Freitag, 30. April 2021

Sie hat schon viele zum Kochen gebracht

 Mit einer Quarkspeise in Mutters Küche begann Ulrike Dambergers Leidenschaft fürs Kochen. Inzwischen ist sie als die Fachbereichsleiterin für den Bereich Hauswirtschaft und Ernährung, die auch die Bereiche Mode, Kreativität und Gesprächskreise betreut, die dienstälteste Mitarbeiterin der Evangelischen Familienbildungsstätte (EFBS) am Scharpenberg. "Eigentlich wollte ich das nur drei Jahre lang machen und dann als Hauswirtschaftslehrerin in die Berufsschule wechseln", erinnert sich die gelernte Ökotrophologin an ihren Dienstantritt am 1. September 1977.

An ihrem zweiten Arbeitstag feierte sie ihren 22. Geburtstag, Dass sie ihrer ersten Stelle nach ihrer Berufsausbildung in Wuppertal treu geblieben ist, erklärt Ulrike Damberger so:

"Anders, als in den Hauswirtschaftsklassen der Berufsschulen kommen die Menschen freiwillig hier hin, um mit anderen Menschen zu kochen!"

Im Laufe der Jahre sind ihre Kochkurse zu einem immer beliebteren Gemeinschaftserlebnis geworden. Aus einem ihrer Kochkurse ging sogar ein Seniorenmittagstisch hervor, der bis heute im Evangelischen Gemeindehaus an der Oberheidstraße gedeckt wird. Allein in den vergangenen zwölf Jahren hat sie 1186 Kochkurse gegeben und damit 3462 Männern, Frauen und Kindern die Freude an der Kochkunst vermittelt.  

In einer Kellerküche fing alles an

Ihren ersten Kochkurse gab Damberger noch in einer Kellerküche am Schildberg in Dümpten. An ihrem ersten Kochkurs nahmen neun Frauen und ein Mann teil. Damals trug die EFBS ihren Gründungsnamen aus dem Jahr 1962 "Mütterschule" noch im Untertitel. "Sind Sie noch nicht verheiratet? Dann werden Sie bei uns sicher einen Mann kennenlernen", ließ ein Styrumer Pfarrer die junge Fachbereichsleiterin wissen. Damberger war darüber amüsiert bis irritiert. Doch der Pfarrer sollte Recht behalten. Nicht etwa bei einem ihrer Kochkurse für Junggesellen, sondern, Mitte der 1980er Jahre, bei einem Kochkurs rund um die asiatische Küche, lernte die Ökotrophologin ihren späteren Mann Klaus kennen. Damals hatte die EFBS bereits ihr heutiges Haus am Scharpenberg bezogen.

In den 1980er Jahren erweiterte Damberger ihr Küchenkabinett um Kochkünste aus aller Welt. Neben deutscher Hausmannskost wird in der Lehrküche am Scharpenberg heute auch chinesisch, französisch, spanisch, indisch oder französisch gekocht. Auch von vegetarischer und veganer Küche war in Dambergers frühen Berufsjahren noch keine Rede.

"Damals gehörte zu jeder guten Mahlzeit ein ordentliches Stück Fleisch",

erinnert sich Ulrike Damberger. Von sich selbst sagt die Mutter einer inzwischen erwachsenen Tochter, "dass ich in der Küche gerne viel ausprobiere und eigentlich alles mag, außer Mayonnaise!"

Kochkurse machen nur live Spaß

Bevor das Corona-Virus die Küchenfee aus der EFBS im vergangenen Jahr ausbremste und ihre Lehrküche seit Oktober stillgelegt hat, hat Ulrike Damberger ihre Arbeit eigentlich nie als solche angesehen. "

Mit anderen Menschen zusammen zu kochen, ist für mich Entspannung und Kreativität pur",

sagt sie. Damberger, die ursprünglich nur von einer Kollegin unterstützt wurde, leitet inzwischen einen Fachbereich mit acht Dozentinnen. Sie hoffen, wie ihre Chefköchin, auf ein möglichst baldiges Küchen-Comeback. Denn auch wenn Ulrike Damberger ihr Küchenlatein zurzeit über die Internetseite der EFBS an die Frau und den Mann bringt, funktioniert ein Kochkurs eben nicht digital, sondern nur ganz analog mit Schmecken, Riechen, Probieren und Fühlen. Mit Blick auf die langfristigen Tendenzen in der hauswirtschaftlichen Ausbildung begrüßt es Ulrike Damberger, dass heute Kochkurse längst keine Frauensache mehr sind, sondern sich auch Vater-Kind-Kochkurse und zum Geburtstag geschenkte Familienkochkurse immer größerer Beliebtheit erfreuen. Bedauerlich findet es die Ökotrophologin aber, dass heute in den Regelschulen keine Hauswirtschaft mehr auf dem Stundenplan steht und so viel Grundwissen rund um das kleine und große Einmaleins der Lebensmittel und des Kochens verloren gegangen ist.


aus dem Lokalkompass der Mülheimer Woche vom 26. April 2021

Montag, 26. April 2021

Erfahrungen eines Fußgängers

 Wer früher ein Abenteuer erleben wollte, musste in die weite Welt hinaus. Heute reicht der normale Alltag vor der Haustür. Längst sind auch Fußgängerzonen und Bürgersteige zu Rennstrecken für E-Rollern, die kaum hörbar, aber blitzschnell und lebensgefährlich an einem vorbeirasen. „Was ihr könnt, kann ich schon lange“, sagt sich da so mancher rasende Radfahrer. Auch manche Autofahrer beschränken sich heute bei weitem nicht mehr auf Fahrbahnen und Parkplätze. Sie nehmen auch schon mal erstaunlich selbstverständlich und rasant eine Abkürzung durch die Fußgängerzone oder parken, weil sie es ja besonders eilig haben und jeder zu Fuß zurückgelegter Meter für sie die reinste Zeitverschwendung ist, auch die Bürgersteige zu, die noch nicht als Parkplätze ausgewiesen sind. Und selbst, wenn man sich als Fußgänger in Bus- und Bahn flüchtet, ist man seines Lebens nicht immer sicher. Denn da gehen die Automatiktüren auch schon mal vor der Zeit zu und bringen den für unsere schnelllebige Zeit zu langsamen Fußgänger in die Klemme. Mir scheint: Je schneller wir vorankommen wollen, desto schneller kommen wir auf den Holzweg und landen am Ende in der Sackgasse, namens Rücksichtslosigkeit.


aus der NRZ vom 26.04.2021

Samstag, 24. April 2021

Mülheimer Bodenschätze

 Am Wasserbahnhof kann man zu einer Tour mit der Weißen Flotte aufbrechen. Man kann aber auch auf der Schleuseninsel in die Erlebnisroute Mülheimer Bodenschätze einsteigen. Mit Hilfe des Landes konnte die Stadt jetzt den aus elf Stationen bestehenden geologischen Lehrpfad aktualisieren. 

Dafür hat der Regionalverband Ruhrgebiet 127.000 Euro aus dem Landeshaushalt an die Stadt Mülheim weitergegeben. Mit dem Geld konnten die elf Stationen zwischen Schleuseninsel, Luisental, Fossilienweg, Auberg, Kahlenberg und Mintarder Ruhrtalbrücke digitalisiert und an die heutigen Lesegewohnheiten angepasst werden. Wer sich mit seinem Smartphone auf die geologische Lehrwanderung durch Mülheim begibt, kann sich mit dem Abfotografieren eines QR-Codes die auf der Internetseite der Stadt hinterlegten Informationen über Mülheimer Bodenschätze und Bodenprofile als Audiodatei aufrufen. Ergänzt werden die Stationen des geologischen Lehr- und Erlebnispfades durch zehn Infotafeln, die als "Boden-Botschafter" an Mülheimer Schulen aufgestellt worden sind. Für das neue Präsentationskonzept zeichnet der Ausstellungsgestalter Helmut Kessler verantwortlich.

Bewusstsein für den Boden schaffen

"Wir wollen die Menschen mit unserer Erlebnisroute Mülheimer Bodenschätze vor allem dafür sensibilisieren, wie wertvoll unser Boden ist, wenn es zum Beispiel darum geht, unsere Umwelt und unser Klima zu schützen", argumentiert Ulrike Marx in die gleiche Richtung. Sie ist beim Umweltamt für den Klimaschutz zuständig. Der Geograph Dr. Peter Keil, der die Biologische Station Westliches Ruhrgebiet leitet, hat den geologischen Lehrpfad mit Schautafeln und Schaukästen, zusammen mit Marx 2009 initiiert. Damals sprang die NRW-Stiftung als Geldgeber ein. Diesmal kommt das Geld vom Land. 

Grüne Lückenschlüsse

Die Modernisierung des gleichermaßen für familiäre Spaziergänge wie für schulische Exkursionen geeigneten Geo-Lehrpfades ist eines von 27 Landesprojekten im Ruhrgebiet. Insgesamt stellt NRW 2,2 Millionen Euro für Maßnahmen bereit, die Lücken in den Grünzügen des Ruhrgebietes schließen und so die "grüne Infrastruktur 2030" stärken soll. "73 Prozent der Fläche der 52 Ruhrgebietsgemeinden, die zum Regionalverband gehören, sind Grünflächen", unterstreicht Tino Wenning vom RVR. Diesen Wert erreicht Mülheim mit seinem Grünflächenanteil von 72,6 Prozent fast genau auf den Punkt. Den grünen Lückenschluss im Ruhrgebiet, den die vom NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet 2018 einberufene Ruhrgebietskonferenz aufgegriffen hat, hatte der Vorgänger des Regionalverbandes Ruhrgebiet, der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk bereits vor 100 Jahren geplant.

Stadt und Land Hand in Hand

"Die grünen Infrastrukturprojekte des Landes und des Regionalverbandes passen sehr gut in unsere lokale Strategie, die weitere Zersiedelung unseres Stadtgebietes und die damit verbundene zunehmende Versiegelung von grünen Freiflächen zu verhindern. Deshalb müssen wir bei unserer Bauplanung auch verstärkt in die Höhe denken, um den Flächenverbrauch zu stärken", betont Bau- und Umweltdezernent Peter Vermeulen.

Vermeulen und Wenning sind sich einig, "dass ökologisch weitgehend intakte Wirtschaftsstandorte, die Unternehmen und ihren Mitarbeitern ein attraktives Umfeld mit hoher Lebensqualität bieten können, im Standort-Wettbewerb die Nase vorne haben werden, weil die Zeiten der grauen Werkshallen auf großen Flächen in einer zunehmend digitalisierten Wirtschaft der Vergangenheit angehören."

Neue Bäume für Mülheim?

"Dass die Akzeptanz für Umweltschutz auch mit Blick auf den Boden eine früh einsetzende und sensibilisierende Umweltbildung braucht", haben Dr. Peter Keil und Ulrike Marx nicht nur auf der Erlebnisroute der Mülheimer Bodenschätze, sondern auch in ihrem Bodenklassenzimmer im Broich-Speldorfer Wald erlebt, wenn sie Mülheimer Schülern den ökologischen Wert des heimischen Bodens auch mit ganz praktischen Bodenuntersuchungen nahebringen. Nach der Modernisierung der Erlebnisroute Mülheimer Bodenschätze hofft Umweltdezernent Peter Vermeulen, dass Mülheim im Herbst in das Landes- und RVR-Programm "10.000 Bäume für das Ruhrgebiet" einbezogen wird. Bei der ersten Verteilungsrunde war Mülheim leer ausgegangen. Bäume tragen als Biotop für Insekten zur Artenvielfalt bei und können mit der Fotosynthese CO2-Abgase in Sauerstoff verwandeln.


aus dem Lokalkompass der Mülheimer Woche, 19.04.2021

Freitag, 23. April 2021

112, bitte kommen!

112. Das ist die Rufnummer für Notfälle, wenn der Rettungsdienst kommen muss, um zu helfen. Gleich zweimal in kurzer Folge hatte ich jetzt so ein Beinahe-112-Gefühl, und das nur, weil ich nicht schnell genug aus der 112 aussteigen konnte. Auf dieser Linie, die zwischen Oberhausen und Mülheim-Hauptfriedhof verkehrt, muss man als Fahrgast schon von der schnellen Truppe sein. Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass diese Linie auch öfter in Tarngrün Werbung für die Bundeswehr fährt. Klar. Wer bei der Bundeswehr mitfahren bzw. mithalten will, muss schon von robuster Natur sein. Kann es sein, dass die Ruhrbahn mit dem neuen wehr tüchtigen Werbekunden im Rücken einen Takt schneller fährt und deshalb auch die Schließ- und Öffnungsautomatik ihrer Schiebetüren beschleunigt und auf den Modus Fallschirmjäger eingestellt hat. Wer kein Tempo macht, weil er kein Sprinter ist oder gar mit Rollator, Stock und Co in der flotten Truppen-Tram unterwegs ist, der muss sich zeitig und zackig zum Absprung, pardon Ausstieg, aufstellen. Nicht nur beim Bund, sondern auch bei der Ruhrbahn kommen nur die Harten in den Garten, pardon, heil zu nächsten Haltestelle. Da braucht man schon mal die ganze Kraft seiner Ellbogen, um den zackigen Automatiktüren  der 112 etwas entgegenzusetzen, ohne anschließend gleich den Notruf 112 wählen zu müssen. In diesem Sinne: Hals und Beinbruch bei ihrer nächsten Fahrt mit der 112. 


Dieser Text erschien am 10.04.2021 in der NRZ

Dienstag, 20. April 2021

Auf gut deutsch

Als ich in der Zeitung las, dass Heino im Herbst in seiner Heimatstadt Düsseldorf einen „deutschen Liederabend“ veranstalten will, den der Intendant der dortigen Tonhalle nicht bewerben will,  weil das in seinen Augen einen nationalistischen und deutschtümelnden Beigeschmack hätte, musste ich an ein „Abschiedskonzert“ denken, das Heino schon vor Jahren in der Mülheimer RWE-Halle gegeben hat. Auch damals hat er, wie es seine Art ist, deutsche Volkslieder und deutsche Schlager gesungen, sehr zum Gefallen seines erstaunlich generationsübergreifenden Publikums, das aber auch so gar keinen aggressiv-nationalistischen Eindruck auf mich machte. Jetzt will Heino, der das Singen auch nach diversen Abschiedskonzerten, nicht sein lassen kann, auf seine alten Tage ganz klassisch Lieder von Schubert, Beethoven, Bach und Brahms zum Besten geben. Von allen drei Strophen des Deutschlandliedes, die Heino auch schon gesungen hat, ist nicht die Rede, obwohl auch das ein Teil der deutschen Kulturgeschichte ist, gedichtet anno 1841 von Hoffmann von Fallersleben und gedacht an die Einheit der deutschen Nation, als es diese in staatlicher Form noch gar nicht gab.

Da kann man sehen, was Disziplin heißt. Kein Volk der Erde macht uns das nach!“  sagte Kaiser Wilhelm II., als er 1906 vom angeblichen Hauptmann von Köpenick hörte, der tatsächlich ein Schuster auf Irr- und Abwegen im deutschen Bürokratie-Dschungel  war und sich mittels einer Uniform und des deutschen Untertanen-Geistes der Köpenicker Stadtkasse bemächtigen konnte. 115 Jahre später sind wir auch ohne Kaiser, nicht nur bürokratisch betrachtet, immer noch einmalig. So viel Disziplin in politischer Korrektheit, die sogar unser eigenes Kulturerbe verleugnet, macht uns kein Volk der Erde nach. Wenn Heino mit seinem deutschen Liederabend in Düsseldorf nicht beworben werden darf, sollten wir ihn vielleicht nach Mülheim einladen, sobald es der Corona-Virus erlaubt.

Dienstag, 6. April 2021

Nur nicht unter die Räder kommen

In diesen Zeiten muss man manchmal Angst haben, unter die Räder zu kommen, und das nicht nur, weil das Corona-Virus unterwegs ist. Dieses Gefühl, unter die Räder zu kommen. hatte ich jetzt gleich in kürzesten Abständen, als ein Fahrradkurier, der schneller durch den Übergang zwischen Forum und Hauptbahnhof an meiner Nasenspitze vorbeifuhr, als es die Polizei erlaubt. Die war allerdings gerade, wir ahnen es, nicht zur rechten Zeit am rechten Ort, um den Rad-Rowdy zu stoppen. Überhaupt habe ich in den letzten Jahren das Gefühl, dass ich in unserer Innenstadt nur noch motorisierte Polizeistreifen sehe, die anders, als ihre Vorgänger, nicht mehr zu Fuß, sondern nur noch auf vier Rädern in ihren Streifenwagen nach dem rechten schauen. Leider nicht anwesend waren die Kollegen von der Polizei auch, als sich zur bereits dunklen Abendstunde unvorsichtigerweise mit einem Hakenprosche nach meinem Tageseinkauf aus einem Supermarkt an der Zentralen Haltestelle in der Friedrich-Ebert-Straße hervor trat. Hier hatte ich das ungute Gefühl im Mittelpunkt und damit allen, die mich sehr rasant mit ihre schnell fahrenden, aber leider nur sehr schwach beleuchteten E-Rollern, umkreisten. Dabei überkam mich der spontane Eindruck, dass nicht nur die an der zentralen Haltestelle zwischen Passanten, wartenden Fahrgästen und späten Einkäufern herum sausenden Elektrolleroller schwach beleuchtet waren. Gott sei Dank war auch diesmal mein Schutzengel an meiner Seite und verhinderte, dass ich unter die Räder der abendlichen Renn-Roller kam. Gute Schutzengel brauchen aber auch die Verkehrsteilnehmer, die sich auf zwei und vier Rädern am Kahlenberg auf der dort ohnehin sehr engen Mendener Straße begegnen. Hier war man offensichtlich nicht gut beraten, als man es mit dem reinen Aufstellen von rot weißen Warnbaken Rad,-Auto und Busfahren gemeinsam recht machen wollte und so eine für alle Verkehrsteilnehmer abenteuerliche, um nicht zu sagen: lebensgefährliche Begegnung zwischen Kahlenberg und Leinpfad zu schaffen, die auf den ersten Blick zeigt, dass gut gemeint nicht unbedingt auch gut gemacht ist und so einen neuen Hotspot für Schutzengel und Stoßgebete an den Schutzpatron aller Verkehrsteilnehmer, den heiligen Christophorus, schafft: "Hilf, dass ich nicht unter die Räder komme und jene gut beraten sind, die über unsere Rad,- Geh und Fahrbahnen wachen, dass ihnen ein Licht aufgehen möge, dass so manche hohle Gasse, durch die Er, Sie und Es kommen müssen, zur Sackgasse oder zum Holzweg wird, wenn der verkehrspolitische Wille und die verkehrspolitische Phantasie im Rathaus breiter ist, als der in der Realität zur Verfügung stehende und naturgemäß endliche Verkehrsraum auf Fahrbahnen und Gehwegen! 


aus der NRZ vom 06.04.2021

Sonntag, 4. April 2021

Mobiles Mülheim

 Über Jahrhunderte waren die Menschen auch in Mülheim zu Fuß oder mit Pferd und Wagen unterwegs. Hinzu kam die schiffbare Ruhr, die auf14 Kilometern, die Stadt durchfließt. Bis zum Eisenbahnanschluss im Jahr 1862 war die Ruhr ein von Transportschiffen stark befahrener Fluss. Doch um 1880 kam die industrielle Ruhrschifffahrt zum Erliegen. Es sollte bis 1927 dauern, ehe mit dem Wasserbahnhof und der Weißen Flotte ein neues; touristisches Kapitel, der Ruhrschifffahrt aufgeschlagen werden konnte. Der Bau der ersten Mülheimer Ruhrschleuse hatte die Ruhrschifffahrt beschleunigt. Die heutige Ruhrschleuse auf der Schleuseninsel wurde 1845 fertiggestellt. Bereits 1844 war mit der Kettenbrücke der erste Brückenschlag über die Mülheimer Ruhr gelungen, die bis dahin ausschließlich mit der schollschen Fähre hatte überquert werden konnte.

Unvorstellbar. In der ersten Saison 1927/28 beförderten die Schiffe der Weißen Flotte fast 500.000 Fahrgäste. Die Mobilität auf Schienen hatten die Mülheimer 1838 mit der Einrichtung der Sellerbecker Pferdebahn entdeckt, die die in den Zechen des Mülheimer Nordens geförderte Kohle zur Ruhr brachte und sie dort auf Schiffen weiter transportierte.

Ein ganz neues Kapitel der Mobilität wurde am 8. Juli 1897 mit der ersten Fahrt der elektrischen Straßenbahn. Die erste Straßenbahnen fuhren nach einer knapp zweijährigen Planungsphase, die mit einem Stadtverordnetenbeschluss vom 13. August 1895 begonnen hatte, vom Rathaus bis zur Styrumer Stadtgrenze nach Oberhausen und in Richtung Heißen bis zur Körner Straße. Nach dem Ersten Weltkrieg erreichte das Streckennetz der Mülheimer Straßenbahn sein heutiges Gleisnetz von knapp 45 Kilometern.

Die ersten Straßenbahnen fuhren zunächst im 15-Minuten-Takt und dann im 7,5-Minuten-Takt. Die einfache Fahrt kostete 5 Pfennige. Das Streckennetz wurde rasch ausgebaut. Bald konnten die Mülheimer von der Stadtmitte auch zum Kahlenberg oder (ab 1916) auch nach Essen oder (ab 1911) über die erste Schloßbrücke nach Broich, Speldorf, Saarn und Duisburg fahren können. Die Straßenbahnlinie nach Saarn wurde allerdings 1968 zugunsten von Buslinien eingestellt. Der erste Betriebshof der Mülheimer Straßenbahnen befand sich an der heutigen Friedrich-Ebert-Straße, die damals noch Notweg und später Hindenburgstraße hieß. Nach der Schließung des Eisenbahnausbesserungswerkes Speldorf (1959) wurde der Betriebshof nach Broich an die Duisburger Straße verlegt.

Die Popularität, die die Elektrische Straßenbahn als öffentliches Verkehrsmittel gewann, lässt sich unter anderem daran ablesen, dass der Fuhrpark der Mülheimer Straßenbahn von 1897 bis 1914 von 13 Triebwagen und 6 Beiwagen auf 68 Triebwagen und 33 Beiwagen anstieg. Nach dem Ersten Weltkrieg kamen noch einmal 18 Triebwagen und 20 Beiwagen hinzu.

Während des Ersten Weltkriegs, als viele Männer an die Front mussten, wurden erstmals auch Frauen als Straßenbahnfahrerinnen und als Straßenbahnschaffnerinnen eingestellt. Die Straßenbahnen wurden während des Krieges auch für Kohle- Material- und Lazarett-Transporte eingesetzt. In den 1920er Jahren gründeten die Straßenbahner einen Verein, in dem sie gemeinsam musizierten, Sangen und Sport betrieben. Damals dauerte die Schicht eines Straßenbahnfahrers 9 Stunden und sein Wochenlohn lag bei 22,50 Reichsmark. Während des großen Luftangriffs auf Mülheim in der Nacht vom 22. auf den 23. Juni 1943 wurden insgesamt 20 Straßenbahnwagen zerstört. 

In dem Maße, in dem Mülheim im Frühjahr 1945 durch Artillerie-Beschuss zum Front-Gebiet wurde, musste der Straßenbahnverkehr eingestellt erden. Doch schon wenige Tage nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen am 11. April 1945 waren wieder 33 Straßenbahnwagen auf Mülheims Straßen unterwegs. Da die wenigsten Mülheimer damals motorisiert waren, stieg die Zahl der Fahrgäste bis 1951 auf einen Rekordwert von jährlich 45 Millionen an, um danach auf jährlich rund 30 Millionen zurückzugehen. Um möglichst viele Fahrgäste befördern zu können wurden ab 1953 zunehmen Großraum- und Gelenkwagen eingesetzt. Im Laufe der 1950er Jahre schafften die städtischen Verkehrsbetriebe insgesamt 34 Großrau- und Gelenkwagen an. 

Allerdings gingen die Fahrgastzahlen in dem Maße zurück, in dem mit dem westdeutschen Wirtschaftswunder der 1950er Jahre eine Motorisierungswelle begann, die Mülheim zu einer der deutschen Städte mit der höchsten Autodichte werden ließ.

Das führte dazu, dass man aus Rationalisierungsgründen das Streckennetz der Straßenbahn nicht mehr erweiterte und bis 1968 alle Schaffner abschaffte. Gleichzeitig wurden stadtweite 53 Omnibusse auf die Straße geschickt, die 13 Linien befuhren. Im 75. Jahr ihres Bestehens, waren 36 Triebwagen und 23 Beinwagen der städtischen Verkehrsbetriebe auf Mülheims Schienen unterwegs. Ab 1977 wurde da Mülheimer Schienennetz noch einmal durch die zwischen Essen und Mülheim verkehrende Stadtbahnlinie U18 erweitert. Damals lebten 193.000 Menschen in Mülheim und man ging von einem weiteren Anstieg auf mehr als 200.000 Einwohner aus. Mitte der 1980er Jahre wurde unter dem neugeschaffenen Kurt-Schumacher-Platz ein zentraler Busbahnhof eingerichtet. Gleichzeitig wurde das U- und Stadtbahnnetz für die Linie 102 (bis Oberdümpten) nach Norden erweitert. Seit der Eröffnung des Ruhrtunnels im September 1998 fahren die Straßenbahnlinien 910 und 102 zum Teil unter der Ruhr, um ihre Fahrgäste von Mülheim nach Duisburg oder vom Uhlenhorst bis Oberdümpten zu bringen. 


Samstag, 3. April 2021

Im Zeichen des Regenbogens

 Selbeck. Seit dem 27. März weht an der Kirche der hl. Theresia von Avila die Regenbogenfahne. Die Farben des Regenbogens symbolisieren seit alttestamentarischen Zeiten den nachsintflutlichen Frieden zwischen Gott und den Menschen. Heute stehen seine Farben auch für den irdischen Frieden zwischen den Nationen und Menschen. Sie sind ein Bekenntnis zur gleichberechtigten Vielfalt der Gesellschaft. Deshalb haben auch Friedensbewegte, Verteidiger der Menschenrechte sowie die Bewegung der schwul und lesbisch lebenden Menschen die Regenbogenfahne als ihr Symbol erkoren.

Die zwölf Mitglieder des Sachausschusses von St. Theresia von Avila verstehen vorösterlichen Fahnenschmuck an der Karl-Forst-Straße als kirchen-politische Kritik an Papst Franziskus, der die kirchliche Segnung homosexueller Lebensgemeinschaften ablehnt. Die katholischen Christen von der Gemeindebasis der Pfarrgemeinde St. Mariä Himmelfahrt stehen mit ihrer Papst-Kritik in diesem Punkt nicht allein. Die katholischen Pfarrer Michael Janßen und Christian Böckmann hatten in dieser Zeitung bereits am 24. März Ihr Unverständnis angesichts der jüngsten Entscheidung des Vatikans geäußert und betont, weiter an der kirchlichen Segnungspraxis, inklusive gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften festhalten zu wollen. Böckmann nannte den Ton des Papst-Papieres „eiskalt“ und begrüßte die gleichfalls kritische Stellungnahme des Ruhrbischofs Franz-Josef Overbeck. Konservative Katholiken aus Deutschland, so vermutete Böckmann im Gespräch mit dieser Zeitung, hätten die päpstliche Ablehnung der kirchlichen Segnung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften in Rom „bestellt.“

„Wir wollen mit diesem Symbol der Versöhnung  zeigen, dass alle Frauen und Männer, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung bei uns willkommen sind“, betont der Selbecker Katholik und Mitinitiator Christoph Rumbaum. Er findet: „Eine Kirche, die sich die Nächstenliebe auf ihre Fahnen geschrieben hat, tut gut daran, Lebenspartner zu segnen, die sich lieben und Verantwortung füreinander übernehmen wollen.“

Auch seine Mitstreiterin aus dem Sachausschuss St. Theresia von Avila, Heike Bordin-Knappmann, versteht die Regenbogenfahne an der 1892 vom damaligen Kölner Erzbischof Philipp Kardinal Krementz eingeweihten Kirche, die, laut Pfarreientwicklungskonzept, keine Kirchensteuermittel mehr erhält als „ein klares Statement der Hoffnung in unserer Kirche, an deren Basis christliche Werte wie Nächstenliebe, Hilfe, ehrenamtliches Engagement und Gemeinschaft vorurteilsfrei und fortschrittlich gelebt werden.“ Gerade erst hat Bordin-Knappmann zusammen mit Michaela Kaminski und Imke Seipelt an der Selbecker Theresien Kirche einen interaktiven und alle Sinne ansprechenden Kreuzweg erstellt. Die dreifache Mutter, die sich aufgrund ihrer eigenen positiven Erfahrungen weiterhin in ihrer Kirche engagiert und beheimatet fühlt, fürchtet, dass konservativer Dogmatismus, wie er in der päpstlichen Ablehnung der Segnung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften zum Ausdruck kommt, nicht nur homosexuelle Katholiken, die sich bisher noch in ihrer Kirche engagierten, aus dieser hinaustreiben könnte.

Als katholische Christin der Generation Maria 2.0 lässt Heike Bordin-Knappmann keinen Zweifel daran, dass ihre Kirche die Frauen langfristig nur dann in ihren Reihen halten kann, „wenn sie das Pflichtzölibat für Priester abschafft und Frauen einen gleichberechtigten Zugang zum Priesteramt verschafft.“ 

Hintergrund:

Die Ablehnung, homosexuelle Lebenspartnerschaften zu segnen, wird durch die päpstliche Glaubenskongregation als „Antwort auf einen Zweifel“ unter anderem damit begründet, dass es der Kirche nicht erlaubt sei, „"nicht erlaubt, Beziehungen oder selbst stabilen Partnerschaften einen Segen zu erteilen, die eine sexuelle Praxis außerhalb der Ehe (das heißt außerhalb einer unauflöslichen Verbindung eines Mannes und einer Frau) einschließen". Gleichzeitig würdigen die amtskirchlichen Glaubenshüter des Vatikans den aufrichtigen Willen" mancher Projekte, "homosexuelle Personen anzunehmen, sie zu begleiten und ihnen Wege des Glaubenswachstums anzubieten". Sie sprechen sogar von positiven Elementen in homosexuellen Lebenspartnerschaften, die für sich zu schätzen und hervorzuheben seien, aber, für sich gesehen, keine kirchlichen Segnungen rechtfertigten. Diakon Hans-Georg Keller aus der Pfarrgemeinde St. Mariä Himmelfahrt zeigt Verständnis für die jüngste päpstliche Entscheidung: Er sieht in ihr keine Ablehnung homosexueller Menschen, sondern den Hinweis des Papstes, dass der sexuelle Charakter einer Beziehung etwas sehr Privates und Intimes sei, dass sich der kirchlichen Segnung entziehe und deshalb kein öffentlicher Gegenstand sein könne. Im Rahmen eines Dokumentarfilms hatte Papst Franziskus im Oktober 2020 mit Blick auf homosexuelle Menschen gesagt: "Wer bin ich, sie zu urteilen. Homosexuelle haben das Recht, in einer Familie zu leben. "Was wir benötigen, ist ein Gesetz, das eine zivile Partnerschaft ermöglicht.“


aus der NRZ vom 31.03.2021

Schöne Straße?!

  Für die Mülheimer Presse und das neue Mülheimer Jahrbuch habe ich mich an 50 Jahre Schloßstraße erinnert. So alt bin ich also schon, dass ...