Die Corona-Pandemie hat die Themen Hygiene und Infektionsschutz zum Allgemeingut und zum Politikum werden lassen. Da schockt der Anblick von benutzten Spritzen, die auf einer Grünfläche zwischen Georg- und Auerstraße herumliegen. Besonders pikant: Die Grünfläche, auf der sich regelmäßig Drogenabhängige treffen, um sich auszutauschen und gemeinsam ihre Sucht zu befriedigen, liegt in unmittelbarer Nähe eines Jugendzentrums und einer Kindertagesstätte. Auch das Amtsgericht ist nicht weit.
Eine anonyme E-Mail aus der Mülheimer Drogenszene, die der Mülheimer Woche vorliegt, zeigt: Dieser Zustand wird selbst innerhalb der Drogenszene als unhaltbar angesehen. Die Diplom-Pädagogin Jasmin Sprünken, die die Drogenhilfe der Arbeiterwohlfahrt leitet, kennt das Problem. Vor dem Hintergrund ihrer Beratungserfahrung schätzt sie die Größe der Mülheimer Drogenszene auf etwa 800 Personen. Sie geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus.
Die Arbeiterwohlfahrt hilft
Sprünken und ihre Kollegen betreiben an der Gerichtsstraße 11 das Café Light der Arbeiterwohlfahrt. Vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie fanden hier täglich 80 Drogenabhängige Rat, Hilfe und eine Anlaufstelle. Hier bekommen sie nicht nur guten Rat und ein offenes Ohr. Hier können sie essen und trinken, natürlich keinen Alkohol. "Im Café Light haben Drogenabhängige auch die Möglichkeit, ihre gebrauchten Spritzen zu entsorgen zu lassen und von uns kostenlos eine neue Spritze zu bekommen", erklärt Jasmin Sprünken. Der Automat, aus dem man sich frische Spritzen ziehen kann, erinnert an einen Zigarettenautomaten.
Nicht alle halten sich an die Regeln
Sie weiß aus ihrer Praxis: "Leider gibt es auch in der Drogenszene Menschen, die sich an Regeln halten und solche, die das nicht tun." Daran können nach Sprünkens Erfahrung auch die Säuberungsaktionen, die das Café-Light-Team regelmäßig mit seinen Klienten durchführt, auf Dauer nichts ändern. "Wir kennen das Problem und suchen seit Jahren mit dem Ordnungsamt, dem Stadtplanungsamt und mit der Polizei und mit den in der Szene aktiven Streetworkern, einem alternativen Ort, an dem sich Drogenabahängige treffen können, ohne zu einem öffentlichen Ärgernis zu werden", betont die Leiterin der AWO-Drogenhilfe. Auch der Leiter des Stadtplanungsamtes, Felix Blasch, war schon im Café Light, um mit den Drogenabhängigen über einen alternativen Treffpunkt für die Szene zu diskutieren. "Die Stadt ist aufgeschlossen und betreibt keine Vetreibungspolitik", stellt Sprünken anerkennend fest. Zuletzt war ein zügiger Parkplatz an der Friedrich-Wilhelms-Hütte als alternativer Treffpunkt der Szene im Gespräch. Hier wollte die Ruhrbahn Haltestellen-Häuschen als Windschutz und Sitzgelegenheit aufstellen. Letzteres scheiterte daran, dass die Ruhrbahn aufgrund der vielen Mülheimer Baustellen ihre Ersatz-Wartehäuschen selbst brauchte, um Ersatz-Haltestellen einrichten zu können. "Auch wenn Drogenabhängige nirgendwo gerne gesehen werden, so sind sie doch ein unbestreitbarer Teil unserer Gesellschaft, der, wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger das Recht hat, sich in der Öffentlichkeit zu treffen und soziale Kontakte zu pflegen, ohne dass sie dabei immer von hauptamtlichen Sozialmenschen beobachtet werden", macht die Leiterin der AWO-Drogenhilfe deutlich.
Alternative Treffpunkte gesucht
Sie weist darauf hin, dass auch frühere Treffpunkte der Drogenszene, wie etwa die 2008 zugunsten des neuen Ruhrquartiers beseitigten Ostruhranlagen oder die Fußgängerbrücke zwischen Kohlen- und Charlottenstraße zum öffentlichen Ärgernis geworden seien. Auch sogenannte Druckräume, die von medizinisch und sozialarbeiterisch qualifizierten Fachkräften betreut werden, sieht Sprünken angesichts der Lebenswirklichkeit der Szene nicht als Allheilmittel an. Sie lässt keinen Zweifel daran, "dass wir keine Räume betreiben können, an denen harte und illegale Drogen, wie zum Beispiel Heroin, gehandelt und gespritzt werden. Außerdem würden auch öffentlich betreute Druckräume nichts daran ändern, dass viele Drogenabhängige ihre Sucht lieber zuhause oder an anonymeren und weniger einsehbaren öffentlichen Plätzen befriedigen würden." Mit Blick auf das Café Light, das aufgrund der Corona-bedingten Abstandsregeln seine Innenraum-Plätze stark reduzieren und statt dessen mit Zelt-Pavillons auf seinen Hof ausweichen musste, macht sich die Leiterin der AWO-Drogenhilfe keine Illusionen: "Die Suche nach einem weniger exponierten öffentlichen Treffpunkt der Drogen-Szene muss weitergehen, aber das Corona-Jahr 2020 ist für dieses schwierige Unterfangen leider ein verlorenes Jahr, weil wir im aktuellen Lockdown ohnehin keine größeren Menschenansammlungen auf Plätzen oder in Räumen zulassen können. Und die Drogenabhängigen haben besonders große Angst davor, mit dem Corona-Virus infiziert zu werden, weil sie wissen, dass sie zu einer Risikogruppe gehören."
Dieser Text erschien am 16. Dezember 2020 im Lokalkompass Mülheim
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