Manche mögen es heiß. Ich nicht. Nicht, dass ich gerne friere. Aber wenn das Thermometer auf über 25 Grad Celsius steigt, bekomme ich kalte Füße, weil dann ein Schweißausbruch den nächsten jagt und jeder Schritt zu viel erscheint. Wie gut, dass es für Bus- und Bahnfahrgäste, wie mich, den einen oder anderen U-Bahnhof gibt. An Hitzetagen, wie diesen, gibt es keine schnellere Abkühlung, als ein Ausflug in den Mülheimer Untergrund. Da darf die U-Bahn oder der unterirdisch haltende Bus auch schon mal eine oder zwei Minuten auf sich warten lassen.
Doch der Abkühlungseffekt ist schnell dahin, wenn man, wie jetzt am U-Bahnhof Stadtmitte feststellen muss, dass Rolltreppe und Aufzug auch nicht mehr können und ihren Dienst kurzerhand eingestellt haben.
Da hilft der Mutter mit Kinderwagen auch die Information per Leuchtschriftband nicht wirklich weiter. „Können Sie mir mal helfen?“ Welcher Mann mit Herz, kann da, trotz Hitzewallungen, schon Nein sagen, wenn er endlich mal wieder eine tragende Rolle übernehmen kann. Danach hat er sich ein Eis aus der Kühltheke redlich verdient.
Dieser Text erschien am 30. Mai 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung
Marian Brzostek |
Seine Arbeit auf dem Dümptener Bauernhof der Familie In der Beeck-Bolten gefällt Marian Brzostek und sie tut ihm gut. Das spürt man, wenn man mit ihm spricht und mit ihm auf dem 70 Hektar großen Betrieb im grünen Nordzipfel Mülheims unterwegs ist, mal zu Fuß und dann wieder mit einem kleinen Elektrowagen, auf dessen Ladefläche er Erdbeeren, Kartoffeln und Eier transportiert. Wären wir im Herbst, wäre er mit Kürbissen unterwegs und in einigen Wochen werden auf die Erdbeeren die Himbeeren folgen.
Lebensunterhalt für die Familie
Der zweifache Familienvater und fünffache Großvater aus dem ostpolnischen Ostron Mazowiecka strahlt eine Vitalität aus, die nicht erahnen lässt, dass er mit 64 schon fast im Rentenalter ist. „Als mich Andreas Bolten vor vier Jahren fragte, ob ich auf seinem Hof arbeiten könne, sagte ich ihm: Dafür bin ich doch zu alt“, erinnert sich Brzostek.
Heute bewegt er sich zwischen 5.30 Uhr und 16.30 Uhr so vertraut und selbstverständlich zwischen Feldern, Hühnerstall, Lagerräumen, Hofladen und Verkaufswagen des Dümptener Hofes, den Christiane In der Beeck und Andreas Bolten bewirtschaften, dass man meinen könnte, er habe nie etwas anderes gemacht.
Das hat wohl damit zu tun, dass Brzostek die Landwirtschaft seit Kindesbeinen kennt. Sein Vater Stanislaw hatte einen kleinen 16-Hektar-Hof. Das war eine gute Schule für seine heutige Arbeit. Doch er hat im Laufe seines Lebens auch schon als Mechaniker in einer Möbelfabrik, als Fahrer für einen Schlachthof und als selbstständiger Spediteur gearbeitet.
Doch als seine selbstständige Existenz in die Brüche ging, suchte er nach einer neuen Anstellung und fand sie auf dem Bauernhof an der Bonnemannstraße. Den Weg dort hin fand er über Andreas Boltens Eltern, die ihn aus seiner früheren Berufstätigkeit kannten.
„Marian ist flexibel, tatkräftig und zuverlässig“, lobt Landwirtin Christiane In der Beeck ihren Mitarbeiter für alle Fälle.
Immer zur Stelle
Ob beim Säen und Ernten auf den Feldern, beim Einlagern der Ernte, ob bei der Auslieferung an Märkte in der Region, ob beim Aus- und Einräumen des Hofladens oder beim Einsammeln der von freilaufenden Hühnern gelegten Eier, der Säuberung ihres mobilen Stalls oder bei ihrer Fütterung, Marian Brzostek ist immer zur Stelle. Ein Knopf im Ohr verbindet ihn mit seinem Smartphone, damit er für seine Arbeitgeber immer erreichbar ist und schnell eingreifen kann, wo Not am Mann ist.
„Die Familie ist eine gute Familie und die Atmosphäre hier stimmt“, versichert Brzostek glaubhaft. Ein Feierabendbier oder ein Nachmittagskaffee mit Andreas Bolten und Christiane In der Beeck gehören zu seinem Alltag. Vor einigen Jahren haben Bolten und In der Beeck für Marian und seine Kollegen, zu denen jetzt auch acht Erntehelfer aus seiner 1200 Kilometer entfernten Heimatstadt Ostron Mazowiecka gehören, eine eigene Wohnunterkunft auf dem Hof errichtet.
Jeder hat hier sein eigenes Zimmer, einfach, aber wohnlich eingerichtet. Es gibt eine Gemeinschaftsküche, in der Marian regelmäßig für seine Kollegen kocht und backt. Duschen, Waschräume und Waschmaschinen machen die Unterkunft für die polnischen Arbeitskräfte komplett. Deutsche Arbeitskräfte haben Christiane in der Beeck und Andreas Bolten oft gesucht, aber nie gefunden. Ein Arbeitsbeginn um 5.45 Uhr in der Erntezeit ist nicht jedermanns Sache.
„Aber im Winter fängt mein Arbeitstag erst um acht Uhr an. Dann geht es etwas ruhiger zu“, erzählt Brzostek. Wer ihn durch seinen Arbeitsalltag begleitet, hat das Gefühl, dass es hier auf dem Hof nie Langeweile gibt, aber auch keine fabrikähnliche Akkordarbeit, sondern ein vergleichsweise selbstständiges und selbstverantwortliches Schaffen. Bei einem kleinen Familienbetrieb, wie dem Dümptener Bauerhof, weiß jeder, dass man sich auf ihn verlassen können muss, weil es auf jeden ankommt.
Und so betrachtet Marian während einer Arbeitspause in seinem Smartphone nicht nur Fotos seiner eigenen Familie, sondern auch Fotos, die er bei Gelegenheit von Andreas Bolten, seiner Frau Christiane und ihren gemeinsamen Kindern Marlen und Clemens gemacht hat.
Auch nach Feierabend ist Marian Brzostek gerne unterwegs. Mal fährt er mit dem Rad durchs grüne Mülheim. Mal besucht er in Essen den Gottesdienst der polnischen Gemeinde. Und mal besucht der Vater und Großvater seinen Sohn Rafael (41), und seinen Enkelsohn in Neuss. Dann gehen Großvater, Vater und Enkel auf den Fußballplatz von Eller 04 oder ins Stadion von Fortuna Düsseldorf. Doch seine schönste Reise ist die Heimreise, wenn Brzostek Ostern, Weihnachten und im Juli seine Familie in Ostron -Mozowiecka besucht. „Mal fahre ich mit meinem Auto. Mal fliege ich mit dem Flugzeug ab Düsseldorf“, erzählt Marian Brzostek.
Und wie lange will der 64-Jährige noch arbeiten? „Ich arbeite noch 36 Jahre plus Mehrwertsteuer“, scherzt er. Dann wird er etwas ernster und meint: „Ich muss darüber mal mit meinem Steuerberater und meinem Arzt sprechen, aber solange ich gesund bleibe, werde ich wohl noch einige Jahre hier arbeiten. Und auch, wenn ich dann mal Rentner sein werde, werde ich bestimmt mal wieder als Besucher hier vorbeischauen, denn die Familie In der Beeck-Bolten ist mir im Laufe der Jahre doch ans Herz
Dieser Text erschien am 20. Mai 2017 in der Neuen Ruhr Zeitung