Dienstag, 29. Juni 2010
Wie es einer Familie ergeht, weil ein Brandstifter an der Bülowstraße mit dem Sperrmüll zündelte
Zu den Opfern des Brandstifters gehören auch Melanie H. (35), ihr Mann Manuel (21) und ihre drei Kinder, die fünf Monate sowie sechs und acht Jahre jung sind. Ihren vollen Namen mag die Familie nicht lesen, ihre Bilder nicht in der Zeitung sehen. „Wir sind vorsichtig geworden“, sagt Melanie H.„Manchmal fragt man sich: Oh Gott, was machen wir denn jetzt? Und dann denkt man: Wenn ich dieses Schwein erwische“, beschreibt sie ihre Stimmungslage, die zwischen Verzweiflung und Wut schwankt. Ihren Mann Manuel hat der plötzliche Verlust des eigenen Zuhauses so stark mitgenommen, dass er sich erst mal krank schreiben lassen musste. Die beiden älteren Kinder waren zwischenzeitlich bei Melanies Eltern in Homberg untergebracht.
Jetzt lebt die fünfköpfige Familie vorübergehend im zwölf Quadratmeter großen Arbeitszimmer einer Freundin. Deren Kinder haben Melanies und Manuels Großen Asyl in ihren Zimmern gewährt. „Der Brandsachverständige geht davon aus, dass wir in drei bis fünf Monaten wieder in unsere Wohnung zurückkehren können“, sagt Melanie H. In Kürze kann die Familie auf dem ausgebauten Dachboden einer anderen Freundin unterkommen. „Dann haben wir etwa 50 Quadratmeter und vor allem wieder ein eigenes Bad“. Doch auch dieses Obdach kann nur eine vorübergehende Lösung sein.
Deshalb suchen Melanie und Manuel jetzt eine möblierte Wohnung für die nächsten fünf Monate. „80 Quadratmeter in Broich oder Speldorf wären ideal für uns. Denn hier haben wir auch unser soziales Umfeld, das uns unterstützt“, betont Melanie. Deshalb würden sie und ihr Mann auch nicht so gerne auf eine der städtischen Notunterkünfte in Styrum ausweichen.Im ausgebrannten Haus an der Bülowstraße lebte die fünfköpfige Familie in einer 120 Quadratmeter großen Erdgeschosswohnung, für die sie eine monatliche Warmmiete von 900 Euro zahlte.
„Ich dachte, sie hätte einen Alptraum“, erinnert sich Melanie H. an den frühen Donnerstagmorgen, als ihre Tochter sie mit dem Schrei: „Es brennt“, aus dem Schlaf riss. Es war ein Alptraum, aber einer, der Wirklichkeit geworden war. Kinderwagen, Schlafanzug, Jeans und Bademantel, zwei Meerschweinchen und eine Katze. Das war alles, was Familie H. aus dem brennenden Haus retten konnte.Nicht nur „die sehr kompetente Feuerwehr“, sondern auch Nachbar Dieter Moog empfand Familie H. in den ersten Stunden als große Hilfe. Moog und seine Familie holten die Obdachlosen ins Haus, gaben ihnen zu essen und zu trinken und das eine oder andere Kleidungsstück.Die Möbel, Kleidungsstücke und Spielsachen im Kinderzimmer der Familie H. sind durch das Feuer restlos zerstört worden. Die Möbel und Kleidungsstücke in den anderen Räumen der Wohnung haben den Brand zwar zum Teil überstanden, müssen aber derzeit von einer Reinigungsfachfirma auf ihre weitere Verwendbarkeit überprüft werden. Denn beim Sperrmüllbrand an der Bülowstraße wurde auch Kunststoff entflammt, der wiederum giftige Dämpfe und Substanzen freisetzte, die nicht nur die neue Küche der Familie H. unbrauchbar gemacht hat.
Was Melanie H. in der Stunde der Not erleichtert, ist die überraschend große Hilfsbereitschaft von Freunden und Nachbarn, wie der Familie Moog, aber auch die Zusage ihrer Hausratversicherung, die entstandenen Schäden unbürokratisch zu begleichen. Derzeit machen Manuel und Melanie H. eine erste Auflistung. Die endgültige Schadenshöhe lässt sich aber erst dann ermitteln, wenn die Reinigungsfirma festgestellt hat, welche Möbel und Kleidungsstücke nach einer aufwendigen Reinigung wieder verwendet werden können. Doch viele Dinge, wie zum Beispiel die Familienfotos, sind für kein Geld der Welt neu zu kaufen.
Wer der Familie H. für die kommenden Monate eine möblierte Wohnung vermieten möchte, kann sich per E-Mail unter: lok.muelheim@nrz.de an die NRZ-Lokalredaktion wenden .
Dieser Text erschien am 29. Juni 2010 in der NRZ
Sonntag, 27. Juni 2010
Was ist das Abitur heute noch wert und wohin geht das Gymnasium: Em Gespräch mit Ulrich Mehler (69) und Maik Böhmer (19)
Am 26. Juni trafen im Otto-Pankok-Gymnasium zwei Abiturienten-Generationen zusammen. Maik Böhmer (19) und seine 90 Jahrgangskollegen bekamen an diesem Tag ihr Zeugnis der Reife ausgehändigt. Bei Ulrich Mehler (69) und seinen Klassenkameraden, die sich an diesem Tag an ihrer alten Schule, wiedersahen, die zu ihrer Schulzeit, schlicht staatliches Gymnasium hieß, liegt dieser persönliche Meilenstein bereits 50 Jahre zurück. Für die die NRZ sprach ich mit Böhmer, der nach seinem Abitur Medizin studieren möchte und Mehler, der bis heute als Hochschullehrer an der Universität Köln alte Sprachen und Literatur vor ihrem großen Tag darüber, was ihnen ihr Abitur wert ist, was sie in ihrer Schule gelernt haben und wie sie die Entwicklung des Gymnasium sehen insgesamt beurteilen.
Herr Böhmer, wie fühlt sich das an, 2010 sein Abitur bestanden zu haben?
Ich habe das Gefühl: Alle Türen stehen offen. Man hat ein wichtiges Etappenziel erreicht und möchte jetzt weitermachen.
Herr Mehler, war das Abitur vor 50 Jahren mehr wert?
Das würde ich nicht sagen. Sicher hatte es damals einen höheren Stellenwert, weil weniger Menschen das Abitur machten. Auf der anderen Seite ist das Abitur auch heute die Eingangstür zum Studium und zu weiteren Möglichkeiten. Die Schwerpunkte haben sich verlagert. Vielleicht waren wir mehr allgemein gebildet, während sich das Wissen heute zugunsten einer Spezialisierung in bestimmten Bereichen vertieft hat.
Stimmen Sie dem zu, Herr Böhmer?
Ja, das ist schon so, wenn ich sehe, was meine Eltern und Großeltern aus ihrer Schulzeit mitbringen. Natürlich werden auch heute bestimmte Regeln vorgegeben. Man muss zum Beispiel Deutsch und Mathematik bis zum Abitur belegen. Ansonsten hat man aber ab der Klasse 11 die Möglichkeit mit der Kurswahl seinen persönlichen Interessen zu folgen.
Der Vorteil besteht darin, dass sich Schüler in der Oberstufe hervortun können, die sich in der Mittelstufe noch mit ungeliebten Fächern herumschlagen mussten, für die sie sich gar nicht interessiert haben. Andererseits ist das heutige Abitur, streng genommen, ja keine allgemeine Reifeprüfung, weil man diese ja nur in vier ausgewählten und nicht mehr in allen Fächern ablegen muss.
Gab es vor 50 Jahren bei Abiturienten so etwas, wie berufliche Zukunftsängste, Herr Mehler?
Zukunfstängste gab es damals nicht. Es war völlig klar, dass man machen konnte, was man wollte. Es gab auch keinen Numerus Clausus. Man konnte studieren, was man wollte. Alle Türen standen einem offen. Es gab keine Probleme. Alles war möglich.
Wie sind Sie durch Ihre Schule, die damals noch staatliches Gymnasium hieß, geprägt worden, Herr Mehler?
Ich habe diese Schule als Schüler gehasst. Auf der anderen Seite habe ich hier viel gelernt. Wir haben damals so etwas, wie eine Elite-Auswahl erlebt. Man musste eine Aufnahmeprüfung bestehen und Schulgeld bezahlen. Ich habe den ganzen Schulbetrieb mit seinen Klassenarbeiten, Prüfungs- und Versetzungsängsten gehasst, weil das ständig Druck ausübte. Auf der anderen Seite habe ich damals gelernt, dass es nicht ausreicht, etwas zu begreifen. Man muss es auch können. Bei uns wurde das, was man lernte, etwa durch regemäßiges Abfragen, bis zum Geht nicht mehr trainiert. Davon habe ich sehr profitiert. Obwohl ich mein Abitur in Latein nur mit einer knappen Vier bestand, habe ich später Latein studiert. Daran können Sie sehen, wie gut der Unterricht hier war.
Was haben Sie an Ihrer Schule gelernt, Herr Böhmer?
Auch ich habe gerade im Lateinunterricht das System Ordnung gelernt und verinnerlicht. Von dieser Basis bin ich bis heute beeindruckt und geprägt. Man lernt gerade im Lateinunterricht zu systematisieren und Profile einzuordnen. Ich habe dort das Lernen, die Fähigkeit zu differenzieren und auch Selbstdisziplin gelernt. Davon konnte ich auch in anderen Fächern profitieren.
Und was haben Sie als Mensch in Ihrer Schulzeit gelernt, Herr Böhmer?
Der Sport ist an dieser Schule immer eine große Hausnummer. ich selbst komme aus dem Fußball, habe aber hier auch Volley- und Basketball gespielt und dabei Teamgeist und Ehrgeiz entwickelt, Eigenschaften, die ich auch sehr gut auf die Schule übertragen konnte.
Was wir an Sport gemacht haben, war eher im traditionellen Bereich. Das ging im Stil der alten preußischen Turnstunden ab. Aber im Hockey hatten wir die Brüder Nonn, die mit dem HTC Uhlenhorst die deutsche Meisterschaft gewonnen haben. Die waren natürlich unsere großen Vorbilder.
Die Klassengemeinschaft hat sich eigentlich über die ganze Zeit gehalten. Das ist ein sehr positives Ergebnis. Wir haben in unseren gemeinsamen Schuljahren bis zum Abitur auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. Wir waren ja damals als Klasse neun Jahre bis zum Abitur zusammen und kannten uns so sehr gut mit allen persönlichen Bezügen. Freundschaften sind dabei sicherlich entstanden, die sich später auch entwickelt haben, obwohl man nach dem Abitur naturgemäß auseinander gegangen ist.
Von Klassengemeinschaft ist in der Oberstufe ja nicht zu reden. Heute wird ja ab Klasse 11 der Jahrgang als Ganzes gefördert und in Kurse differenziert. Es gibt noch Raum für Freundschaften und Engagement außerhalb des Unterrichts. Aber dieser Raum ist doch sehr begrenzt. Es gibt eine starke Grüppchenbildung, die in gewisser Weise die Jahrgangsstufe auch sprengt. Erst als unsere Schulzeit jetzt zu Ende ging und es auf die Prüfungen zuging, hat sich ein Gemeinschaftsgefühl entwickelt und das Bewusstsein herausgebildet, das wir ja eine Jahrgangstufe sind. Vorher hat man wenig davon gemerkt.
War das Gymnasium zu Ihrer Schulzeit, eine rein bildungsbürgerliche Angelegenheit, Herr Mehler?
Natürlich war das eine völlig bürgerliche Einrichtung. Und da wurde auch bürgerlich gesiebt. Kinder, die nicht aus Akademikerfamilien kamen, die hatten es an dieser Schule sehr schwer. Die flogen raus und kamen nicht über die Mittlere Reife hinaus. Ihnen wurde nahegelegt, die Schule zu verlassen oder sie bekamen ein Zeugnis, das für die Oberstufe nicht reichte.
Ist das Gymnasium heute demokratischer, Herr Mehler?
Es wird heute gesagt, die 68er Generation hat nichts bewirkt und der lange Marsch durch die Institutionen hat zur Prostitution in den Institutionen geführt. Das ist nicht ganz richtig. 1968 gab es in der Gesellschaft und auch im Bildungsbereich einen Umbruch, in dem man sich gefragt hat: Was ist richtig und was ist falsch? Und in den 70er Jahren kam dann die Bildungsreform hinzu, die auch die Türen für Kinder aus Nichtakademikerfamilien in Richtung Abitur öffnete. Aber heute ist da wieder ein restriktiverer Kurs zu spüren.
Herr Böhmer, ist das Gymnasium heute demokratischer geworden?
Es geht nicht darum, dass Akademikerfamilien Akademikerfamilien bleiben und unter sich bleiben wollen. Die Frage ist, was Akademikerfamilien ihren Kindern vermitteln. Das ist eine andere Bildungseinstellung. Da werden die Kinder von Grund auf gefördert und ein zum Teil auch übertriebener Drang zum Gymnasium entfaltet. Entscheidend für den Schulerfolg ist das Fördern des eigenständigen Denkens und Handelns. Sozial betrachtet fächert sich die Gruppe der Gymnasiasten immer mehr auf. Die Masse wird immer breiter. Es werden die Kinder genommen, die das fachliche Potenzial zu Gymnasium haben.
Freitag, 25. Juni 2010
Portrait: Die Petrikirche war für ihn immer das Zentrum: Altstadtpfarrer Peter Vahsen wird in den Ruhestand verabschiedet
Die Menschen hier hat er immer als „herzlich, offen und aufgeschlossen für Neues“ erlebt. Auch wenn die evangelische Stadtkirche im Umbruch begriffen ist, die Altstadtgemeinde ging 2006 in der Vereinten evangelischen Kirchengemeinde auf, ist der Seelsorger zuversichtlich, dass Kirchenkreis und Gemeinde den Menschen auch unter veränderten Rahmenbedingungen „ein Zuhause geben können.
“So hat sich der Pfarrer, der im Ruhestand viel lesen und reisen möchte, auch immer als seelsorgerischer Begleiter der Menschen gesehen, ob im Kindergarten, im Altenheim, in Gesprächskreisen, bei Familienfreizeiten, in Gottesdiensten oder in Trauergesprächen.„Die Vielseitigkeit und die Begegnungen mit Menschen aller Generationen“ bewogen ihn denn auch, nach dem Abitur nicht Germanistik oder Jura, sondern Theologie und Pädagogik zu studieren. „Weil das viel mit mir zu tun hatte und ich mich damit identifizieren konnte.“
Trotz religionskritischer Phasen in seiner Jugend fühlte sich Vahsen letztlich immer als „ein auch in kritischen Situationen von Gott gut begleiteter Mensch.“Und so versteht er auch das biblische Vorbild Jesu: „Menschen in hellen und in dunklen Situationen ihres Lebens beizustehen.“
Dieser Text erschien am 25. Juni 2010 in der NRZ
Mittwoch, 23. Juni 2010
Portrait: Vom Verkäufer zum Priester: Der lange Weg des Thomas Fahle
Der Mann, der in seinem ersten Berufsleben Fernsehgeräte und Hifi-Anlagen verkaufte, will jetzt die Frohe Botschaft verkünden. „Ich arbeite gerne mit und für Menschen“, schlägt Fahle eine Brücke von seinem ehemaligen zu seinem zukünftigen Beruf. „Früher war auch eine persönliche Beratung gefragt. Inzwischen ist die Konkurrenz viel größer geworden und es geht nur noch ums Geldverdienen. Das konnte ich nicht mehr mit meinem Menschenbild vereinbaren“, erklärt Fahle, warum er seinem alten Berufsleben im Handel ade gesagt hat. „Guck doch mal, ob du nicht etwas findest, das besser zu dir passt“, hatte ihm eine Kollegin geraten.Vielleicht wäre er schon früher Priester geworden. Denn Fahle kommt aus einem katholischen Elternhaus in Paderborn, ging voller Begeisterung für die katholische Liturgie schon mit sechs Jahren zur Heiligen Erstkommunion und später zu den Messdienern. Doch dann kam ihm der Tod seines Vaters dazwischen. Da war er gerade elf Jahre alt. „Das war für mich ein Bruch, der mich aus der Bahn geworfen hat“, erinnert sich Fahle.
Plötzlich hatte er mit Glauben und Kirche nicht mehr viel am Hut. Er machte seinen Hauptschulabschluss und ging nach einer Verkäuferausbildung in den Handel.Doch mit Mitte 20 merkte er, „dass mir etwas fehlt, das mein Leben sinnvoll macht und mir auch in kritischen Situationen Halt gibt.“ Das war die Zeit, als Fahle mit Hilfe vieler Gespräche und der Lektüre theologischer Bücher seinen verschütteten Glauben wieder freilegte. Als Wegbegleiter und Lotsen fand er Franziskanerpatres in seiner Heimatstadt Paderborn und später den Pastor der Duisburger Karmelkirche, Pater Hermann Olthof. Wie sie „sehr authentisch von Gott sprachen, in dem sie auch Alltagsprobleme und ihre eigene Biografie in ihre Predigten einbauten und in großer geistiger Offenheit auf Menschen zugehen“, hat sein Priesterbild geprägt. So inspiriert folgte Fahle seinem Grundsatz: „Ich liebe Herausforderungen. Stehen bleiben ist für mich ganz schlimm.“ Er holte am Bischöflichen Abendgymnasium sein Abitur nach, um anschließend Theologie zu studieren. Er begann nach alltäglichen Spuren Gottes zu suchen. Als ehrenamtlicher Helfer engagierte er sich neben seinem Beruf in der Pfarrcaritas der Duisburger Karmelgemeinde und bei der Oberhausener Bahnhofsmission. Diese Erfahrung machte ihn sensibel „für das, was Menschen brauchen“ und dafür, „dass viele Menschen in unserer Gesellschaft isoliert und abgehängt sind.“
Dort lernte er das, was ihm auch jetzt als Priesteramtspraktikanten in St. Mariae Geburt in Unterricht- Tauf- Ehevorbereitungs oder Trauergesprächen hilft. „Glauben und Kirche sind mehr als Moraltheologie. Es gibt mehr im Leben als nur ein Ja oder Nein.“ Fahle hat erfahren, dass man sich als Priester vor schnellen vorgefertigten Antworten hüten und im Zweifel auch das Schweigen aushalten muss. Die Tatsache, dass seine Kirche derzeit finanziell und moralisch in der Krise steckt, ändert für ihn nichts daran, „dass die Kirche den Menschen etwas zu bieten hat, was ihnen gut tut“, nämlich Sinn, Halt und Gemeinschaft. Die Missbrauchsfälle im Priesteramt sind für Fahle Ausdruck eines gesellschaftlichen Problems, „das nicht repräsentativ für das ist, was Kirche leistet und ist.“ Auch wenn er die Kirche derzeit in einer moralischen Glaubwürdigkeitskrise sieht, hat er die Hoffnung, „dass die Kirche gestärkt aus der Krise hervorgehen kann, wenn sie offen mit dem Problem umgeht und alle Fälle konsequent aufarbeitet.“
Auch die finanzielle Strukturkrise mit weniger Kirchensteuereinnahmen, Kirchen und mehr Großgemeinden, sieht der angehende Priester als Chance für eine Erneuerung. Deshalb kam der Mann aus Paderborn, der seine Diplomarbeit über die niederschwellige City-Pastorale, geschrieben hat, auch ins Ruhrbistum, „weil hier vieles im Aufbruch ist und neu gedacht werden muss.“ Die Zukunft seiner Kirche sieht Fahle weniger in Gebäuden und Institutionen als in der durch Begegnungen und Beziehungen gelebten Gemeinde.Und was sagt der 47-jährige Gottesmann zum Zölibat? Fahle, der bereits in Beziehungen gelebt hat und die Gründung einer Familie für sich nie ausgeschlossen hatte sagt: „Das ist für mich eine sinnvolle Lebensform und eine Entscheidung, zu der ich stehe.“ Dabei helfe ihm, wie in der Seelsorge, seine Lebenserfahrung.
Dieser Text erschien am 23. Juni 2010 in der NRZ
Dienstag, 22. Juni 2010
Warum Mülheim eine Checkliste für brrierefreies Bauen braucht.Ein Gespräch mit dem AGB-Vorsitzenden Alfred Beyer
Warum brauchen wir eine Checkliste für barrierefreies Bauen?
Mit ihrer Hilfe setzen wir die Vorgaben einer entsprechenden UN-Charta und des Landesgleichstellungsgesetzes um. Es geht letztlich um eine Infrastruktur, die es jedem ermöglicht überall hingehen zu können, sei es im Sportverein oder im öffentlichen Bereich. Wenn ein Kind zum Beispiel körperbehindert ist und eine bestimmte Schule besuchen möchte, muss die Schule alle baulichen und pädagogischen Rahmenbedingungen schaffen, die dafür nötig sind. Da kommt noch viel Arbeit auf unsere Gesellschaft zu.Frage: Sind viele Gebäude noch weit von Barrierefreiheit entfernt?Antwort: Allerdings. Es geht ja nicht nur um Barrierefreiheit für Körperbehinderte, sondern auch um Mobilität und Zugang für Blinde, Sehbehinderte und Gehörlose. Und da sind wir noch ziemlich weit hinten.Frage: Welche Maßstäbe setzt die Checkliste für barrierefreies Bauen? Antwort: Da wird zum Beispiel festgelegt, wie breit eine Tür sein muss, damit sie auch für einen Rollstuhlfahrer noch passierbar ist oder welche Steigung eine Rampe nicht überschreiten darf, damit sie für Rollstühle und Rollatoren nutzbar bleibt. Es geht um optische Kontraste bei Stufen, um den Einbau von Automatiktüren oder die Einrichtung von Behindertentoiletten. Es geht um taktile und akustische Leitsysteme, etwa in Form von Handläufen, die Blinden und Sehbehinderten die Orientierung erleichtern.
Warum musste die alte Checkliste von 1992 überarbeitet werden?
Die Checkliste ist verfeinert worden. Es wurde jetzt zum Beispiel festgelegt, dass automatische Türen und automatische Seifenspender vorhanden sein müssen oder dass Behindertentoiletten über eine automatische Wasserspülung und automatisch funktionierende Wasserhähne sowie über Präsenzmelder verfügen müssen, die das Licht automatisch an- und ausschalten, sobald die Toilette genutzt oder wieder verlassen wird. Die neue Checkliste trägt dem technischen Fortschritt Richtung und nimmt auch stärker als bisher die Bedürfnisse von Schwerst- und Mehrfachbehinderten in den Blick.
Müssen auch private Bauherrn barrierefrei bauen?
Die gesetzlichen Vorgaben, die die Checkliste praktisch umsetzt, gelten in erster Linie für öffentliche Gebäude. Es gibt aber inzwischen auch Vorschriften für private Bauherren. Wer ein Haus mit mehr als vier Wohnungen errichtet, muss mindestens eine Wohnung ebenerdig bauen und mit einer größeren Nasszelle sowie breiten, also barrierefreien Türen ausstatten.
Wird die Checkliste auch beachtet?
Nachdem der Rat jetzt beschlossen hat, ihre Vorgaben bei allen städtischen Baumaßnahmen zur Pflichtauflage zu machen: Ja. Aber bei den größeren Baumaßnahmen, wie etwa im Bürgeramt, in der Stadthalle oder beim Medienhaus wurde die Checkliste auch vorher schon berücksichtigt. In den Baugesprächen bin ich als Vertreter der AGB immer dabei. Doch von der Bauplanung bis zur Bauausführung vergehen oft zwei oder drei Jahre. Und dann ändert sich auf einmal alles. Deshalb fordert die AGB auch, in die Ausführungsplanung noch mehr als bisher einbezogen zu werden.
Sind diese Gebäude also absolut barrierefrei?
In der Stadthalle hat man sich trotzdem an bestimmten Dingen vorbeigedrückt. In der Stadthalle hatten wir beispielsweise Automatiktüren angemahnt. Weil ja alles billig sein muss,hat man damals dort zu schwache Automatiktüren eingebaut, die nach wie vor nicht funktionieren. Auch im Medienhaus ist nicht alles so umgesetzt worden, wie es auf der Basis der Checkliste ursprünglich vereinbart war. So gibt es im Aufzug keine horizontalen Bedienungselemente für Rollstuhlfahrer und auch die zunächst vorgesehenen taktilen Aufmerksamkeitsfelder vor den Aufzugtüren fehlen.
Gibt es ein Paradebeispiel für barrierefreies Bauen?
Das Bürgeramt ist weitgehend barrierefrei. Dort gibt es Automatiktüren und Rampen. Es gibt taktile Handläufe mit entsprechenden Pictogrammen für Blinde und Sehbehinderte. Es gibt Behindertentoiletten und auch die Aufzüge können barrierefrei genutzt werden.
Wer hat die Checkliste erstellt?
Sie wurde auf der Grundlage des NRW-Gleichstellungsgesetzes und der Landesbauordnung nach den DIN-Normen 18024 und 18025 von der städtischen Behindertenkoordinatorin Felicitas Bütefür, von Vertretern des Immobilienservice und von mir im Auftrag der AGB zusammengestellt.Frage: Ist barrierefreies Bauen teurer?Antwort: Wenn man von vorneherein barrierefrei plant, liegen die Baukosten maximal zwei Prozent höher.
Profitieren nur Behinderte vom barrierefreien Bauen?
Auf keinen Fall. Deshalb spricht man ja auch heute nicht mehr von behindertengerechtem, sondern von barrierefreiem Bauen, weil davon nicht nur Behinderte, sondern auch Menschen mit Kinderwagen und Rollatoren oder auch kleinwüchsige Menschen und Menschen profitieren, die aus gesundheitlichen Gründen in ihrer Mobilität eingeschränkt sind.
Hintergrund Barrierefreies Bauen soll Menschen mit Handicap mobil machen und zur gleichberechtigten Teilhabe am öffentlichen Leben befähigen. Der selbst körperbehinderte Vorsitzende der AGB hat aber auch am eigenen Leibe erfahren, dass es mit der Mobilität für Menschen mit Handicap oft nicht weit her ist, wenn sie auf Taxen oder öffentlichen Personennahverkehr angewiesen sind. Von Taxiunternehmen erhielt er zum Beispiel die Auskunft, dass nach 22 Uhr keine Fahrten mit rollstuhlgerechten Taxen möglich seien. Schlechte Erfahrungen haben Beyer und seine Leidensgenossen auch mit U-Bahnhöfen ohne Aufzug und mit wenig hilfreichen Bus- und Bahnfahrern gemacht, die sich gar nicht erst bemühten, Rollstuhlfahrern beim Ein- und Ausstieg zu helfen, sondern dies tatkräftigen Fahrgästen überließen oder, wenn ihnen ihr Bus zu voll erschien, die Rampen an den Eingangstüren nicht ausklappten, sondern den Rollstuhlfahrer an der Haltestelle stehen ließen und weiterfuhre
Dieser Text erschien am 22. Juni 2010 in der NRZ
Samstag, 19. Juni 2010
Nach dem Karneval ist vor dem Karneval: Die närrische Wagenbauhalle an der Hafenstraße nimmt langsam Formen an
Der Vorsitzende des Hauptausschusses Groß-Mülheimer Karneval geht davon aus, dass man diese Halle im September mit einem Fest eröffnen kann. Noch etwas länger wird die Restaurierung der benachbarten alten Holzhalle dauern, die mit ihren 1000 Quadratmetern spätestens zum Beginn der neuen Session von den rund 40 Wagenbauern der 13 Karnevalsgesellschaften genutzt werden soll. Außerdem wird diese Halle natürlich auch als Parkhaus für die bereits fertiggestellten Motiv- und Gesellschaftswagen dienen, die auf ihren nächsten Rosenmontagseinsatz warten.
„Wichtig ist, dass unsere Gesellschaften jetzt Planungssicherheit haben und ihre Wagen in einer warmen und trockenen Halle bauen können“, betont Jansen mit Blick auf den zunächst 20 Jahre laufenden Pachtvertrag, den die Karnevalisten mit dem städtischen Immobilienservice abgeschlossen haben. Und Chef-Wagenbauer Teo Kuhs meint: „Das löst bei den Wagenbauern Freude aus. Endlich haben wir einen festen Platz und werden nicht mehr herumgeschubst. Da hat man wirklich etwas Gutes auf die Beine gestellt.
Es hat ja auch lange genug gedauert.“ Der Chef des städtischen Immobilienservice, Frank Buchwald, der auch zur 67-köpfigen Ehrensenatorenschaft des Hauptausschusses Groß-Mülheimer Karneval gehört, betont: „Wir haben uns hier an Pachtverträgen orientiert, wie sie die Stadt auch mit Sportvereinen abschließt.“ Für den gebürtigen Rheinländer „ist das Brauchtum Karneval mit seinen Saalveranstaltungen und dem Rosenmontagszug eine genau so wichtige Säule der Stadt wie die Sportvereine.“ In diesem Zusammenhang weist Jansen nur zu gerne darauf hin, dass der Rosenmontagszug mit seinen rund 100 000 Zuschauern und Teilnehmern Mülheims größte Einzelveranstaltung ist. Was das Projekt Wagenbauhalle kosten wird, kann und will der Chefkarnevalist noch nicht sagen, spricht aber von einer sechsstelligen Summe. Das Geld haben die Karnevalisten ganz ohne Zuschüsse der öffentlichen Hand alleine mit Spenden, Veranstaltungsüberschüssen und den Anzeigenerlösen des Narrenkuriers erwirtschaftet. Ein Teil der Spenden kam durch den Verkauf von Schlüsselanhängern in der Form eines kleinen Goldbarrens in die Kasse. Diese kann man auch jetzt wieder für fünf Euro beim Hauptausschuss Groß-Mülheimer Karneval erwerben.Den Neubau und die Restaurierung der Wagenbauhallen an der Hafenstraße refinanzieren die Karnevalisten zum Teil auch dadurch, dass sie einen Teil des insgesamt 2700 Quadratmeter großen Grundstücks an einen Containerdienst und einen Handwerksbetrieb vermieten.Apropos Container. Neben die 400 Quadratmeter großen Wagenbauhalle wird noch ein 18 Meter langer Container aufgestellt, der unter anderen Platz für Aufenthalts- und Besprechungsräume sowie ein kleines Karnevalsarchiv bieten soll.
Weitere Informationen unter: 0208/3018415 oder im Internet unter: http://www.muelheimer-karneval.de/
Dieser Text erschien am 19. Juni 2010 in der NRZ
Freitag, 18. Juni 2010
Rückblick: Vor 65 Jahren wird Mülheim Teil der britischen Besatzungszone
„Engländer besetzen das Ruhrgebiet“, verkündet die von der Militärregierung herausgegebene Ruhr Zeitung bereits am 16. Juni 1945. Und in der nächsten Ausgabe des Mitteilungsblattes wird die Bevölkerung am 23. Juni 1945 aufgefordert: „Schafft Nahrung für den Winter: Die Engländer helfen euch.“ Die britische Militärregierung drängt darauf, dass jeder dafür geeignete „freie Quadratmeter besät und bestellt wird“, damit man dem allgegenwärtigen Hunger Herr werden kann.Lebensmittel und Bedarfsgüter sind damals nur auf Karten erhältlich und straff rationiert. Im Mai und Juni 1945 stehen pro Person und Monat gerade einmal 1500 Gramm Brot zur Verfügung. Schwerstarbeiter, ehemalige Zwangsarbeiter und werdende Mütter bekommen Sonderrationen. Auch der Wohnraum ist knapp. 70 Prozent der Häuser gelten als beschädigt und zehn Prozent als zerstört. Weil die Bevölkerung nach dem Kriegsende schneller wächst als der zur Verfügung stehende Wohnraum, greifen die Briten auch zu freiwilligen Evakuierungsmaßnahmen, um Menschen in ländlicheren Regionen ein Obdach für den Winter zu verschaffen.
800 000 Kubikmeter Trümmerschutt lagern auch Mülheims Straßen. Der Wiederaufbau geht nur langsam voran. Auch deshalb führt der britische Stadtkommandant eine Arbeitspflicht für alle Männer zwischen 16 und 65 und alle Frauen zwischen 16 und 45 ein. Weil der Brennstoff für den Winter knapp wird, erlauben die Briten im Oktober 1945, Bäume in Parks und Wäldern zu fällen, um aus ihnen Brennholz zu machen.
Nachdem zunächst alle öffentlichen Versammlungen, mit Ausnahme von Gottesdiensten, verboten sind, erlaubt die Militärregierung, im August 1945 die Gründung von Gewerkschaften und im September die Gründung von Parteien. Doch der Weg zur Demokratie ist steinig. Er führt etwa über Entnazifizierungsverfahren. Bis Anfang 1946 verlieren 119 Beamte, 95 Angestellte und 62 Arbeiter in der Stadtverwaltung ihren Job, weil sie Mitglied der NSDAP waren. Aus dem gleichen Grund werden auch 83 Lehrer entlassen. Im August 1945 beruft die Militärregierung einen ersten Bürgerausschuss, der die Stadtverwaltung beraten und unterstützen soll. Gewählte Stadtvertreter und eine von den Briten lizenzierte Lokalpresse, zu der auch die NRZ gehört, wird es erst im Laufe des Jahres 1946 geben.
Dieser Text erschien am 18. Juni 2010 in der NRZ
Montag, 14. Juni 2010
Fritz Buchloh: Eine Mülheimer Fußballlegende oder: Als Deutschlands Nummer Eins aus Speldorf kam
Damals hütete der Torwart des VFB Speldorf, Fritz Buchloh, immerhin 17 Mal das Tor der deutschen Nationalmannschaft. Durch seine Spiele für die Auswahlmannschaften der Region Niederrhein und des Westdeutschen Fußballverbandes war Reichstrainer Otto Nerz auf den jungen Torhüter des VFB aufmerksam geworden. Kurz nach seinem Abitur, das Buchloh 1930 am heutigen Karl-Ziegler-Gymnasium bestanden hatte, saß der damals 20-jährige Torhüter bei einem Länderspiel gegen Norwegen erstmals auf der Ersatzbank.Seinen ersten Einsatz im Trikot der Nationalmannschaft erlebte Buchloh im Dezember 1932 bei einem Länderspiel gegen die Niederlande in Düsseldorf. Bei seiner Premiere musste der Speldorfer den Ball allerdings zwei Mal aus dem deutschen Netz holen. Das Spiel ging mit 0:2 verloren. Auch sein zweites Länderspiel, das er am 1. Januar 1933 gegen Italien absolvierte, endete mit einer deutschen Niederlage. Dennoch wurde Buchloh von der Sportpresse als „Held von Bologna“ gefeiert. Denn als er in der 50. Spielminute gegen seinen großen Konkurrenten Hans Jakobs von Jahn Regensburg eingewechselt wurde, stand es aus deutscher Sicht bereits einigermaßen aussichtslos 1:3.Doch Buchloh sorgte mit einer Serie von spektakulären Glanzparaden dafür, dass der Weltklasse-Sturm der Italiener, die 1934 erstmals Fußballweltmeister werden sollten, zu keinem weiteren erfolgreichen Torschuss kam. „Das hast du gut gemacht“, bescheinigte Reichstrainer Otto Nerz seinem Mülheimer Torwart. Und Buchloh selbst erinnerte sich später: „Es spielte sich alles so ab, als sei es ein Traum.“
Doch für den Helden von Bologna wurden nicht alle Träume wahr. 1934 gehörte er zwar zu der deutschen Mannschaft, die während der zweiten Fußballweltmeisterschaft in Italien immerhin Dritter wurde, kam aber während des Turniers nicht zum Einsatz. Mehr Glück hatte er dagegen beim Olympischen Fußballturnier in Berlin, als er etwa am 4. August 1936 beim 9:0-Sieg über die Auswahl Luxemburgs den deutschen Kasten sauber hielt.Berlin wurde für Buchloh zeitweise zur Wahlheimat. Hier studierte er bei Otto Nerz an der Hochschule für Leibesübungen und erwarb sein Diplom als Sportlehrer. Nebenbei spielte er bei Herta BSC. Später hängte er noch einige Jahre bei Schwarz Weiß Essen dran. In Essen verdiente er sein Geld bei der Stadtverwaltung, nachdem er 1930 bei der Stadt Mülheim in die Verwaltungslehre gegangen war.Buchloh, der am 13. September 1936 beim 1:1 gegen Polen sein letztes Länderspiel bestreiten sollte, gehörte noch zu der Fußballer-Generation, die für, aber nicht von ihrem Sport lebten. Später machte Buchloh keinen Hehl daraus, dass er den kommerzialisierten Profifußball „mit Unbehagen“ sehe, „weil er zwar zur Perfektionierung des Fußballsportes beiträgt, aber den Idealismus und die Selbstständigkeit des freien sportlichen Entfaltens spürbar einengt.“Auch nach dem Ende seiner aktiven Spielerlaufbahn blieb Buchloh dem Fußball verbunden, engagierte sich nach Krieg und Gefangenschaft zum Beispiel als Nationaltrainer in Island und später zum Beispiel als Schatzmeister des Bundes deutscher Fußballlehrer und als Vorsitzender seines Vereins VFB Speldorf.
Als Buchloh im Juli 1998 starb, würdigte der VFB seinen Ehrenvorsitzenden als „ein leuchtendes Vorbild für den Nachwuchs“, der den Namen seines Vereins „weit über die Grenzen Mülheims hinaus“ bekannt gemacht habe.
Dieser Text erschien am 14. Juni 2010 in der NRZ
Sonntag, 13. Juni 2010
Theater im Klosster oder: Bühne frei und Spaß dabei: Saarner Gemeindemitglieder inszenierten eine Zeitreise
Theater beim Gemeindefest? Das hört sich nach Ärger an. Doch im Falle der Saarner Gemeinde St. Mariae Himmelfahrt war es das reine Vergnügen. Zwölf Gemeindemitglieder nahmen die Gäste auf eine Zeitreise mit. In eineinhalb Stunden erlebten die Zuschauer 800 Jahre Klostergeschichte. Leicht gekürzt, versteht sich.
Als die jungen Damen der von Kantor Werner Schepp geleiteten Singschule in Nonnentracht und mit lateinischem Gesang in den Innenhof von Kloster Saarn einzogen, mochte man an die Rückkehr der Zisterzienserinnen glauben, die anno 1808 ihr Kloster Saarn hatten verlassen müssen, weil Napoleon es so wollte. Auf das musikalische Vorspiel folgte ein kurzweiliges Theaterstück, geschrieben von Wolfgang Geibert und inszeniert von Michael Bohn, bei dem die Laienschauspieler aus der Gemeinde mit Herzblut und Spaß an der Freude ihre Rollen als Klosterfrauen, Erzbischof, Äbtissin oder Abt ausfüllten. Auch der zwischenzeitliche Segen von oben oder der eine oder andere Textaussetzer konnten das Theatervergnügen im Saarner Klosterhof nicht schmälern.
Herrlich, wie Ludger Theile als Abt von Kamp: "Ich bin jetzt nicht mehr der von eben, sondern ein anderer, weil wir schon wieder 400 Jahre weiter sind" das Publikum durch Zeit, Raum und Handlung führte. Amüsant auch der Dialog, in dem die erste Äbtissin Wolbernia (Christa Horn), dem Erzbischof Engelbert von Köln (Alvin May) die wirtschaftlichen Nöte des Klosters näherbringen wollte, während der sichtlich nur bedingt interessierte Bischof aus dem Segnen nicht mehr herauskam. Gut lachen konnte man mit einigen Jahrhunderten Abtand auch über die Gardinenpredigt, die die Äbtissin Anna von Deutz (Mechthild Werry) ihren Mitschwestern anno 1622 hielt, weil die es mit der benediktinischen Ordenssregel: "Ora et labora" nicht mehr so genau nahmen. Kein Wunder, dass sich die vorlaute Novizin angesichts der strengen und asketischen Klosterregeln am Ende der Strafpredigt überlegte: "Vielleicht werde ich doch nicht die Braut Christi, sondern die Braut des Obermeßdieners Max."
Sichtlich Spaß an ihrer Rolle hatten auch die beiden "Engel" Michael Raaben und Jens Ammann, die sich als Gewehr- und Tapetenfabrikanten aus ihrer himmlischen Perspektive heraus über die weltliche und wirtschaftliche Nutzung des Klosters nach 1808 unterhielten, ehe sich der ganz irdische Zeitzeuge Hermann-Josef Hüßelbeck an die 70er Jahre erinnerte, als er mit seiner Familie im Kloster lebte und zusammen mit seinen Nachbarn die dortigen Ausgrabungen der Archäologen in der ersten Reihe miterlebte. Nach dem Abzug der Archäologen, so erinnerte sich Hüßelbeck, hätten die Klosterbewohner selbst zur Schippe greifen müssen, um die im Klosterhof hinterlassenen Gräben wieder zu schließen.
Samstag, 12. Juni 2010
Wie geht es rund um den Kaufhof-Komplex weiter? Leerstehende Ladenlokale machen das Quartier an der Unteren Schloßstraße zunehmend unattraktiv
Freitag, 11. Juni 2010
Hauptschüler haben eine Chance: Zum Beispiel im Handwerk
Donnerstag, 10. Juni 2010
Vom Volkslied bis zur Operette: Mit einem Konzert feiert der MGV Liedertafel am 19. Juni seinen 150. Geburtstag
Mittwoch, 9. Juni 2010
Das Gedächtnis der Stadt im Wandel der Zeit: Von der Heimatbücherei über das Stadtarchiv zum Haus der Geschichte
Denn die ersten Besucher, die der damalige Archivleiter Kurt Ortmanns, durch die für 400 000 Mark umgebauten Räume einer ehemaligen Grundschule führte, waren geladene Gäste. Es handelte sich dabei um Vertreter aus Rat und Verwaltung sowie vom Geschichtsverein und der Arbeitsgemeinschaft heimatkundlicher Vereine, des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf, des Landschaftsverbands Rheinland und der Firma Thyssen. Eine öffentliche Nutzung erschien Chefarchivar Ortmanns aufgrund des akuten Personalmangels nicht denkbar. Sein Mitarbeiterstab bestand anfangs aus zwei Bibliothekarinnen. Weitere Archivare, Magazinverwalter und Restaurateure kamen erst später in das „Haus der Stadtgeschichte“, das heute elf Mitarbeiter hat und seit 2008 von dem Historiker Kai Rawe geleitet wird.
Noch im April 1981 klagte die NRZ: „Das Stadtarchiv ist immer noch nicht zugänglich. Wann kommt die Öffnung für die Bürger?“ Erst im September 1981 konnte die Zeitung ihre Leser darauf hinweisen, dass das neue Archiv jetzt nicht nur montags, sondern auch donnerstags von 10 bis 16 Uhr für interessierte Bürger zugänglich sei. Möglich wurde das von Anfang an auch durch eine Kooperation mit dem Geschichtsverein, der bis heute ehrenamtliche Aufsichtskräfte für den Benutzerraum stellt. Inzwischen ist denn auch der lange Dienstag von von 9 bis 18 Uhr als dritter Nutzertag hinzugekommen.
„Früher gab es sehr wenig Öffentlichkeitsarbeit. Die haben wir erst in den letzten zehn Jahren ausgeweitet“, berichtet Johannes Fricke. Der Diplom-Archivar kam nach seiner Ausbildung 1982 ins Mülheimer Archiv.Neben der normalen Archivarbeit gehören heute auch Führungen, Workshops und Vorträge zur Stadtgeschichte zum selbstverständlichen Angebot des Stadtarchivs. Sein heutiger Leiter geht davon aus, dass dieser öffentlichkeitswirksame Bereich in Zukunft noch gestärkt werden kann, wenn das Stadtarchiv, voraussichtlich im Sommer 2011 von der Aktienstraße in die alte, 1907 eröffnete, Augenklinik an der Von-Graefe-Straße umziehen wird. Denn dort wird das Stadtarchiv nicht nur mehr Magazin- sondern auch Vortrags- und Seminarräume nutzen und darüber hinaus auch einige Computerarbeitsplätze für Archivnutzer anbieten können.
Welch ein Unterschied zu den Anfängen des Mülheimer Stadtarchivs, die sich Anfang der 70er Jahre im zweiten Obergeschoss der damaligen Stadtbücherei am Rathausmarkt abspielten. Als der Historiker Kurt Ortmanns 1972 als erster Stadtarchivar seinen Dienst antrat, war sein Wirkungskreis eine bessere Heimatbücherei mit wenigen Regalmetern. Heute reihen sich die Bestände des Stadtarchivs auf rund sechs Regalkilometer, die nicht nur im Backsteingebäude an der Aktienstraße, sondern auch in einer Halle im Hafen lagern.Archivar Fricke, der selbst noch im Karteikartenzeitalter groß geworden ist, kann sich vorstellen, dass der Kollege Computer den Archivalltag auch in Zukunft noch weiter verändern wird, wenn man nicht nur Findbücher, sondern auch einige Bestände, wie Postkarten und alte Pläne via Computer in digitalisierter Form wird abrufen und anschauen können.Auch wenn sich die technischen Möglichkeiten und Formen der Archivarbeit im neuen Haus der Geschichte, das auch auch zum neuen Haus der Musikschule werden soll, weiter verändern werden.Es bleibt der Auftrag des Stadtarchivs, der sich am Tag der nach Archiveröffnung am 9. Juni 1980 in der NRZ-Schlagzeile: „Erfassen, erhalten, erziehen“ niederschlug.
Dieser Text erschien am 9. Juni 2010 in der NRZ
Dienstag, 8. Juni 2010
Was Mülheimer Meinungsführer zum Berliner Sparparket sagen
„Es ist richtig zu erkennen, dass Sparen drin sein muss, wo Sparen drauf steht“, schreibt Unternehmerverbandspräsident Hanns Peter Windfeder Politikern in Mülheim und Berlin ins Stammbuch. Wohlstand und Zukunft kann unsere Gesellschaft in seinen Augen nur gewinnen, wenn die Politik den Mut zu Einsparungen und Bürokratieabbau hat und nicht in Steuererhöhungen flüchtet, um steigende Staatsausgaben zu finanzieren. Zu Details des Berliner Sparpaketes möchte er sich nicht äußern, findet es aber mit Blick auf die Zukunftsperspektiven unseres Landes gut, „dass Bildung und Forschung beim Sparen außen vor bleiben.
“Ganz anders sieht das die Geschäftsführerin der Vereinigten Dienstleitungsgewerkschaft Verdi Henrike Greven : „In der Krise darf man nicht sparen. Erst wenn der Wirtschaftsaufschwung geschafft ist, kann man überlegen, wo sich etwas einsparen lässt“, betont sie. Statt auf Einsparungen zu setzen, „die vor allem die normalen Bürger schädigen“, rät sie dem Staat durch einen Finanzmarkttransaktionssteuer, eine Vermögenssteuer, sowie Erbschaftssteuern sein Einnahmeproblem zu lösen. Einen Verbündeten findet Greven mit dieser Ansicht im Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt , Lothar Fink. Mit einem Sparpaket in der Wirtschaftskrise setzt die Bundesregierung nach seiner Ansicht „den falschen Akzent“ und trifft „die Menschen, die ohnehin schon knapp bei Kasse sind.“ Seine Furcht ist, dass sich die Schere zwischen Armen und Reichen weiter öffnet. Fink fürchtet um den Massenkonsum und damit um den Wirtschaftsaufschwung, der neues Steuergeld in die Staatskassen bringen würde. Geld könnte der Bund, so Fink, auch durch eine Börsenumsatz- und eine Vermögenssteuer, ein Rücknahme der Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers und eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 42 auf die noch unter der Regierung Kohl geltenden 53 Prozent in Staatskassen bringen.
Die Leiterin der Evangelischen Familienbildungsstätte, Annette Sommerhoff findet es gut, dass im Bereich Bildung nicht gespart werden soll. Die Kürzungen beim Elterngeld kann sie nicht verstehen, nachdem man diese Leistung erst 2007 eingeführt habe. Zukunft hat unsere Gesellschaft nach in ihren Augen nur, wenn sie nicht weniger, sondern mehr in die Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur investiert, die Familien und Kindern „die Möglichkeit gibt ihren Alltag sinnvoll zu organisieren und sich weiterzuentwickeln.“ Einsparungspotenzial sieht sie vor allem bei der Rüstung. Die Leiterin des Jugendzentrums Leybank, Lisa Freymann, möchte „auch die Banken mit im Boot und in die Pflicht genommen sehen“, die sich nach ihrer Ansicht „zu sehr verselbstständigt haben.“ Die Einführung einer Vermögens- und einer Finanztransaktionssteuer wären für sie ein Weg zur Konsolidierung der Staatsfinanzen, die nicht weiter auf Kosten der Leistungsträger in der Mittelschicht gehen dürfe.
„Ich habe da keine 100-prozentige Antwort“, gibt Stadtdechant Michael Janßen auf die Frage nach der Rettung der Staatsfinanzen zu. Nur ganz grundsätzlich weiß er: „Es dürfen nicht die Ärmsten der Armen betroffen sein. Es sollen die helfen, die helfen können und die Einsparungen auch ertragen können.“ Deshalb könnte der katholische Stadtpfarrer eher mit der Erhöhung des Spitzensteuersatzes und der Einführung einer Vermögenssteuer statt mit Sozialkürzungen bei Hartz-IV-Empfängern leben. Janßens evangelischer Kollege im Pfarramt, Michael Manz von der Heißener Friedenskirche kritisiert: „Es wird mal wieder vor allem bei den kleinen Leuten gekürzt.“ Er gibtden Bundeshaushältern unter anderem folgende Spartipps: Kürzung von Ministerpensionen und der Bezüge des zurückgetretenen Bundespräsidenten, Abschaffung der Wehrpflicht und Kürzung der staatlichen Repräsentationskosten auf allen Ebenen, weniger Bundesländer und damit verbunden auch weniger Kosten für Landesregierungen und Landesverwaltungen. Grundsätzlich möchte Manz lieber Spitzenverdiener und Spekulanten als Arbeitslosengeld-II-Empfänger an der Aufbesserung der Staatskasse beteiligt sehen.
Zu Einsparungspotenzialen in anderen Bereichen möchte sich der Chef der Sozialagentur, Matthias Spies , nicht äußern, macht aber keinen Hehl daraus, dass er die Kürzungen der Mittel für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gerade in der Wirtschaftskrise für kontraproduktiv hält. „Die Politik muss sagen, wie sie sich eine sinnvolle Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorstellt“, fordert Spies angesichts eher steigender als sinkender Fallzahlen. „Das ist doch eine sinnvolle Sache, die wir hier nicht zum Zeitvertreib machen“, kritisiert er die geplante Kürzung der Eingliederungshilfen für Arbeitslose, die seine Behörde „immer zielgerichtet, wirtschaftlich und sparsam“ einsetze.Auch der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes, Hartwig Kistner, empfindet die geplanten Kürzungen in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik „als besorgniserregend“, obwohl er einräumt, dass sich kein Bereich „Sparaufgaben verschließen kann.“ Gerade in der Krise bei Programmen zu sparen, die Arbeitslosen wieder eine Jobperspektive bieten, sieht Kistner nicht nur als unsozial, sondern auch als kontraproduktiv an. Durch das ständige Hin und Her sieht Kistner sowohl bei der Arbeitsmarktförderung als auch beim Elterngeld keine Einsparungen, sondern immer neue Verwaltungskosten, die durch die ständige Änderung der Verfahrensregeln provoziert würden. Seine katholische Amtskollegin Regine Arntz von der Caritas findet es „ganz fatal, beim Sparen ganz unten anzufangen und damit Familien zu treffen, die mit ihrem Geld sowieso nicht auskommen.“ Viel Geld einsparen ließe sich, laut Arntz, wenn der Staat den Hinweisen des Steuerzahlerbundes und der Rechnungshöfe nachginge und alle staatlichen Investition und Subventionen auf ihre Effektivität und Sinnhaftigkeit überprüfen würde: „Der Staat muss eine Prioritätensetzung im Sinne und Interesse der Menschen in unserem Land vornehmen. Das wäre mal wieder dran“, meint Arntz.
Zum verminderten Mehwertsteuersatz für seine Branche möchte sich Hotelier und Gastronom Martin Hesse vom Handelshof gar nicht äußern. „Das hat uns nur Ärger und Diskussionen, aber keinen Kunden mehr gebracht“, weiß Hesse zu berichten. Was ihn an den Berliner Sparvorschlägen positiv überrascht ist die Tatsache, dass der Bund auch in seiner eigenen Verwaltung sparen will und die Normal- und Kleinverdiener vorerst nicht mit neuen Steuern belastet. Dem politischen Spitzenpersonal der Bundesrepublik empfiehlt er, mit dem Sparen voranzugehen, wenn es etwa um all zu üppige Ministerpensionen, Staatskarossen und Staatsbankette geht.
Dieser Text ist am 8. Juni 2010 in der NRZ erschienen
Sonntag, 6. Juni 2010
Es gibt nichts Gutes, außer man tut es: Ein Beispiel aus der Dümptener Gemeinde St. Barbara
Samstag, 5. Juni 2010
Wer wäre der bessere Bundespräsident? Eine Straßenumfrage zur Wahl unseres Staatsoberhauptes
Trotz Urlaubs machte sich allerdings der Personalratschef des Stadtverwaltung, Bernd Bittscheid, (58) seine Gedanken zur Präsidentenwahl: „Ich würde für Gauck plädieren, weil er aufgrund seiner Persönlichkeit und seines Werdeganges alle Fähigkeiten mitbringt, um das Präsidentenamt zu bekleiden. Er kommt nicht aus dem politischen Tagesgeschäft und hat einen starken Gerechtigkeitssinn und ist überparteilich.“
Statt Wulff oder Gauck hätte Rentner Gerd Barkhofen (65) lieber Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen als Bundespräsidentin gesehen, „weil sie mit ihrem Können und ihren intellektuellen Fähigkeiten ein Aushängeschild für Deutschland gewesen wäre.“Jetzt tendiert er eher zu Gauck als zu Wulff, weil der sich „darum bemüht hat, dass in der DDR geschehene Unrecht aufzuklären und dabei gute Arbeit geleistet hat.“ Barkhofen bedauert, dass die Bürger in der Präsidentenfrage „keine Wahl haben“, sondern ein Staatsoberhaupt „vorgesetzt bekommen.“
Für den Musiker Josef Meier (56) steht fest: „Wenn überhaupt einer, dann der Gauck, weil er überparteilich ist.“ Die Nominierung von Wulff durch die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP empfindet er als „Ver- und Entsorgung eines unbequemen Ministerpräsidenten.“ Die 40-jährige Verwaltungsfachangestellte Sabine Margold würde Christian Wulff wählen, „weil er mir mit dem was er sagt und wie er es sagt als Mensch sympathisch ist.“ Die 49-jährige Journalistin Claudia Leyendecker hätte Ursula von der Leyen als Bundespräsidentin bevorzugt. Über die Präsidentschaftskandidaten Wulff (50) und Gauck (70) sagt sie: „Der eine ist mir etwas zu jung und der andere schon etwas zu alt.“
Die 39-jährige Reiseverkehrskauffrau Sabine Liffers hat sich inhaltlich noch nicht mit den beiden Präsidentschaftskandidaten auseinandergesetzt. Rein äußerlich würde ihr Christian Wulff besser gefallen. Sie fände sie es nicht schlecht, wenn das Staatsoberhaupt direkt vom Volk gewählt würde. Bürgerferne„Die machen ja doch, was sie wollen. Da wird sich für uns nichts ändern“, erklärt Rentner Bodo Wecker (65), warum ihn die Bundespräsidentenwahl gar nicht interessiert. „Ich fände Gauck als Bundespräsidenten besser, weil er keiner Partei angehört und deshalb politisch nicht gebunden ist“, betont Markthändlerin Elvira Rademacher (73).
Angesichts so vieler gebrochener Wahlversprechen sind Politik und Präsidentenwahl für die 43-jährige Einzelhandelskauffrau Claudia Banaszak kein Thema mehr, „weil ich mich nur darüber aufregen würde.“ Außerdem bezweifelt sie, „ob ein Bundespräsident für uns kleine Bürger etwas bewegen könnte.“ Der Hausmann Michael Loh (52) könnte mit beiden Kandidaten leben, sieht aber bei Gauck eine größere Lebenserfahrung und eine beachtliche Lebensleistung bei der Aufarbeitung des DDR- und Stasi-Unrechts. Die Rentnerin Ilse Zimdahl (76) findet Christian Wulff zwar sympathisch, würde das Bundespräsidentenamt aber am liebsten gleich einsparen, und wie etwa in den USA, Staatsoberhaupt und Regierungschef auf eine Person vereinigen.
Dieser Text erschien am 5. Juni 2010 in der NRZ
Freitag, 4. Juni 2010
Ein Auftakt fürs Leben: Besuch einer etwas anderen Musikstunde an der Gemeinschaftsgrundschule Styrum
Donnerstag, 3. Juni 2010
Rückblick: Mit dem ersten Spatenstich begann der neue Hans-Böckler-Platz vor 40 Jahren Gestalt anzunehmen
Architektur ist Ausdruck von Zeitgeist. Insofern stehen der Hans-Böckler-Platz und seine Hochhäuser für den ungebremsten Fortschrittsglauben der frühen 70er Jahre, als die Häuser noch in den Himmel wachsen durften. Vor 40 Jahren sieht sich Mülheim auf dem Weg zur 230 000 Einwohner-Metropole. Da soll zentraler Wohnraum mit guter Nahversorgungsinfrastruktur mehr Menschen nach Mülheim ziehen und seine im Osten erweiterte „Innenstadt zu einem echten Lebenszentrum machen, das dicht bewohnt ist und für den Verkehr erstklassig erschlossen ist.“
So sieht es Landesbauminister Hermann Kohlhase, als er am 3. Juni 1970 für den ersten Spatenstich am Hans-Böckler-Platz seine Jacke auszieht und anpackt. „Ein hervorragendes Beispiel moderner städtebaulicher Planung, das für manchen lehrreich sein kann“, nennt Kohlhase das Prestigeprojekt, dessen Investitionsvolumen damals auf 243 Millionen Mark prognostiziert wird. Oberbürgermeister Heinz Hager sieht den neuen Hans-Böckler-Platz als „klassisches Beispiel für die Stadtentwicklung der Zukunft.“ Hier sollen fünf Hochhäuser mit einem Parkhaus, einem Einkaufzentrum und einem großen Hertie-Kaufhaus entstehen, flankiert und abgerundet durch einen City-Nordring und einen Verkehrsknotenpunkt der Stadtbahn, an dem damals bereits gebaut wird.In der „Aufbaugemeinschaft“ für die „Stadtmitte II“ sind neben Stadt und Land auch die Iduna-Versicherung, die Düsseldorfer Treufinanz sowie private Anlieger und Grundstückseigentümer mit im Boot. Heute würde man das wohl Private Public Partnership (PPP) nennen.
Oberstadtdirektor Heinz Heiderhoff spricht 1970 von am Gemeinwohl interessierten Bürgern.Weißer RieseGeld verdient werden soll in der Stadtmitte II aber auch. Die Iduna-Versicherung investiert allein 45 Millionen Mark in das erste, 81 Meter hohe, Hochhaus, das heute Forum Tower heißt und das neue City-Center, das allein 150 Millionen Mark kosten soll und 1994 durch das heutige Forum ersetzt wird. Die NRZ spricht angesichts des Iduna-Hochhaus-Modells von einem „Weißen Riesen“ und glaubt: „Mit dem Projekt Böckler-Platz beginnt ein neuer Abschnitt der Stadtgeschichte.“
670 moderne Wohnungen, ein Parkhaus mit 1800 Stellplätzen, 35 Geschäfte und ein Warenhaus mit einer Gesamtverkaufsfläche von 16 000 Quadratmetern sollen das Wohn- und Einkaufspardies in der City perfekt machen. An die Grenzen von Wohlstand und Konsum kann und will man vor 40 Jahren nicht glauben. Dazu passt eine große Anzeige, die unter dem NRZ-Artikel über den ersten Spatenstich am Hans-Böckler-Platz prangt und die Leser auffordert: „Lassen Sie sich verwöhnen bei ihrem Einkauf in Mülheim, der sympathischen Stadt an der Ruhr.“ Der Kaufmann Kurt Remberg sagt in seiner Funktion als kommissarischer Vorsitzender der Aufbaugemeinschaft für die Stadtmitte II an diesem denkwürdigen 3. Juni 1970, an dem nach sechs Jahren Planung nun Taten folgen sollen: „Für die Bürger und für die Verwaltung ist das ein bedeutender Tag. Die Vorstellungen sahen zunächst anders aus, aber wir haben uns der Entwicklung angepasst. Das Ziel bleibt ein funktionierendes Einkaufszentrum zur Erweiterung der Innenstadt. Ohne die einmalige Bürgerinitiative wäre dieses Projekt nicht entstanden.“
Ob man die Hochhäuser aus städtebaulicher Sicht und angesichts von nur noch knapp 170 000 Mülheimern heute noch einmal bauen würde? Wohl kaum. Doch nur kein später Spott. Wer weiß, was künftige Generationen über Prestige- und PPP-Projekte wie Ruhrbania oder das Medienhaus am Synagogenplatz sagen werden?
Dieser Text erschien am 3. Juni 2010 in der NRZ
Mittwoch, 2. Juni 2010
Was einem Fachmann für Suchtvorbeugung zum Weltnichtrauchertag einfällt
Am 31. Mai war Weltnichtrauchertag. Deshalb haben die in der Suchtvorbeugung tätige Ginko-Stiftung und Saarner Gesamtschüler mit einer Mitmachausstellung und einer Luftballonaktion im Forum Überzeugungsarbeit leisten, damit die Zahl der Nichtraucher weiter steigt. Für die NRZ sprach ich im Vorfeld der Aktion mit Ginko-Mitarbeiter Norbert Kathagen Der 51-jährige Pädagoge und Sozialarbeiter war selbst 20 Jahre geraucht hat, ehe er zum Nichtraucher wurde, über Raucher und Nichtraucher.
Ist Rauchen heute noch cool?
Gott sei Dank gibt es eine Entwicklung in die Richtung, dass es immer weniger cool wird. Seit 2001 lässt der Tabakkonsum deutlich nach.Frage: Worauf ist das zurückzuführen?Antwort: Seit einigen Jahren wird in Schulen verstärkt zum Thema Nichtrauchen gearbeitet. Außerdem hat der Gesetzgeber das Alter, ab dem Rauchen erlaubt ist, auf 18 Jahre erhöht, weil man sieht: Das ist für Jugendliche schwierig, die bekommen das nicht in den Griff. Auch die Nichtraucherschutzgesetze und eine wirksame Öffentlichkeitsarbeit haben die Leute für das Thema sensibilisiert und die Schädlichkeit des Rauchens verstärkt ins Bewusstsein gebracht.Frage: Warum greifen manche Jugendliche trotzdem zur Zigarette? Antwort: Der eigentliche Reiz liegt oft nicht im Rauchen selbst, sondern hat mit der Persönlichkeitsentwicklung des Jugendlichen zu tun. Es geht um den Reiz des Verbotenen, darum, Grenzen auszutesten und sich erwachsen zu fühlen. Außerdem kommt man leicht an Zigaretten heran. Und das Rauchen wirkt erst mal undramatisch.
Wie werden Kinder und Jugendliche zu einem von bundesweit derzeit 18 Millionen Rauchern?
Das durchschnittliche Einstiegsalter für Raucher liegt bei 12,3 Jahren, wobei der Anteil der jugendlichen Raucher in den letzten neun Jahren von 27 auf 15 Prozent gesunken ist. Es macht also Sinn in diesem Alter mit der Suchtprävention zu beginnen. Da wo Kinder und Jugendliche das Rauchen als normal erleben, weil im Elternhaus oder im Freundeskreis geraucht wird, sind sie auch selbst eher geneigt, zur Zigarette zu greifen. Umgekehrt ist es deutlich einfacher, beim Nichtrauchen zu bleiben, wenn Eltern und Freunde nicht rauchen.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Herkunft, Bildung und Rauchen?
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Schulformen und der Neigung zu rauchen. Im gymnasialen Bereich gibt es nachweislich weniger Raucher als im Hauptschulbereich. Studien weisen darauf hin, dass der Bildungsfaktor der Eltern eine große Rolle spielt, weil die das Nichtrauchen vorleben oder nicht. Entscheidend ist, ob Kinder das Rauchen oder Nichtrauchen als normal erleben.
Was wollen Sie mit Ihrer heutigen Aufklärungsaktion erreichen?
Wir wollen die Bezugspersonen von Jugendlichen, ob Eltern, Lehrer oder Erzieher sensibilisieren, damit die Regeln in Elternhäusern, Schulen und Jugendheimen eingehalten werden und Jugendliche dort das Rauchen als Normalfall erleben. Wir wollen aber auch konkret mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, damit sie eine kritische Einstellung zum Rauchen entwickeln.
Dieser Text erschien am 31. Mai 2010 in der NRZ
Dienstag, 1. Juni 2010
Was Mülheimer zum überraschenden Rücktritt des Bundespräsidenten sagen
Als Horst Köhler vor sechs Jahren zum Bundespräsidenten gewählt wurde, fragte eine deutsche Zeitung: „Horst, wer?“ Gestern fragten viele Bürger: „Horst Köhler, wie bitte?“ Die Nachricht vom Rücktritt des Bundespräsidenten kam manchem Mülheimer wie ein April-Scherz vor. Bei einer Umfrage, die ich für die NRZ durchführte, zeigten sich viele überrascht, dass sich das Staatsoberhaupt wegen der scharfen Kritik an seiner umstrittenen Interview-Äußerung, Deutschland müsse mit seiner Außenhandelsabhängigkeit zur Wahrung seiner Interessen im Zweifel auch zu militärischen Mitteln greifen, jetzt zum Rücktritt genötigt sah. Einige Befragte können sich jetzt eine Frau, wie die zuletzt unterlegene Sozialdemokratin Gesine Schwan im Bundespräsidialamt vorstellen.
„Ich kann doch nicht immer gleich zurücktreten. Ich muss doch Verantwortung für das übernehmen, was ich tue und sage“, kommentiert Psychologin Brigitte Vahsen (62) Köhlers Rücktritt und betont: „Wenn er die Reaktionen auf seine Äußerungen als belastend und unangemessen empfindet, kann er sich doch erklären und Stellung dazu beziehen. Entweder habe ich eine Autorität, die ich in mir spüre oder ich habe keine.
“Zeitungsfrau Dorothea Schaaf (53) will sich noch einmal Köhlers Begründung und sein umstrittenes Interview anhören, ehe sie sich eine endgültige Meinung bildet. „Irgend etwas muss da gewesen sein, was ihn so getroffen hat, dass er sich gesagt hat; Jetzt ziehe ich einen Schlussstrich“, vermutet sie und kommt zu dem Ergebnis: „Es wird nicht langweilig in der Politik.“
Agnes Maestrini (67) hat Verständnis für Köhlers Schritt und vergleicht ihn mit dem Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann: „Wenn sich ein Bundespräsident zu Dingen äußert, zu denen er sich in seinem Amt politisch nicht äußern darf, dann ist das richtig und eine gute Konsequenz, ehe man gegangen wird.“
Hermann Ocklenbug (74) schließt sich der Kritik an Köhlers Interwieäußerungen an und hält seinen Rücktritt deshalb für gerechtfertigt: „Kennt der die Verfassung nicht?“ fragt er und führt aus: „In der Verfassung steht: Die Bundeswehr ist nur zur Selbstverteidigung unseres Landes gegründet worden und nicht, um in anderen Ländern Krieg zu führen.“„Als Bundespräsident müsste er etwas mehr Kritik vertragen können“, meint Helmut Schiemann (66) und mutmaßt: „Vielleicht hat er es in Verbindung mit seiner Familie getan und wird seine Gründe dafür haben.“ Als so gravierend empfand er die Kritik am Bundespräsidenten aber nicht, dass dieser aus seiner Sicht hätte zurücktreten müssen.
„Ich bin sehr betroffen“, reagiert Stadtbibliothekarin Claudia vom Felde (50) auf den Köhler-Rücktritt und meint: „Sonst ist er ja nicht so schnell in seinen Entschlüssen, von Aussagen zurückzutreten, die er getroffen hat. Ich hoffe, er überlegt es sich noch mal. Staatsoberhäupter sollten sich nicht so schnell ins Bockshorn jagen lassen.“ „Der Rücktritt war viel zu schnell. Er hätte nicht zurücktreten müssen“, findet Annemarie Ponten (60) und erklärt: „Man kann das doch erklären, wie man das gemeint hat.“ Marina Siebert (54) kann Köhlers Entschluss nicht nachvollziehen und glaubt an eine „Kurzschlusshandlung.“
„Ich kann nicht glauben, das das der eigentliche Grund war. So kritisch waren seine Äußerungen nicht, dass sie einen Rücktritt hätten nach sich ziehen müssen. Da hätte schon viel mehr passieren müssen“, meint Verwaltungsmitarbeiterin Yvonne Brach (36) und fügt hinzu: „Köhler ist doch gerade erst wiedergewählt. Er hat doch kein politisches Erdbeben ausgelöst und ist ein friedliebender Mensch.“ Der Rücktritt Köhlers bestärkt den 57-jährigen Programmierer Karl-Heinz Schröer , dass er als Bundespräsident nicht geeignet gewesen sei. Schon als Finanzstaatssekretär, so Schröer, sei Köhler zum Internationalen Währungsfonds nach Amerika weggelobt worden. Dort hätte man ihn nach seiner Ansicht auch besser lassen sollen, als ihn als Bundespräsident nach Deutschland zurückzuholen.
Ausgesprochen traurig über Köhlers Rücktritt, den er nicht für angemessen hält, ist der 80-jährige Günter Held , der den Bundespräsidenten „wegen seiner Geradlinigkeit, Offenheit und Genauigkeit, mit der er Themen und Probleme verfolgt hat“ immer sehr geschätzt hat. „Ich hätte meine Aussagen vielleicht abgemildert, wäre aber nicht zurückgetreten“, versetzt sich Held in Köhlers Situation. „Köhler hat doch immer nur Wahrheiten ausgesprochen, die jeder kennt. Aus meiner Sicht hätte er nicht zurücktreten müssen“, kommentiert die 71-jährige Hannelore Bovermann den ersten Rücktritt eines Bundespräsidenten.Der arbeitssuchende Krankenpfleger Andre Wiesemann (46) hält zwar nichts vom Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan, empfindet die Kritik an Köhlers Interviewäußerungen aber auch als „heuchlerisch“, weil er „nur das klar ausgesprochen hat, was jeder weiß.“ Erzieherin Menekse Akdag (41) hält Köhlers Rücktritt für überzogen, auch, wenn sie den Bundeswehreinsatz in Afghanistan ablehnt und jetzt auf eine Bundespräsidentin hofft.
Dieser Text erschien am 1. Juni 2010 in der NRZ
"Wozu sind denn Kriege da?"
"Wozu sind die Kriege da?" Udo Lindenberg schrieb und sang dieses Lied 1981 auf dem Höhepunkt der Atomraketenrüstung des Kalten ...
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