Aus dem jüngsten Jahresbericht der Antidiskriminierungsberatungss
Im Gespräch mit dieser Zeitung beschreibt, die aus dem Senegal stammende Pädagogin ihre Sicht nicht nur auf den Alltagsrassismus in unserer Stadt, sondern auf unterschiedliche Diskriminierungsformen und was man aus ihrer Perspektive dagegen tun kann. Derzeit leben in Mülheim Menschen aus 150 Nationen.
Überrascht Sie der hohe Rassismus-Anteil der Ratsuchenden, die sich an die Diskriminierungsstelle des Bundes gewandt hat?
Nein. Ich gehe beim Thema Alltagsrassismus von einer hohen Dunkelziffer aus, weil sich viele Betroffene nicht an öffentliche Beratungsstellen, sondern zuerst an Freund*innen, Familien und Betroffenen und an Migranten-Organisationen wenden, um Unterstützung zu bekommen.
Macht eine Antidiskriminierungsstelle auch auf lokaler Ebene Sinn?
Auf jeden Fall. Und ich freue mich, dass wir wahrscheinlich bis Ende des Jahres eine solche Antidiskriminierungsstelle bekommen. Die Stellenausschreibung läuft. Damit erfüllen CDU und Grüne eine Vereinbarung ihres Koalitionsvertrages. Wichtig ist, dass diese Antidiskriminierungsstelle, die nicht nur Beratung,- sondern auch Bewusstsein schaffende Öffentlichkeitsarbeit nicht im Rathaus, sondern in unabhängigen neutralen Strukturen einfließen vielleicht beim Centrum für bürgerschaftliches Engagement oder bei den Sozialverbänden angesiedelt wird. Die Ratsuchenden sind von unterschiedlichen Diskriminierungsformen wie Homophobie, Antisemitismus, Ableismus, Altersdiskriminierung, Klassismus, Sexismus, antimuslimischen/ antischwarzer Rassismus .. etc
Warum ist eine unabhängige Beratungsstelle auf neutralem Boden wichtig?
Weil viele von Rassismus betroffene Menschen, die zum Beispiel in Kindertagesstätten, Schulen, bei der Polizei, in Gerichten oder in der Stadtverwaltung rassistisch diskriminiert worden sind mit ihrer Beschwerde dort kein Gehört finden, weil sie dort auf eine kollegiale Abwehrhaltung treffen, die sagt: „Wir sind nicht rassistisch. Bei uns gibt es das nicht.“ Deshalb kann hier nur eine neutrale, zivilgesellschaftliche Beratungsstruktur den Betroffenen wirklich helfen, damit sie zu ihrem Recht verhelfen, das im Diskriminierungsverbot des Grundgesetz-Artikels 3 verankert ist.
Wo und wie erleben Sie Rassismus?
Ich nenne Ihnen drei Beispiele: Ich sitze mit zwei weißen Fahrgästen im Bordrestaurant der Deutschen Bahn. Die Servicekraft kommt und fragt die weiß positionierten Fahrgäste, was sie essen und trinken wollen. Mich fragt sie aber nicht. Ich frage sie: „Darf ich hier nichts essen und trinken?“ Die Servicekraft antwortet: „Ich habe Sie nicht gesehen!“ Ich erwidere: „Das kann doch gar nicht sein!“ Ich lasse den Leiter des Bordrestaurants kommen und spreche ihn auf das rassistische Verhalten der Servicekraft an. Er bietet mir einen Gutschein als Entschuldigung an. Ich aber sage ihm: „Ich brauche nicht Ihren Gutschein, sondern Ihre Sensibilität!“ Das war auch schön zu erfahren, dass die weißen Gäste meine Aussage bekräftigt haben.
Beispiel 2: Als Studentin stand ich vor einer deutschsprachigen Universität, als mir eine alte Dame zurief: „Du bist eine Schmarotzerin. Geh nach Hause.“ Ich habe ihr dann höflich geantwortet: „Ich bin keine Schmarotzerin. Ich studiere hier als Stipendiatin. Habe ich als Mensch nicht das Recht mich frei zu bewegen und dort zu lernen und zu arbeiten, wo ich es will?“ Sind die Europäer nicht auch ungefragt nach Afrika gekommen, um uns als Kolonialisten auszubeuten und zu unterdrücken? Dann bin ich nach Hause gegangen und habe geweint. Oder ich besuche als Mutter zweier Kinder den Tag der Offenen Tür eines Mülheimer Gymnasiums und bekomme als Einzige in der Gruppe keine Informationsbroschüre, weil man nicht davon ausging, dass Kinder einer schwarzen Frau das Gymnasium besuchen können.
Was kann und soll man gegen Rassismus tun?
Nur gemeinsam können wir gegen Rassismus und andere Diskriminierungsformen kämpfen, weil den Machtverhältnissen eine große Rolle spielen. Bildung, menschliche Bindung, Einfühlungsvermögen, Gemeinsinn, Begegnung und Dialog sind die besten Mittel gegen Rassismus. Wir brauchen mehr Wissen über Frieden, Menschenrechte, Kolonialismus und globale Zusammenhänge. Das gilt nicht nur für Schulen, sondern für alle gesellschaftlichen Ebenen und Institutionen, die externe Unterstützung anfordern können und müssen. Wer Rassismus erleidet oder auch nur miterlebt, darf nicht darüber schweigend hinweggehen. Man muss das Ansprechen und sich Verbündete suchen, die Unterstützung geben. Man muss von Rassismus betroffene Menschen in der Beratung ernstnehmen und so Vertrauen in den Rechtsstaat schaffen.
Gilberte Raymonde Driesen lebt seit 2007 in Deutschland. Sie hat Germanistik und Romanistik studiert und als Gymnasiallehrerin im Senegal gearbeitet. Heute ist sie hauptberuflich für das Centrum für bürgerschaftliches Engagement tätig und arbeitet nebenamtlich als Diversitätstrainerin, etwa in Vereinen, Gemeinden, Kindertagesstätten und Schulen aber auch im Rahmen deutsch-afrikanischer Schulpartnerschaften für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ehrenamtlich gehört sie dem Vorstand des Integrationsrates an und leitet den deutsch-senegalesischen Bildungs-, -Kultur- und Sozialverein Axatin e.V. www.axatin.de
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