Sommerzeit ist Urlaubszeit. Viele Mülheimer zieht es als Touristen in die Ferne. Doch es gibt auch Menschen, die als Touristen nach Mülheim kommen. Über die lokale Tourismusförderung im Jahr der europäischen Kulturhauptstadt Ruhr 2010 sprach ich die NRZ mit MST-Geschäftsführerin Inge Kammerichs (die hier an ihrem Arbeitsplatz Schloss Broich neben der Büste der preußischen Königin Luise zu sehen ist, die hier als junge Prinzessin als "Touristin" weilte.) .
Warum kommen Touristen nach Mülheim?
Der Ruhrtalradwanderweg war sicher eine Initialzündung für unsere Region und auch die Kulturhauptstadt ist ein Glücksfall für uns. Beides hat dazu geführt, dass wir inzwischen Gäste aus ganz Deutschland begrüßen können, die auch mehrere Tage hier verbringen.
Von welchen Gästen sprechen wir?
Viele Vereine und Firmen, aber auch private Kleingruppen und individuelle Radwanderer haben sich in diesem Jahr entschieden nach Mülheim zu kommen. Dabei können wir sowohl bei den Tagestouristen als auch bei den Touristen, die bis zu sechs Tagen in Mülheim bleiben, deutliche Zuwächse verzeichnen. Auch bei den Buchungen für die Stadthalle konnten wir unseren Umsatz verdoppeln und renommierte Veranstaltungen, wie die Tagungen der Rheinischen Notarskammer, der Implantologen oder die pharmaziehistorische Biennale, nach Mülheim holen, die auch mit Übernachtungen verbunden sind.
Was bedeutet das in konkreten Zahlen?
Wir haben in den ersten fünf Monaten des Jahres im Vergleich zu 2009 gut 16 000 Übernachtungen mehr gehabt, obwohl 2010 kein besonderes Messejahr war und auch der Geschäftstourismus nicht zugenommen hat. Etwa 11000 Übernachtungen sind touristisch veranlagt. Etwa 5000 Übernachtungen konnten wir durch neue Veranstaltungen in der Stadthalle gewinnen. Im Vergleich zu 2009 konnten wir die Raumbuchungen in der Stadthalle während der ersten sechs Monate von 254 auf 393 steigern. Das bedeutet, wir konnten unseren Umsatz bei den Raummieten von 207 000 Euro im ersten Halbjahr 2008 auf 412 000 Euro im ersten Halbjahr 2010 steigern.
Welche Rolle spielt dabei die Ruhr2010?
Eine wichtige, weil sie gerade während der ansonsten eher ruhigen Sommermonate zu einer Nachfragebelebung geführt hat.Frage: Wie zahlt sich die Tourismusförderung für Mülheim wirtschaftlich aus?Antwort: Wir wissen, dass jeder Hotelgast im Durchschnitt 130 Euro und jeder Tagestourist immerhin 30 bis 40 Euro in der Stadt lässt.Frage: Das Ruhrgebiet ist nicht als Tourismusregion bekannt. Behindert Sie das Image der Industrieregion?Antwort: Die Kulturhauptstadt hat uns da eine Tür aufgemacht und uns ermöglicht unser Image zu verbessern. Schon bei der Internationalen Tourismusmesse 2009 in Berlin konnte man das Gänsehautgefühl bekommen, dass das Ruhrgebiet jetzt als Tourismusregion geboren worden ist, weil Menschen hierhin kommen, die etwas erleben und bekommen, was sie so nicht erwartet haben. Sie erkennen, dass man im Ruhrgebiet zum Beispiel ein schönes Wochenende verbringen kann.
Geht es nach dem Ruhr-2010-Boom mit dem Ruhrtourismus wieder bergab?
Das ist unsere große Sorge. Als Touristiker hoffen wir natürlich, dass wir auch weiterhin die Möglichkeiten behalten unsere Region nach außen hin darzustellen, damit das, was jetzt ins Rollen gekommen ist und auch erste wirtschaftliche Erfolge bringt, weiter entwickelt werden kann, und nicht unter Sparzwängen wieder eingestampft wird.
Gibt es in Mülheim ein Bewusstsein und eine Infrastruktur für Tourismus?
Das ist ja die wunderbare Koppelung, dass diese Infrastruktur gerade im Jahr der Kulturhauptstadt vorhanden ist, die es vor drei Jahren so noch nicht gegeben hat. Unsere Touristen-Information, die gerade erst vom Deutschen Tourismusverband zur besten in NRW gekürt worden ist, hat einen guten Standard erreicht. Nach schweren Verhandlungen gibt es jetzt auch ein ÖPNV-Ticket, mit dem Touristen durch die Region fahren können. Aber nicht nur bei den Verantwortlichen hat es ein Umdenken gegeben. Mehr Bürger kennen die Attraktionen ihrer Stadt und identifizieren sich mit ihnen. Auch die Zahl der von Privatleuten vermieteten Gästezimmer ist deutlich angestiegen.
Profitieren auch die Hotels vom neuen Ruhrtalradweg?
Wir haben jetzt überall Radständer und auch eine Werkstatt für Radtouristen eingerichtet. Und auch die Hoteliers reißen sich inzwischen darum, bei unseren Ruhrtalradführer mitzumachen. Viele sind positiv überrascht, wie viele Touristen der Ruhrtalradweg nach Mülheim gebracht hat. Da passt sich der Markt an.
Zur Person: Inge Kammerichs (52) ist seit 2008 Geschäftsführerin der Mülheimer Stadtmarketing und Tourismusgesellschaft MST. Die gelernte Fremdenverkehrskauffrau und Fachwirtin für Messe- Kongress- und Tagungswesen kam 2001 zur MST, wo sie als Abteilungsleiterin den Bereich Tourismusförderung aufbaute. 2004 übernahm sie dort zusätzlich die Projektplanung und Betreuung für die Camera Obscura sowie die Verantwortung für die Vermarktung der Stadthalle. Als Tochter einer bayerischen Gastronomenfamilie arbeitete sie bereits mit 13 Jahren im elterlichen Betrieb mit und lernte, was Tourismusförderung an der Basis bedeutet. Nach ihrer Ausbildung an der Akademie Schloss Kleßheim bei Salzburg betreute sie in Bad Birnbach Planung und Bau von zwei Hotels. Später war sie in der Direktion von Fünf-Sterne-Hotels im Salzburger Land und in Düsseldorf tätig, ehe sie als Beraterin für die Betriebsberattungsgesellschaft Gastgewerbe arbeitete.
Dieser Text erschien am 7. August 2010 in der NRZ