Mittwoch, 31. Mai 2017

Nicht jeder mag es heiß

Manche mögen es heiß. Ich nicht. Nicht, dass ich gerne friere. Aber wenn das Thermometer auf über 25 Grad Celsius steigt, bekomme ich kalte Füße, weil dann ein Schweißausbruch den nächsten jagt und jeder Schritt zu viel erscheint. Wie gut, dass es für Bus- und Bahnfahrgäste, wie mich, den einen oder anderen U-Bahnhof gibt. An Hitzetagen, wie diesen, gibt es keine schnellere Abkühlung, als ein Ausflug in den Mülheimer Untergrund. Da darf die U-Bahn oder der unterirdisch haltende Bus auch schon mal eine oder zwei Minuten auf sich warten lassen.

Doch der Abkühlungseffekt ist schnell dahin, wenn man, wie jetzt am U-Bahnhof Stadtmitte feststellen muss, dass Rolltreppe und Aufzug auch nicht mehr können und ihren Dienst kurzerhand eingestellt haben.

Da hilft der Mutter mit Kinderwagen auch die Information per Leuchtschriftband nicht wirklich weiter. „Können Sie mir mal helfen?“ Welcher Mann mit Herz, kann da, trotz Hitzewallungen, schon Nein sagen, wenn er endlich mal wieder eine tragende Rolle übernehmen kann. Danach hat er sich ein Eis aus der Kühltheke redlich verdient.

Dieser Text erschien am 30. Mai 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Dienstag, 30. Mai 2017

Britta Vincent will Brücken der deutsch-französischen Freundschaft bauen

Britta Vincent
Die Präsidentin der Deutsch-Französischen Vereinigung in Tours, Britta Vincent, hat jetzt zusammen mit dem Tourainer Bürgermeister Serge Barbary Mülheim besucht, um zu sondieren, wie die seit 55 Jahren bestehenden Beziehungen zwischen Tours und Mülheim intensiviert werden können. Auch beruflich organisiert die aus Krefeld stammende Britta Vincent, die seit 20 Jahren in Tours lebt, internationale Kontakte, Projekte und Sprachreisen. Am vorletzten Tag stand Frau Vincent der Mülheimer Woche und ihrem Lokalkompass für ein Interview zur Verfügung.

Was sind die Stärken der im Mai 1962 vom damaligen Mülheimer Oberbürgermeister Heinrich Thöne und dem damaligen Tourainer Bürgermeister Jean Royer begründeten 
Partnerschaft zwischen Mülheim und Tours?

Die Tatsache, dass die Bürger beider Städte viele menschliche Kontakte miteinander geknüpft haben und so dazu beigetragen haben, dass wir auch nach 55 Jahren eine lebendige Städtepartnerschaften mit Bürgerfahrten und Begegnungen haben, die wie eine Brücke wirken. Hier müssen wir ganz besonders Brigitte Mangen und Eliane Lebret für ihren langjährigen ehrenamtlichen Einsatz danken. Auch ich sehe meine Aufgabe darin, Brücken zwischen Tours und Mülheim zu bauen. Wichtig ist, dass wir auch die nächste Generation dafür begeistern können, die Städtepartnerschaft fortzuführen.

Brücken bauen! Wie kann das gelingen?

Vor allem dadurch, dass sich die Menschen begegnen und die Sprache des jeweils anderen lernen, um sich zu verstehen. Das ist mir ein besonderes Herzensanliegen und dafür stelle ich allen Interessierten auch meine professionelle Unterstützung zur Verfügung. Leider habe ich in Mülheim keine Sprachenschule gefunden, die als Kooperationspartner für das Deutsch-Französische Institut in Tours bereit stünde. Aber vielleicht könnten sich ja andere, aber vergleichbare Kooperationspartner, wie die Mülheimer Hochschulen, die Heinrich-Thöne-Volkshochschule oder die Katholische Akademie finden lassen.

Würden Sie auch entsprechende Tours-Kontakte für interessierte Einzelpersonen, Gruppen und Institutionen herstellen?

Selbstverständlich. Gerne.

Sehen Sie auch Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit auf wirtschaftlicher Ebene?

Mülheim hat noch viel Industrie. Tours ist mehr auf Dienstleistungen, Tourismus, Gastronomie und Weinhandel ausgerichtet. Aber warum sollten nicht zum Beispiel Tourainer Gastronomen ihre Mülheimer Kollegen kennen lernen und beim Kulinarischen Treff an der Ruhr dabei sein, während Mülheimer Gastronomen auch bei vergleichbaren Events in Tours mit von der Partie sein und vielleicht auch mal bei ihren Tourainer Kollegen hospitieren? Und warum sollten sich nicht auch im großen Dienstleistungssektor Mülheimer und Tourainer Unternehmen finden, die daran interessiert sind zusammenzuarbeiten und in diesem Rahmen ihren Mitarbeitern auch zu ermöglichen Deutsch und Französisch vor Ort zu lernen?

Werden die jetzt begonnenen Sondierungsgespräche zwischen den Stadtspitzen fortgesetzt?

Ja. Herr Scholten wird im Oktober Tours besuchen.

Und warum sollten auch ganz normale Bürger Mülheims Tours besuchen?

Weil sie hier ein sehr authentisches und freundliches Stück Frankreich, in dem ein besonders reines und gut verständliches Französisch gesprochen wird. Tours und seine Region haben mit ihren Schlössern, ihrer Gastronomie und ihren Weinbergen viel Kultur und Geschichte zu bieten. Man kann in Tours ein sehr angenehmes und stressfreies Leben kennen lernen und darüber hinaus mit dem Zug in einer Stunde Paris erreichen.


Weitere Informationen zum Thema finden sie im Internet unter: www.franco-allemand-touraine.fr und: www.international-sur-loire.com


Dieser Text erschien am 27. Mai 2017 in der Mülheimer Woche

Montag, 29. Mai 2017

Heute würde John F. Kennedy 100 Jahre alt: Ein Rückblick auf den ersten katholischen Präsidenten der USA

John F. Kennedy kann man sich nicht als einen Hundertjährigen vorstellen. Der erste katholische Präsident der USA ist als der jüngste gewählte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in das kollektive Gedächtnis der Weltgeschichte eingegangen. Seine Ermordung riss den damals erst 46-jährigen Politiker auf tragische Weise aus dem Leben.

Dass der am 29. Mai 1917 in Boston geborene John F. Kennedy der erste Katholik im Weißen Haus war, ist heute wohl nur noch Historikern geläufig. Als der Senator aus Massachusetts im Juni 1960 zum Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei nominiert wurde, warnte der Demokrat und Ex-Präsident Harry S. Truman: „Amerika ist noch nicht reif für einen Katholiken!“ Der 1884 geborene Truman war alt genug, um sich noch an die erste Präsidentschaftskandidatur eines Katholiken zu erinnern. 1928 trat der New Yorker Gouverneur und Katholik Alfred E. Smith an, um für die Demokraten das Weiße Haus zu erobern und sah sich daraufhin im Wahlkampf zahlreichen Angriffen auf seine Konfession ausgesetzt. Am Ende unterlag Smith mit 41:58 Prozent dem späteren republikanischen Präsidenten Herbert Hoover.

Wie Smith, bekam auch Kennedy, den Satz zu hören: „Wenn ein Katholik ins Weiße Haus einzieht, regiert der Papst in Washington mit!“ Diesen, heute, da fast jeder vierte US-Bürger Katholik ist, abstrus klingenden Vorwurf, versuchte der Kandidat Kennedy mit einer Rede zu entkräften, die er in Houston vor einer Konferenz evangelischer Pastoren hielt.
In dieser Rede, die ihre Wirkung in der Öffentlichkeit ebenso wenig verfehlen sollte, wie Kennedys brillante Fernsehdebatten gegen seinen republikanischen Mitbewerber Richard Nixon, führte er unter anderem aus:

„Ich glaube an ein Amerika, in dem die Trennung von Kirche und Staat absolut ist, in dem kein katholisches Prälat dem Präsidenten, wenn er denn katholisch ist, vorschreibt, wie er handeln soll, und kein protestantischer Pfarrer seinen Gemeindemitgliedern sagt, wen sie wählen sollen, in dem keine Kirche oder Konfessionsschule öffentliche Gelder oder politische Bevorzugung erhält und in dem niemandem ein öffentliches Amt vorenthalten wird, nur weil er eine andere Religion ausübt als der Präsident, der ihn möglicherweise ernennt, oder die Leute, die ihn vielleicht wählen.

Ich glaube an ein Amerika, das offiziell weder katholisch noch protestantisch noch jüdisch ist, ein Amerika, in dem kein öffentliche Bediensteter vom Papst, vom nationalen Kirchenrat oder von einer anderen kirchlichen Institution Anweisungen hinsichtlich der öffentlichen Politik ersucht oder akzeptiert, in dem keine religiöse Körperschaft versucht, ihren Willen der Bevölkerung aufzudrücken und in dem die Religionsfreiheit unteilbar ist.

Denn während es in diesem Jahr ein Katholik ist, gegen den sich der Finger des Verdachts richtet, war es in vergangenen Jahren, und ist es möglicherweise eines Tages wieder, ein Jude – oder ein Quäker, oder ein Unitarier oder ein Baptist. Ich glaube an ein Amerika, in dem die religiöse Intoleranz eines Tages enden wird, in dem alle Menschen und alle Kirchen gleich behandelt werden, in dem jeder Mensch das gleiche Recht hat, die Kirche seiner Wahl zu besuchen oder ihr fernzubleiben, in dem es keine katholische oder antikatholische Stimme gibt, keine Blockabstimmung irgendwelcher Art und in dem sich Katholiken, Protestanten und Juden sowohl auf Laien- als auch auf Pastorenebene von einer Haltung der Geringschätzung und der Spaltung distanzieren, die ihre Arbeit in der Vergangenheit so häufig beschädigt hat, und stattdessen das amerikanische Ideal der Brüderschaft fördern.“


Obwohl seine Rede viel beachtet und gelobt wurde, konnte der Katholik Kennedy die im damals noch stärker als heute protestantisch geprägten Amerika die Vorbehalte gegen seine Konfession nicht völlig ausräumen. Auch wenn er immer wieder betonte, dass er nicht der Kandidat der katholischen Kirche, sondern der Demokratischen Partei Amerikas sei, führten Wahlforscher Kennedys äußerst knappen Wahlsieg über den Republikaner Nixon vor allem auf seine katholische Konfession zurück, die ihm aber in einigen Großstädten an der Ostküste auch genutzt habe. Am Wahltag, dem 8. November 1960, siegte Kennedy bei insgesamt 68 Millionen abgegebenen Wählerstimmen mit einem hauchdünnen Vorsprung von 112.000 Stimmen. Nach Kennedys Wahl sollte es 44 Jahre dauern, ehe mit dem ebenfalls aus Massachusetts  stammenden Senator und späteren Außenminister John Kerry wieder ein Katholik, diesmal aber erfolglos, versuchen sollte, ins Weiße Haus einzuziehen. Immerhin zog vier Jahre nach Kerrys Niederlage gegen George Bush junior mit Barack Obama auch sein katholischer Vizepräsident Joe Biden ins Oval Office ein.

Sonntag, 28. Mai 2017

Zeitzeuge Helmut Herrmann berichtete Schülern aus seiner Kindheit und Jugend unter dem Hakenkreuz

Zeizeuge Helmut Herrmann zu Gast an der Realschule
Mellinghofer Straße
Geschichte steht auf dem Stundenplan der Zehntklässler an der Realschule Mellinghofer Straße. „Normalerweise lernen wir Geschichte aus Büchern und Filmen. Aber heute können wir jemanden befragen, der Geschichte selbst erlebt hat“, freut sich Schülerin Johanna.

Der 1929 geborene Helmut Herrmann, einst Betriebsrat bei Siemens, Ehrenvorsitzender der örtlichen Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes und des Bundes der Antifaschisten, leistete in den 80er Jahren Pionierarbeit bei der Erforschung und Dokumentation von Widerstand und Verfolgung in Mülheim unter dem Hakenkreuz.

Heute wollen die 15 und 16 Jahre alten Realschüler von ihm wissen, wie er den Nationalsozialismus als Jugendlicher erlebt hat. Ihre gezielten Fragen zeigen, dass sie sich gut vorbereitet haben. Kannten sie jüdische Altersgenossen? Wurden Sie von den Nazis verfolgt? Wie haben Sie den Zweiten Weltkrieg erlebt? 

Alle Schüler hören gespannt zu, wenn ihnen Herrmann erzählt, wie das war, als die SA sein Elternhaus durchsuchte und seinen Vater mitnahm, weil der ein bekennender Kommunist und Gegner Hitlers war. „Meine Mutter musste damals erst mal herausfinden, wo mein Vater inhaftiert worden war“, erinnert sich Herrmann. Seine Mutter und ihre sechs Kinder hatten noch Glück, denn der Vater kam nach eineinhalb Jahren wieder nach Hause, wurde aber ständig überwacht. Unangemeldete Hausbesuche der braunen Staatsmacht waren an der Tagesordnung.

„Ich hatte in meiner Jugend keine Gelegenheit, Juden kennenzulernen. Aber auch meine Geschwister und ich wurden als Außenseiter ausgegrenzt, weil unsere Eltern Kommunisten waren und nicht wollten, dass wir zum Jungvolk, in die Hitlerjugend oder zum Bund deutscher Mädel gingen. Als Begründung haben sie uns damals nur gesagt: Wir haben kein Geld für die Uniformen“, berichtet Herrmann den betroffenen Schülern.

Besonders berührt sie seine Geschichte von dem Angriff tieffliegender Jagdbomber, den Herrmann gegen Kriegsende als junger Landarbeiter erlebte und sich dabei vor lauter Todesangst in die Hose machte.

Aber auch eine Geschichte der Menschlichkeit weiß Herrmann zu berichten. Er erzählt vom stellvertretenden Ortsbauernführer, der ihn einstellte, obwohl er wusste, dass sein Vater Kommunist war und der während des Krieges einen entlaufenen ukrainischen Zwangsarbeiter bei sich aufnahm und ordentlich behandelte, weil er wusste, dass er als Mitglied der NSDAP  keine staatlichen Kontrollen und Repressalien fürchten musste.

„Wir sind alle Menschen und haben das gleiche Recht zu leben, egal, woher wir kommen, was wir glauben oder was wir denken. Und deshalb müssen wir zusammen alles dafür tun, dass sich Ähnliches, wie damals nie wiederholen kann“, gibt Herrmann den Schülern mit auf ihren Weg.

Seine Botschaft kommt an: „Es ist toll, dass wir heute frei unsere Meinung sagen und überall hinfahren können. Und deshalb müssen wir uns auch dafür einsetzen, dass Demokratie und Freiheit in unserem Land erhalten bleiben“, sind sich Schüler Sefa und seine Mitschülerin Beyza nach der 90-minütigen Gesprächsrunde einig.

Und was sagen die Lehrer? „Das war eine gelungene Mischung aus biografischer Erzählung, historischen Fakten und persönlichen Emotionen“, sagt Realschulrektorin Judith Koch 

„Die Schülerinnen und Schüler haben authentische Geschichte zum Anfassen erlebt, die sie so sonst nicht zu fassen bekommen“, sagt Geschichtslehrer Christian Kamann.

Dieser Text erschien in der NRZ und in der WAZ vom 23. Mai 2017

Samstag, 27. Mai 2017

Vom Rheinischen Bauernhaus zum Pizza-Imbiss: Ein Zeitsprung an der Delle

Das Rheinische Bauernhaus vor 1943
Foto Stadtarchiv Mülheim 
Früher, wie heute wird an der Ecke Delle/Friedrichstraße gegessen und getrunken. Heute kann man dort in einen Pizza-Imbiss einkehren. Früher gingen die alten Mölmschen dort im Rheinischen Bauernhaus ein und aus.

„Meine Eltern gingen gerne dort hin, um gemeinsam ein Glas Wein  zu trinken. Außerdem probten dort die Chorbrüder des Männergesangvereins Frohsinn“, erzählt der 1936 geborene Mülheimer Walter Neuhoff mit Blick auf das historische Foto aus dem Stadtarchiv.

So kannte man das Rheinische Bauernhaus bis zu seiner Zerstörung durch den britischen Luftangriff in der Nacht vom 22. auf den 23. Juni 1943.

Damit ging eine fast 300-jährige Tradition im Bombenhagel unter. In seinen besten Zeiten wurde das Rheinische Bauernhaus nicht nur von Ruhrschiffern und Werftarbeitern besucht, sondern auch von Bauern, die ihre Erzeugnisse auf dem Alten Markt an der Petrikirche und später auch auf dem Rathausmarkt an die Frau und den Mann brachten.

In der Silvesternacht 1851/52 waren es 35 sangesfreudige Gäste, die im Rheinischen Bauernhaus den bis heute bestehenden Männerchor Frohsinn aus der Taufe, um „den Volksgesang zu pflegen.“

1956 eröffnete ein Gaststätte mit dem traditionsreichen Namen an alter Stätte in einem Neubau. Sie konnte aber nicht mehr an das Flair ihrer großen Vorgängerin anknüpfen und wich 1971 einer dort eingerichteten Filiale der Sparkasse.

Praktisch gleich gegenüber sollte 1989 die neue Hauptgeschäftsstelle der Sparkasse am Berliner Platz die Pforten für Ihre Kunden öffnen.

Dieser Text erschien am 23. Mai 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Freitag, 26. Mai 2017

Der neue Superintendent Gerald Hillebrand setzt auf Dialog

Gerald Hillebrand bei seiner Vorstellung am Rednerpult der
Kreissynode (Foto Annika Lante/Kirchenkreis an der Ruhr)
Pfarrer Gerald Hillebrand ist neuer Superintendent des evangelischen Kirchenkreises an der Ruhr und vertritt damit 47 000 evangelische Christen in Mülheim. Der Geistliche tritt die Nachfolge von Helmut Hitzbleck an, der sich Ende März in den Ruhestand verabschiedete, und führt dessen Amtszeit zunächst bis zum Herbst 2020 fort. 31 von 58 Mitgliedern der Kreissynode stimmten für Hillebrand, 25 für seine Mitbewerberin, Pfarrerin Dagmar Tietsch-Lipski.

Worin sehen Sie Ihre erste Aufgabe im neuen Amt?
Wir brauchen eine bessere Verschränkung und Kommunikation zwischen den Gemeinden und dem Kirchenkreis. Außerdem müssen wir Familien in ihren unterschiedlichen Lebenssituationen stärken. Auch die ökumenische Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche sollte verstärkt werden. Ich denke zum Beispiel an die Begleitung von Trauernden, aber auch an die gemeinsame Nutzung von Gebäuden.

Wird die Kirche künftig eher zentral oder dezentral organisiert sein?
Man sollte den Kirchenkreis nicht gegen die Gemeinden ausspielen. Wir brauchen beides. In den Gemeinden erleben Menschen Gemeinschaft, Seelsorge und Glaubensverkündigung, Auf der Kirchkreisebene können wir übergemeindliche Arbeit, wie die der Beratungsstellen, der Diakonie oder der Familienbildungsstätte leisten. Künftig wird man aber im Bereich der Kirchenverwaltung auch über eine Zusammenarbeit mit benachbarten Kirchenkreisen nachdenken müssen.

Bleiben Sie als Superintendent auch Pfarrer in Broich?
Ja, ich bleibe Pfarrer in Broich, werde dort aber von einem Kollegen oder einer Kollegin entlastet, weil ich künftig 75 Prozent meiner Arbeitszeit auf die Aufgaben als Superintendent verwenden werde.

Wie sehen Sie Ihre neue Aufgabe in der Stadtgesellschaft?
Als Superintendent werde ich auf der Basis der christlichen Botschaft ganz klar Position beziehen, wenn es zum Beispiel um die Fragen geht, wie wir in einer multikulturellen Gesellschaft einen respektvollen Dialog führen können, der dazu beiträgt, dass sich Menschen aus unterschiedlichen Religionen kennenlernen und in ihrer Verschiedenheit akzeptieren, so dass sie mögliche Ängste voreinander abbauen können. Außerdem werde ich mich einbringen, wenn es darum geht, sozial benachteiligten Menschen die Teilhabe an unserer Gesellschaft zu ermöglichen.

Wo und wie sehen Sie die evangelische Kirche in zehn Jahren?
Ich hoffe, dass wir als evangelische Kirche erkennbar bleiben, und nicht in der Nische der Freikirchen verschwinden und wach bleiben für den gesellschaftlichen Wandel und die Aufgaben, die sich daraus für uns ergeben.

Gerald Hillebrand wurde vor 60 Jahren in Wuppertal geboren. Durch sein ehrenamtliches Engagement in der Kinder- und Jugendarbeit seiner Heimatgemeinde wuchs er in die evangelische Kirche hinein. „In einer christlichen Gemeinschaft getragen und geborgen zu sein und mit anderen Menschen die Hoffnung meines Glauben teilen zu können, prägt mein Leben“, sagt der an Hochschulen in Wuppertal und Bochum ausgebildete Theologe.
Gerald Hillebrand hat zunächst in Wuppertal und seit 1993 in ­Broich als Pfarrer gearbeitet. Zuletzt war Hillebrand nebenamtlich auch Diakoniebeauftragter des Kirchenkreises An der Ruhr. 

Der bekennende Familienvater und Großvater, der seit 1979 mit seiner Frau Dorothea verheiratet ist, genießt die Geselligkeit im Familien- und Freundeskreis, reist gerne und liest in der Freizeit Kriminalromane und historische Bücher.



Dieser Text erschien am 22. Mai 2017 in NRZ &WAZ

Mittwoch, 24. Mai 2017

Frische Luft und Familienanschluss: Unterwegs mit Marian Brzostek



Marian Brzostek
Seine Arbeit auf dem Dümptener Bauernhof der Familie In der Beeck-Bolten gefällt Marian Brzostek und sie tut ihm gut. Das spürt man, wenn man mit ihm spricht und mit ihm auf dem 70 Hektar großen Betrieb im grünen Nordzipfel Mülheims unterwegs ist, mal zu Fuß und dann wieder mit einem kleinen Elektrowagen, auf dessen Ladefläche er Erdbeeren, Kartoffeln und Eier transportiert. Wären wir im Herbst, wäre er mit Kürbissen unterwegs und in einigen Wochen werden auf die Erdbeeren die Himbeeren folgen.
Seine Arbeit auf dem Dümptener Bauernhof der Familie In der Beeck-Bolten gefällt Marian Brzostek und sie tut ihm gut. Das spürt man, wenn man mit ihm spricht und mit ihm auf dem 70 Hektar großen Betrieb im grünen Nordzipfel Mülheims unterwegs ist, mal zu Fuß und dann wieder mit einem kleinen Elektrowagen, auf dessen Ladefläche er Erdbeeren, Kartoffeln und Eier transportiert. Wären wir im Herbst, wäre er mit Kürbissen unterwegs und in einigen Wochen werden auf die Erdbeeren die Himbeeren folgen.

Lebensunterhalt für die Familie

Der zweifache Familienvater und fünffache Großvater aus dem ostpolnischen Ostron Mazowiecka strahlt eine Vitalität aus, die nicht erahnen lässt, dass er mit 64 schon fast im Rentenalter ist. „Als mich Andreas Bolten vor vier Jahren fragte, ob ich auf seinem Hof arbeiten könne, sagte ich ihm: Dafür bin ich doch zu alt“, erinnert sich Brzostek.
Heute bewegt er sich zwischen 5.30 Uhr und 16.30 Uhr so vertraut und selbstverständlich zwischen Feldern, Hühnerstall, Lagerräumen, Hofladen und Verkaufswagen des Dümptener Hofes, den Christiane In der Beeck und Andreas Bolten bewirtschaften, dass man meinen könnte, er habe nie etwas anderes gemacht.
Das hat wohl damit zu tun, dass Brzostek die Landwirtschaft seit Kindesbeinen kennt. Sein Vater Stanislaw hatte einen kleinen 16-Hektar-Hof. Das war eine gute Schule für seine heutige Arbeit. Doch er hat im Laufe seines Lebens auch schon als Mechaniker in einer Möbelfabrik, als Fahrer für einen Schlachthof und als selbstständiger Spediteur gearbeitet.
Doch als seine selbstständige Existenz in die Brüche ging, suchte er nach einer neuen Anstellung und fand sie auf dem Bauernhof an der Bonnemannstraße. Den Weg dort hin fand er über Andreas Boltens Eltern, die ihn aus seiner früheren Berufstätigkeit kannten.
„Marian ist flexibel, tatkräftig und zuverlässig“, lobt Landwirtin Christiane In der Beeck ihren Mitarbeiter für alle Fälle.

Immer zur Stelle

Ob beim Säen und Ernten auf den Feldern, beim Einlagern der Ernte, ob bei der Auslieferung an Märkte in der Region, ob beim Aus- und Einräumen des Hofladens oder beim Einsammeln der von freilaufenden Hühnern gelegten Eier, der Säuberung ihres mobilen Stalls oder bei ihrer Fütterung, Marian Brzostek ist immer zur Stelle. Ein Knopf im Ohr verbindet ihn mit seinem Smartphone, damit er für seine Arbeitgeber immer erreichbar ist und schnell eingreifen kann, wo Not am Mann ist.
„Die Familie ist eine gute Familie und die Atmosphäre hier stimmt“, versichert Brzostek glaubhaft. Ein Feierabendbier oder ein Nachmittagskaffee mit Andreas Bolten und Christiane In der Beeck gehören zu seinem Alltag. Vor einigen Jahren haben Bolten und In der Beeck für Marian und seine Kollegen, zu denen jetzt auch acht Erntehelfer aus seiner 1200 Kilometer entfernten Heimatstadt Ostron Mazowiecka gehören, eine eigene Wohnunterkunft auf dem Hof errichtet.
Jeder hat hier sein eigenes Zimmer, einfach, aber wohnlich eingerichtet. Es gibt eine Gemeinschaftsküche, in der Marian regelmäßig für seine Kollegen kocht und backt. Duschen, Waschräume und Waschmaschinen machen die Unterkunft für die polnischen Arbeitskräfte komplett. Deutsche Arbeitskräfte haben Christiane in der Beeck und Andreas Bolten oft gesucht, aber nie gefunden. Ein Arbeitsbeginn um 5.45 Uhr in der Erntezeit ist nicht jedermanns Sache.
„Aber im Winter fängt mein Arbeitstag erst um acht Uhr an. Dann geht es etwas ruhiger zu“, erzählt Brzostek. Wer ihn durch seinen Arbeitsalltag begleitet, hat das Gefühl, dass es hier auf dem Hof nie Langeweile gibt, aber auch keine fabrikähnliche Akkordarbeit, sondern ein vergleichsweise selbstständiges und selbstverantwortliches Schaffen. Bei einem kleinen Familienbetrieb, wie dem Dümptener Bauerhof, weiß jeder, dass man sich auf ihn verlassen können muss, weil es auf jeden ankommt.
Und so betrachtet Marian während einer Arbeitspause in seinem Smartphone nicht nur Fotos seiner eigenen Familie, sondern auch Fotos, die er bei Gelegenheit von Andreas Bolten, seiner Frau Christiane und ihren gemeinsamen Kindern Marlen und Clemens gemacht hat.
Auch nach Feierabend ist Marian Brzostek gerne unterwegs. Mal fährt er mit dem Rad durchs grüne Mülheim. Mal besucht er in Essen den Gottesdienst der polnischen Gemeinde. Und mal besucht der Vater und Großvater seinen Sohn Rafael (41), und seinen Enkelsohn in Neuss. Dann gehen Großvater, Vater und Enkel auf den Fußballplatz von Eller 04 oder ins Stadion von Fortuna Düsseldorf. Doch seine schönste Reise ist die Heimreise, wenn Brzostek Ostern, Weihnachten und im Juli seine Familie in Ostron -Mozowiecka besucht. „Mal fahre ich mit meinem Auto. Mal fliege ich mit dem Flugzeug ab Düsseldorf“, erzählt Marian Brzostek.
Und wie lange will der 64-Jährige noch arbeiten? „Ich arbeite noch 36 Jahre plus Mehrwertsteuer“, scherzt er. Dann wird er etwas ernster und meint: „Ich muss darüber mal mit meinem Steuerberater und meinem Arzt sprechen, aber solange ich gesund bleibe, werde ich wohl noch einige Jahre hier arbeiten. Und auch, wenn ich dann mal Rentner sein werde, werde ich bestimmt mal wieder als Besucher hier vorbeischauen, denn die Familie In der Beeck-Bolten ist mir im Laufe der Jahre doch ans Herz 
Dieser Text erschien am 20. Mai 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Dienstag, 23. Mai 2017

Als die Reformation nach Mülheim kam: Ein Gespräch mit dem Histoirker und Buchhautor Jürgen Nierhaus, der darüber geforscht und geschrieben hat


Hans-Werner Nierhaus
Mülheim ist keine Insel. Auch hier kommt die Weltgeschichte an. Das galt auch für die vor 500 Jahren von Martin  Luther angestoßene Reformation. Wie das vonstatten ging, beschreibt der pensionierte Otto-Pankok-Geschichtslehrer Jürgen Nierhaus in seinem Buch über die Reformation in Mülheim. Ein Gespräch mit dem Autor.

Wie kam die Reformation nach Mülheim?

Nierhaus: Das hatte mit dem Broicher Grafen Wirich V. zu tun. Der erlebte Martin Luther als Teilnehmer des Wormser Reichstages kennen und war von seinen Ideen interessiert. 
Warum fand die Reformation auch in Mülheim rasch Zulauf?
Nierhaus: Die Menschen waren mit der zunehmenden  Verweltlichung der Kirche unzufrieden. Das hatte nicht nur mit dem Ablasshandel zu tun. Die Adeligen schoben sich die Pastorenämter gegenseitig zu, weil sie mit Pfründen, das waren Grundstücke und Pachtabgaben, von denen man sehr gut leben konnte, verbunden waren. Dabei setzten viele Pastöre wiederum Vikare ein, die in ihrem Auftrag an den damals drei Altären der Sankt-Petrikirche täglich mehrere Messen feierten. Viele Menschen wollten damals ihr Seelenheil befördern, in dem sie der Kirche ihren Besitz vermachten.

Was veränderte sich an diesen Zuständen mit der Reformation?

Nierhaus: Die Gemeindeältesten, aus denen später die Presbyter wurden, konnten jetzt das Gemeindeleben mitbestimmen. Die Gottesdienste wurden nicht mehr in Latein, sondern in deutscher Sprache gefeiert. Und das Abendmahl wurde in beiderlei Gestalt, dass heißt mit Wein und Brot gereicht. Und der bisher von der Gemeinde abgewandte Pastor feierte nun mit dem Gesicht zur Gemeinde den Gottesdienst. Aus den Pfründen der Petrikirche wurden die Pfarrer und die Armenfürsorge bezahlt, allerdings nicht mehr mit dem Hinweis auf das Seelenheil.

Wer war der erste evangelische Pfarrer in Mülheim?

Nierhaus: Das war der reformierte Prediger Johann Kremer, der in einigen Quellen auch als Jakob Kremer genannt wird, der auf Vermittlung des Herrn von Hardenberg nach Mülheim kam und vom damaligen Broicher Grafen Philipp als Hofprediger angestellt wurde. Seine erste Amtshandlung war die Trauung des ehemaligen Kölner Domherrn Philipp von Broich und Daun-Falkenstein mit der ehemaligen Nonne Kaspara von Holtei, mit der er zwei Kinder hatte, die durch die Hochzeit legitimiert werden.

Verschwand mit der Reformation der gesamte Katholizismus aus Mülheim?

Nierhaus: Nein. Sowohl das Kloster Saarn und die Styrumer Grafen blieben katholisch. Allerdings kamen vereinzelt auch Nonnen aus dem Saarner Kloster zur Petrikirche, um dort den reformierten Gottesdienst mitzufeiern. Man darf nicht vergessen, dass viele Mülheimer, wie Luther, keine Spaltung, sondern nur eine Reform der existierenden Kirche wollten.

Welche Chance hat die Ökumene im 500. Jahr der Reformation?

Nierhaus: Ich glaube, dass die katholische und die evangelische Kirche nicht ganz ehrlich mit diesem Thema umgehen, weil die Institutionen und bürokratischen Strukturen der heutigen Kirchen so verfestigt sind, dass sie die Auseinandersetzung mit dem reinen christlichen Glauben verhindern. Denn die theologischen Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten, für die früher sogar Kriege geführt wurden, haben heute ihre Bedeutung verloren.

Jürgen Nierhaus, der bereits Bücher über den Ersten- und den Zweiten Weltkrieg in Mülheim geschrieben hat, hat jetzt im Essener Klartextverlag ein 300 Seiten starkes Buch „Gesellschaft und Herrschaft - Die Reformation im Duisburger und Mülheimer Raum“ veröffentlicht. 
Neben der bereits früher zu diesem Thema erschienen Fachliteratur dienten Nierhaus auch Briefe und Urkunden aus der Zeit der Reformation, die er im Mülheimer Stadtarchiv im Haus der Stadtgeschichte an der Von-Graefe-Straße 37 gefunden und ausgewertet hat, als Quellen.
Sein Buch ist ab sofort im Buchhandel erhältlich und kostet 22,40 Euro.

Dieser Beitrag erschien am 22. Mai 2017 in NRZ und WAZ

Montag, 22. Mai 2017

Ich zahle, also bin ich

Ich fahre, also bin ich! Das schrieb ich gestern an dieser Stelle. Sie erinnern sich?! Heute bin ich mit meiner Erkenntnis einen Schritt weiter und sage: Ich zahle, also bin ich!

Denn gestern legte ich im Kundencenter der Mülheimer Verkehrsgesellschaft mein Monatsticket und meinen Personalausweis vor, um nachträglich nachweisen zu können, dass mein Monatsticket auch wirklich mein Monatsticket ist, nachdem ich tags zuvor mit meinem Monatsticket, aber ohne meinen Personalausweis mit Bus und Bahn durch Mülheim fuhr.

Den von mir unerbetenen Aufwand, zu notieren, dass ich mit Fahrschein, aber ohne Personalausweis im Nahverkehr unterwegs war und die nachträgliche Betrachtung meines Personalausweises und meines Monatstickets, um sicherzustellen, dass ich auch wirklich der bin, der ich bin, ließ sich die MVG mit sieben Euro bezahlen.

Ich frage mich jetzt nur, wieviel ich der MVG demnächst an Arbeitsaufwand in Rechnung stellen kann, wenn ich mir mal wieder an der Haltestelle die Beine in den Bauch stehe, weil Bus oder Bahn zu spät kommen oder ausfallen. Zeit ist ja nicht nur für die MVG, sondern auch für ihre Fahrgäste Geld.


Dieser Text erschien am 20. Mai 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung 

Ich fahre, also bin ich

Wer bin ich? Das ist eine wahrhaft philosophische Frage, mit der man manchmal unverhofft konfrontiert wird, etwa, wenn man mit Bus und Bahn unterwegs ist und plötzlich von der Seite angesprochen wird: „Ihre Fahrkarte, bitte?“

Kein Problem! Ich habe ja mein Monatsticket dabei. Darauf steht mein Name und meine Kundennummer. Das müsste doch reichen. Von wegen. Wir sind in Mülheim. Hier muss alles seine Ordnung haben. Schließlich könnte ja jeder mit meinem Namen und mit meinem Monatsticket daherkommen. „Können Sie sich ausweisen?“ Nein, kann ich nicht. Mein Personalausweis liegt zu Hause. Da liegt er gut. Der gewissenhafte MVG-Mitarbeiter bringt mich zum Grübeln. Ich dachte, ich sei einmalig und mein Name stünde für sich. Statt dessen muss ich erkennen, dass ich nur dann zweifelsfrei ich selbst bin, wenn ich mich ausweisen kann. Das muss ich jetzt mit einem Gang zum nächsten Kundencenter der MVG (unter Vorlage eines „Denkzettels“) nachholen. So bringt die MVG auch meine grauen Zellen in Bewegung. „Ich denke, also bin ich“, sagte einst der Philosoph Rene Decartes. Denkste! Aber der Mann lebte ja auch im 17. Jahrhundert.


Dieser Text erschien am 19. Mai 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung 

Samstag, 20. Mai 2017

Vor der Wahl ist nach der Wahl

CDU-Stadtrat Markus Püll drückt mir zwischen Gemüsehändler, Metzger und Bäcker auf der Leineweberstraße ein Flugblatt in die Hand. Kommt der Mann nicht etwas zu spät, ist die Landtagswahl nicht schon gelaufen? Er ahnt meine Gedanken und meint: „Nach der Wahl ist vor der Wahl!“ Diesen Spruch kannte ich bisher nur vom seligen Sepp Herberger mit Blick aufs Fußballspiel.

Ein Blick aufs Flugblatt zeigt es: Die CDU will am 20. Mai ab 10.30 Uhr an der Ecke Leineweberstraße/Kohlenkamp mit Bürgern über die Zukunft der Baumallee an der Leineweberstraße ins Gespräch kommen. Wenn man es so sieht, sind sich Politik und Fußball ähnlich. Es geht darum ins Schwarze zu treffen und möglichst nicht ins Abseits hineinzulaufen.

Kein Wunder also, dass die Schwarzen zum Bürgergespräch ins Grüne einladen, weil auch sie wissen, dass die mögliche Fällung der Platanen an der Leineweberstraße die Bürger auf die Palme bringt. Da heißt es, sich auf dem politischen Spielfeld rechtzeitig als Baumfreunde aufzustellen und eine Steilvorlage zu verwandeln, damit man am Ende auch tatsächlich ins Schwarze trifft und die Bürger einem Grün sind, statt einem den Schwarzen Peter zuzuschieben. Denn nach der Wahl ist vor der Wahl.


Dieser Twext erschien am 17. Mai 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Freitag, 19. Mai 2017

Der Mann an der Orgel

Der Kaiser hätte an Otto seine Freude. Otto ist ein Mann in den besten Jahren und hat eine Pickelhaube auf dem Kopf. Der Mann, der in einer alten Polizeiuniform auf der Schloßstraße steht, um die Passanten mit seiner Musik aus der Drehorgel und einer Trompete zu erfreuen, ist zwar nicht so alt, dass er den Kaiser noch gekannt hätte, aber doch schon so alt, dass er in Ehren ergraut und im Ruhestand angekommen ist. „Ich habe gerade kein Geld“, entschuldigt sich der eilige Journalist, der dem reifen Musikanten in seiner Uniform aus Urgroßvaters Zeiten gerne ein oder zwei Münzen für seine schwungvollen Rhythmen auf seinen Teller gelegt hätte. „Ich auch nicht!“, sagt der Mann an der Drehorgel. Er macht aus der Not eine Tugend. In dem er den Passanten auf der Schloßstraße mit seiner Musik und seiner sehenswerten Erscheinung eine Freude macht, bessert er seine karge Rente auf. Gut, dass Otto noch Luft und Töne hat. Da macht Wiedersehen und Wiederhören Freude. Der nächste Euro kommt bestimmt.

Und doch würde sich der Zuhörer und Zuschauer dieses bewundernswerten Ein-Mann-Straßen-Musiktheaters wünschen, dass Otto und seine Leidensgenossen, die als Rentner nicht rasten dürfen, weil bei ihnen auch nach einem langen Arbeitsleben die Rentenkasse nicht klingelt, so manchem großtönenden Großverdiener, der als Staaten- und Wirtschaftslenker weniger für Harmonie als für Misstöne sorgt, den Marsch blasen. So dass ihnen Hören und Sehen verginge. 

Dieser Beitrag erschien am 16. Mai 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Donnerstag, 18. Mai 2017

Weit weg und doch ganz nah: Alte Feldpostbriefe haben Wolfgang Geibert seinen 1944 in Weißrussland gefallenen Vater nahegebracht: Lange ließ er dessen Geschichte auf sich beruhen

Wolfgang Geibert mit einem Bild seines 1944
gefallenen Vaters Jakob.
„Mein Liebling, ich weiß zwar nicht, ob ich so wiederkomme, wie ich jetzt gehe und stehe, aber ich werde wiederkommen. Die Anstrengungen sind groß. Aber für unser deutsches Vaterland und unsere Lieben zu Hause halten wir gerne durch. Wo ich auch bin, denke ich an dich, mein liebes Goldfrauchen.“ Der am 13. April 1943 geborene Wolfgang Geibert, den viele Mülheimer aus seiner Zeit als SPD-Bezirksvertreter kennen, liest aus einem Feldpostbrief, den sein Vater Jakob am 27. Juni 1944 im Frontabschnitt südlich der weißrussischen Hauptstadt Minsk geschrieben hat. Einen Tag später wurde der Infanteriesoldat der Wehrmacht dort beim Botengang durch einen Herzschuss getötet.

Der 23-Jährige hinterließ seine gleichaltrige Frau Klara und seinen einjährigen Sohn Wolfgang.

Wolfgang Geibert legt den mit einem gemalten Herz geschmückten Brief seines Vaters beiseite und nimmt ein kleines Stück Birkenrinde, auf das Jakob Geibert einen kleinen Blumenstrauß gemalt und den Satz geschrieben hat: „Liebes Bübelein, alles Gute für deinen weiteren Lebensweg wünscht dir dein Papa!“

Die Lektüre bewegt den 74-jährigen Geibert. Doch er gibt zu, „dass ich mich lange nicht für meinen Vater interessiert habe, weil ich ihn nie kennengelernt habe, und weil ich einen sehr guten Stiefvater hatte, der mich meinen Vater hat vergessen lassen.“

Vier Jahre nach ihrer Kriegshochzeit mit Jakob Geibert heiratete Geiberts Mutter Klara 1946 den Stadtgärtner Willi Heckhoff. 1947 wurde sein Stiefbruder Willi geboren. Die drei waren seine Familie, auch wenn sie Heckhoff hießen und er Geibert.

Das musste er als Schüler während der 1950er Jahre immer wieder erklären, ebenso, wie seine katholische Konfession, mit der er sich von seinen evangelischen Eltern und seinem evangelischen Halbbruder unterschied. Während Eltern und Bruder sonntags zum Gottesdienst ins Haus Jugendgroschen gingen, ging er in die Klosterkirche. Hier feierte er auch 1954 seine erste Heilige Kommunion und 1968 seine Hochzeit mit seiner Frau Monika.

„Du bist so stur, aber auch so kreativ und aufsässig, wie dein gefallener Vater! Außerdem magst du, wie er, Kuchen und Suppe, aber keine Butter auf dem Wurstbrot“, das hat ihm seine Mutter immer wieder mal gesagt. Ein mit Blumen geschmücktes Bild des gefallenen Vaters stand immer in der elterlichen Wohnung. Als seine Mutter im Jahr 1996 verstarb, fand Wolfgang Geibert in ihrem Nachlass eine Mappe mit Unterlagen des im Jahr 1944 umgekommenen Vaters. „Ich habe die Mappe nicht geöffnet, sondern fast 15 Jahre in meinem Schreibtisch ruhen lassen. Erst als ich jetzt umzugsbedingt auf- und ausräumen musste, öffnete ich auch die Mappe meines Vaters und sah seine Feldpostbriefe mit den gereiften Augen des Alters plötzlich in einem neuen Licht“, berichtet Wolfgang Geibert.

Durch den Volksbund Kriegsgräberfürsorge hat er inzwischen erfahren, dass sein Vater seine letzte Ruhe in einem Massengrab südlich von Minsk gefunden hat. Doch bisher hat er die Reise dort hin nicht gewagt. Denn er leidet unter Flugangst, und eine Zugreise würde 36 Stunden dauern.


Dieser Artikel erschien am 11. Mai 2017 in NRZ/WAZ

Dienstag, 16. Mai 2017

Angelo Guiseppe Roncalli wirkt als Konzils- und Reform-Papst Johannes XXIII. bis heute nach


Johannes XIII. ist als der Papst des 2. Vatikanischen Konzils in die Geschichte eingegangen. „Die katholische Kirche muss im 20. Jahrhundert ankommen. Wir müssen den Unheilspropheten, die Gegenwart verdammen und behaupten, dass früher alles besser gewesen sei, entgegentreten, um die Lebendigkeit und Aktualität der frohen christlichen Botschaft in unserer Zeit zu entfalten“, sagt der 261. Papst auf dem Stuhl Petri, den seine Zeitgenossen als „den guten Papst“ bezeichnen.
Am 25. November 1881 wird Angelo Guiseppe Roncalli in Sotto il Monte, einem Dorf in der Nähe von Bergamo in der Lombardei geboren. Seine Elterm Giovanni und Mariana sind Bauern und schenken zwölf Kindern das Leben.
Ein Großonkel und der Dorfpfarrer entdecken früh das Talent des Bauernsohns und überzeugen den skeptischen Vater, seinem Sohn eine höhere Schulbildung zukommen zu lassen. 1892 tritt Angelo in das Priestervorbereitungsseminar ein. Nach dem Abitur absolviert er den einjährigen Militärdienst und studiert anschließend in Bergamo und Rom Theologie und Kirchengeschichte. 1904 schließt er sein Studium als Dr. theol ab und wird zum Priestergeweiht. Als Neupriester wird er auch dem damaligen Papst Pius X. vorgestellt. Der Bischof von Bergamo beruft den jungen Priester zu seinem Sekretär und zum Professor für Kirchengeschichte berufe.
Nach dem Kriegseintritt Italiens wird der junge Priester Sanitätssoldat und Militärkaplan. Später erinnert er sich: „Die Schreie der Verwundeten werde ich nie vergessen. Oft konnte ich in Angesicht ihres Leides nur auf die Knie fallen und wie ein Kind weinen.“
Nach dem Ersten Weltkrieg steigt Angelo Roncalli in der Kirchenhierarchie auf. Papst Benedikt XV. beruft ihn 1921 zum Präsidenten des Missionswerkes für Italien. In dieser Funktion baut Roncalli unter anderem die katholische Studentenseelsorge auf und reist auch nach Deutschland, wo er unter anderem Aachen und Köln besucht. Der Vorplatz des Kölner Doms heißt heute Roncalli-Platz. 1925 ernennt Papst Pius XI. Roncalli zum Bischof von Bergamo und beruft ihn in den frühen 1930er Jahren in den Diplomatischen Dienst des Vatikans. Als katholischer Visitator in Bulgarien, der Türkei und Griechenland, erkennt der die Notwendigkeit des ökumenischen Dialogs und der Aussöhnung zwischen Staat und Kirche.
Mit Hilfe von diplomatischen Transitvisa kann Roncalli 1944 zahlreiche Juden im von der deutschen Wehrmacht besetzten Ungarn, die Flucht nach Palästina ermöglichen und so vor dem sicheren Tod bewahren. 1945 beruft ihn Papst Pius XII. aufgrund seines besonderen diplomatischen Geschicks zum Nuntius für Frankreich. Dort muss er das Ansehen der katholischen Kirche wiederaufbauen und eine Dialog-Basis mit der neuen Regierung des Generals Charles de Gaulles aufbauen, nach dem viele Priester und Bischöfe während der deutschen Besatzung in den Jahren 1940 bis 1944 mit Hitler-Deutschland und seiner Statthalterregierung des Generals Philippe Petain in Vichy zusammengearbeitet haben. In 27 von 30 strittigen Fällen kann er die Absetzung von Bischöfen verhindern.
1953 erhebt Pius XII. Roncalli in den Kardinalsstand und beruft ihn zum Patriarchen von Venedig. Schon als Bischof von Venedig zeichnet er sich durch seine Volksnähe aus. Er ist oft in der Stadt unterwegs und geht vorurteilsfrei auf alle Menschen vom Gondoliere bis zum Künstler, Professor und Unternehmer zu. Der Dialog und seine Herzenswärme sind seine Stärke und machen ihn populär.
Nach dem Tod Pius XII. wird Angelo Roncalli am 28. Oktober 1958 zum neuen Papst gewählt. Im Konklave erhält er im elften Wahlgang 33 von 58 Stimmen. Mit Johannes XXIII. Wählt er den Namen eines Gegenpapstes, der im frühen 13. Jahrhundert vom Konstanz Konzil abgesetzt wurde. Die Namenswahl Giovanni/Johannes ist allerdings dem Vornamen seines Vaters geschuldet.
Roncalli, der mit 77 Jahren der bis dahin älteste gewählte Papst der Geschichte ist, gilt als alter und frommer Kompromisskandidat, mit dem Konservative und Kirchenreformer in der Kurie leben können.
Doch schon bald erweist sich Johannes XXIII. als reformwillig. Er schafft den Kniefall und den Fußkuss ab, ernennt erstmals (seit 1944) wieder einen Kardinalstaatssekretär und erhöht die Gehälter der Vatikan-Angestellten, vor allem die seiner Träger. Bevor er als neuer Papst die Diplomaten im Vatikan empfängt, feiert er mit den Gärtnern, Reinigungskräften und Hauswirtschafterinnen des Vatikans eine Heilige Messe. „Ich bin Josef, euer Bruder!“ sagt der Papst mit Blick auf seinen zweiten Vornamen Guiseppe nicht nur bei dieser Gelegenheit.
Nach fast 100 Jahren ist Johannes XXIII. Der erste Papst der den Vatikan verlässt und unter anderem zum Grab des heiligen Franz von Assisi pilgert. Auch als Papst ist Johannes oft ohne Polizeieskorte in Rom unterwegs, sucht das Gespräch mit den ganz normalen Menschen, segnet, umarmt und küsst sie. Großes öffentliches Aufsehen erregt der Papst mit seinem Besuch in der Strafvollzugsanstalt von Rom, wo er mit den Gefangenen betet und von seinem Onkel erzählt, der wegen Wilderei ins Gefängnis gehen musste.
Im Januar 1959 gibt Johannes XXIII. Vor Bischöfen in Rom die Einberufung eines 2. Vatikanischen Konzils bekannt, an dem nicht nur Bischöfe und katholische Theologen, sondern auch Laien und Vertreter anderer Religionsgemeinschaften als Beobachter teilnehmen sollen. Neben dem Theologie-Professor und späten Papst Benedikt XV. nimmt auch der erste Ruhrbischof und spätere Kardinal Franz Hengsbach. Sein Konzilssitz steht bis heute in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg. Am 11. Oktober 1962, damals weiß der Papst bereits, dass er an Magenkrebs leidet, eröffnet Johannes XXIII. Das 2. Vatikanische Konzil. Diente das von Pius IX. einberufene 1. Vatikanische Konzil (1869/70) noch der Festschreibung der päpstlichen Unfehlbarkeit, zeigt Johannes XIII. in seinen Konzilsansprachen und in seinen 1961 und 1963 veröffentlichten Enzykliken „Mutter und Lehrerin“ & „Friede auf Erden“ die Richtung auf, in der die katholische Kirche mit der Zeit gehen soll. Seine Grundsätze lauten:
  • Die Katholische Kirche muss den Dialog und die Zusammenarbeit mit allen Menschen guten Willens suchen, unabhängig von ihrem Glaubensbekenntnis
  • Die Kirche und ihre Institutionen sind kein Selbstzweck. Sie dienen allein den Menschen, die Gott suchen. Sie soll den Geist der Frohen Christlichen Botschaft mit Barmherzigkeit und Liebe statt mit Gesetzesstrenge verkünden und leben.
  • Die Religionsfreiheit gilt für alle Menschen, unabhängig von ihrem Glaubensbekenntnis.
  • Die Trennung von Kirche und Staat ist sinnvoll, wenn der Staat die religiöse Dimension des Lebens anerkennt.
  • Es gibt keinen gerechten Krieg, der religiös zu rechtfertigen wäre.
  • Die Katholische Kirche bekennt sich zu den Prinzipien der freiheitlichen und christlich geleiteten Demokratie.
  • Autoritäre Regime sind ebenso wenig zu rechtfertigen wie die generelle Exkommunizierung aktiver Kommunisten.
  • Sozial Ungerechtigkeit schafft Gewalt. Deshalb muss die Katholische Kirche Partei für gerechte Entlohnung, Mitbestimmung und Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer ergreifen.
  • Die christlichen Gemeinschaften sollen sich im Zuge eines ökumenischen Dialogs miteinander aussöhnen und unter dem Dach der christlich-katholischen Kirche wieder den Platz einnehmen, der ihnen zusteht.
  • Die Mitwirkungsrechte der Ortsbischöfe und der Laien sollen gestärkt und die Gottesdienste in der jeweiligen Landessprache gefeiert werden.
  • Der Priester soll den Gottesdienst im Angesicht der Gemeinde und nicht abgewandt von ihr feiern.
  • Konfessionelle Mischehen sollen akzeptiert werden.


Neben dem Reformanstoß, den Johannes XXIII. Der römisch-katholischen Kirche mit dem 2. Vatikanischen Konzil gab, macht er sich im Herbst 1962 auch als Vermittler in der Kuba-Krise mit direkten Gesprächen mit dem ersten katholischen Präsidenten John F. Kennedy und dem Schwiegersohn des sowjetischen Staats- und Parteichefs, Nikita Chruschtschow um die Erhaltung des Weltfriedens verdient. Dabei wischte er auch alle Bedenken seiner Berater, direkt mit einem Abgesandten des kommunistischen Sowjetregimes zu verhandeln vom Tisch.


Als Johannes XXIII. Am 3. Juni 1963 seinem Krebsleiden erlag, war diue Trauer weltweit groß. Er wurde nach seiner Aufbahrung im Petersdom dort unter dem Altar des Hl. Hironimus beigesetzt. 2005 musste sein Sarg dem des verstorbenen Papst Johannes Paul II. weichen und wurde im Kellergewölbe der Grotte des Vatikans beigesetzt.
Mit seinem Pontifikat hat Johannes XXIII. Das Ansehen und die Dynamik der katholischen Kirche gemehrt. Anders, als sein Vorgänger Pius XII., der vor allem durch seine zwiespältige Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus in der Kritik stand, setzte Johannes XXIII. Auf eine weltoffene, dialogbereite, barmherzige und weniger zentralistische Kirche.


Als Paul VI. trat der Erzbischof von Mailand, Batista Montini 1963 die Nachfolge Johannes XXIII.‘ an. Er führte das Konzil im Geiste seines Vorgängers bis 1965 fort, versuchte aber stärker, als sein Vorgänger auch die konservativen Kardinäle einzubinden. So stützte er sich mit seiner Enzyklika Humanae Vitae, die die künstliche Geburtenkontrolle verbietet ausdrücklich auf das Votum einer konservativen Minderheit unter den Kardinälen. Andererseits konnte und wollte der weniger charismatische und volksnahe Papst Paul VI. auch nicht die ökumenischen und politischen Reformen seines Vorgängers nicht zurückdrehen. Außerdem setzte er mit seinen vielbeachteten Reisen, etwa ins Heilige Land und in die USA den Kurs der Weltöffnung konsequent fort.


Die Nachwirkung, die Papst Johannes XXIII. Bis heute entfaltet, wird unter anderem durch seine Seligsprechung im Jahr 2000 und durch seine Heiligsprechung im Jahr 2014 dokumentiert. Im Falle seiner Heiligsprechung verzichtete Papst Franziskus auf den Nachweis eines Roncalli zugeschriebenen Wunders.

In seiner Amtsführung erinnert Papst Franziskus, der vor seiner Wahl auch mit dem Gedanken gespielt haben soll, den Papst-Namen Johannes XXIV. Anzunehmen, an Johannes XXIII. Die Tatsache, dass Jose George Bergolio im Jahr der Papstwahl Johannes XXIII. 1958 dem Jesuitenorden beigetreten ist, zeigt, dass auch er vom Vorbild Roncallis mitgeprägt worden ist. Wie Roncalli, verbindet auch Bergolio, wertkonservative Moralvorstellungen mit gesellschaftspolitisch fortschrittlichen Ideen.

Sein bescheidenes und den Menschen zugewandtes Auftreten und seine Aussagen erinnern an Johannes XXIII.

So fordert Franziskus im Geiste seines Namenspatrons „eine konsequente Option für die Armen“, eine „barmherzige Kirche, die bis an die Ränder Welt und des menschlichen Lebens geht“ und dabei einer „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ und einem turbo-kapitalistischen „System, das tötet entgegentritt.

Wie Johannes XXIII., hat auch Franziskus keine Berühungsängste gegenüber einfachen und armen Menschen, egal, ob er die Flüchtlingslager auf Lampedusa besucht, mit Bewohnern einer Favela in Rio Gottesdienst feiert oder Strafgefangenen am Gründonnerstag im Petersdom die Füße wäscht. Wie Johannes, so geht es auch Franziskus darum, neue Glaubwürdigkeit und Ausstrahlungskraft für eine kriselnde und durch moralische Verwerfungen, wie die Missbrauchskandale im Priesteramt, untergrabene Kirche zu gewinnen und ihre frohe christliche Botschaft zeitgemäß zu leben und zu verkünden.

Vortrag bei der KAB St. Barbara in Mülheim-Dümpten am 15. Mai 2017

Montag, 15. Mai 2017

Hannelore Kraft und Heiko Hendriks mussten am Wahltag zur Schule gehen


Am heutigen Wahlsonntag mussten die Landtagskandidaten Hannelore Kraft (SPD) und Heiko Hendriks (CDU) zur Schule gehen. Denn beide gaben ihre Stimmen in einer Mülheimer Grundschule ab, Kraft in der Erich-Kästner-Grundschule an der Nordstraße und Hendriks in der Grundschule am Krähenbüschken.
Wer zwischen 11.30 Uhr und 12.00 Uhr in der Erich-Kästner-Schule seine beiden Kreuze auf dem langen Landtagswahlzettel machen wollte, musste sich durch ein Dickicht von Fotografen und Kameraleuten kämpfen. „Die Hannelore kommt gleich“, erklärte ein älterer Herr seiner Frau den Medienauflauf.

Um 11.45 Uhr betrat Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin, Hannelore Kraft, das Wahllokal, begleitet von Ehemann Udo und Sohn Jan. „Entschuldigung, dass ich hier so einen Aufwand mache“, sagte die zum dritten Mal als SPD-Spitzenkandidatin antretende Kraft zu den Wahlbürgern, die sich, ob des Blitzlichtgewitters, erst mal hinten anstellen mussten, ehe Kraft ihre beiden Kreuze gemacht hatte.

Zweckoptimismus


Nachdem Wahlgang folgte das übliche Frage-Antwort-Geplänkel zwischen der Spitzenpolitikerin und den Journalisten: „Wie fühlt es sich an, wenn einem der Schulz-Effekt die Wiederwahl versaut?“ will jemand wissen. „Das ist doch Quatsch. Die Bürgerinnen und Bürger wissen genau, dass es bei dieser Wahl um landespolitische Themen geht und wir haben als Sozialdemokraten in diesem Wahlkampf hart daran gearbeitet, die Menschen von unserer Regierungspolitik zu überzeugen. Und deshalb bin ich auch zuversichtlich, dass ich als Ministerpräsidentin wiedergewählt werde.“ Noch eine private Frage: „Was machen Sie am heutigen Wahltag?“ Kraft: „Mein Mann, mein Sohn und ich werden jetzt erst mal einen Spaziergang machen und uns entspannen und dann bei meiner Mutter vorbeischauen.“

Kochen für die Mutter


Der Wahltag ist auch Muttertag. Und deshalb nimmt sich auch der CDU-Landtagsabgeordnete Heiko Hendriks Zeit für seine Mutter, um für sie zu kochen. Seinen Vater trifft er als Wahlhelfer in seinem Wahllokal in der Grundschule am Krähenbüschken. Für seine Partei, auf deren Landeslistenplatz 37 er steht, ist der Christdemokrat zuversichtlich. „Beim meinen Bürgergesprächen an der Haustür und an Infoständen habe ich anders, als 2012, eine Wechselstimmung gespürt. Viele Menschen sind vor allem bei den Themen Innere Sicherheit, Infrastruktur und Schule unzufrieden mit der Politik der Landesregierung, so dass der Landesmutter-Bonus von Frau Kraft diesmal doch sehr geschmolzen ist“, sagt Hendriks. 


Dieser Text erschien am 14. Mai 2017 im Lokalkompass der Mülheimer Woche

Sonntag, 14. Mai 2017

Wie stabil ist unsere Demokratie? Kolping lud zur Diskussion mit dem Politikwissenschaftler Karl Rudolf Kort

Karl Rudolf Korte
Gefährdet das Erstarken extremistischer Parteien unsere Demokratie? Diese Frage diskutierten der Politikwissenschaftler Karl Rudolf Korte und NRZ-Redaktionsleiter Philipp Ortmann an einem Fußballabend, an dem Bayern gegen Dortmund spielte, mit fast 200 interessierten Mülheimern. Sie waren der Einladung der Mülheimer Kolpingfamilien in die Sparkasse am Berliner Platz gefolgt. 1:0 für die Demokratie. Sparkassenchef Martin Weck zitierte zum Auftakt der Veranstaltung einen Satz aus dem Kommentar, den Ortmann nach dem Wahlsieg Donald Trumps geschrieben hatte: „Die meisten von uns mussten sich in ihrem Leben nie Gedanken über die Demokratie machen. Spätestens jetzt sollten wir damit beginnen.“

Dass sich viele Bürger angesichts der besorgniserregenden Entwicklungen in der Türkei, in Frankreich, in den USA, aber auch in Österreich und in den Niederlanden, auch ihre Gedanken über die Stabilität der deutschen Demokratie gemacht haben, zeigten die Fragen aus dem Publikum. Kann die politisch motivierte Gewalt auf der Straße unsere Demokratie gefährden? Müssen Politiker und Medien die Politik den Bürgern besser erklären? Schüren Sprach- und Denk-Tabus das Erstarken radikaler Partei und untergraben damit unsere Demokratie? Schwächt es unsere Demokratie, wenn sich die soziale Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet?
Politikwissenschaftler Korte, der die Diskussion mit einem kurzweiligen und anschaulichen Impulsreferat in Schwung gebracht hatte, antwortete mit einem Sowohl als auch. „Die deutsche Demokratie ist stabiler, als in vielen anderen europäischen Ländern“, sagte er mit Blick auf die Vergleichszahlen der Stimmenanteile, die AFD und Linke in Deutschland einerseits und der Front National und die Linke in Frankreich andererseits errungen haben. Aber Korte, der an der Universität Duisburg-Essen lehrt, machte auch klar: „Natürlich können politische Gewalt und extreme soziale Ungerechtigkeit auch unsere Demokratie langfristig zerstören, wenn es in unserem Land nicht genug Demokraten gibt, für die Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit ein Lebensgefühl sind, und die auch bereit sind, ihren Mitbürgern die Vorteile zu erklären, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Weltoffenheit für unser Land mit sich bringen.“ Dass man nicht weit schauen muss, um autoritäre Geisteshaltungen zu entdecken, machte NRZ-Redaktionsleiter Philipp Ortmann mit erschreckenden Zahlen aus Österreich deutlich. Dort haben Meinungsforscher zuletzt in einer Studie herausgefunden, dass sich 25 Prozent der Österreicher einen „starken Führer“ wünschen, „der keine Rücksicht auf Parlamente, Wahlen und Parteien nehmen muss!“ Vergleichbare Studien, etwa der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung haben in den vergangenen Jahren für Deutschland gezeigt, dass hier etwa 15 Prozent der Bevölkerung mit antidemokratischen und antiparlamentarischen Politikkonzepten sympathisieren.


Politik-Professor Korte, der in Deutschland nicht nur eine „Politikerverdrossenheit vieler Bürger, sondern auch eine Bevölkerungsverdrossenheit vieler Politiker“ am Werk sieht, forderte die wahlkämpfenden Politiker auf, „die Gesprächsstörung zwischen Politikern und Bürgern zu  überwinden“, in dem sie ihre „souveräne Unschärfe“ zur Seite legten, um die Bürger nicht nur davon zu überzeugen, „dass sie für vier Jahre gewählt, sondern auch wofür sie gewählt werden wollen.“ Denn für Korte steht fest, „dass wir Bürger uns nicht nur nach Sicherheit, sondern auch nach berechtigter Zuversicht und Zukunftsgestaltung sehnen.“ Am Ende der zweistündigen Veranstaltung waren sich Ortmann und Korte mit ihrem Publikum einig, „dass unsere Demokratie ein ständiger Prozess ist, der uns alle täglich fordert.“ Einer, der an diesem demokratischen Prozess als Landtagsabgeordneter hauptberuflich mitarbeitet, Christdemokrat Heiko Hendriks, saß an diesem Abend in der ersten Reihe und nahm vor allem zwei Erkenntnisse mit: „Unsere Demokratie ist im Kern stabil, aber wir müssen daran arbeiten, dass das auch so bleibt und deshalb mehr für die politische Bildung tun.“

Dieser Text erschien am 27. April 2017 in NRZ/WAZ

Freitag, 12. Mai 2017

Kneipe trifft Kirche

Vor einiger Zeit erzählte mir ein Kollege folgende Alltagsanekdote: Seine kleine Tochter sagte zu ihrer Freundin: „Gestern war ich mit meinem Papa in einer Kneipe.“ Darauf antwortete ihre Freundin: „In einer Kneipe war ich noch nicht. Aber ich war mit meinem Papa gestern in der Kirche.“

An diese kleine Geschichte musste ich denken, als ich gestern den „Kneipen-Gottesdienst“ miterleben durfte, zu dem der  CVJM in die  Innenstadt-Kneipe „Rathstuben“ eingeladen hatte. Ein Gottesdienst in der Gaststätte? Geht’s noch? Ja, es geht. Und es ging gut. 70 Kneipengänger und Kirchengänger rückten dort zusammen, teilten das Brot, reichten den Wein in kleinen Schnapsgläschen an den Nebenmann und die Hinterfrau weiter.

Die Nähe und Gemeinschaft, verbunden mit dem Hören der biblischen Geschichte vom Zöllner und Sünder Zachäus, der sich von der Einkehr Jesu dazu inspirieren lässt, seinen zu Unrecht erworbenen Reichtum mit den Armen zu teilen und damit den scheinheilig die Nase rümpfenden und den moralischen Zeigefinger schwingenden Pharisäern den Wind aus den Segeln nimmt, schuf ein spirituelle Atmosphäre, die man sich in mancher Kirche wünschen würde.

Dieser Text erschien am 8. Mai 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Donnerstag, 11. Mai 2017

Ein langer Wahlgang

Mutter ist nicht wählerisch. Denn sie hat den Krieg er- und überlebt. Deshalb ist sie hart im Nehmen. Aber wenn sie, wie jetzt, wählen soll, schaut sie genau hin, und das nicht nur beim Wahlzettel. Auch das Wahllokal begutachtet sie. Wenn man, wie Mutter, nicht nur zur Kriegsgeneration, sondern auch zur Generation Rollator gehört, versteht sich das von selbst. Da zählt jede Hürde und Stufe.  Bei der letzten Wahl konnte sie noch in der Wertstadt am Löhberg ihre Kreuze machen. Doch bis zum CBE an der Wallstraße, ist es ihr diesmal das bei genauerem Hinsehen doch eine schräge Anhöhe und eine Stufe zu viel, um ihr Wahlrecht wahrzunehmen. Also doch vorgezogene Briefwahl im Rathausraum C 113. Der Weg war für Mutter verdammt lang. Aber mit Hilfe von zwei Aufzügen am Ende doch barriereärmer.

Jetzt hofft Mutter, dass sie den Muttertag, der auch Wahltag ist ohne größere Hindernisse und auch mit Aussicht auf ein gutes Wahlergebnis genießen kann, ohne rot sehen zu müssen oder sich schwarz ärgern zu müssen.
Denn nicht nur am Wahltag gilt: Wenn Mutter erst mal rot sieht oder sich schwarz ärgert, geht sie auf die Barrikaden, Rollator hin oder her.

Dieser Text erschien am 10. Mai 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Mittwoch, 10. Mai 2017

Ein Hauch von Hollywood: Die "Pottkinder" stehen vor der Premiere

Das Primierenplakat
„Jetzt bekomme ich doch langsam ein schwummeriges Gefühl“, gibt Alexander Waldhelm zu. Der 40-jährige Mülheimer hat, wie berichtet, drei Jahre Arbeit in einen „Heimatfilm“ über uns, die Menschen im Ruhrgebiet investiert. Herausgekommen ist ein 108 Minuten langer ernster und zugleich heiterer Kinofilm, der am 6. April in der Essener Lichtburg der Presse und den Kinobetreibern der Region vorgeführt wird.
Sein schöner Titel „Pottkinder“! Die öffentliche Premiere, die dort am 10. Mai vor 1250 Zuschauern über die Bühne und die Leinwand gehen wird, ist bereits ausverkauft.

Zwischen Hoffen und Bangen


„Ich kann nur hoffen, dass bei der morgigen Pressevorführung möglichst viele Journalisten und Kinobetreiber den Daumen heben und nicht senken, damit möglichst viele Menschen in möglichst vielen Kinos unseren Film sehen können.“ Wenn Waldhelm, der sich hauptberuflich als Presse- und Öffentlichkeitsarbeiter mit dem Thema Elektromobilität beschäftigt, von „Wir“ spricht, meint er die fast 200 Menschen, die an sein Projekt „Pottkinder“ geglaubt haben und ihn deshalb als Sponsoren und Darsteller, mit Geld, Ideen und Sachleistungen, als Techniker und Kameraleute, als Soundtrack-Bands, als Gastgeber von Dreharbeiten, als Caterer oder auch, siehe zum Beispiel Gerburg Jahnke, Wilfried Schmickler, Fritz Eckenga, Rene Steinberg, Peter Neurorer oder Kai Magnus Sting, als prominente, aber gagenfreie Gastdarsteller in das Projekt „Pottkinder“ eingebracht haben. Wenn man dem dreifachen Familienvater zuhört, wie er in seiner Freizeit viele Menschen in unzähligen Gesprächen und E-Mail-Korrespondenzen von einem unentgeltlichen Einsatz für das Pottkinder-Projekt überzeugt hat, mag man fast an ein Filmwunder an der Ruhr glauben. Auch wenn der Bergbau 2018 der Vergangenheit angehören wird, lebt die Kumpel-Mentalität im Ruhrgebiet weiter.

Insofern kann man Waldhelm und seinen cineastischen Enthusiasten nur viel Erfolg beim Premierenstart ihres Films wünschen, damit dieser Erfolg vielleicht die Türen und Fördertöpfe für ein weiteres Filmprojekt, von ganz normalen Menschen für ganz normale Menschen im Ruhrgebiet öffnen wird. 


Dieser Text erschien am 2. April 2017 in der Mülheimer Woche

Dienstag, 9. Mai 2017

Emmanuel Macron triumphierte auch in der Partnerstadt Tours

Die Tourainerin Eliane Lebret engagiert sich haupt- und ehrenamtlich als Mitarbeiterin des Deutsch-Französischen Institutes und der Deutsch-Französischen Gesellschaft für die deutsch-französische Freundschaft zwischen Mülheim und Tours.

Wie ist die Präsidentschaftswahl in Tours ausgegangen?

Lebret: Hier hat Emmanuel Macron mit 78,82 Prozent der Stimmen noch deutlicher gewonnen als im Landesdurchschnitt. Die Wahlbeteiligung lag bei 71 Prozent und 5.6 Prozent der Wähler haben einen ungültigen Wahlzettel abgegeben, weil sie weder für Macron noch für Le Pen stimmen wollten.

Wie haben Sie den Wahlkampf erlebt?

Lebret: Es war eine sehr anstrengende Zeit. Der FN hat versucht Macron mit dubiosen Falschmeldungen im Internet zu diskreditieren. Dabei ging es um seine finanziellen Verhältnisse und um seine Ehe mit seiner ehemaligen Lehrerin. Aber für mich war die Wahl von Anfang an klar, weil Emmanuel Macron der einzige pro-europäische Kandidat war. Leider haben einige enttäuschte Anhänger des konservativen Kandidaten Fillon im zweiten Wahlgang für Marine Le Pen gestimmt.

Welche Stimmung erleben Sie jetzt nach der Wahl?

Lebret: In Tours und im ganzen Land herrscht eine große Begeisterung und eine Aufbruchstimmung, wie ich sie in Frankreich schon lange nicht mehr erlebt habe. Mich hat es besonders bewegt, dass Emmanuel Macron bei seiner Siegesfeier vor dem Louvre in Paris die Europahymne spielen ließ.

Dieser Text erschien am 9. Mai 2017 in der NRZ/WAZ

Montag, 8. Mai 2017

Handwerker der Genossen: Thomas Isermann ist als Mitarbeiter des MWB-Handwerkerservice täglich auf Tour, um zu reparieren, zu installieren oder auszutauschen

Sieben Uhr morgens. Thomas Isermann gönnt sich noch eine Tasse Kaffee an der Trinkhalle seines Vertrauens. Von dort aus fährt der 48-jährige Gas- Wasser- und Heizungsinstallateur zur Firmenzentrale seines Arbeitgebers, der Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft. Seit vier Jahren gehört der verheiratete Vater einer 16-jährigen Tochter zum Handwerkerteam des MWB. Zusammen mit seinen vier Kollegen ist er für die fast 5000 Wohnungen der Genossenschaft zuständig, die sich auf 900 Häuser verteilen.

Da gibt es immer viel zu tun. „Ich bin für die Wohnungen und Häuser in den Rechtsruhr-Stadtteilen Stadtmitte, Styrum, Winkhausen, Dümpten, Menden, Holthausen und Raadt zuständig“, erzählt Isermann, der täglich bis zu zwölf Reparaturaufträge abarbeitet und dabei insgesamt rund 100 Kilometer zurücklegt. Doch an diesem Tag führt ihn sein Weg auch in die Saliersiedlung nach Broich, wo er seinem Kollegen Oliver Knorr dabei hilft, einen Heizkessel zu reparieren.

Der Laderaum seines Transporters gleicht einem Ersatzteillager: Duschschläuche, Brauseköpfe, Seifenkörbe, Durchlauferhitzer, Glühbirnen und Rauchmelder. Selbst ist der Mann. Wenn er Nachschub braucht, kann sich Isermann auch in einem MWB-Lager an der Adolfstraße bedienen. Dort lagern auch die Pavillonzelte und Sitzgarnituren, die Isermann und seine Kollegen etwa bei Nachbarschafts- und Richtfesten aufbauen.

Während er auf dem Weg zu einer alten Dame ist, deren Toiletten-Spülkasten repariert werden muss, inspiziert er noch gleich einige Kellerräume, begutachtet und notiert einen Mauerschaden am Vorgarten eines MWB-Hauses, entfernt Müll von der Grünfläche und schiebt die einen entleerten, aber offensichtlich vergessenen Abfalleimer in seine Containerbox am Straßenrand zurück.
Beim Besuch der alten Dame, die ihren kranken Mann pflegt, nimmt sich der Handwerker nicht nur Zeit für den defekten Spülkasten ihrer Toilette. Er hat auch ein offenes Ohr für ihre Lebens- und Krankheitsgeschichte. „Das gehört dazu. Dafür braucht man Fingerspitzengefühl. Einerseits muss man sich in solchen Fällen die Zeit zum Zuhören nehmen. Andererseits darf man auch nicht zu sehr aus dem Takt kommen und seiner anstehenden Aufträge vergessen“, beschreibt Isermann eine typische Herausforderung seines Berufsalltages.

Kaum hat er die Wohnung der alten Dame verlassen, spricht ihn eine andere Mieterin an: „In der Treppe zum ersten Stock habe ich in einer Stufe einen Riss entdeckt und der Hausflur müsste auch mal wieder angestrichen werden“, sagt sie. Isermann notiert und macht mit seinem Smartphone ein Foto von dem alles andere als dramatisch aussehenden Riss in der Treppenstufe. „Die Mieter sind in der Formulierung ihrer Anliegen sehr selbstbewusst. Denn sie sind als Mieter ja auch Genossen und damit Anteilseigner der Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft“, weiß Thomas Isermann.
Manchmal gibt es traurige Einsätze

Doch mit selbstbewussten Mietern hat der gestandene Handwerker, für den das Anbringen eines Rauchmelders, das Wechseln eines defekten Durchlauferhitzers oder einer defekten Tür- und Fensterklinke zum kleinen Einmaleins seines Arbeitsalltags gehören, kein Problem. „Als ich noch für ein privates Gas,- Wasser- und Heizungsinstallationsunternehmen gearbeitet habe, bin ich noch mit ganz anderen Ansprüchen konfrontiert worden. Die Kunden wollten möglichst viele Extras für wenig Geld und der Meister wollte vor allem möglichst viel Umsatz und Geld verdienen“, erinnert sich Isermann an sein früheres Berufsleben. Aber auch bei einigen extravaganten Mieterwünschen müssen Isermann und seine Kollegen schon mal auf die Bremse treten, auch bei einer Genossenschaft, die jährlich eine Bilanzsumme von über 100 Millionen Euro erwirtschaftet und 8 bis 9 Millionen in die Instandhaltung und Modernisierung ihres Wohnungsbestandes investiert.

Auf der anderen Seite wissen Isermann und seine Kollegen, deren Porträts zusammen mit der Rufnummer ihres Handwerkerservice großformatig die MWB-Transporter schmücken, dass ihre Arbeit eine Visitenkarte ihres Wohnungsunternehmens ist und dass sie mit ihrem handfesten und tatkräftigen Einsatz über die langfristige Mieterbindung der 1898 gegründeten Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft mitentscheiden.

Denn in Zeiten des demografischen Wandels, in denen die Stadtgesellschaft tendenziell kleiner und älter wird, wird das Geschäft der Wohnungsvermietung nicht leichter.
Alles andere als leicht fallen Isermann und seinen Kollegen auch die Einsätze, bei denen sie mit Feuerwehr oder Polizei die Wohnungstür eines alten und alleinstehenden Mieters öffnen müssen, den seine Nachbarn seit Tage nicht gesehen haben und dessen Briefkasten überquillt, weil er verstorben ist. Dann muss die Wohnung geräumt und vom Modernisierungsservice des MWB für den Nachmieter generalüberholt werden. Doch das ist schon wieder eine andere Geschichte, die wie die Arbeit der MWB-Handwerker ebenso zum Alltags- und Arbeitsleben der Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft gehört.

Aber weil auch Thomas Isermanns Leben nicht nur aus Arbeit besteht, ist er nicht nur mit seinem Handwerkermobil, sondern am Feierabend und an Wochenenden vor alllem mit seinem Fahrrad oder mit seinem Motorrad unterwegs.

Dieser Text erschien am 6. Mai 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung

Wer war Washington?

  Washington. Der Name dieser Stadt ist heute ein Synonym für die Politik der Supermacht USA, bei der auch nicht alles super läuft. Auf Hoch...