Mittwoch, 30. Dezember 2020

Zwischen Trümmern und Tannenbaum

Weihnachten 1945. 125.000 Mülheimer, unter ihnen 1000 Flüchtlinge aus dem Osten Deutschlands, feiern das Geburtsfest Jesu in einer vom Krieg gezeichneten Stadt. Fast 900.000 Kubikmeter Trümmerschutt sind nach dem Kriegsende im April liegen geblieben. Es wird bis 1953 dauern, ehe die Stadt an der Ruhr wieder trümmerfrei ist.

Weil 29 Prozent der Wohnungen vom Krieg zerstört und weitere beschädigt sind, müssen viele Mülheimer in Kellern, Ruinen, Baracken und in Gemeinschaftsquartieren feiern. „Wir mussten uns die vier Zimmer unserer Wohnung an der Tersteegenstraße mit sieben Leuten teilen“, erinnert sich der 1936 geborene Walter Neuhoff. „Die Weihnachtsgottesdienste auf dem Kirchenhügel konnten nicht in der Petri- und in der Marienkirche gefeiert werden, weil beide Gotteshäuser von Bomben zerstört oder zumindest stark beschädigt waren. Deshalb nutzten die Evangelische Altstadtgemeinde um Pastor Eduard Barnstein und die Pfarrei St. Mariae Geburt um Pfarrer Johannes Heinrichsbauer den Altenhof in ökumenischer Eintracht für ihre Gottesdienste am ersten Weihnachtstag. Um 9 Uhr begann dort der evangelische und um 11.30 Uhr der katholische Gottesdienst. In beiden Fällen waren die Gottesdienste brechend voll“, weiß Neuhoff zu berichten. Weil die Menschen in der Britischen Zone, zu denen auch die Mülheimer gehörten, aufgrund der Ausgangssperre keine Mitternachtsmesse besuchen konnten, hörten viele Mülheimer, wie die Familie Neuhoff, am Heiligen Abend 1945 eine ökumenische Christmette, die mit einer Sondererlaubnis der britischen Militärregierung vom Nordwestdeutschen Rundfunk aus dem vom Krieg gezeichneten Kölner Dom übertragen wurde.


Ökumene war auch bei der vorweihnachtlichen Zubereitung der vom Schwedischen Roten Kreuz und vom Hilfswerk der Quäker finanzierten Schulspeisung angesagt. In der Küche der katholischen Volksschule an der Eduard Straße wurde für die Kinder der benachbarten Evangelischen Volksschule am Muhrenkamp mitgekocht. Erbsensuppe und Biskuitsuppe standen auf dem Speiseplan der Volksschüler. Weil viele Klassenräume vom Krieg zerstört waren, wurden Mülheims Volksschüler ab dem 1. Dezember 1945 in Vor- und Nachmittagsschichten unterrichtet. „Eine Woche hatten wir Früh- und in der nächsten Woche dann Spätunterricht. Auch der Samstag war für uns Schultag“, berichtet Neuhoff, der damals die Evangelische Volksschule am Muhrenkamp besuchte. Ein Glanzlicht der ansonsten vom Hunger und der Lebensmittelrationierung überschatteten Weihnachtszeit 1945 war die Tafel Schokolade, die alle Mülheimer Schüler am Tag vor dem Heiligen Abend von der britischen Militärregierung geschenkt bekamen. Unvergessen bleibt für sein für Walter Neuhoff, dass sein Vater Wilhelm, der als Betriebsarzt bei der Reichsbahn arbeitete, am Heiligen Abend 1945 nicht nur einen Christbaum, sondern auch eine Weihnachtstüte mit Schokoladen und Keksen mitbrachte.


Die britische Armee, die seit Juni 1945 in Mülheim das Sagen hatte und deshalb auch das amtliche Mitteilungsblatt der Stadt herausgab, versuchte die hungernden und vom Krieg traumatisierten Mülheimer etwa mit Adventskonzerten auf dem Rathausmarkt und im Raffelberg-Saal oder mit Lebensmittel-Sonderrationen und einer nahrhaften Christmas-Party  für Kinder und Jugendliche in der weihnachtlich dekorierten Oberschule an der Schulstraße bei Laune zu halten.


Besonders gut hatten es die Berg- und Stahlarbeiter, die in der Friedrich-Wilhelms-Hütte, im Styrumer Röhrenwerk oder auf den Zechen Wiesche und Rosenblumendelle arbeiteten. Als „Schwerstarbeiter“ erhielten sie vom städtischen Wirtschafts- und Ernährungsamt erhöhte Lebensmittelzuweisungen. „Wir wohnten damals in der Mausegattsiedlung. Mein Vater war Bergmann auf Wiesche. Wir bekamen zu Weihnachten Ernährungskarten und zwei Flaschen Schnaps, die als Tauschobjekt begehrt waren. Außerdem ging ich als Junge mit unseren Henkelmännern fast täglich zur Zechen-Küche am Wiescher Weg, um sie mit Erbsen- und Nudelsuppe zu füllen“, berichtet der 1935 in Heißen geborene Alt-Bürgermeister und ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Günter Weber. Auch der landwirtschaftlich genutzte Garten und Ställe mit Schweinen und Hühnern sorgte bei den Bergmannsfamilien in der Colonie Wiesche für eine vergleichsweise privilegierte Ernährungslage. So erinnert sich Weber, dass Weihnachten 1945 in seinem Elternhaus neben Klößen mit Zwiebelsoße auch Rippchen und Speck aufgetischt werden konnten.


Schmalhans Küchenmeister herrschte dagegen im Styrumer Elternhaus des damals 15-jährigen Hans Meinolf. Er hatte gerade seine Berufsausbildung zum Maschinenbauer begonnen. „Ich habe damals bei meinen Hamsterfahrten halb Deutschland kennengelernt. Und damit ich etwas zu tauschen hatte, hat mir mein Vater, der Schlosser war, aus Altmetall Saatschüsseln gebaut, die ich dann bei meinen Hamsterfahrten über Land bei den Bauern zum Beispiel gegen Kartoffeln, Speck oder auch gegen Brotmarken eintauschen konnte. Manchmal luden mich die Bauernfamilien auch zum Mittagessen ein, so dass ich an guten Hamsterfahrttagen zwei oder dreimal zu Mittag essen konnte“, erinnert sich der ehemalige SPD-Stadtrat und Betriebsrat.

„Wir haben uns damals auch bei Nacht und Nebel Kohlen und Kartoffeln organisiert und alles mitgenommen, was wir kriegen konnten“, berichtet der Sozialdemokrat aus Eppinghofen. Der schnöde Kohlenklau wurde im ersten Nachkriegswinter 1945/46 zum „fringsen.“ Denn der damals auch für Mülheim zuständige Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings hatte dem aus der Not des Überlebenskampfes geborenen Kohlenklau und Mundraub in seiner Weihnachtspredigt 1945 die Absolution erteilt.


Die 1940 geborenen Mülheimer Heiner Schmitz und Hans-Georg Specht erlebten das Weihnachtsfest auf der Flucht in Thüringen und in Bayern. Der Fotograf und Ruhrpreisträger Schmitz verbindet mit Weihnachten 1945 „einen wunderschön und farbenfroh gestalteten Adventskalender, den ihm seine Mutter geschenkt hatte. Hinter dessen Türchen waren keine Süßigkeiten, sondern colorierte Bilder zu entdecken,“ berichtet Schmitz. Und Mülheims ehemaliger Oberbürgermeister Specht verbindet den Heiligen Abend 1945 mit seinem Vater, der just an diesem Tag wieder zu seiner Familie zurückkehren konnte, die im Januar 1945 vor der heranrückenden Roten Armee aus Schlesien gen Westen geflohen war und Weihnachten 1945 bei den Großeltern in Bayern untergekommen war. Die 1933 geborene und heute in Saarn wohnende  Josefa Virnich verlebte Weihnachten 1945 mit ihrer Mutter, ihrem jüngeren Bruder Hans und ihrer älteren Schwester daheim. Der Vater sollte erst 1946 aus der Kriegsgefangenschaft heimkehren. „Meine Mutter hat mir Damals Kleider für meine Puppem und meinem kleinen Bruder einen grünen Hund genäht. Unser Wohnzimmer mussten wir damals an eine ausgebombte Mutter und ihren Sohn abgeben“, erzählt Josefa Virnich.


Der 1937 geborene Religionspädagoge Gerhard Bennertz weiß nur noch, „dass ich am Heiligen Abend 1945 meinem Vater und meinem älteren Bruder ganz fasziniert zugeschaut habe, wie sie gemeinsam mit 

selbstgebastelten Kleinigkeiten unseren Christbaum geschmückt hat. Und die 1933 geborene Margret Gall sagt über Weihnachten 1945: „Meine Eltern und ich haben den Heiligen Abend 1945 mit meinen Großeltern und einem befreundeten Ehepaar gefeiert. Wir haben damals alles zusammengeworfen. Meine Eltern brachten Kartoffelklöße und Rotkohl mit und die Nachbarn steuerten einen Kaninchenbraten bei. Meine Großmutter hatte 16 Kaffeebohnen, die wir mit einer Kaffeemühle gemahlen haben, so dass am Ende zwei Tassen Kaffee für meine Mutter und Großmutter dabei herauskamen. Der Winter 1945/46 war eine harte Zeit. Aber der Zusammenhalt zwischen den Menschen war damals größer als heute.“


Frühere Weihnachtserinnerungen:

In einem Weihnachtsgespräch erinnerten sich drei alte Mülheimer 2005 in der Lokalpresse an ihr Weihnachten 1945: Der damalige Vorsitzende des Geschichtsvereins, Dr. Hans Fischer (1931-2012) sagte damals: „Es war sehr armselig. Es gab nur ein Pfund Brot pro Woche. Das Weihnachtsfest verbrachte ich mit meiner Mutter und mit meinem Bruder im Haus der Großeltern. Der Vater kam erst später aus der Kriegsgefangenschaft Heim. Weil der Großvater Bergmann gewesen war bekam er Kohle und deshalb war seine Wohnung gut beheizt. Als 14-jähriger hatte ich damals eine Aversion gegen den viel zu großen Mantel meiner Mutter, indem ich zum Weihnachtsgottesdienst gehen musste. Ich erinnere mich daran, dass bei uns Weihnachtsstuten aufgetischt wurde. Ihn hatte meine Mutter aus Weizenkörnern und Beeren gebacken, die wir auf einem Feld eingesammelt hatten. Mein Weihnachtsgeschenk war ein gebrauchter Gummischlauch von Pumpen Wernert auf dem ich mit meinem Fahrrad mehr schlecht als recht fahren konnte. Glänzen konnte ich am Heiligen Abend 1945, weil ich am Klavier Weihnachtslieder vorspielte.“


Der Bergbau-Ingenieur Heinz Wilhelm Auberg (1931-2020) erinnerte sich: „Ich feierte damals mit meiner Mutter und mit meinem Bruder bei unseren Großeltern. Mein Vater war noch in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Ich habe Hunger gehabt. Wir waren aber froh, dass der Krieg vorbei war. Es gab keine Bomben Nächte mehr. Das wichtigste Grundnahrungsmittel für uns war damals das Maisbrot. Dafür musste ich immer wieder Stunden lang bei der Brotfabrik am Sültenfuß anstehen. Besonders stolz war ich auf die Kunstleder-Schreibmappe, die ich von meiner Mutter geschenkt bekam. In dieser Schreibmappe befanden sich alte Buchhaltungsbögen, die man auf der Rückseite beschriften konnte.“


August Weilandt (1917-2014), wie Fischer und Auberg, Mitgründer des Styrumer Geschichts-Gesprächskreises, erinnerte sich damals: „Wir hatten damals einen Tannenbaum. Und mit Hilfe eines Styrumer Geschäftsmannes habe ich mir elektrische Christbaumkerzen gebastelt. Denn unsere Bude sollte ja nicht in Flammen aufgehen. Ansonsten war alles sehr kärglich. Ich lebte damals mit meiner Frau Theresia und mit meiner kleinen Tochter Gisela in einem Zimmer meiner elterlichen Wohnung am Marienplatz in Styrum. Zu Weihnachten hatte meine Schwester mir meine Wehrmachtsuniform in einen Straßenanzug umgearbeitet. An Geschenke oder an einem Festbraten war Weihnachten 1945 nicht zu denken. Das größte Weihnachtsgeschenk war für mich, dass ich als Kriegsheimkehrer eine Anstellung beim Kirchensteueramt gefunden hatte. Meine Mutter und meine Schwester brachten Heiligabend Kartoffeln und Speck mit, die sie bei einem Verwandtenbesuch im Münsterland geschenkt bekommen hatten.“


Dieser Text erschien am 24.12.2020 in NRZ/WAZ

Sonntag, 27. Dezember 2020

Kein Platz für Drogenabhängige?

 Die Corona-Pandemie hat die Themen Hygiene und Infektionsschutz zum Allgemeingut und zum Politikum werden lassen. Da schockt der Anblick von benutzten Spritzen, die auf einer Grünfläche zwischen Georg- und Auerstraße herumliegen. Besonders pikant: Die Grünfläche, auf der sich regelmäßig Drogenabhängige treffen, um sich auszutauschen und gemeinsam ihre Sucht zu befriedigen, liegt in unmittelbarer Nähe eines Jugendzentrums und einer Kindertagesstätte. Auch das Amtsgericht ist nicht weit.

Eine anonyme E-Mail aus der Mülheimer Drogenszene, die der Mülheimer Woche vorliegt, zeigt: Dieser Zustand wird selbst innerhalb der Drogenszene als unhaltbar angesehen. Die Diplom-Pädagogin Jasmin Sprünken, die die Drogenhilfe der Arbeiterwohlfahrt leitet, kennt das Problem. Vor dem Hintergrund ihrer Beratungserfahrung schätzt sie die Größe der Mülheimer Drogenszene auf etwa 800 Personen. Sie geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus.

Die Arbeiterwohlfahrt hilft

Sprünken und ihre Kollegen betreiben an der Gerichtsstraße 11 das Café Light der Arbeiterwohlfahrt. Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie fanden hier täglich 80 Drogenabhängige Rat, Hilfe und eine Anlaufstelle. Hier bekommen sie nicht nur guten Rat und ein offenes Ohr. Hier können sie essen und trinken, natürlich keinen Alkohol. "Im Café Light haben Drogenabhängige auch die Möglichkeit, ihre gebrauchten Spritzen zu entsorgen zu lassen und von uns kostenlos eine neue Spritze zu bekommen", erklärt Jasmin Sprünken. Der Automat, aus dem man sich frische Spritzen ziehen kann, erinnert an einen Zigarettenautomaten.

Nicht alle halten sich an die Regeln

Sie weiß aus ihrer Praxis: "Leider gibt es auch in der Drogenszene Menschen, die sich an Regeln halten und solche, die das nicht tun." Daran können nach Sprünkens Erfahrung auch die Säuberungsaktionen, die das Café-Light-Team regelmäßig mit seinen Klienten durchführt, auf Dauer nichts ändern. "Wir kennen das Problem und suchen seit Jahren mit dem Ordnungsamt, dem Stadtplanungsamt und mit der Polizei und mit den in der Szene aktiven Streetworkern, einem alternativen Ort, an dem sich Drogenabahängige treffen können, ohne zu einem öffentlichen Ärgernis zu werden", betont die Leiterin der AWO-Drogenhilfe. Auch der Leiter des Stadtplanungsamtes, Felix Blasch, war schon im Café  Light, um mit den Drogenabhängigen über einen alternativen Treffpunkt für die Szene zu diskutieren. "Die Stadt ist aufgeschlossen und betreibt keine Vetreibungspolitik", stellt Sprünken anerkennend fest. Zuletzt war ein zügiger Parkplatz an der Friedrich-Wilhelms-Hütte als alternativer Treffpunkt der Szene im Gespräch. Hier wollte die Ruhrbahn Haltestellen-Häuschen als Windschutz und Sitzgelegenheit aufstellen. Letzteres scheiterte daran, dass die Ruhrbahn aufgrund der vielen Mülheimer Baustellen ihre Ersatz-Wartehäuschen selbst brauchte, um Ersatz-Haltestellen einrichten zu können. "Auch wenn Drogenabhängige nirgendwo gerne gesehen werden, so sind sie doch ein unbestreitbarer Teil unserer Gesellschaft, der, wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger das Recht hat, sich in der Öffentlichkeit zu treffen und soziale Kontakte zu pflegen, ohne dass sie dabei immer von hauptamtlichen Sozialmenschen beobachtet werden", macht die Leiterin der AWO-Drogenhilfe deutlich.

Alternative Treffpunkte gesucht

Sie weist darauf hin, dass auch frühere Treffpunkte der Drogenszene, wie etwa die 2008 zugunsten des neuen Ruhrquartiers beseitigten Ostruhranlagen oder die Fußgängerbrücke zwischen Kohlen- und Charlottenstraße zum öffentlichen Ärgernis geworden seien. Auch sogenannte Druckräume, die von medizinisch und sozialarbeiterisch qualifizierten Fachkräften betreut werden, sieht Sprünken angesichts der Lebenswirklichkeit der Szene nicht als Allheilmittel an. Sie lässt keinen Zweifel daran, "dass wir keine Räume betreiben können, an denen harte und illegale Drogen, wie zum Beispiel Heroin, gehandelt und gespritzt werden. Außerdem würden auch öffentlich betreute Druckräume nichts daran ändern, dass viele Drogenabhängige ihre Sucht lieber zuhause oder an anonymeren und weniger einsehbaren öffentlichen Plätzen befriedigen würden." Mit Blick auf das Café Light, das aufgrund der Corona-bedingten Abstandsregeln seine Innenraum-Plätze stark reduzieren und statt dessen mit Zelt-Pavillons auf seinen Hof ausweichen musste, macht sich die Leiterin der AWO-Drogenhilfe keine Illusionen: "Die  Suche nach einem weniger exponierten öffentlichen Treffpunkt der Drogen-Szene muss weitergehen, aber das Corona-Jahr 2020 ist für dieses schwierige Unterfangen leider ein verlorenes Jahr, weil wir im aktuellen Lockdown ohnehin keine größeren Menschenansammlungen auf Plätzen oder in Räumen zulassen können. Und die Drogenabhängigen haben besonders große Angst davor, mit dem Corona-Virus infiziert zu werden, weil sie wissen, dass sie zu einer Risikogruppe gehören."


Dieser Text erschien am 16. Dezember 2020 im Lokalkompass Mülheim

Samstag, 26. Dezember 2020

Er geht nicht so ganz

Eigentlich sollte der 61-jährige Ulrich Schreyer bereits Ende März aus seinem Amt als Geschäftsführer des Diakoniewerkes Arbeit und Kultur verabschiedet werden. Doch dann kam alles anders. Weil sich die ins Auge gefasste Nachfolgeregelung nicht bewährt hatte, musste Schreyer nach 25 Jahren im Amt seine eigene Nachfolge antreten. „Die Corona-Pandemie hat die Karten neu gemischt und uns allen gezeigt, dass wir als Menschen nicht alles in der Hand haben. Die letzten Monate wurden für mich eine harte und herausfordernde Zeit. Aber in solch einer Krise ist es gut, wenn Führungskräfte mit langer Erfahrung, die besonnen handeln können, an Bord bleiben“, sagt Ulrich Schreyer über seine berufliche Nachspielzeit. 1986 war er als Sozialsekretär beim Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr eingestiegen.

Gottesdienst in der Petrikirche

Doch am 27. Dezember ist es soweit. Dann wird er mit einem Gottesdienst, der um 11:15 Uhr in der Petrikirche beginnt, vom Superintendenten des Evangelischen Kirchenkreises An der Ruhr, Gerald Hillebrand, aus seinem Amt In den Ruhestand verabschiedet. Aufgrund der Corona-Pandemie kann der Präsenz-Gottesdienst nur im kleinen Kreis gefeiert werden. Aber wie die anderen Gottesdienste, so wird auch dieser Gottesdienst aus der Petrikirche via Live-Stream auf der Internetseite der Vereinten Evangelischen Kirchengemeinde Mülheim (www.vek-muelheim.de) übertragen. „Ich schaue dankbar auf 35 Jahre Im Dienst der evangelischen Kirche und auf 25 Jahre als Geschäftsführer des Diakoniewerkes Arbeit und Kultur zurück“, sagt der auch als kirchlicher Predikant aktive Schreyer. Und er fügt hinzu: „Ich habe in dieser Zeit sehr viele beeindruckende und im besten Sinne bemühte Menschen kennenlernen dürfen.“

Dem Hospiz bleibt er erhalten

Schreyer ist zuversichtlich, dass das Diakoniewerk Arbeit und Kultur und seine zurzeit 280 Mitarbeitenden auch die Folgen des Corona-Lockdowns überstehen wird. „Ich kann meine Arbeitsstelle mit ruhigem und gutem Gewissen verlassen und meine Aufgabe loslassen. Wir haben alle nur ein zeitlich begrenztes Mandat, um zu tun, was wir tun können und tun wollen. Mein Mandat ist abgelaufen. Jetzt müssen meine drei Nachfolger sehen, welche Herausforderungen anstehen und wie und mit welchem Stil sie damit umgehen können“, betont Schreyer. Auch im Ruhestand wird er als Co-Geschäftsführer mit Mülheim und dem seit 2012 vom Diakoniewerk und dem Evangelischen Krankenhaus betriebenen Hospiz an der Friedrichstraße verbunden bleiben.

„Ich hoffe, dass die unsere Gesellschaft aus der Corona-Krise solidarischer hervorgeht und die jetzt erkannten und offengelegten Schwachstellen, etwa im Pflegebereich, nicht mehr aus dem Auge verliert und entsprechend umsteuert. Aber wenn ich die aktuelle Diskussion um den Umgang mit den Folgen der Corona-Pandemie, bin ich leider nicht so optimistisch wie manche anderen, dass dieser positive Solidaritätsschub, den wir teilweise in der der aktuellen Krise erlebt haben, anhalten wird. Insgesamt sehe ich in der Krise aber auch auf allen gesellschaftlichen Ebenen viel gemeinsames Bemühen darum, unser Land, so gut wie möglich, aus dieser Krise herauszuführen“, resümiert Ulrich Schreyer. Und auch wenn der scheidende Geschäftsführer des Mitte der 1980er Jahre gegründeten Diakoniewerkes an der Georgstraße von einem persönlichen Vermächtnis nichts wissen will, „weil ich dafür zu evangelisch bin“, lässt sich der Kern seines persönlichen und beruflichen Wirkens an der Spitze des Diakoniewerkes doch sehr gut in dem Satz zusammenfassen, den er am 4. Mai 2018 in einem Interview mit der Mülheimer Presse gesagt hat: „Die Wirtschaft ist für den Menschen da ist und nicht umgekehrt. Unsere freie Gesellschaft wird langfristig scheitern, wenn sie Menschen weiter in Gewinner und Verlierer einteilt.“


Dieser Text erschien am 18. Dezember 2020 im Mülheimer Lokalkompass

Freitag, 25. Dezember 2020

Kreative Kinder

 Diesmal musste Barbara Schmidt ihre Schreibwerkstatt für kreative Fünftklässler via Videokonferenz abhalten. Auch hier galt angesichts der Coronavirus-Pandemie digital vor analog. Doch das tat der Schreiblust der zehn- und elfjährigen Mülheimer keinen Abbruch. Diesmal spitzten Devin, Nele, Robin, Lilly, Rebecca, Isabella, Ella,  Marlene, Johanna und Vincent immer wieder montags die Feder, um alleine in ihrem Zimmer daheim und doch gemeinsam verbunden über das Internet, ein abenteuerliches und fantastisches Theaterstück zu schreiben, das in anderen Dimensionen, aber auch an so irdischen Orten, wie Berlin, London, im Pferdestall oder in der Küche spielt.

Die Internet-Lernplattform Padlet machte das literarische Gemeinschaftswerk möglich. Denn hier konnte das junge Autoren-Kollektiv Ideen, Formulierungen, Szenen, Begegnungen, Handlungsorte und Charaktere miteinander austauschen und für alle Teilnehmer der Schreibwerkstatt einsehbar hinterlegen.

Fantasie ohne Grenzen

Während die Montagsgruppe ein Theaterstück über den Sohn eines Dämonenkönigs geschrieben hat, der mit Hilfe von acht Verbündeten das Regime seines Vaters stürzt und ihn am Ende in ein Kaninchen verwandelt, verfassten die Freitagsschreiber Shiloh, Anni, Laura, Julie, Lisa, Lotta, Laura, Elisa, Paul, Sofia und Isabella ein Stück über Kinder, die von ganz unterschiedlichen Orten nach Mülheim kommen und sich dort begegnen. Der Held ihres Schauspiels ist ein Bruchpilot, der mithilfe der Menschen, die ihm begegnen, seine Flugangst überwindet und am Ende einen Impfstoff gegen Corona ins Krankenhaus bringt.

Von Profis inspiriert

Beide Gruppen, die sich an sieben Nachmittagen, jeweils zwischen 16 und 18 Uhr, via Internet und Computerbildschirm vernetzten, wurden von der Schauspielerin und Theaterpädagogin Barbara Schmidt und von der Autorin Sarah Meyer-Dietrich moderiert und inspiriert. (www.sarahmeyerdietrich.de) "Mir war schon im Sommer klar, dass wir die inzwischen zwölfte Kinderschreibwerkstatt des städtischen Kulturbetriebs, aufgrund der Coronavirus-Pandemie nur in digitaler Form würden durchführen können. Deshalb befürchtete ich, dass sich viele Kinder darauf nicht einlassen würden. Doch das Gegenteil war der Fall. Nach meinen Werbebesuchen in den fünften Klassen der Luisenschule und des Gymnasiums Broich, waren schon alle 20 Workshop-Plätze besetzt.

Kinder schreiben aus sich selbst heraus

"Kinder, die schreiben, tun dies immer spontan und aus ihrem eigenen Erleben heraus. Sie sind nachdenklich, unglaublich kreativ und authentisch, aber nicht so ambitioniert, perfektionistisch und reflektiert wie erwachsene Autoren"

, schildert Barbara Schmidt ihre Erfahrungen aus jetzt zwölf Schülerschreibwerkstätten. Wurden die literarische Ergebnisse der Schreibwerkstätten des städtischen Kulturbetriebs live in Form von Lesungen, Aufführungen und Hörspielen präsentiert, so arbeiten Barbara Schmidt und ihre Kollegin Selma Schele vom städtischen Bildungsnetzwerk an einer Internetplattform für kulturelle Bildung "Ins Netz gegangen", auf der nicht nur die Ergebnisse der jetzt beendeten Schreibwerkstätten des städtischen Kulturbetriebs veröffentlicht und unabhängig von Zeit und Raum von an der Jungen Kultur in unserer Stadt Interessierten nachgelesen, angeschaut und angehört werden können. Außerdem bietet die neue Plattform Anregungen und Material für die Kulturpädagogik und ein Forum, in dem sich Kultur schaffende Kinder und Jugendliche austauschen und ausprobieren können. 

Was sagen die jungen Autoren?

Nachwuchs-Autorin Nele beschreibt ihre Erfahrungen mit der Teilnahme an der digitalen Schreibwerkstatt, stellvertretend für ihre Kollegen so:

"Ich schreibe gerne, weil: es mir Spaß macht Geschichten zu erfinden, und neue Wesen zu erschaffen. Ich finde Fantasiethemen interessant, weilich gerne lese. Ich finde es toll, dass Lebewesen in Geschichten magische Kräfte besitzen!"

Die gemeinsame Herausforderungen in der Schreibwerkstatt war die, sich als aller erstes auf eine Grundlage des Stückes zu einigen. Das war etwas schwierig. Denn alle Kinder hatten super Ideen! Deshalb war es schwer, sich auf ein Thema zu einigen. In der Schule schreiben wir alleine Geschichten. In der Schreibwerkstadt haben wir ein Theaterstück geschrieben. Wir mussten also zusammenarbeiten. Aus der Schreibwerkstadt nehme ich mit, dass man zusammen manchmal viel mehr erreichen kann! Ich habe dort gelernt, mich mit anderen Kindern zusammensetzen und ein Theaterstück zu entwickeln. Was ich sonst lieber alleine gemacht hätte, mache ich jetzt lieber zusammen! Besonders Freude hat mir gemacht, mir die Ideen und Szenen anzuhören!"

Robin  schreibt:

"Ich schreibe gerne, weil ich gerne mir etwas ausdenke was ich selbst nicht erlebe.
Fantasie und Action finde ich besonders interessant. Gemeinsam ein Theaterstück schreiben, heißt, dass man viele Ideen zusammenbringen und umsetzen muss.

Jeder soll dabei zu seinem Recht kommen. In der Schreibwerkstatt kann man seiner Fantasie freien Lauf lassen. In der Schule ist man auf etwas begrenzt, weil das Thema vorgegeben wird. In der Schreibwerkstatt habe ich gemerkt, dass es sehr viel Spaß macht Geschichten zu schreiben.Ich habe gelernt, Ideen zu entwickeln, in Worte zu fassen und gemeinsam mit anderen Geschichten zu schreiben. Mir hat besonders die Montags-runde Freude gemacht und die Anleitung durch Sarah und Barbara. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich etwas Falsches gesagt hätte. Beide waren immer freundlich und hilfsbereit und haben uns gern weitergeholfen."

Seine Mitautorinnen Rebecca und Lilly meinen: "Es macht Spaß, andern seine Gedanken mitteilen zu können. Uns interessiert alles rund um Tiere. Schwierig war, dass alles zueinander passt. In der Schule haben wir viele Vorschriften. Hier in der Schreibwerkstatt hatten wir alle unsere Freiheiten.
Wir haben gelernt, dass man lieber mit Worten Konflikte schlichten sollte und wie man Theaterstücke schreibt. Besonders Freude hat uns dabei gemacht, dass man seinen eigenen Charakter entwickeln kann. "

Ihre Kollegin Lotta schreibt: "  Man konnte dabei seiner Kreativität freien Lauf lassen. Ich mag besonders spannende, aber auch witzige Geschichten. Beim gemeinsamen Schreiben mussten wir alles koordinieren, damit nichts doppelt vorkommt. Außerdem sollte auch niemand benachteiligt werden. In der Schreibwerkstatt hatte man mehr Zeit und alles war freiwillig. Dadurch hatte man keinen Druck und fühlte sich freier als bei den Hausaufgaben. So macht das Schreiben noch mehr Spaß. Ich nehme mit, dass man auch mit vielen Leuten alle Ideen unter einen Hut bringen kann. Außerdem möchte ich auf jeden Fall weiter schreiben. Ich habe gelernt, unterschiedliche Ideen und Themen zusammenzubringen und ein großes Ganzes daraus zu machen. Dass ich diesmal nicht alleine geschrieben habe, sondern eine Gemeinschaftsarbeit entstanden ist, macht mir Freude." 

 Jung-Autor Devin schreibt: "Ich schreibe gerne weil ich sehr fantasievoll bin und es mir Spaß macht. Ich fand alles interessant und würde es definitiv weiterempfehlen. Wenn man gemeinsam ein Theaterstück schreiben will, muss man gut zusammenarbeiten und die Texte sollten zueinander passen. In der Schreibwerkstatt kann man der Fantasie freien Lauf lassen. In der Schule hat man vorgegebene Aufgaben. Mir hat alles sehr viel Spaß gemacht."

Sophia: schreibt: "Ich schreibe gerne, weil ich es lustig und spannend finde. Dabei interessieren mich vor allem Umwelt-Abenteuer. Beim gemeinsamen Schreiben war es schwierig, dass alle einer Meinung waren. In der Schule macht das Schreiben nicht so viel Spaß. Ich nehme mit, dass es nicht unmöglich ist, etwas schönes zusammen zu machen. Ich habe gelernt, Geduld zu haben. Die größte Freude war, das Stück zu schreiben."

Vincent  schreibt: Wenn man schreibt, kann man seine Phantasie einsetzen. Man kann schreiben, was man möchte. In der Schule schreibt man das, was man muss. Ich habe gelernt, wie man eine Szene schreibt. Besonders schön war, dass wir viel gelacht haben und Emojis verschickt wurden.

Seine Kollegin Julie schreibt: Beim Schreiben kann man seiner Phantasie freuen Lauf lassen. Dabei finde ich Detektiv-Geschichten und Geschichten über Fabelwesen am spannendsten. Wir mussten erreichen, dass alle mit den Szenen einverstanden waren.In der Schule gibt es Vorgaben. in der Schreibwerkstatt haben wir zusam-men überlegt. Ich nehme mit, dass man ein Theaterstück mit Mehreren machen kann. Und ich habe gelernt, mehr wörtliche Rede zu benutzen, Adjektive gezielt einzusetzen. Mir Rollen auszudenken, war für mich die größte Freude. Ella

Ella: findet Schreiben toll, "Ich finde Schreiben toll, weil es mir Spaß macht, verschiedene Charaktere zu erfinden und zu bestimmen, wie verschieden diese sein können. Fantasy & Pferde-Geschichten gefallen mir am besten. Wir mussten uns auf alles einigen und die verschiedenen Teile des Theaterstücks abstimmen. Das dauerte ganz schön lange. Bei der Theaterwerkstatt machten alle freiwillig mit und wir konnten uns vieles aussuchen. Ich weiß jetzt, wie man ein Theaterstück richtig schreibt. Und ich habe gelernt, mich auch auf Charaktere einzulassen, die andere erfunden haben.
Ich finde es super, dass wir jetzt ein fertiges Stück haben, das wir vielleicht sogar aufführen können - nach Covid." 
 
Last, but not least schreibt Julie: "Man kann seiner Phantasie freien Lauf lassen. Detektiv- Geschichten und Geschichten über Fabelwesen finde ich besonders interessant. Es war nicht immer leicht, dass alle mit den Szenen einverstanden waren.In der Schule gibt es Vorgaben und in der Schreibwerkstatt haben wir zusammen überlegt. Ich habe erlebt, dass man ein Theaterstück mit Mehreren machen kann. Und ich habe dabei gelernt, mehr wörtliche Rede zu benutzen und mehr Adjektive gezielt einzusetzen. Besonders viel Spaß hatte ich daran, mir die Rollen auszudenken.


Dieser Text erschien am 22. Dezember im Mülheimer Lokalkompass

Mittwoch, 23. Dezember 2020

Helfer brauchen Hilfe

 MALZ. Das steht seit 1986 für Mülheimer Arbeitslosenzentrum. Hier finden Arbeitssuchende und Menschen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, den juristisch qualifizierten Rat von Gabi Spitmann. Doch die hauptamtliche Mitarbeiterin des unabhängigen und niederschwelligen Arbeitslosenzentrums muss jetzt selber um ihren Arbeitsplatz fürchten. 


Grund: Das Land NRW steigt zum Jahreswechsel aus der Finanzierung der bewährten Beratungsstelle im Gewerkschaftshaus an der Friedrichstraße 24 aus. Spitmann und die Vorsitzende des gemeinnützigen Trägervereins, Annette Lostermann-DeNil, können die Entscheidung der von CDU und FDP geführten Landesregierung nicht nachvollziehen. "Bergründet wurde das Auslaufen unserer Förderung mit einem veränderten Förderschwerpunkt der Europäischen Union. Denn die Mittel, die zu 80 Prozent unsere Personal- und Sachkosten finanzieren, kommen aus dem Europäischen Sozialfonds", erklärt Spitmann. 

MALZ sieht sich im Dienst der fairen Arbeit 

Dennoch kann auch Lostermann-DeNil die vom Land veranlasste Streichung der ESF-Mittel für das MALZ nicht wirklich verstehen. Die ehemalige Stadträtin ist, ebenso wie Spitmann, davon überzeugt, "dass wir beim MALZ sehr wohl gut zum neuen EU-Förderschwerpunkt Faire Arbeit passen, weil wir mit unserer qualifizierten Arbeit einen Beitrag dazu leisten, dass Arbeitssuchende, von betriebsbedingten Kündigungen bedrohte Arbeitnehmer, kranke Langzeitarbeitslose, prekär Beschäftigte und Senioren mit Mini-Renten eine faire Chance auf Hilfe und Teilhabe am Arbeitsleben und am gesellschaftlichen Leben bekommen."

"Jeder Euro zählt!"

Nicht zum ersten Mal löst die Landesregierung mit der Streichung der ESF-Mittel beim MALZ Existenzangst aus. In den Jahren 2009 und 2010 sprang die von der Stadt verwaltete Leonhard-Stinnes-Stiftung in die finanzielle Bresche. Doch in Zeiten der Null-Zins-Politik wird die Rettung mithilfe von Stiftungs- und Drittmitteln ungleich schwieriger. Doch Spitmann, Lostermann-DeNil und die Vorstandsmitglieder des Mülheimer Arbeitslosenzentrums wollen nicht aufgeben und befinden sich derzeit, wie es Spitmann formuliert, "auf einer Betteltour." Aus der 140-köpfigen Mitgliedschaft des gemeinnützigen Trägervereins, der auch steuerabzugsfähige Spendenquittungen ausstellen darf, gibt es bereits die erste Spende. Ein Vereinsmitglied, das namentlich nicht genannt werden möchte, hat 10.000 Euro aus seinem privaten Vermögen zur Verfügung gestellt. "Jeder Euro zählt. Wir arbeiten hier solange weiter, wie es eben geht." Das Malz, dass mit einer hauptamtlichen Mitarbeiterin und einer Kollegin auf 450-Euro-Basis tätigen Kollegin personell nicht üppig ausgestattet ist, hat im laufenden Corona-Jahr 1300 Klienten persönlich beraten. Das sind 150 mehr als im Jahr davor. "Wir wurden noch nie mehr gebraucht, als jetzt in der Corona-Pandemie, die viele Arbeitsplätze bedroht oder schon vernichtet hat", sagt Gabi Spitmann. Ein Drittel der Klienten haben in diesem Jahr erstmals den Rat des Mülheimer Arbeitslosenzentrums gesucht, weil sie mit dem Papierkrieg rund um die Beantragung von Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Wohngeld, Grundsicherung im Alter oder mit dem Antrag auf eine Erwerbsminderungsrente heillos überfordert sind. "Zwölf Prozent sind aufgrund einer chronischen Erkrankung, nicht mehr arbeitsfähig", berichtet Spitmann. Deshalb hat die MALZ-Beraterin nicht nur Angst um ihre eigene berufliche Existenz. Sie fürchtet, dass ihre Klienten die Zeche für die ausfallenden Fördermittel zahlen müssen. Denn ihnen stehen Spitmann und das MALZ nicht nur im bürokratischen Dschungel der staatlichen Transferleistungen bei. Hier werden Menschen, die um ihre materielle Existenz bangen müssen, nicht nur durch das sozialstaatliche Hilfesystem gelotst, sondern auch beraten und begleitet, wenn es zum Beispiel darum geht, um den Erhalt des alten Arbeitsplatzes oder um das Erreichen eines neuen existenzsichernden Arbeitsplatzes zu kämpfen. In den Beratungsgesprächen, die Gabi Spitmann im Auftrag des MALZ führt, geht es für ihre Klienten oft darum, sich neue Lebens- und Berufsperspektiven zu erarbeiten. "Unsere Arbeit ist angesichts der  Folgen der Corona-Pandemie wichtiger denn je. Wir sollten vielleicht die Corona-Hilfen des Landes und des Bundes beantragen", sagt die MALZ-Vereinsvorsitzende Lostermann-DeNil.

Kurzfristige Hilfe

Solange sich noch kein Groß-Sponsor gefunden hat, der das MALZ retten kann und will, setzen Spitmann und Lostermann-DeNil auf eine Spendenwerbekampagne, die nach dem Prinzip vorgeht: "Viele kleine Spenden ergeben eine große Spende, die auf dem MALZ-Sparkassen-Konto (IBAN: DE24 3625 0000 0300 0389 99) eingehen könnte. Was Annette Lostermann-DeNil Hoffnung gibt, "ist die Tatsache, dass wir in den vergangenen Jahren finanzielle Rücklagen bilden konnten, die uns jetzt erlauben, die laufenden Kosten des Arbeitslosenzentrums noch bis zum Ende des ersten Quartals 2021 aus den eigenen Mitteln decken zu können."

Wer dem MALZ helfen kann und will, erreicht es telefonisch unter der Rufnummer: 0208-32521 oder: 0208-32627 sowie per E-Mail an: arbeitslosenzentrum@gmx.de


Dieser Text erschien am 16. Dezember 2020 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Freitag, 18. Dezember 2020

Licht im Dunkeln

Man sieht eine ganze Menge, wenn man mit offenen Augen über die Schloßstraße geht, zum Beispiel leerstehende Ladenlokale und geschlossene Cafés oder Menschen, die scheinbar noch nie etwas von der Corona-bedingten Maskenpflicht auf belebten Straßen gehört haben und auf entsprechende Hinweise mit unflätigen Beschimpfungen reagieren. Diese Leute haben offensichtlich einen Wackelkontakt in ihrer Glühbirne. Ihnen fehlt die Erleuchtung, dass die Corona-Schutzbestimmungen auch sie schützen sollen und dass wir alle nur gemeinsam glimpflich durch diese Gesundheits- und Wirtschaftskrise kommen werden. Doch wenn es dunkel wird auf der Schloßstraße, dann gehen dort die Lichter der Weihnachtsbeleuchtung an. Peter Stermann und seinem Team von der Mülheimer Stadtmarketing- und Tourismusgesellschaft MST sei Dank. Diese Lichter in der Dunkelheit strahlen angenehme Wärme und Normalität aus. Das tut unseren Seelen in Ausnahme- Zeiten, wie diesen, gut. Das Licht im Dunkeln erinnert uns daran, dass auch am Ende des dunklen Tunnels, den wir jetzt gemeinsam durchschreiten müssen, ein Licht ist, das uns zeigt: Es gibt ein Leben nach Corona. 


Dieser Text erschien am 14. Dezember 2020 in der NRZ

Samstag, 12. Dezember 2020

Seelische Gesundheit

 Zur Person: Lutz Gierig (63 ) arbeitet seit 26 Jahren als Sozialarbeiter, Mediator und Psychotherapeut im St. Marien-Hospital. Er hat dort die Suchttherapie aufgebaut und gemeinsam mit einer Kollegin die Orientierungsgruppe für Patienten die erstmalig in der Klinik sind etabliert. Vor seiner Zeit im St. Marien-Hospital hat Gierig, den viele Mülheimer durch seine Ausstellungen auch als bildenden Künstler kennen u. a. als Heilpädagoge und Supervisor in unterschiedlichen sozialen Einrichtungen gearbeitet.

 

Welchen Einfluss haben die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Menschen ?

 

Gierig: Die Corona-Krise hat uns z.Z. fest im Griff und dies  in vielfacher Art und Weise: Wir erleben gegenwärtig sowohl eine umfassende Gesundheitskrise als auch eine  weltweite Wirtschaftskrise. Normalerweise sind wir gewohnt zur Erhaltung und Stabilisierung der körperlichen und psychischen  Gesundheit, Kontakte zu pflegen und Nähe zu erfahren aber gerade das ist zur Zeit nur unter erheblichen Einschränkungen machbar, damit wir gemeinsam die Krise bewältigen können. Außerdem erfahren wir gerade eine noch nie dagewesene, teilweise irritierende mediale Informationsflut. Keine Stunde vergeht ohne Zahlen und Regeln zu Corona! Das bedeutet auch Verunsicherung un d Angst, nicht nur für die Patienten im Krankenhaus, sondern für fast alle Menschen. Darüber hinaus neigen in der dunklen Jahreszeit ohnehin eine erhebliche Anzahl von uns häufiger zu Schwermut und ziehen Jahresbilanz. Insgesamt verschärft Corona die gesellschaftliche Situation, wie wir  dies bereits vor der Pandemie auch schon kannten. Mehr und mehr Menschen rutschen in prekäre Lagen ab. Denken wir an Kurzarbeit und  Geschäftsaufgaben.

 

Könnte der Zwang zur sozialen Distanzierung auch zu entspannten Feiertagen beitragen ?

 

Gierig: Sicher zeigt uns die Corona-Pandemie, dass vieles was wir für selbstverständlich gehalten haben, keineswegs selbstverständlich ist. Gerade die Überfrachtung des Weihnachtsfestes, welches häufig mit unrealistischen Wünschen und Erwartungen einhergeht hat ja in der Vergangenheit den gegenteiligen Effekt gehabt und für zusätzliche Spannungen gesorgt, die dann nicht selten in eskalierende Konflikte gemündet sind. Hier wäre wichtig die anstehenden Feiertage mit allen Beteiligten gut vorzubereiten und für sich selbst Auszeiten einzuplanen.


Lehrt uns die Corona-Krise, dass Weniger Mehr ist ?

 

Gierig: Ich möchte nicht zynisch klingen. Denn die sozialen und wirtschaftlichen Ängste, die noch zusätzlich durch Corona verstärkt worden sind. darf man nicht wegdiskutieren, so nach dem Motto “Eine Krise ist immer auch eine Chance.“ Und man sollte sie auf keinen Fall verharmlosen. Aber vielleicht lernen wir in der aktuellen  Situation, dass wir viele Dinge, für die wir bisher viel Zeit, Geld und Arbeit investiert haben, gar nicht benötigen, um ein für uns gutes und erfülltes Leben zu führen.

 

Aber die jetzt eingeschränkten Kontakte brauchen wir, weil wir als Menschen soziale Wesen sind.

 

Gierig: Ja, das ist so. Und, so paradox das klingt, sollten wir gerade in einer Zeit der Distanzierung, unsere sozialen Kontakte pflegen und nach Möglichkeit Intensiv  nutzen, weil sie unserem Leben Sinn, Struktur, Halt und ein Gefühl von Normalität geben. Wenn wir uns aber im Moment nicht persönlich treffen können, müssen wir eben über Telefon, Videotelefonie, Mails und Briefe in Kontakt bleiben, um uns gegenseitig zu signalisieren, dass wir auch gerade in der Krise miteinander verbunden sind. So können wir uns gegenseitig stärken und Mut machen.

 

Warum hat sich die Depression in Deutschland zu einer Volkskrankheit entwickelt ?

 

Gierig : Dafür wäre eine Vielzahl von Faktoren zu benennen. Unser Leben ist in den vergangenen Jahrzehnten immer schnelllebiger geworden

und die Arbeitsverdichtung hat deutlich zugenommen. Zudem sehen wir eine stetig wachsende Single-Gesellschaft. Außerdem erleben immer weniger

Menschen  Anerkennung, Wertschätzung und Respekt für das was sie tun. Ohne genaue Daten zu kennen, weiß ich, dass die Zahl der psychisch erkrankten Patienten, die wir im St. Marien-Hospital auf gleich mehreren Stationen, in einer Psychiatrischen Institutsambulanz und in einer psychiatrischen Tagesklinik behandeln, in den vergangenen 26 Jahren deutlich gestiegen ist. Aber um als Gesellschaft seelisch stabiler zu werden, brauchen wir nicht nur Hilfsangebote, sondern wieder mehr Aufmerksamkeit und Respekt in allen Lebensbereichen. Auch müssen wir selber bewusster mit uns umgehen, uns mehr Auszeiten gönnen, um unsere Energie zu erhalten. Gerade jetzt in dieser Zeit der eingeschränkten Kontakte sollten wir unserem Tag eine selbstbestimmte Struktur geben und feste Zeiten für all das einplanen, was wir selbst tun können, etwa lesen oder Musik hören, etwas kochen, erweiterte Spaziergänge unternehmen und Geduld und Ruhe bewahren.


Dieser Text erschien am 9. Dezember in NRZ+WAZ

Donnerstag, 10. Dezember 2020

Rosenmontag im Dezember

 Die zwölf Gesellschaften des Hauptausschusses Groß-Mülheimer Karneval und ihr Sponsor Selgros Cash & Carry machten jetzt aus der Not eine Tugend. Weil der Rosenmontag 2021 Corona-bedingt definitiv ausfallen wird, überbrachten Jörg Kamperhoff, vom Handelsunternehmen Selgros (links) und der Präsident des Hauptausschusses Groß-Mülheimer Karneval, Markus Uferkamp (rechts) dem Leiter des Raphaelhauses, Christian Weise, das bereits auf Lager liegende, aber jetzt nicht mehr für den Rosenmontagszug benötigte Wurfgut als süße Vorweihnachts-Überraschung für die jungen Bewohner des Raphaelhauses an der Vossbeckstraße in Saarn.  Natürlich werden Christian Weise und seine Kollegen darauf achten, dass die süße Advents-Überraschung der Karnevalisten und ihres Sponsors Selgros gut verteilt wird, damit sich die gute Tat am Ende nicht zum Fluch und zu einem ungewollten Arbeitsbeschaffungsprogramm für Zahnärzte entwickelt.

Auf seiner Internetseite: ww.raphaelhaus.de schreibt das Team der Einrichtung unter der Überschrift: "Kraft und Hoffnung für die Zukunft": "Das Raphaelhaus ist eine Einrichtung der freien Kinder- und Jugendhilfe. Es bietet stationäre und ambulante Betreuung für Kinder, Jugendliche und Familien. Träger sind die Vereinigten August Thyssen-Stiftungen.  Das Raphaelhaus verfügt über fünf Wohngruppen mit 43 Plätzen sowie vier Erziehungsstellenplätzen. Darüber hinaus werden auf ambulanter Ebene Familien betreut, die Probleme mit der Erziehung ihrer Kinder haben. Außerdem unterhält das Raphaelhaus eine Tagesstätte mit 40 Plätzen für Kinder im Alter von 4 Monaten bis 6 Jahren, deren Mütter und Väter berufstätig sind.Raphael kommt aus dem Hebräischen und bedeutet "Gott heilt". Als katholische Einrichtung ist unser pädagogisches Handeln am christlichen Menschenbild ausgerichtet. In diesem Sinne bieten wir jungen Menschen und Familien Unterstützung und einen Ort, an dem sie sich verstanden und angenommen fühlen. Hier können sie Kraft und Hoffnung für die Zukunft schöpfen."

Dieser Text erschien am 5. Dezember 2020 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Donnerstag, 3. Dezember 2020

Mülheims Brockhaus

 Das neue Jahrbuch ist da. Es trägt die Jahreszahl 2021 im Titel, berichtet aber in seinen 32 Beiträgen auf 287 bild- und faktenreichen Seiten über das das Geschehen im Mülheim von gestern und heute. „Auch dort, wo es, wie zum Beispiel beim Thema 100 Jahre Stadtsportbund um Geschichte geht, werden, hier mit Blick auf die Universiade und Olympia, auch Perspektiven für die Zukunft deutlich“, betont Oberbürgermeister Marc Buchholz. „Hier schreiben Bürger für Bürger, und das sehr grundsätzlich  und fundiert, so dass man in der Gesamtschau der Jahrbücher die Entwicklung wichtiger Themenfelder nachvollziehen kann“, sagt Stadtfotograf Walter Schernstein. Schernstein und seine Kollegin Ursula Deckert, sind das Tandem, das redaktionell für die Herausgabe des inzwischen 76. Mülheimer Jahrbuches verantwortlich zeichnet. Mit einer abwechslungsreichen Fotostrecke, die schon mit dem Blick aufs Autokino am Flughafen beginnt und dann auf den ersten Innenseiten fortgesetzt wird, setzt Schernstein sehr anschaulich das Stadtleben mit Maske und Abstand in Corna-Zeiten ins Bild. Er hat damit ein Zeitdokument geschaffen.

Auch die Beiträge über die Spanische Grippe im Mülheim vor 100 Jahren und  über das Mülheimer Kriegsende 1945 schlagen eine Brücke von der Geschichte in die Gegenwart. Die Mülheimer Bildungslandschaft wird ebenso beleuchtet wie Themen aus dem Bereichen Sport, Wirtschaft, Umwelt und Kultur. Hans Georg Hötger führt uns mit seiner „Historischen Wanderung durch das Mülheimer Grün“ durch die Stadtteile.

Das vom Verkehrsverein und von der Stadt herausgegebene Mülheimer Jahrbuch ist für 14,80 Euro im Buchhandel, bei der MST-Info im Stadtquartier Schloßstraße und im Museum Temporär an der Schloßstraße erhältlich.


Dieser Text erschien am 29.11.2020 in NRZ/WAZ

Junge Schule

 Schülerinnen und Schüler machen Schule. Das nahm die Schülervertretung an der Willy-Brandt-Schule in Styrum an einem von ihr organisierten ...