beruflichen Erfahrungen im Bereich der Krankenkassen.
Was hat Sie angetrieben?
Paul Heidrich: Mein berufliches und mein ehrenamtliches Engagement ist an vielen Stellen ineinander übergegangen und wurde auch durch meinen christlichen Glauben gestärkt. Ich wollte immer helfen, wo es notwendig war.

Was konnten Sie bewirken?

Paul Heidrich: Ich nenne nur zwei Beispiele: Als stellvertretender Vorsitzender der Schulpflegschaft an der Grundschule Bruchstraße konnte ich den lange geplanten, aber nie in Angriff genommenen zweiten Bauabschnitt realisieren helfen. Und später konnte ich als CDU-Fraktionsvorsitzender in der Landschaftsversammlung des Landschaftsverbandes Rheinland erreichen, dass der LVR 1,5 Millionen Euro für die Einrichtung des Mülheimer Ledermuseums an der Düsseldorfer Straße bereitstellte. Beides hat viel Zeit und Arbeit gekostet, aber wenn man am Ende den Erfolg auf seiner Seite hat, freut man sich über den Mehrwehrt des eigenen Einsatzes.

Wie kann die Kommunalpolitik den sozialen Zusammenhalt und das bürgerschaftliche Engagement in unserer Stadt fördern?

Paul Heidrich: Aufgrund der hohen Verschuldung der Städte hat die Kommunalpolitik hier nur einen sehr begrenzten Spielraum. Deshalb brauchen wir eine Sonderregelung zur Übernahme bzw. Tilgung der Altschulden. Aber abgesehen davon, muss Kommunalpolitik die Bürgerinnen und Bürger bei ihren Entscheidungen mitnehmen, so dass sie erkennen und nachvollziehen können, dass dort, wo etwas gemacht wird, es auch wirklich notwendig ist. Es darf nicht so laufen, wie bei der Hauptschule an der Bruchstraße, die erst zur Zukunftsschule ausgebaut werden sollte und dann geschlossen wurde. Und es darf auch nicht so laufen, wie nach dem Bürgerentscheid zugunsten der Volkshochschule an der Bergstraße, bei dem die Bürgerinnen und Bürger, die sich für den Erhalt des VHS-Standortes ausgesprochen haben, mit dem Gefühl zurückgelassen werden, dass ihr Votum keine praktischen Konsequenzen hat.

Wie würden Sie für ein bürgerschaftliches Engagement in unserer Stadtgesellschaft werben?

Paul Heidrich: Es geht darum, zu helfen, wo es notwendig ist. Das geschieht leider viel zu selten. Deshalb bin ich auch sehr dankbar für die Arbeit der Sozialverbände, ohne die es in unserer Stadtgesellschaft noch schlechter aussähe, als es jetzt schon der Fall ist. Deshalb beklage ich auch die Kirchenaustritte, weil die Sozialarbeit der katholischen Caritas und der evangelischen Diakonie die Unterstützung durch Kirchensteuern zahlende Kirchenmitglieder braucht und verdient.

Mittwoch, 26. Oktober 2022

Starke Hilfe

 Die Kriegsbilder aus der Ukraine schockieren. 15 Frauen und Männer aus Mülheim haben sich aus ihrer Schockstarre herausbewegt. Sie engagieren sich nach einem Aufruf in dieser Zeitung seit März in der Ukraine-Hilfe der Arbeiterwohlfahrt (AWO), indem sie für die rund 2000 ukrainischen Flüchtlinge in unserer Stadt einen Schenkladen am Dickswall 98 einen Schenkladen betreiben.

 

Es sind größtenteils ukrainische Frauen und ihre Kinder, die von heute auf morgen, mit nichts oder nur wenig, Zuflucht in Mülheim gefunden haben. Kleidung, Spielsachen, Schulmaterial und Hygieneartikel haben hilfsbereite Mülheimerinnen und Mülheimer in der ergotherapeutischen Praxis der AWO an der Hauskampstraße 58 abgegeben. Hier befindet sich die provisorische Lage der Ukraine-Hilfe, in der die Sachspenden bei Bedarf von den Ehrenamtlichen gewaschen und aufgearbeitet werden, bevor sie zur Ausgabe in den Schenkladen gehen.

 

„Der Winter steht vor der Tür. Deshalb brauchen wir jetzt Winterkleidung. Aber auch Schulmaterial, Spielzeug und Hygieneartikel sind weiterhin vonnöten“, sagt AWO-Geschäftsführerin Michaela Rosenbaum. Sie macht klar: „Auch kleine Spenden, etwa ein Mantel, eine Mütze, ein Schal, ein Pullover oder Handschuhe, können für die Flüchtlinge aus der Ukraine eine große Hilfe sein! Dabei sollte man bitte nur Kleidung spenden, die man selbst auch noch tragen würde.“ Wie Rosenbaum engagiert sich auch ihre AWO-Kollegin Stephanie Marschall in ihrer Freizeit ehrenamtlich in der Ukraine-Hilfe. „Auch Einkaufsgutscheine und Geldspenden sind natürlich hilfreich“, sagt Marschall. Auf diesem Weg möchte sie sich für die 6400 Euro, die bisher unter dem Stickwort „Ukraine-Hilfe“ auf dem Konto der AWO eingegangen sind. „Nicht nur Menschen aus Mülheim, sondern auch Essener Schüler, die von unserer Hilfsaktion gehört haben, haben uns mit einer Spende unterstützt“, erklärt sie.

 

Warum engagieren sich Frauen und Männer zwischen 18 und 82 für die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine?

 

„Geben gibt! Wir können den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nicht beenden. Aber wenn wir etwas für die Menschen tun können, die der Krieg aus ihrer Heimat vertrieben hat, ist das Gefühl der eigenen Ohnmacht nicht ganz so groß und schmerzlich.“, betont Rosenbaum.

 

„Ich war vorher schon auf der Suche nach einem sinnvollen ehrenamtlichen Engagement. Und als ich den Aufruf der AWO las, wusste ich: ‚Das ist das Richtige für mich!‘“, erklärt Martina Lauermann, die beruflich bei der Stadtverwaltung arbeitet.

 „Ich unterstütze meine Frau“, sagt Nadim El Masri. Jacqueline El Masri vom Tageseltern-Verein Kinder aus Mülheim erkannte den Aufruf der AWO als einen guten Anknüpfungspunkt für die Hilfspläne in ihrem Verein. Ursula Busch, Mitarbeiterin der Mülheimer SPD, die sich ehrenamtlich im Verein Brigs for the Kids engagiert, „musste mit den Tränen kämpfen“, als sie in dem vom Deutschen Roten Kreuz betreuten Flüchtlingscamp an der Mintarder Straße, in die ungläubigen Augen der ukrainischen Kinder schaute, denen sie das gespendete Spielzeug in die Hand drückte und immer wieder zu hören bekam: „Ich habe heute doch gar keinen Geburtstag!“ Elke von der Aue, die sich auch im Elefon-Team der AWO für Kinder in Not engagiert, bestätigt Buschs Erfahrung: „Wenn man die unglaubliche Dankbarkeit der Mütter und ihrer Kinder sieht und ihr ‚Dankeschön!‘ hört, können einem schon die Tränen kommen.“ Unf f+r Helga Jungnickel, die bereits seit 2008 zum ehrenamtlichen Mitarbeiterteam der AWO gehört, kann sich als DDR-Flüchtlingskinder, das 1960 in den Westen Deutschlands kam, kann sich nur zu gut in die Lage der Mütter und Kinder aus der Ukraine hineinversetzen. Für sie steht fest: „Den Menschen muss doch geholfen werden.“ Kontakt und Information zur Ukraine-Hilfe der AWO gibt es unter: www.awo-mh.de und per E-Mail an: schenkladen@awo-mh.de 


Zu meinen Beiträgen in NRZ und WAZ

Sonntag, 23. Oktober 2022

Reden wir über Rassismus

 Aus dem jüngsten Jahresbericht der Antidiskriminierungsberatungsstelle der Bundesregierung geht hervor, dass sich im vergangenen Jahr 37 Prozent der 5600 Ratsuchenden aufgrund rassistischer Diskriminierung unter der kostenfreien Rufnummer 0800-5465465 an die Beratungsstelle des Bundes gewandt haben. „Neben der Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sei außerdem der Ausbau flächendeckender, auch zivilgesellschaftlicher Beratung gegen Diskriminierung wichtig“

 

 Im Gespräch mit dieser Zeitung beschreibt, die aus dem Senegal stammende Pädagogin ihre Sicht nicht nur auf den Alltagsrassismus in unserer Stadt, sondern auf unterschiedliche Diskriminierungsformen und was man aus ihrer Perspektive dagegen tun kann. Derzeit leben in Mülheim Menschen aus 150 Nationen.

Überrascht Sie der hohe Rassismus-Anteil der Ratsuchenden, die sich an die Diskriminierungsstelle des Bundes gewandt hat?

Nein. Ich gehe beim Thema Alltagsrassismus von einer hohen Dunkelziffer aus, weil sich viele Betroffene nicht an öffentliche Beratungsstellen, sondern zuerst an Freund*innen, Familien und Betroffenen und an Migranten-Organisationen wenden, um Unterstützung zu bekommen.

Macht eine Antidiskriminierungsstelle auch auf lokaler Ebene Sinn?

Auf jeden Fall. Und ich freue mich, dass wir wahrscheinlich bis Ende des Jahres eine solche Antidiskriminierungsstelle bekommen. Die Stellenausschreibung läuft. Damit erfüllen CDU und Grüne eine Vereinbarung ihres Koalitionsvertrages. Wichtig ist, dass diese Antidiskriminierungsstelle, die nicht nur Beratung,- sondern auch Bewusstsein schaffende Öffentlichkeitsarbeit nicht im Rathaus, sondern in unabhängigen neutralen Strukturen einfließen vielleicht beim Centrum für bürgerschaftliches Engagement oder bei den Sozialverbänden angesiedelt wird. Die Ratsuchenden sind von unterschiedlichen Diskriminierungsformen wie Homophobie, Antisemitismus, Ableismus, Altersdiskriminierung, Klassismus, Sexismus, antimuslimischen/ antischwarzer Rassismus .. etc

Warum ist eine unabhängige Beratungsstelle auf neutralem Boden wichtig?

Weil viele von Rassismus betroffene Menschen, die zum Beispiel in Kindertagesstätten, Schulen, bei der Polizei, in Gerichten oder in der Stadtverwaltung rassistisch diskriminiert worden sind mit ihrer Beschwerde dort kein Gehört finden, weil sie dort auf eine kollegiale Abwehrhaltung treffen, die sagt: „Wir sind nicht rassistisch. Bei uns gibt es das nicht.“ Deshalb kann hier nur eine neutrale, zivilgesellschaftliche Beratungsstruktur den Betroffenen wirklich helfen, damit sie zu ihrem Recht verhelfen, das im Diskriminierungsverbot des Grundgesetz-Artikels 3 verankert ist.

Wo und wie erleben Sie Rassismus?

Ich nenne Ihnen drei Beispiele: Ich sitze mit zwei weißen Fahrgästen im Bordrestaurant der Deutschen Bahn. Die Servicekraft kommt und fragt die weiß positionierten Fahrgäste, was sie essen und trinken wollen. Mich fragt sie aber nicht. Ich frage sie: „Darf ich hier nichts essen und trinken?“ Die Servicekraft antwortet: „Ich habe Sie nicht gesehen!“ Ich erwidere: „Das kann doch gar nicht sein!“ Ich lasse den Leiter des Bordrestaurants kommen und spreche ihn auf das rassistische Verhalten der Servicekraft an. Er bietet mir einen Gutschein als Entschuldigung an. Ich aber sage ihm: „Ich brauche nicht Ihren Gutschein, sondern Ihre Sensibilität!“ Das war auch schön zu erfahren, dass die weißen Gäste meine Aussage bekräftigt haben.

Beispiel 2: Als Studentin stand ich vor einer deutschsprachigen Universität, als mir eine alte Dame zurief: „Du bist eine Schmarotzerin. Geh nach Hause.“ Ich habe ihr dann höflich geantwortet: „Ich bin keine Schmarotzerin. Ich studiere hier als Stipendiatin. Habe ich als Mensch nicht das Recht mich frei zu bewegen und dort zu lernen und zu arbeiten, wo ich es will?“ Sind die Europäer nicht auch ungefragt nach Afrika gekommen, um uns als Kolonialisten auszubeuten und zu unterdrücken? Dann bin ich nach Hause gegangen und habe geweint. Oder ich besuche als Mutter zweier Kinder den Tag der Offenen Tür eines Mülheimer Gymnasiums und bekomme als Einzige in der Gruppe keine Informationsbroschüre, weil man nicht davon ausging, dass Kinder einer schwarzen Frau das Gymnasium besuchen können.

Was kann und soll man gegen Rassismus tun?

Nur gemeinsam können wir gegen Rassismus und andere Diskriminierungsformen kämpfen, weil den Machtverhältnissen eine große Rolle spielen. Bildung, menschliche Bindung, Einfühlungsvermögen, Gemeinsinn, Begegnung und Dialog sind die besten Mittel gegen Rassismus. Wir brauchen mehr Wissen über Frieden, Menschenrechte, Kolonialismus und globale Zusammenhänge.  Das gilt nicht nur für Schulen, sondern für alle gesellschaftlichen Ebenen und Institutionen, die externe Unterstützung anfordern können und müssen. Wer Rassismus erleidet oder auch nur miterlebt, darf nicht darüber schweigend hinweggehen. Man muss das Ansprechen und sich Verbündete suchen, die Unterstützung geben. Man muss von Rassismus betroffene Menschen in der Beratung ernstnehmen und so Vertrauen in den Rechtsstaat schaffen.


Gilberte Raymonde Driesen lebt seit 2007 in Deutschland. Sie hat Germanistik und Romanistik studiert und als Gymnasiallehrerin im Senegal gearbeitet. Heute ist sie hauptberuflich für das Centrum für bürgerschaftliches Engagement tätig und arbeitet nebenamtlich als Diversitätstrainerin, etwa in Vereinen, Gemeinden, Kindertagesstätten und Schulen aber auch im Rahmen deutsch-afrikanischer Schulpartnerschaften für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ehrenamtlich gehört sie dem Vorstand des Integrationsrates an und leitet den deutsch-senegalesischen Bildungs-, -Kultur- und Sozialverein Axatin e.V. www.axatin.de


Meine Texte in NRZ/WAZ

Donnerstag, 20. Oktober 2022

Mit Styrum durchs neue Jahr

 In Styrum hat das neue Jahr 2023 schon begonnen. Denn am 15. Oktober stellten dort der Geschichtsgesprächskreis und seine Chef-Layouterin Ulrike Nottebohm den vierten Stadtteil-Kalender aus ihrer gemeinsamen Produktion der interessierten Öffentlichkeit vor.


Wer drei Euro in den Kauf des Stadtteil-Kalenders investiert, wird mit einer interessanten Mischung aus alten und neuen Bildern aus dem Styrum von gestern und heute belohnt. Die neuen Styrumer  Ansichten präsentiert Ulrike Nottebohm mit Collagen unterschiedlicher Motive aus dem Stadtteil, die den Betrachter zum genauen Hinschauen motivieren.

Das historische Bildmaterial stammt aus den immensen Quellen der geschichtsinteressierten Styrmer. Ulrike Nottebohm nannte die "dokumentarische Vorarbeit", die der Geschichtsgesprächskreis in den letzten 31 Jahren unter anderem mit seinen Styrum-Büchern geleistet habe, "gigantisch" und versicherte den Mitgliedern des Gesprächskreises, dass sie auch in ihrem nun beginnenden Ruhestand "dem Geschichtskreis und seinen Publikationen treu bleiben" werde.

"Sie können stolz auf Ihr Engagement, dass die Styrumer Geschichte auch für die kommenden Generationen festhält. Dieser Kalender kann das Gespräch zwischen den Generationen, zuhause oder auch in der Schule oder in der Feldmann-Stiftung initiieren und inspirieren. Ich möchte Ihnen sagen, dass wir als Bezirksvertretung für den Mülheimer Norden immer an ihrer Seite stehen, wenn Sie ihre kommenden Projekte rund um die Geschichte des Stadtteils angehen werden, sagte der stellvertretende Bezirksbürgermeister Armend Plana. Der Vorsitzende des Geschichtsgesprächskreises Manfred Bogen, Styrumer des Jahrgangs 1946, warb bei den geschichtsinteressierten Mitbürgern für eine Mitarbeit im Geschichtsgesprächskreis, der sich am zweiten und vierten Freitag des Monats, jeweils von zehn bis zwölf Uhr in der Feldmann-Stiftung an der
Augusta Straße 114 trifft.

Den vierten Styrum-Kalender, der eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlägt, ist unter anderem in der Feldmann-Stiftung an der Augusta Straße 114, im RWW-Wassermuseum Aquarius an der Burgstraße 70 sowie in der Stadtbibliothek am Willy-Brandt-Platz 2, in den Buchhandlungen Fehst am Löhberg 4 und bei den Broicher Bücherträumen an der Prinzess-Luise Straße 7-9 und beim Uhrmacher Hennenbruch an der Oberhausener Straße 155 erhältlich.

Dienstag, 18. Oktober 2022

Neustart des Netzwerkes der Generationen

Angesichts des demografischen Wandels hat die Stadt Mülheim an der Ruhr das Netzwerk der Generationen initiiert. Seine Idee: Interessierte Bürgerinnen und Bürger treffen sich in stadtteilbezogenen Netzwerkgruppen, um in ihrer Nachbarschaft soziale Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. Die Netzwerkgruppen dienen aber auch als Forum des Informationsaustausches. Dazu gehören auch Ideen, wie man Probleme vor Ort lösen könnte und diese Bürgervorschläge in die Stadtverwaltung, in den Rat der Stadt und in die Bezirksvertretungen einzuspeisen.

Die Corona Pandemie hat die Arbeit des vom städtischen Sozialplaner Jörg Marx koordinierten  Netzwerkes der Generationen beeinträchtigt. Die Netzwerkgruppen in Dümpten, Styrum, Broich-Saarn, Stadtmitte, Eppinghofen und in Speldorf konnten sich nach dem Ausbruch der Pandemie seit März 2020 nicht mehr treffen. Doch seit Juni 2022 starten die von den Senioren- und Wohnberatern- und Beraterinnen, Ragnhild Geck, Holly Uhlendorff und Holger Förster geleiteten Netzwerkgruppen wieder durch.Mit aussagekräftigen Fotos des Mülheimer Fotografen, Volker Fecht, präsentiert sich das Netzwerk der Generationen (bis zum 21. Oktober und dann wieder im Januar und Februar 2023), in der Evangelischen Ladenkirche an der Kaiserstraße 4 mit seinen bisherigen Aktivitäten. An diese Aktivitäten, etwa Quartierswerkstätte, Stadtteilfeste, Gruppentreffen, Stadtteilspaziergänge und andere Freizeitangebote.will das Netzwerk der Generationen mit möglichst vielen interessierten Bürgerinnen und Bürgern jetzt anknüpfen und neu starten, um Menschen und Nachbarschaften zu stärken und zu stabilisieren.

Ansprechpartner: Netzwerk der Generationen

Jörg Marx, Koordination

Joerg.marx@muelheim-ruhr.de

0208-455-5012

Ragnhild Geck, Stadtmitte, Eppinghofen, Heißen

0208-455-5057

Ragnhild.geck@muelheim-ruhr.de

Holly Uhlendorff: Broich-Saarn und Speldorf

0208-455-5058

Holly.uhlendorff@muelheim-ruhr.de

0208-455-5058

Holger Förster: Dümpten und Styrum

Holger.foerster@muelheim-ruhr.de


Zur Stadt Mülheim an der Ruhr

Sonntag, 16. Oktober 2022

Mehr Rücksicht, bitte!

 Am Tag des weißen Stocks (15. Oktober) berichtet der Leiter der städtischen Hörzeitung Echo Mülheim, Ali Arslan, wie er aufgrund als spät erblindeter Mensch seinen Alltag in Müllheim erlebt. Der Tag des Weißen Stocks geht auf den US-Präsident Lyndon B Johnson zurück und wird seit 1964 begangen, um die Belange blinder Menschen ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.

Was bedeutet der Weiße Stock für Ihren Alltag?

Der weiße Stock ist für mich ein verlängerter Zeigefinger, der mir hilft, immer einen Schritt vorauszudenken und damit Hindernisse zu umgehen und Unfälle zu vermeiden. Das bedeutet für mich Freiheit und Mobilität.

Wo treffen Sie als blinder Mensch auf Hindernisse?

Das können Autos sein, die auf dem Gehweg parken. Das können Tische und Stühle einer Außen Gastronomie sein. Das können Auslagen, Kleiderständer oder Werbeträger sein, die vor Geschäften stehen. Auch Gullideckel, Pflastersteine, Straßenbahnlinien, hochstehende Bordsteinplatten, oder Schlaglöcher können für mich zur Stolperfalle werden, wenn ich mit meinem weißen Stock dort hängen bleibe. Schwierig sind auch Menschengruppen, die sich auf dem Gehweg zusammenstellen und mit dem Rücken zu mir stehen, so dass sich mich nicht kommen sehen.

Wie reagieren Menschen, mit denen sie auf der Straße versehentlich zusammenstoßen?

Unterschiedlich. Manchmal lachen wir gemeinsam über unser Missgeschick. Manchmal werde ich aber auch angeschrien: ‚Sind Sie blind!‘ Dann sage ich: ‚Ja, das bin ich, wie Sie sehen!“ Manche Autofahrer hupen auch, weil ich ihnen mit meinem Weißen Stock nicht schnell genug über die Straße gehe.

Was sollten Menschen, die Sie kennen, machen, wenn Sie Ihnen auf der Straße begegnen?

Mich einfach kurz ansprechen und antippen, damit ich weiß, mit wem ich es zu tun haben und wo Er oder Sie stehen.

Helfen Ihnen akustische Ampeln und taktile Leitlinien?

Auf jeden Fall. Solche Hilfsmittel bringen mich sicher weiter. Das gilt auch für meine Begleitpersonen oder für akustische Haltestellenansagen in Bus und Bahn und für akustische Etagenansagen im Aufzug.

Wie sieht es mit ihrer Freizeitgestaltung aus?

Als ich noch sehen konnte, habe ich gerne Stadt und Kulturreisen gemacht. Aber seit ich aufgrund meiner Glaukom-Erkrankung blind bin, fliege ich mit meiner ebenfalls erblindeten Frau im Sommer immer an denselben Ferienort in der Türkei, weil wir dort keine Sprachbarrieren haben und uns vor Ort gut auskennen. Als Fußballfan gehe ich gerne ins Stadion. Die meisten Profi-Fußballclubs bieten inzwischen auf ihren Tribünen Blocks mit für blinde und schwer sehbehinderte Menschen reservierten Sitzplätzen an. Dort sitzen auch vereinsinterne Sportreporter, die uns mit Mikro und Kopfhörer beschreiben, was gerade auf dem Spielfeld geschieht.

Sie machen hauptamtlich als Mitarbeiter der Stadtverwaltung im Medienhaus die wöchentlich erscheinende und kostenfrei an Blinde und Sehbehinderte versandte Hörzeitung Echo Mülheim mit aktuellen lokalen Informationen. Wie informieren Sie sich als blinder Mensch darüber hinaus?

Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender bieten eine Auto-Diskretion an, mit deren Hilfe das Geschehen auf dem Bildschirm für blinde Menschen detailliert beschrieben wird. Mein Hauptmedium ist aber das Radio.

Können Sie auch das Internet nutzen?

Ja. Das ist heute mit einer Spracherfassung-Software, die mir Texte aus dem Internet vorliest, kein Problem mehr.

Nutzen Sie weitere Hilfsmittel, die Ihnen den Alltag erleichtern?

Ja. Eine sprechende Uhr, eine sprechende Waschmaschine, ein Daisy-Player, der wie ein CD-Player aussieht, aber für Blinde sinnvolle zusätzliche Navigationshilfen hat und ein sprechendes Farberkennungsgerät, das mir beim Ankleiden hilft, machen mir das Leben leichter. Aber nicht alle Krankenkassen bezahlen alle Hilfsmittel. Hinzu kommen Begleitpersonen oder Alltagsassistenten, die ebenfalls keine Krankenkassen bezahlt. Wenn ich für eine gute na normale Waschmaschine 1000 Euro bezahle, muss, bei einer sprechenden Waschmaschine für blinde Menschen mit 4500 Euro rechnen. Auch andere akustische Hilfsmittel schlagen mit mehreren 100 Euro zu Buche. Deshalb müssen blinde Menschen einen Schwerbehindertenausweis haben, der sie berechtigt, ein monatliches Blindengeld zu beziehen. Dieses monatliche Blindengeld schwankt, altersabhängig, zwischen 300 und 600 Euro.

Gehen Sie nie allein durch die Stadt?

Früher habe ich das gemacht. Aber heute mache ich das nicht mehr. Im öffentlichen Raum bin ich immer mit einer sehenden Begleitperson unterwegs, weil der Straßenverkehr in den vergangenen Jahren zu laut und zu hektisch geworden ist und weil auch die allgemeine Rücksichtnahme leider zurückgegangen ist. Als blinder Mensch kann man auch in Bus und Bahn nicht mehr damit rechnen, dass man von Fahrgästen zu einem freien Sitzplatz geführt wird.

Wie sieht es für blinde Menschen auf dem Arbeitsmarkt aus?

Meine Frau und ich sind sehr dankbar dafür,  dass wir beide einen Arbeitsplatz haben, ich bei der Stadt Mülheim und meine Frau im Call-Center der Agentur für Arbeit. Aber es ist für blinde Menschen heute schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. Die besten Chancen haben sie noch in der Bürokommunikation, wenn Sie über computertechnische Fähigkeiten verfügen. Andere Arbeitsplätze, wie Telefonist, Masseur oder Klavierstimmer sind heute nur noch ganz selten zu finden. Das waren für klassische Berufe für blinde Menschen. Politik und Wirtschaft sollten Ausgleichszahlungen für Arbeitgeber, die keine oder zu wenige Menschen mit Handicap einstellen, abschaffen und stattdessen alles dafür tun, dass Arbeitnehmer mit Handicap einer Erwerbsarbeit nachgehen und sich so ein selbstbestimmtes Leben finanzieren können.

 

Was wünschen Sie sich zum Tag des Weißen Stocks?

Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der die Menschen wieder mehr Rücksicht aufeinander nehmen und bereit sind sich gegenseitig im Alltag zu helfen, weil keiner nur für sich alleine leben kann. Nur so kann Frieden entstehen. 

Ali Arslan steht blinden und sehbehinderten Menschen gerne als Ratgeber zur Seite. Er ist unter der Rufnummer: 0208-455-4288 oder per Mail an: hoerzeitung@muelheim-ruhr.de erreichbar.


Meine Beiträge in NRZ/WAZ

Freitag, 14. Oktober 2022

Ein Krieg, der Erinnerungen weckt

 Wenn Helga (90), ihren vollen Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, die Kriegsnachrichten aus der Ukraine verfolgt, werden bei ihr Erinnerungen an ihre Kindheit im Nazi-Deutschland wach. „Warum muss Krieg denn sein? Das macht doch keinen Sinn! Was der russische Präsident Putin tut, erinnert mich an Hitler“, sagt die Zeitzeugin im Gespräch mit dieser Zeitung.

 

Seit Herbst 1945 ist sie in Mülheim zu Hause. Zufällig wurde sie 1932 auch hier geboren, „weil meine hochschwangere Mutter damals in Mülheim ihre Eltern besuchte, die an der Mellinghofer Straße wohnten“, erzählt Helga. Aber ihre Heimat ist das heute zu Polen gehörende Schlesien. In Pietschen (Kreis Kreuzburg) wuchs sie auf. Von dort aus musste sie im Januar 1945 mit ihrer Mutter und ihre zwei Jahre ältere Schwester vor der heranrückenden Roten Armee fliehen. Auf der Flucht wären die Drei um Haaresbreite von tschechischen Freischärlern erschossen worden. „Deshalb kann ich mich gut in die Menschen hineinversetzen, die heute vor den russischen Truppen aus ihrer ukrainischen Heimat zu uns fliehen“, sagt Helga.

 

Während sie mit ihrer Mutter und mit ihrer Schwester den Krieg überlebte und in Mülheim mithilfe der Großeltern eine neue Heimat fanden, überlebte Helga Vater den Krieg nicht. Denn der selbstständige Schreinermeister wurde in den letzten Kriegstagen zum Volkssturm eingezogen und starb wenig später in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager.

 

Die Flucht aus dem deutschen Osten in den deutschen Westen war für Helga ihre Schwester und ihre Mutter abenteuerlich. Sie führte über Tschechien, Bayern und Ostwestfalen ins Ruhrgebiet. Zum Teil waren die Drei zu Fuß mit einem Bollerwagen unterwegs. Zum Teil fuhren Sie in offenen Zügen mit Kriegsgefangenen oder auf Kohleladungen sitzend durch das vom Krieg zerstörte Deutschland.

 

Schon als Kind erkannte Helga, was es bedeutet, wenn das eigene Land durch ein totalitäres und menschenverachtendes Regime beherrscht und ins Verderben gestürzt wird. „Als ich sechs Jahre alt war, wurden Menschen mit einem gelben Davidstern durch unsere Straße getrieben und die von Schwarzuniformierten mit Gewehrkolben geschlagen. Als ich Mutter davon berichtete, dass Verbrecher durch unsere Straße geführt worden seien, erklärte sie mir: Das sind keine Verbrecher. Das sind Juden, die so wie wir Christen an den lieben Gott glauben. Meine Frage, warum man sie dann, wie Verbrecher, behandele, beantwortete Mutter mit dem Hinweis: „Das ist Unrecht, aber du darfst keinem davon erzählen. Das muss unser Geheimnis bleiben.“

 

Helga und ihre Familie standen unter der Beobachtung der örtlichen NSDAP, weil sich ihr Vater weigerte, in die Partei Hitlers einzutreten.

„Einmal wurde unseren Eltern damit gedroht, dass man uns ihnen wegnehmen und in einem Kinderheim richtig erziehen werde, weil auf der Straße oft nicht mit dem deutschen Gruß grüßten. Unter diesem Druck haben uns unsere Eltern dann doch zum NS-Bund Deutscher Mädel geschickt, wo wir einmal in der Woche zum Fahnenappell antreten, und NS-Lieder singen mussten“, berichtet Helga.

 

Unvergessen bleibt ihr der „arme Hitlerjunge“, „dem vor der ganzen Gruppe die Abzeichen auf seinem HJ-Hemd abgerissen wurden, weil er eine jüdische Großmutter hatte.“ Mit einer List mogelte sich Helga an dem Jungen vorbei, ohne ihn, wie von den HJ-Führern befohlen, zu bespucken.

 

„Ich weiß“, schaut Helga zurück, „dass mein Vater nach der Reichspogromnacht im November 1938 einem jüdischen Schuhhändler geholfen hat, seine von SS-Leuten zerschlagenen Schaufenster mit Holzbrettern abzudichten“, sagt Helga. Beklommen erinnert sie sich auch an einen Einkauf in Breslau, bei dem sie miterlebte, wie einem Mann mit Davidstern der Kauf eines Türschlosses verweigert wurde. Das von ihm gewünschte Türschloss kaufte dann mein Vater und ließ mich dem jüdischen Mann nachlaufen, um ihm das Türschloss zu geben“

 

Im Gedächtnis geblieben ist Helga auch die Doppelmoral des Schulrektors, der angesichts der heranrückenden Roten Armee allen Einwohnern, die die Stadt räumen wollten, mit standrechtlicher Erschießung drohte, obwohl sich seine Frau mit einem Treck in Richtung Westen abgesetzt hatte.

 

Doch Helgas Vater erkannte die Lage und baute zwei große Holzkoffer für seine Frau und seine beiden Töchter, mit denen er sie auf die ungewisse Reise nach Westen schickte. „Da die Eltern meiner Mutter in Mülheim an der Ruhr lebten, wollten wir uns dorthin durchschlagen“, erinnert sich Helga.

 

Der Anfang im kriegszerstörten Mülheim war hart. „Bei der Ankunft am Bahnhof stellten wir fest, dass unsere Holzkoffer aufgebrochen und ihr Inhalt gestohlen worden war. Wir mussten also hier bei Null anfangen. Wir hatten nur das, was wir am Leibe trugen, zum Beispiel unsere Decken. Doch wir konnten erst bei unseren Großeltern an der Mellinghofer Straße und später in einem Zimmer an der Oberhausener Straße unterkommen“, berichtet Helga.

 

An der Oberhausener Straße ging sie auch zur Schule und wurde von den Quäkern mit einer Schulspeisung versorgt. „Wir bekamen Erbsen- oder Biskuitsuppe und einmal sogar Schokolade“, weiß Helga zu berichten. Bevor sie nach ihrem Schulabschluss, in der Stadtmitte eine Friseurlehre begann und diesen Beruf dann auch gerne bis zur Rente ausübte, musste Helga „als Hilfslehrerin bei den I-Dötzchen aushelfen, weil es damals zu wenige entnazifizierte Lehrer gab.“ 2003 hat Helga ihre alte schlesische Heimat Pietschen, die heute als Teil Polens Byczyna heißt, noch einmal mit ihrer Schwester besucht. Auf ihrer wehmütigen Spurensuche haben die beiden Schwestern Neues und Altbekannte entdeckt, aber vor allem die Erkenntnis mitgenommen, „dass Krieg nicht nur über unsere Familie viel Leid gebracht hat, weil zu viele Menschen extremen politischen Führern und ihrer menschenverachtenden Ideologie gefolgt sind.“


Meine Beiträge in NRZ und WAZ

Mittwoch, 12. Oktober 2022

Ein Blick auf die Kaiserstraße

Ihr Name erinnert uns an die Zeiten, als Deutschland zwischen 1871 und 1918 ein Kaiserreich war. Ihren heutigen Namen bekam sie im Drei-Kaiser-Jahr 1888, als nach dem Tod von Kaiser Wilhelm I., für 99 Tage Kaiser Friedrich III. den Hohenzollernthron bestieg und nach dessen Krebstod Kaiser Wilhelm II. die Regentschaft übernahm. 

Zu Kaisers Zeiten war diese Straße, die früher unter anderem Holthauser Kirchpfad, geheißen hatte, die Paradestrecke des Infanterieregiments 159. Dieses Regiment wurde 1899 vom damaligen Oberbürgermeister Karl von Bock, zum großen Gefallen seiner Mitbürger, nach Mülheim geholt. Garnisonsstadt zu sein, war im Kaiserreich ein Prestigeerfolg und ein Programm zur Ankurbelung der lokalen Wirtschaft. An der Kaiserstraße befand sich damals die Kaserne der 159er. Einige alte Häuser aus dem frühen 20. Jahrhundert, die an der oberen Kaiserstraße die 160 Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges überstanden haben, zeugen mit ihrer architektonischen Eleganz der ehemaligen Offiziershäuser noch heute von dieser Zeit. 1918 ging der letzte Kaiser Wilhelm II. Und seine geschlagenen Soldaten kehrten am 13. Dezember 1918 in ihre alte Kaserne an der Kaiserstraße. Ihr Kommandeur, Major Siegfried Schulz, sammelte einige von ihnen in einem rechtsextremen Freikorps um sich, das 1920 eine unrühmliche Rolle bei der blutigen Niederschlagung des Ruhrkampfes gegen den Kapp-Putsch spielen sollte. 1930 errichtete die Evangelische Kirche an der unteren Kaiserstraße, ihr Haus, den Altenhof, in dem heute die Verwaltung des evangelischen Kirchenkreises Am der Ruhr ihre Arbeit tut und die Evangelische Ladenkirche täglich ihre Türen öffnet. Bis zur Wiedereröffnung der wieder aufgebauten Stadthalle (1957) war der Altenhof der größte Veranstaltungssaal der Stadt, in dem nicht nur Kulturveranstaltungen, sondern auch katholische und evangelische Sonntagsgottesdienste stattfanden, weil die Petri- und die Marienkirche nach dem Krieg erst noch bis 1958 wieder aufgebaut werden mussten. 

Hier ist ein Ort des Gesprächs, des Nachdenkens und der Anschauung. Hier finden regelmäßig kirchliche Sprechstunden, Vorträge und Ausstellungen statt. Gleich gegenüber haben wir den Kaiserplatz, an dem bis ins 19. Jahrhundert hinein noch die Altenhofmühle an ihrem Mühlteich klapperte. Während der NS-Zeit wurde aus dem Kaiserplatz der Platz der SA.
Mit Blick auf die Nachkriegszeit wissen alte Mülheimer unter anderem vom beliebten Eiscafe Ringel zu berichten, dass sich an der Kaiserstraße befand oder von einer Straßenbahn, die 1947 die Anhöhe der Kaiserstraße, die in Richtung Holthausen führt, nicht bewältigen konnte deshalb rückwärts in Richtung Kaiserplatz-Kreuzung rollte. Die Folgen waren fatal. Es gab Tote und Verletzte. 

Amüsant und angenehm ist dagegen die Erinnerung an einen Juni-Tag 1960, als der in Mülheim gastierende Zirkus Sarasani mit einem Elefanten, der gemütlich und unübersehbar die Kaiserstraße hinunter trottete, für seine Vorstellungen warb. Die ehemaligen Kasernen an der Kaiserstraße, die in den 1960er Jahren einer modernen Wohn,- Büro- und Geschäftsbebauung weichen mussten, dienten in der Nachkriegszeit unter anderem als Wohnunterkunft für Bergarbeiter, die in den damals noch existierenden Mülheimer Zechen Wiesche und Rosenblumendelle den Lebensunterhalt für ihre Familien verdienten.

Montag, 10. Oktober 2022

Ein Blick auf Selbeck

In Selbeck erscheint Mülheim besonders grün und dörflich. Seit 1992 finden hier im "Dorf" der Theodor-Fliedner-Stiftung insgesamt rund 2000 Euro Menschen aller Generationen einen, wo nötig, betreuten Wohn- Lebens und Arbeitsplatz. 

Eine Straße Selbecks ist nach Karl Forst benannt. Er war von 1879 bis 1908 Direktor des Selbecker Erzbergwerkes. Auch den Bau der katholischen Kirche St. Theresia von Avila, die in den Jahren 1890 und 1891 errichtet wurde, hat Forst maßgeblich gefördert. Heute wird die Kirche nicht mehr vom Ruhrbistum, sondern von einem Förderverein getragen, der alljährlich am zweiten Sonntag im September zu einem Kirchweihfest ein. 

Das von Karl Forst geführte Bergwerk im Bergmannsdorf Selbeck förderte Silbererze, Zinkblende, Kupfer und Schwefelkies zu Tage.

Zu seiner Zeit war Selbeck noch Teil der damals eigenständigen Bürgermeisterei Mintard und hatte rund 1200 Einwohner. Zusammen mit Selbeck wurde Mintard dann 1929 nach Mülheim eingemeindet.

Seit 1901 lädt die Sankt-Sebastianus-Schützenbruderschaft, der inzwischen auch Schützinnen angehören, alljährlich im Juli, zum Schützenfest.

Um 1900 speisten und logierten bereits Gäste im Selbecker Hotel- und Restaurant Schulkamp. Dort, wo man einst einkehrte und übernachtete, lässt man sich heute in einem Friseursalon die Haare schneiden.

Ihren heutigen Namen bekam die durch Saarn und Selbeck führende Kölner Straße erst 1936. Davor hieß sie Düsseldorfer Chaussee. Sicher würden sich die alten Selbecker wundern, wenn sie heute den starken Autoverkehr auf der Kölner Straße sehen könnten. Doch auch zu ihrer Zeit war die Straße stark befahren, allerdings von Pferdefuhrwerken.

Sonntag, 9. Oktober 2022

Inklusion läuft

 Der Legende nach lief ein Athener 430 vor Christus von Marathon in seine Heimatstadt, um seinen Mitbürgern vom militärischen Sieg ihrer Soldaten zu berichten. Doch kaum hatte er sein Ziel erreicht, fiel er tot um. Nicole Appelmann und Stefan Ponto haben ihre Teilnahme am zivilen Köln-Marathon am ersten Sonntag im Oktober Gott sei Dank überlebt. Und mehr als das: Sie treffen sich quicklebendig zum Gespräch und zum Fototermin mit der Mülheimer Woche auf ihrem Trainingsplatz, dem Sportplatz am Kahlenberg. Dort trainieren sie das ganze Jahr über zusammen mit ihren Sportkameraden von den Maulwürfen des Sportklubs Eintracht 1943. Das für alle laufinteressierten Blinden und Sehbehinderten offene Training beginnt dort, jeweils am ersten und dritten Montag des Monats um 16 Uhr. Willkommen, sind hier auch normalsichtige Läufer, die sich als Guides zur Verfügung stellen.


Beim Köln-Marathon gehörten die sehbehinderte Nicole Appelmann und ihr normalsichtiger Guide, Stefan Ponto, zu dessen 17.000 Marathon Teilnehmern. Die Mitläufer des Marathons starteten am Kölner Bahnhof Deutz und liefen 42 Kilometer bis zur Domplatte. Nicole (52) und Stefan (55) starteten allerdings als Läufer einer inklusiven Staffel und liefen, verbunden durch ihr elastisches Kunststoffband im Gleichschritt zwölf Kilometer vom Clodwigplatz bis zum Aachener Weiher. "Wir sind unter 60 Minuten geblieben und haben damit unsere persönliche Bestzeit gelaufen", freuen sich die Beiden.

Um ihre Kondition auf Wettkampfniveau zu bringen, haben Ponto und Appelmann im September nicht nur auf dem Sportplatz am Kahlenberg ihre Bahnen gezogen, sondern zwischen Auberg und Flughafen auch die Herausforderung angenommen, die die bergische Landschaft Mülheims, dies- und jenseits der Ruhr zu bieten hat.
"Das war Adrenalin pur!", sagen Nicole Appelmann und Stefan Ponto

"Das war Adrenalin pur. Das Wetter stimmte. Die Stimmung war klasse und an der Wegstrecke haben uns die Menschen begeistert angefeuert und uns so über die Strecke getragen. Das war für uns ein Gänsehautgefühl!", beschreiben Nicole und Stefan die außergewöhnliche Atmosphäre im karnevalstrainierten Köln. Nicht nur von der weitgehend barrierefreien Strecke, sondern auch vom Catering-Service für die Marathonläufer, unter denen insgesamt 29 inklusive Staffeln waren, sind Ponto und Appelmann angetan.

Die Beiden laufen, auch abseits von Marathon-Veranstaltungen, regelmäßig vor und nach ihrer Arbeit als Technischer Projektmanager in der Telekommunikationsbranche und als kaufmännische Angestellte. "Damit," so sagen sie: "bekommt man den Kopf frei und gewinnt mentale Stärke."

Neben Appelmann und Ponto waren auch die aus den Reihen der Mülheimer Maulwürfe kommenden Guides, Maik Joosten, Marion Edgens, als Begleitläufer anderer Blind Runner beim Köln-Marathon mit von der Partie, ebenso wie die Lauftrainerin der Maulwürfe des SC Eintracht 1943, Anja Daniel-Appelmann, Team-Chaufeur, Jürgen Killmann und Nicole Appelmanns Arbeitgeber Medion, der für die Ausstattung der Mülheimer Crew sorgte,

Nach ihrem Kölner Erfolgserlebnis, wollen Nicole Appelmann und Stefan Ponto, mit möglichst vielen Mitläufern aus den Reihen der Eintracht-Maulwürfe 2023 an den verschiedenen Mülheimer Laufevents teilnehmen.

Zu meinen Beiträgen in der Mülheimer Woche und: Zum SC Eintracht 1943

Samstag, 8. Oktober 2022

Ein Blick auf die Mühlenberg-Kreuzung

Die Mühlenberg-Kreuzung ist eine zentrale Achse der Stadt, die deren östliche Hälfte, rechts der Ruhr mit ihrer linken Ruhrseite im Westen verbindet. Der Name Mühlenberg erinnert an die zahlreichen Mühlen, die einst am Broicher Ruhrufer standen, unter ihnen die Vorstersche Papiermühle, in der bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts hochwertiges Kanzleipapier hergestellt wurde, das in ganz Europa gefragt war. Hier hatte im 17. Jahrhundert auch Wilhelm Rettinghaus das Handwerk der Papierherstellung gelernt und als Auswanderer mit nach Pennsylvania genommen, wo er die erste Papierfabrikation in Nordamerika errichtete. 

Heute sehen wir an der Stelle der ehemaligen Vorsterschen Papiermühle die dort 1928 errichtete Hauptverwaltung der Rheinisch-Westfälischen Wasserwerksgesellschaft RWW, die unsere Stadt seit 1912 mit Trinkwasser versorgt und heute 450 Menschen beschäftigt. 

Wo heute der Autoverkehr über die Ruhr strömt, konnte man bis zur Eröffnung der Kettennbrücke am 13. November 1844 nur mit der Schollschen Fähre über die Ruhr kommen. 

Wer die 1875 verstärkte und 1909 abgerissene Kettenbrücke mit einem Fuhrwerk überqueren wollte, hatte ein Brückengeld zu entrichten. Dem sparsamen Industriellen August Thyssen sagt man nach, dass er deshalb die Kettenbrücke nur zu Fuß überquerte. Die Brückenzollstation befand sich dort, wo wir heute ein Möbelhaus an der Auffahrt zur Schlossbrücke sehen. Schon vor dem Ersten Weltkrieg gab es hier ein Möbelhaus.

Spätestens, nachdem 1897 in Mülheim das Straßenbahnzeitalter begonnen hatte und die Idee entstand, die Ruhr auch mit der Tram überqueren zu können, waren die Tage der Kettenbrücke gezählt. 1910 wurde sie durch eine erste Schloßbrücke aus Stein ersetzt, der 1961 die heutige zweite Schloßbrücke folgen sollte. Auch der zweite Brückenbau zwischen der Stadtmitte und Broich war dem weiter zunehmenden Autoverkehr geschuldet.

Mit dem Schloss Broich, das im 9. Jahrhundert als Sperrburg gegen Flusspiraten auf der Ruhr errichtet und im 17. Jahrhundert zum Schloss umgebaut wurde, ist zweifellos das imposanteste Gebäude an der Mühlenberg-Kreuzung. In den automobilen 1960er Jahren, als man politisch das moderne Deutschland schaffen wollte, wurde das Schloss aus der spätkarolingischen Zeitung von einer Bürgerinitiative rund um den Mülheimer Geschichtsverein vor dem Abriss gerettet und als Volkshochschule, als Ort für repräsentative und festliche Anlässe sowie als Arbeitsplatz der Mülheimer Stadtmarketing- und Tourismus-Gesellschaft MST mit neuem Leben erfüllt.

Freitag, 7. Oktober 2022

Poetische Bahnfahrt

 Wenn man heute mit der Straßenbahn durch unsere Stadt fährt, hört man so manches. Da diskutieren Fahrgäste via Handy lautstark ihres Beziehungsprobleme oder lassen ihre Mitfahrenden durch ihr lautgestelltes Smartphone unfreiwillig an ihren musikalischen und cineastischen Vorlieben teilhaben. Doch jetzt bekam ich als Fahrgast der Ruhrbahn unfreiwillig, aber nicht unerfreulich, eine literarische Rezitation geboten. Zwei Mädchen sagten sich gegenseitig und für alle Mitreisenden gut vernehmlich Theodor Fontanes Gedicht vom Herrn von Ribbeck auf Ribbeeck im Havelland auf. Sie taten dies mit solch hörbarer Lust, dass man beim Zuhören Appetit auf eine Birne vom Baum des spendablen Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland bekam.


Meine Beiträge für die Mülheimer Woche

Donnerstag, 6. Oktober 2022

"Der Krieg steht vor Ihrer Türe!

 Die Herbstgespräche, zu denen die CDU am Tag der Deutschen Einheit ins Haus der Stadtgeschichte einlud, standen ganz im Zeichen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Am Pult, an dem die für Nordrhein-Westfalen zuständige Generalkonsulin der Ukraine, Iryna Shum, als Gastrednerin das Wort ergriff, prangte ein blau gelbes Plakat mit dem Konterfei des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer und seinem Zitat: „Wir wählen die Freiheit.“ Mit diesen Worten hatte er in den frühen 1950er Jahren, angesichts der Bedrohung durch die kommunistische Sowjetunion, die westdeutsche Wiederbewaffnung gerechtfertigt.

Die CDU-Kreisvorsitzende, Astrid Timmermann-Fechter sagte in ihrer Begrüßung: „Die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands und der aktuelle Krieg in Europa zeigen uns, dass Geschichte nicht linear verläuft und dass unsere Freiheit immer wieder neu verteidigt werden muss.“

Die Generalkonsulin, Iryna Shum, verband ihren Glückwunsch zum Tag der Deutschen Einheit mit dem Hinweis: „Der Weg ihres Landes hat in die Freiheit geführt und dort hin will auch mein Heimatland. Allerdings ist unser Weg dorthin leider nicht so friedlich, sondern mit Krieg und vielen Opfern verbunden.“ Ausdrücklich dankte die Diplomatin allen Deutschen für ihre humanitäre Unterstützung ihrer Landsleute. Rund 2000 Ukrainer leben zurzeit als Kriegsflüchtlinge in Mülheim. Iryna Shum machte deutlich; „Meine Landsleute sind nicht aus Armut und Unzufriedenheit aus der Ukraine geflohen, sondern vor den russischen Bomben. Die allermeisten von ihnen wollen nach dem Krieg in ihre Heimat zurückkehren und bei deren Wiederaufbau mithelfen.““

„Der Krieg findet zwar in unserem Land statt“, so Shum weiter: „Er steht aber auch vor ihrer Tür und es liegt nicht nur im Interesse meines Landes, sondern auch im Interesse Deutschlands und Europas, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland gewinnen und so unseren Frieden in Europa dauerhaft sichern kann.“

Die ukrainische Generalkonsulin ließ keinen Zweifel daran, dass sich ihr Land langfristig als Mitglied der Nato sieht. Wie das Deutschland nach 1945 sieht die aus einer russischsprachigen Familie stammende Iryna Shum Russland 2022 vor einem harten moralischen und materiellen Läuterungsprozess, um das Putin-Regime zu überwinden und sich zu demokratisieren.

Auch finanziell sieht die ukrainische Diplomatin Russland in der Pflicht, die von ihm verursachten Kriegsschäden, durch Entschädigungszahlen an die Ukraine wieder auszugleichen. Die durch den russischen Angriffskrieg verursachten materiellen Schäden beziffert Iryna Shum derzeit auf mehr als 750 Millionen US-Dollar. In ihren Augen braucht die Ukraine, wie Deutschland und Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg, einen „Marshallplan“, um ihren Wiederaufbau bewerkstelligen zu können. Deshalb hält sie auch ein internationales Tribunal für erforderlich, dass die im Namen Russlands begangenen Kriegsverbrechen aufklärt.


Zu meinen Texten in NRZ und WAZ

Mittwoch, 5. Oktober 2022

Aufpolierte Kunst am Bau

Die Kunst am Bau kommt in die Jahre. "Nach dem Zweiten Weltkrieg haben Städte, Länder und der Bund im Rahmen des Wiederaufbaus öffentlichen Bauherrn gesetzlich auferlegt, ein bis zwei Prozent der Bausumme für Kunst am Bau auszugeben. Das war auch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Bildhauer und andere Künstler, die leider am Ende der 1980er Jahre abgeschafft wurde", erklärt Kunsthistorikerin Barbara Walter vom Kunstmuseum der Stadt. Bei einer Recherche hat Walter herausgefunden, dass es in Mülheim derzeit 300 Kunstwerke am Bau und im öffentlichen Raum gibt. 230 davon schmücken städtische Liegenschaften.

"Die gesetzliche Förderung der Kunst am Bau, die mit Rücksicht auf Investoren abgeschafft worden ist, sollte man eigentlich mit Blick auf das Stadtbild, wiedereinführen", meint Kulturdezernentin Dr. Daniela Grobe. Sie ist eine von bisher neun Mülheimer Kunstpatinnen, die ein wachsames Auge auf Kunstwerke in ihrer Nachbarschaft haben, um sie vor Vandalismus zu schützen und rechtzeitig ihren Reparaturbedarf anzuzeigen. In einem zweiten Schritt können sich Grobe und Walter vorstellen, kunstinteressierte Bürgerinnen und Bürger, auch für eine finanzielle Patenschaft von Kunstwerken am Bau zu gewinnen. An einer Patenschaft interessierte kunstsinnige Bürgerinnen und Bürger erreichen Barbara Walter im Kunstmuseum der Stadt unter der Rufnummer: 0208-455-4105 oder per E-Mail an: barbara.walter@muelheim-ruhr.de. Derzeit stehen der Stadt, pro Haushaltsjahr, nur 20.000 Euro für die Instandhaltung der Kunst am Bau zur Verfügung. 

Ein alter/neuer Hingucker


Zusammen mit Walter, Rektorin Silke Schraven, dem Industrietechniker Mike Kerstgens und der Metallrestauratorin Juffenbruch konnte Grobe sich jetzt an Fassade der Wilhelm-Busch-Schule in Dümpten ein Bild von der mit einer Glasperlenbestrahlung gereinigten Stahlskulptur "Das Fantastische Gefährt" machen.

Die nach einer Zeichnung des Malers und Grafikers, Helmut Lankhorst, 1967 für den damaligen Schulneubau am Springweg 21 angefertigte Fassadenskulptur ist von dem auch verfilmten Kinderbuch: "Robi, Tobi und das Fliewatüüt inspiriert worden.

"Helmut Lankhorst, der gerne mit runden Formen arbeitet, war und ist auch an anderen Schulstandorten mit Fassaden- und Bodenkunstwerken vertreten, etwa an der Karl-Ziegler-Schule, an der Bruchstraße und am Gymnasium Broich", betont Barbara Walter.

"Wir freuen uns, dass wir diese schöne Fassadenskulptur wieder bei uns haben können. Sie ist schon von vielen Schülern und Lehrern bewundert worden", sagt Wilhelm-Busch-Schul-Rektorin, Silke Schraven.

Infos zum Kunstwerk


In der kommenden Woche wird die Stadt, die im neuen Glanz erstrahlende Stahlskulptur an der Wilhelm-Busch-Schule mit einem Infoschild komplettieren, um interessierte Kunstflaneure mithilfe eines QR-Codes den direkten Zugriff auf Werkinformationen im Internet zu ermöglichen.


Zum Kunstmuseum der Stadt und: Zur Wilhelm-Busch-Schule


Dienstag, 4. Oktober 2022

Klostergeschichte(n)

 "Wir haben hier keine Steine, sondern Inhalte restauriert", sagt der ehemalige Kulturdezernent, Hans-Theo Horn. In den Jahren 1979 bis 1989 war der Saarner Horn federführend an der Restaurierung und Neugestaltung von Kloster Saarn beteiligt. Jetzt war der ehemalige Kulturdezernent einer von 30 Teilnehmern einer Tagung zur Bedeutung der mittelalterlichen Klöster im Kloster Saarn, das heute ein Bürgerbegegnungszentrum und ein Gemeindezentrum der Pfarrgemeinde St. Mariä Himmelfahrt ist.


Historiker und interessierte Bürger waren der Einladung ins Kloster Saarn gefolgt, um mit Vorträgen, aber auch mit einem Besuch des 2008 vom Freundeskreis des Klosters Saarn eröffneten Klostermuseums die historische Bedeutung zu beleuchten, die die Klöster im Mittelalter hatten.

Ausgehend vom ehemaligen Saarner Zisterzienserinnenkloster Maria Saal entwarfen der Leiter des gastgebenden Mülheimer Stadtarchivs, Dr. Stefan Pätzold, und seine Mitreferenten, ein spannendes Panorama des mittelalterlichen Klosterlebens.

Zweifelhaftes Gründungsdatum


Pätzold machte mit Blick auf Kloster Saarn deutlich, dass dessen Gründungsjahr 1214 erst mit einer Urkunde aus dem Jahr 1221 "ausreichend nachgewiesen" ist, man aber von einem mehrjährigen Gründungsprozess ausgehen kann, so dass es wahrscheinlich auch schon vor 1221 in Saarn klösterliches Leben gegeben haben dürfte.

Bemerkenswert: Wenn die Klöster knapp bei Kasse waren, verkauften sie auch schon mal ihr wertvolles Altarsilber, um wieder aus den Miesen herauszukommen. Darüber hinaus konnten die Klöster in Notzeiten auch mit der Solidarität benachbarter Klöster oder mit Schenkungen reicher Gönner rechnen. Letztere unterstützten die Ordensleute nicht uneigennützig, sondern ließen sich ihre Schenkung von diesen urkundlich bestätigen, um beim Jüngsten Gericht in Sachen Seelenheil bessere Karten zu haben. Besonders begehrt waren Landschenkungen, mit denen die Klostergemeinschaften Land an Landwirte und Handwerker verpachten und so regelmäßige Einnahmen erwirtschaften konnten.

Der Segen von Kloster Kamp


Obwohl es sich bei den meisten Klosterfrauen um adelige Damen handelte, die mit dem Eintritt ins Kloster von ihren Familien sozial und wirtschaftlich versorgt wurden, unterstanden die Frauenorden der Aufsicht eines männlichen Bruderordens, der seine Mönche auch als Prediger und Seelsorger in die Frauenklöster entsandte. So mussten sich die Saarner Zisterzienserinnen regelmäßig der Visitation durch den Abt des Zisterzienserklosters in Kamp stellen und bei einem ungebührlichen Lebenswandel mit dem sprichwörtlichen "Segen von Kloster Kamp" rechnen.  In der Regel lebten einige Dutzend Nonnen im Jahr 1808 durch Napoleons Statthalter aufgelösten Zisterzienserinnenkloster Saarn. Im Zuge der Säkularisierung durch die französische Besatzung erhielt Mülheim 1808 erstmals Stadtrechte. Aber das ist schon wieder eine ganz andere weltliche Geschichte.

Wo die Kumpel zuhause waren

  Der Mülheimer Bergbau ist Geschichte. 1966 machte mit Rosen Blumen gelle die letzte Zeche dicht Punkt Mülheim war damals die erste Bergbau...