Freitag, 29. September 2023

Der eigenen Familie auf der Spur

 Woher komme ich? Was sind meine Wurzeln? Was ist meine Identität? Diese Fragen treiben eine zunehmende Zahl von Menschen an, die der eigenen Familiengeschichte auf die Spur kommen wollen. Dafür sprach auch der gute Publikumszuspruch, den der Historiker und Pädagoge Dr. Sandor Krause im Stadtarchiv mit seinem Vortrag zu diesem Thema gefunden hat.


Krause, der bereits zahlreiche Mülheimer Familienstammbäume via CD-Rom dokumentiert hat, brachte seine eigene Familiengeschichte als Anschauungsobjekt mit. In den vergangenen 40 Jahren hat Krause Namen und Lebensdaten von 1500 Vorfahren recherchiert. Seine Recherche, dass machte sein Vortrag deutlich, brauchte viel Zeit und Arbeit. Krause selbst sprach vom "Bohren dicker Bretter" und von "Überraschungen", auf die man in der Familienforschung gefasst sein muss. In Krauses Fall waren das zum Beispiel zahlreiche geisteskranke Vorfahren und etliche unehelich Geborene. 

Seine familiäre Spurensuche führte ihn nicht nur in zahlreiche deutsche Stadtarchive und Standesämter. Auch mit dem polnischen Staatsarchiv und dessen hilfreichen Mitarbeitenden hat er in der ehemals ostpreußischen Marienburg in Danzig Bekanntschaft gemacht. Den ein Teil seiner Familie stammt aus dem ehemaligen deutschen Osten und kam zum Teil durch die Vertreibung am Ende des Zweiten Weltkrieges ins Ruhrgebiet.

Familienforschung, aber wie?


Wer seinen eigenen Vorfahren auf die Spur kommen will, dem rät Krause: 

Fragen Sie noch lebende Verwandte nach Vorfahren: Tragen Sie alle Ihnen zugänglichen Namen und Lebensdaten von Großeltern, Urgroßeltern und Ur-Ur-Großeltern zusammen.

Beschriften Sie vorhandene Familienfotos mit Namen und Lebensdaten, um nachfolgenden Generationen die Spurensuche zu erleichtern und zeitaufwändige Verwechselungen zu ersparen.

Neben den standesamtlichen Urkunden nennt Krause Kirchenbücher als zentrale Quellen der Familienforschung. Letztere kommen dann infrage, wenn es sich um standesamtliche Daten aus der Zeit vor 1874 handelt, als sich der preußische Staat im Zuge des Kulturkampfes gegen die römisch-katholische Kirche die Hoheit der standesamtlichen Datenerhebung sicherte.

Laut Krause können alle personenbezogenen Daten eingesehen werden, wenn sie sich auf Menschen beziehen, deren Geburtstag mindestens 110 Jahre und deren Todestag mindestens 30 Jahre zurückliegt.

Im Rahmen der Digitalisierung kann man bei der Familienforschung heute auch online zugängliche Datenbanken der Mormonen sowie der katholischen und der evangelischen Kirche nutzen. In diesem Zusammenhang nennt Krause unter anderem die Portale Matricula, Archion, Heritage und Ancestry. Krause selbst hat im Rahmen seiner Familienforschung auch eine DNA-Datenbank genutzt, die anhand von genetischen Übereinstimmungen mögliche Verwandtschaftsverhältnisse aufzeigt. 

Mittwoch, 27. September 2023

Bleibende Mahnung

Warum gibt es in Speldorf eine Arthur Brocke-Allee? Und warum nahm sich Arthur Brocke vor 90 Jahren das Leben? Ein Rückblick in das deutsche Schicksalsjahr 1933.

Am 19. September 1933 berichtet die Lokalpresse über den Tod des langjährigen Baudezernent en Arthur Brocke. Von einem Freitod ist die Rede.

Doch der fünffache Familienvater, der sich am 18. September 1933 in seinem Haus an der Bismarckstraße 31 erhängt hat, ist nicht freiwillig aus dem Leben geschieden. Seine Witwe Wilhelmina, die seit dem 18. September 1933 wider Willen alleinerziehende Mutter von fünf Kindern ist, berichtet 20 Jahre später in ihrem Wiedergutmachungsverfahren von einer „nervlichen Zerrüttung, die ihren pflichtbewussten und lebensfrohen Mann in den Tod getrieben habe, weil er die Schande des ihm angetanen Unrechts nicht verwinden konnte.“ Auch ihre Kinder, so berichtet Wilhelmina Brocke im gleichen Zusammenhang, „sind in ihrem Schul- und Berufsleben durch den Tod ihres Vaters benachteiligt worden“. Das Unrecht, von dem Frau Brocke berichtet, geht 1933 von der NSDAP aus, Sie stellt seit der Kommunalwahl am 12. März 1933 mit Wilhelm März den Oberbürgermeister. Den politischen Ton gibt aber Karl Camphausen an. Er residiert als hauptamtlicher Kreisleiter der NSDAP vis-a-vis des Rathausturmeingangs im Horst-Wessel-Haus an der Hindenburgstraße, die wir heute als Friedrich-Ebert-Straße kennen.

Die NSDAP stellt eine Schwarze Liste auf. Auf ihr stehen 22 republiktreue Mitarbeitende, die sie umgehend aus ihren Ämtern entlassen sehen wollen. Einer von ihnen ist der parteilose Baudezernent Arthur Brocke.

Gegen Brocke, den der Stadtrat 1919 und 1931 für jeweils zwölf Jahre im Amt bestätigt hat erheben die Nationalsozialisten den Vorwurf der Veruntreuung von Steuergeld. Die Staatsanwaltschaft stellt das Ermittlungsverfahren schon bald ein und ordnet die Freilassung des zwischenzeitlich verhafteten Beigeordneten an. Denn sie kann keine Beweise für seine Untreue findet. Dennoch erreicht die NSDAP, die mit der Deutschnationalen Volkspartei die Ratsmehrheit stellt, dass der an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen ausgebildete Bauingenieur Brocke, zwangspensioniert wird und ein Viertel seiner Pension verliert. Außerdem wird Brocke vor und in seinem Haus „von SS-Trupps bedroht“, wie seine Witwe später aussagen wird. Möglich wird diese Rufmordkampagne gegen einen bis dahin hoch angesehenen Baumeister der Stadt, weil die NSDAP seit dem 30. Januar 1933 mit Hermann Göring den preußischen Ministerpräsidenten und Innenminister, dem die Kommunalverwaltung untersteht.

Brocke hat Mülheim unter anderem den Bau des Styrumer Ruhrstadions, des Flughafens, der heutigen Realschule Stadtmitte sowie der Wohnsiedlungen Witthausbusch und Salierstraße zu verdanken. Schon 1919 hat der 1884 in Achen geborene Brocke sein Credo als Bauchdezernent formuliert: „Sparsame Verwendung der Mittel bei Beachtung von Schönheit und Gesundheit.“

Das Brockes Leistungen und Verdienste um die Stadt nicht vergessen sind, zeigen ein positiver Nachruf in der Mülheimer Zeitung und die von der NSDAP-nahen Nationalzeitung ebenso heftig kritisierte Trauerpredigt des evangelischen Altstadtpfarrers Harry Lepper.

Lepper und die defacto bereits gleichgeschaltete Mülheimer Zeitung nennen die Verdienste des verstorbenen Beigeordneten weisen darauf hin, „dass man die Verdienste Brockes in ruhigeren Zeiten als diesen besser und umfassender zu würdigen wissen wird.“ Lepper geht in seiner Predigt vor einer großen Trauergemeinde, die sich am 21. September 1933 in der Kapelle des Hauptfriedhofes versammelt hat, noch weiter, wenn er Brocke als einen „starken, klaren und sicheren Mann“ beschreibt, dem die „kalten und harten Dinge unserer gegenwärtigen Welt sein Lebensfundament zerstört haben.“ Lepper betont, „dass der barmherzige und gnädige Gott Brocke verzeihen werde, dass er dem auf ihn ausgeübten Druck nicht standgehalten habe.“ Er warnt seine Zuhörer, sich nicht vom „oberflächlichen Zeitgeist dazu verleiten zu lassen, aus Neid heraus Menschen zu verleumden und zu quälen“.

NSDAP und Nationalzeitung erkennen ein Misstrauensvotum gegen die NS-Führung. Deshalb raten sie dem „Mann im Priesterkleid“, sich „zukünftig besser zurückzuhalten“ und über den Selbstmord des „trübsinnigen“ Beigeordneten „pietätvoll in den Mantel des Schweigens“ zu hüllen. Nach 28 Jahren wird Pfarrer Lepper die evangelische Altstadtgemeinde verlassen. Arthur Brockes Witwe erhält 1953 eine finanzielle Wiedergutmachung und zwei Jahre später wird es in Speldorf eine Arthur-Brocke-Allee geben. Und seit 2007 erinnert ein „Stolperstein“ vor seinem ehemaligen Wohnhaus an der Bismarckstraße 31 an das NS-Opfer Arthur Brocke.


Mülheimer Presse & Stadtarchiv Mülheim

Dienstag, 26. September 2023

Die Botschaft bleibt

 Er ist einer der ältesten Vereine Mülheims. Am 16. und 17. September feierte der Christliche Verein Junger Menschen (CVJM) seinen 175. Geburtstag. Was sind die Wurzeln des Vereins und wofür steht er bis heute? Ein Gespräch mit seiner Vorsitzenden Jutta Tappe

Erzählen Sie doch mal Ihre ganz persönliche CVJM Geschichte!

Jutta Tappe: Mein großer Bruder war schon im CVJM aktiv und hat mich dann, als ich alt genug war, mitgenommen. So kam ich als Neunjährige in die Jungschar. Später habe ich Kinder- und Jugendgruppen geleitet, Ferienfreizeiten organisiert, TEN SING mitgegründet und schließlich auch im Vorstand mitgearbeitet. Ich habe den Menschen im CVJM viel zu verdanken. Hier habe ich nicht nur soziale Kompetenz, Gemeinschaft mit und Offenheit gegenüber anderen Menschen, sondern auch das Organisieren gelernt. Das wurde auch von meinen Arbeitgebern immer sehr geschätzt. Und nicht zu vergessen: Im CVJM habe ich auch meine Ehemann Carsten kennengelernt.

Und warum lohnt es sich heute zum CVJM zu kommen?

Jutta Tappe: Der CVJM hat sich mit der Zeit und mit unserer Gesellschaft gewandelt. Aber sein Kern ist erhalten geblieben. Wir sind ein christlicher Verein, der Menschen Gemeinschaft, Heimat und Orientierung fürs Leben geben will.

Wir leben heute in einer multikulturellen Gesellschaft. Was bedeutet das für den CVJM?

Jutta Tappe: Viele der etwa 80 Kinder und Jugendliche, die täglich in unser Jugendzentrum, die Offene Tür, zwischen Teiner- und Kettwiger Straße kommen, haben keinen christlichen Hintergrund. Sie kommen z. B. aus muslimischen, buddhistischen oder atheistischen Familien. Doch das ist für uns kein Problem. Denn Gastfreundschaft ist eine christliche Tugend und damit ein Kern des CVJM. Doch erleben auch die nichtchristlichen Jugendlichen hier, dass sie in einem christlichen Haus sind. So entsteht ein Dialog zwischen den Religionen. So kommt es auch im offenen Jugendzentrum immer wieder zu tiefsinnigen Gespräche über Gott und die Welt. Auch heute gehören Andachten und Bibelarbeiten zu unserer Vereinsarbeit. Doch pädagogisch hat sich manches geändert. Wir sind heute stärker erlebnisorientiert und deshalb werden Bibelgeschichten z. B. gerne auch spontan als kleines Theaterstück nachgespielt, um zu überlegen: Was hat das mit unserem Leben zu tun?

Wie fing die Geschichte des CVJM an?

Jutta Tappe: Der Tuchmacherlehrling George Williams hat 1844 in London in einem Wohnheim für Auszubildende die erste CVJM Gruppe (englisch YMCA) gegründet; 1855 wurde im Rahmen der Weltausstellung in Paris der CVJM-Weltbund gegründet. Heute ist der CVJM in 120 Ländern vertreten. George Williams hat erlebt, dass seine Altersgenossen, die zur Arbeit in die Großstadt kamen, dort oft halt- und orientierungslos waren. Schon in der ersten CVJM Gruppe ging es darum, Gemeinschaft zu erleben und sich durch biblische Geschichten inspirieren und stärken zu lassen. Dabei gehörte das gemeinsame Essen und Feiern immer mit dazu. In Mülheim wurde der CVJM 1848 als evangelischer Jünglingsverein gegründet. Sein erstes Vereinshaus stand an der Friedrichstraße und wurde später zum Hotel Handelshof. 1907 wurde aus dem evangelischen Jünglingsverein der christliche Verein junger Männer und 1981 wurden aus den Männern Menschen. Brigitte Ernst war 1973 die erste Frau im Vorstand des Mülheimer CVJMs. Und seit 2020 bin ich die erste weibliche CVJM-Vorsitzende in Mülheim.

Ist der CVJM nur etwas für junge Menschen?

Jutta Tappe: Nein. Unsere Arbeit ist längst generationsübergreifend von 0 bis 99 und darüber hinaus ausgerichtet. Bei uns kann jeder etwas für sich finden. Unsere Arbeit hat drei Säulen, unseren Verein, unser Jugendzentrum und unser Wohnheim.

Was hat sich der CVJM für die Zukunft vorgenommen?

Jutta Tappe: Wir wollen auch weiterhin ein verlässlicher Partner für die Menschen in unserer Stadt sein. Ein Ort, wo man gerne seine Freizeit verbringt und sich mit seinen Gaben einbringen kann. Unser aktuell größter Traum. Wir wollen unser Wohnheim als Homebase zum Studierendenwohnheim mit Anbindung an die offene Tür umbauen. Auch das steht in der Tradition des CVJM, der jungen Menschen in der Großstadt eine Heimat bieten will. Mit der Homebase wollen wir Studierenden nicht nur eine Heimat, sondern auch die Möglichkeit bieten, sich in unsere Arbeit einzubringen und ihre Kompetenzen weiterzuentwickeln. Zurzeit fehlen uns aber noch 600.000 Euro, um die Homebase zu realisieren.

Was wird aus den aktuellen Bewohnern?

Jutta Tappe: Zurzeit finden dort Männer in schwierigen Lebenslagen eine Übergangsbleibe. Diese Menschen haben einen hohen Betreuungsbedarf, den wir aber nur mit Hilfe der Diakonie und anderer Sozialverbände leisten können. Wenn das Übergangswohnheim zum Studierendenwohnheim wird, werden die jetzigen Bewohner nicht auf der Straße stehen, sondern eine adäquate Ersatzunterkunft finden. Das ist uns bei der Realisierung unseres Projektes Homebase sehr wichtig. 

Montag, 25. September 2023

Weltpolitik vor der Haustür

18 Menschen aus dem südwestukrainischen Stara Huta sind zurzeit Gast in der Speldorfer Kirchengemeinde Speldorf. Zuletzt waren Gemeindemitglieder aus St. Michael 2019 in Stara Huta zu Gast, um die 2005 beim katholischen Weltjugendtag in Köln geknüpften Freundschaftsbande zu bekräftigen. Mit Unterstützung der Übersetzerin Alexandra Knappik erklärt der 52-jährige Lehrer und Familienvater Tomasz Kaluski aus der 900-Seelen-Gemeinde Stara Huta, wie die Gäste aus der Bukowina den russischen Angriffskrieg auf ihr Land erleben und was ihnen die Freundschaft mit Menschen aus St. Michael bedeutet.

In Ihrem Land herrscht Krieg. Was bedeutet Ihnen vor diesem Hintergrund die Zusammenarbeit und die Begegnung mit den Menschen aus St. Michael?

Kaluski: Als der Krieg 2022 begann, haben wir eine große Hilfe aus St. Michael erfahren. Viele Gemeindemitglieder haben uns Pakete mit Lebensmitteln, Medikamenten, Hygieneartikeln und Verbandsmaterial geschickt. Aber auch den Ausbau unseres Wasserversorgungsnetzes hätten wir ohne das Geld aus St. Michael nicht bewerkstelligen können.

Mussten Sie in Ihrer Gemeinde Kriegsflüchtlinge aufnehmen?

Kaluski: 2022 kamen etwas mehr als 100 Menschen aus den bombardierten Gebieten zu uns. Sie wurden in der Schule und bei Familien untergebracht. Wir haben bei uns zuhause eine vierköpfige Familie aus Kiew aufgenommen. Ohne die Verbindung mit St. Michael hätten wir die Hilfe für die Flüchtlinge, von denen die meisten inzwischen wieder in ihre Heimatorte zurückgekehrt sind, nicht leisten können.

Ihre Gemeinde im Südwesten der Ukraine ist kein Frontgebiet, ist aber auch vom Krieg betroffen. Wie wirkt sich der russische Angriffskrieg auf Ihren Alltag aus?

Kaluski: Materiell bekommen nicht nur wir in der Ukraine, sondern alle Menschen in der Welt die Folgen des Krieges zu spüren. Aber für uns hat der Krieg schon 2014 mit der russischen Besetzung der Krim begonnen. Er ist für uns allgegenwärtig. Das ist psychisch sehr belastend und aufreibend. Trotzdem muss das normale Leben weitergehen. Sie haben eben weinende Frauen gesehen, deren Männer und Brüder an der Front sind. Zurzeit sind elf Männer aus unserem Dorf an der Front. Einer von ihnen ist verletzt worden. Aber Tote hatten wir Gott sei Dank noch nicht zu beklagen. Die Familien halten mit ihren Männern an der Front via Whatsapp Kontakt. Aber im Kampf müssen Sie ihre Smartphones ausschalten, damit sie die russische Armee nicht orten kann. Wir schicken auch Pakten an die Front. Viele Kinder malen Bilder für Ihre Väter an der Front.

Wurde Ihre Gemeinde schon von russischen Raketen getroffen?

Kaluski: Nein. Aber die am Schwarzen Meer abgeschossenen Raketen fliegen auch über unsere Region. In Lemberg und Iwano Frankiwsk, etwa 150 Kilometer westlich von uns, sind schon Raketen eingeschlagen und Menschen zu Tode gekommen. Viele russische Raketen werden aber von unserer Armee abgeschossen. Wenn Sie im Anflug sind, werden wir von einer Warn-App aufgefordert, uns in Sicherheit zu bringen.

Wo bringen Sie sich in Sicherheit?

Kaluski: Wir haben den Keller unserer Schule und den Keller unseres Bürgerhauses zu Luftschutzräumen ausgebaut.

Wie informieren Sie sich über den Krieg?

Kaluski: Wir haben zuhause kein Fernsehen. Andere Nachbarn haben aber Fernsehen. Meine Frau und ich informieren uns mit unseren Smartphones via Internet und Social Media. Unsere wichtigste Informationsquelle ist die Nachrichten App des ukrainischen Präsidenten Viber. Dort wird auch regelmäßig über die Hilfe in und aus Deutschland oder über die Treffen und Gespräche zischen Kanzler Scholz und Präsident Selenskyj berichtet. Zu Kriegsbeginn haben wir fast ständig in unsere Smartphones geschaut. Aber das war nicht gut. Man entwickelt eine Paranoia und das Leben unserer Familie muss ja weitergehen.

Wie sehen Sie Ihre Zukunft?

Kaluski: Dazu kann ich im Moment nichts sagen, nur so viel: Das Leben muss weitergehen. Ich versuche, positiv zu denken und vielleicht bekomme ich auch Kraft von oben. Ich hoffe, dass es ein Licht am Ende des Tunnels gibt und das am Ende alles gut wird. Ich bin enttäuscht, dass sich das russische Volk nicht gegen den Krieg gestellt hat. Aber ich danke den Deutschen, dass sie uns helfen. Und ich hoffe, dass sie das auch weiterhin tun werden.

 

Hintergrund: 

Schon bevor 2005 die ersten Weltjugendtagsgäste aus Stara Huta nach St. Michael kam, kannten sich der Caritas-Freiwillige Tomasz Kaluski und die damals noch für Caritas International arbeitende Christa Fölting aus St. Michael durch die Begegnung bei einer Caritas-Konferenz in Brüssel während der 1990er Jahre. Vor dem Krieg gab es eine direkte Flugverbindung zwischen Lemberg und Dortmund. Seit Kriegsbeginn können die Menschen aus Stara Huta nur von Rumänien aus das Ruhrgebiet anfliegen, weil der ukrainische Flugraum gesperrt ist. Rumänien, dessen Grenze zehn Kilometer von Stara Huta entfernt ist, erreichen sie per Bus.


Mülheimer Presse & St. Michael Mülheim-Speldorf

Sonntag, 24. September 2023

Starke Freunde

 Sie handeln, frei nach Erich Kästners Einsicht: "Es geschieht nichts Gutes, außer man tut es". Und das verbindet sie schon seit 1973 über Grenzen hinweg, den 1961 gegründeten Lions Club Mülheim und den 1965 gegründeten Lions Club Delft. Ihre Freundschaft und ihr gemeinsames und generationsübergreifendes Engagement für Menschen, die hüben wie drüben Hilfe brauchen, feierten die Lions jetzt mit einem Freundschaftstreffen in Mülheim. Nur ein Beispiel für gemeinsame und grenzübergreifende Projekte in den Bereichen Soziales, Bildung, Umwelt und Gesundheit, ist die Unterstützung der Mülheimer Tafel und der Delfter Lebensmittelbank. Beide Einrichtungen versorgen Menschen, die sich nicht mal eben einen Lebensmitteleinkauf im nächsten Supermarkt leisten können. Die Lebensmittelausgabe der Mülheimer Tafel findet sich beim Diakoniewerk Arbeit und Kultur an der Georgstraße 28. Zwischen einem Golfturnier und einem Abendessen im Selbecker Golfclub pflanzten die beiden Clubpräsidenten aus Mülheim auf der Anlage des Golfclubs zwei Kugelakkazien. "Diese Bäume sind sehr hitzebeständige und insofern nicht nur ein Symbol für unsere großartige Freundschaft, sondern auch ein kleiner Beitrag zum Klimaschutz in Zeiten des globalen Klimawandels", sagte der Mülheimer Clubpräsident Lothar Schneider, ehe er mit seinem Amtskollegen Peter  Vodegel mit Spaten und Gießkanne ans Werk ging. Zum deutsch-niederländischen Freundschaftstreffen an diesem Wochenende gehörte auch, im Rückblick, auf den Beginn der deutsch-niederländischen Lions Freundschaft eine Siebziger-Jahre-Motto-Party im Schloss Styrum. Das passte gut, residierten im Schloss Styrum doch bis 1809 die deutsch-niederländischen Grafen von Limburg Styrum.


Gemeinsame Geschichte


Ein Festvortrag zeigte interessante Gemeinsamkeiten zwischen Delft und Mülheim. Was die auf 14 Kilometer durch die Stadt fließende Ruhr für Mülheim, das sind die Maas, der Rhein und die Schelde für Delft. Die Stadt ist von Grachten durchzogen. Beide Städte haben mit Otto Pankok (Mülheim) und Jan Vermeer (Delft) berühmte Maler hervorgebracht. Und während des niederländischen Unabhängigkeitskrieges gegen Spanien (1568-1648) war Delft die Hauptstadt der Vereinigten Niederlande. Auch Mülheim wurde 1605 zum Schlachtfeld dieses Krieges. Gäste und Gastgeber waren sich einig: Auch in unserer Zeit, in dem der Krieg, siehe Ukraine, immer noch nicht überwunden ist, ist die europäische Zusammenarbeit auf allen Ebenen wichtiger denn je, um unseren gemeinsamen Kontinent zu stärken und seine Stimme im internationalen Konzert hörbar zur Geltung zu bringen. Kein Deutscher und kein Niederländer, sondern der Franzose und Philosoph Charles de Montesquieu mahnte seine europäischen Zeitgenossen 1748 dazu: "Die Staaten Europas müssen sich wie die Provinzen eines Landes verhalten, weil sie in jeder Hinsicht voneinander abhängig und aufeinander angewiesen
 sind."

Mittwoch, 6. September 2023

Mülheims erste Frau im Bundestag

Ministerpräsidentin, Oberbürgermeisterin, Bundeskanzlerin. Alles schon mal dagewesen. Und doch bleibt die Gleichberechtigung der Geschlechter in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bis heute ein Thema. Als die Christdemokratin Gisela Prätorius vor 70 Jahren als erste Frau für Mülheim in den zweiten Deutschen Bundestag gewählt wurde, waren Frauen in der Politik noch die Ausnahme. Mit der chritdemokratischen Juristin Dr. Elisabeth Schwarzhaupt sollte erst 1961 erstmals eine Frau, in ihrem Fall als Bundesgesundheitsministerin, Teil einer Bundesregierung werden. Dank der vier Mütter des Grundgesetztes, Elisabeth Selbert, Helene Müller, Helene Wessel und NN Nadig war die Rechtsgleichheit von Frau und Mann damals seit vier Jahren im Artikel 3 des Grundgesetzes verankert.

Aber die gesellschaftliche Wirklichkeit sah noch anders aus- Von Rechtswegen war der Ehemann und Vater das Oberhaupt der Familie. Nur mit seiner Zustimmung durften Ehefrauen und Mütter ein eigenes Konto eröffnen oder einen Arbeitsvertrag unterschreiben. Und nichtverheiratete Paare bekamen weder ein Hotelzimmer, geschweige denn eine Wohnung. Das sollte sich erst Mitte der 1970er Jahre ändern.

Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund trat die damals 51-jährige CDU-Landtagsabgeordnete Gisela Prätorius am 6. September 1953 bei der zweiten Bundestagswahl im Wahlkreis Mülheim an. Der wurde damals vom Sozialdemokraten Otto Striebeck in Bonn vertreten. Die aus Ostdeutschland stammende Berufsschullehrerin und fünffache Mutter hatte sich dort vor allem um die Jugend und Familie gekümmert. Gisela Prätorius, die in den 1920er Jahren an der Berliner Hochschule für Politik studiert hatte  und ihr Mann, der Pfarrer Wilhelm Prätorius gehörten während der NS-Zeit zur regimekritischen Bekennenden Kirche und standen deshalb unter ständiger Beobachtung und Repression der Geheimen Staatspolizei.

Vor allem die Erfahrung der NS-Diktatur und die von den deutschen Christen fast widerstandlos hingenommene Verfolgung und Ermordung ihrer jüdischen Nachbarn, motivierte Prätorius dazu, nach dem Kriegsende in der CDU politisch aktiv zu werden, die sich, anders, als die Zentrumspartei der Weimarer Republik, als überkonfessionelle christliche Volkspartei aufgestellt hatte. Neben Chris-, Sozial- und Freien Demokraten standen bei der zweiten Bundestagswahl am 6. September auch die 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotene Kommunistische Partei Deutschlands, die konservative Deutsche Partei, die Gesamtdeutsche Volkspartei und der Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten auf dem Wahlzettel.

Zwar konnten die Christdemokraten auf Bundesebene vom einsetzenden westdeutschen Wirtschaftswunder und von ihren populären Spitzenkandidaten, Bundeskanzler Konrad Adenauer und Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard profitieren. Hinzu kam, dass der von der Roten Armee und der SED am 17. Juni 1953 blutig niedergeschlagene Volksaufstand in der DDR Adenauers Politik der Westbindung in der Öffentlichen Meinung als alternativlos erscheinen ließ. Doch in Mülheim rechnete niemand mit dem Sieg der damals in Düsseldorf lebenden Christdemokratin Prätorius. Denn bei der Kommunalwahl 1952 hatten die Mülheimer Sozialdemokraten mit ihrem beliebten Oberbürgermeister Heinrich Thöne die politischen Früchte des Wiederaufbaus einfahren können. Sie waren mit 46,9 Prozent der Stimmen zur stärksten Partei geworden, während die CDU mit 27,2 Prozent der Stimmen abgeschlagen auf Platz Zwei der Wählergunst gelandet war.

Doch am Wahlabend des 6. September 1953 konnte Gisela Prätorius mit 42,6 Prozent der Erststimmen das Mülheimer Direktmandat gewinnen. Der amtierende SPD-Bundestagsabgeordnete Otto Striebeck ging diesmal mit 40,9 Prozent der Stimmen nur als zweiter durchs Ziel. Auch bei den Zweitstimmen hatten die Christdemokraten mit 40,5 Prozent die Nase vorn. Die Sozialdemokraten errangen 39,8 Prozent der Zweitstimmen und folgten mit knappem Abstand auf Platz Zwei.

Mülheimer Christdemokraten chauffierten ihre unerwartete Wahlsiegerin mit einer Autokolonne zum Gesellenhaus an der Pastor-Jakobs-Straße und ließen dort bei ihrer Wahlparty die Sektkorken knallen.

Für Gisela Prätorius blieb das Mülheimer Bundestagsmandat nur ein politisches Intermezzo. Bei der dritten Bundestagswahl schickten die Mülheimer Christdemokraten ihren Kreisvorsitzenden Max Vehar ins Rennen um das Mülheimer Direktmandat, dass dieser mit nur 844 Stimmen Vorsprung gewinnen sollte. Gisela Prätorius wechselte 1958 als Abgeordnete erneut in den Landtag. Sie starb 1981 im Alter von 79 Jahren. Bis heute sind Gisela Prätorius und Max Vehar die einzigen Christdemokraten geblieben, die das Mülheimer Direktmandat gewinnen konnten. Max Vehar, Helga Wex. Andreas Schmidt und Astrid Timmermann-Fechter sind später jeweils über die Landesliste der CDU in den Deutschen Bundestag eingezogen. 

Dienstag, 5. September 2023

Kommunale Außenpolitik

Besuche erhalten die Freundschaft. Begegnungen machen Freunde und Freude. Das ist der Kerngedankte der Mülheimer Städtepartnerschaften. Am vergangenen Wochenende begegneten Mülheimer Gastgeberinnen und Gastgeber aus Rat, Stadtverwaltung und aus den Reihen des seit 1995 aktiven Fördervereins Mülheimer Städtepartnerschaften ihren Gästen aus den Partnerstädten Darlington (England) und Beykoz (Türkei). Anlass des Besuches waren das 70-jährige Bestehen der Städtepartnerschaft mit Darlington und das 15-jährige Bestehen der Städtepartnerschaft mit Beykoz.


Auf dem Besuchsprogramm standen unter anderem eine Ausstellungseröffnung im Haus der Stadtgeschichte, die gemeinsame Teilnahme an der Gesellenlossprechung der Kreishandwerkerschaft und ein Festbankett im Restaurant der Stadthalle. Bei den bi- und trilateralen Gesprächen zwischen den Stadt- und Verwaltungsspitzen ging es unter anderem darum, wie man im Zeitalter der Digitalisierung das Internet, Soziale Medien und Videokonferenz-Plattformen nutzen kann, um den Kontakt zwischen den Partnerstädten wiederzubeleben und nach Möglichkeit auszubauen. Dabei wurden vor allem die Bereiche Bildung, Wirtschaft, Kultur, Sport und Verwaltung in den Blick genommen. Die Mülheimer Städtepartnerschaften werden auch ein Schwerpunktthema des Mülheimer Jahrbuches 2024 sein, das voraussichtlich Ende November erscheinen wird.

Mülheims Oberbürgermeister Marc Buchholz und Darlingtons Bürgermeisterin Jane Cossins dankten vor allem dem Vorsitzenden des Fördervereins Mülheimer Städtepartnerschaften, Dr. Gerhard Ribbrock, und dessen Darlingtoner Amtskollegen Tom Nutt für ihr langjähriges Engagement zur Aufrechterhaltung der Städtepartnerschaften. Buchholz würdige die Städtepartnerschaften als "kommunale Außenpolitik auf Bürgerebene." Nutt steht seit 2004 an der Spitze der Darlingtoner Twin-Town-and-International Association. Ribbrock, der seit 2014 an der Spitze des derzeit 372 Mitglieder zählenden Vereins der Mülheimer Städtepartner steht, sagte bei der Ausstellungseröffnung im Haus der Stadtgeschichte: "Wenn ich mir etwas wünschen wäre, dann wäre es die Mülheimer Ehrenbürgerschaft für Tom Nutt."

 
Im Foyer des Hauses der Stadtgeschichte zeigt eine Ausstellung der Mülheimer Städtepartner bis zum 24. Oktober eintrittsfrei die Geschichte der Mülheimer Städtepartnerschaften. Besuche erhalten die Freundschaft. Begegnungen machen Freunde und Freude. Das ist der Kerngedankte der Mülheimer Städtepartnerschaften. Am vergangenen Wochenende begegneten Mülheimer Gastgeberinnen und Gastgeber aus Rat, Stadtverwaltung und aus den Reihen des seit 1995 aktiven Fördervereins Mülheimer Städtepartnerschaften ihren Gästen aus den Partnerstädten Darlington (England) und Beykoz (Türkei). Anlass des Besuches waren das 70-jährige Bestehen der Städtepartnerschaft mit Darlington und das 15-jährige Bestehen der Städtepartnerschaft mit Beykoz.

Auf dem Besuchsprogramm standen unter anderem eine Ausstellungseröffnung im Haus der Stadtgeschichte, die gemeinsame Teilnahme an der Gesellenlossprechung der Kreishandwerkerschaft und ein Festbankett im Restaurant der Stadthalle. Bei den bi- und trilateralen Gesprächen zwischen den Stadt- und Verwaltungsspitzen ging es unter anderem darum, wie man im Zeitalter der Digitalisierung das Internet, Soziale Medien und Videokonferenz-Plattformen nutzen kann, um den Kontakt zwischen den Partnerstädten wiederzubeleben und nach Möglichkeit auszubauen. Dabei wurden vor allem die Bereiche Bildung, Wirtschaft, Kultur, Sport und Verwaltung in den Blick genommen. Die Mülheimer Städtepartnerschaften werden auch ein Schwerpunktthema des Mülheimer Jahrbuches 2024 sein, das voraussichtlich Ende November erscheinen wird.


Mülheims Oberbürgermeister Marc Buchholz und Darlingtons Bürgermeisterin Jane Cossins dankten vor allem dem Vorsitzenden des Fördervereins Mülheimer Städtepartnerschaften, Dr. Gerhard Ribbrock, und dessen Darlingtoner Amtskollegen Tom Nutt für ihr langjähriges Engagement zur Aufrechterhaltung der Städtepartnerschaften. Buchholz würdige die Städtepartnerschaften als "kommunale Außenpolitik auf Bürgerebene." Nutt steht seit 2004 an der Spitze der Darlingtoner Twin-Town-and-International Association. Ribbrock, der seit 2014 an der Spitze des derzeit 372 Mitglieder zählenden Vereins der Mülheimer Städtepartner steht, sagte bei der Ausstellungseröffnung im Haus der Stadtgeschichte: "Wenn ich mir etwas wünschen wäre, dann wäre es die Mülheimer Ehrenbürgerschaft für Tom Nutt."

 
Im Foyer des Hauses der Stadtgeschichte zeigt eine Ausstellung der Mülheimer Städtepartner bis zum 24. Oktober eintrittsfrei die Geschichte der Mülheimer Städtepartnerschaften.

Freitag, 1. September 2023

Denk ich an die Demografie

Nicht nur für die Mülheimer Stadtgesellschaft gilt: Wir werden älter und bunter. Ein knappes Drittel der Bürgerschaft gehört heute zur Generation 60 Plus. Tendenz steigend. Dabei konnte Mülheim seit 2015 seine Bevölkerungsverluste durch Zuwanderung kompensieren, so dass die Stadtbevölkerung seitdem von 162.000 auf 174.000 angestiegen ist.

Die Bevölkerungsgewinne gehen aber auf die Bevölkerung nicht-deutschen Ursprungs zurück. Etwa 40 Prozent der Neugeborenen stammen aus Zuwandererfamilien. Ein Viertel der Mülheimer hat einen Migrationshintergrund. In unserer Stadt leben heute Menschen aus mehr als 140 Nationen. Das birgt Chancen und Risiken. 

Zuwanderung

Aktuell geht die Demografie davon aus, dass Deutschland jährlich 400.000 Zuwanderer bräuchte, um seine alterungsbedingten Bevölkerungsverluste ausgleichen zu können. Wir sehen schon heute den zunehmenden Fachkräfte Mangel, der uns als Gesellschaft vor allem Integration und Qualifikation abverlangt.

Die Geschichte der Gastarbeiter, die zwischen 1956 und 1973 nach Deutschland kamen, um den Personalmangel auszugleichen zeigt, dass Deutschland, anders als etwa die USA, Neuseeland, Australien und Kanada, sich nicht als Einwanderungsland sehen und deshalb auch erst ansatzweise und verspätet eine Integrationspolitik entwickelt haben.

Flucht

Sozial- und wirtschaftspolitisch müssen Arbeitszuwanderung und Flüchtlingszustrom voneinander unterschieden werden. Vor 75 Jahren verankerte der Parlamentarische Rat das Asylrecht im Artikel 16 des Grundgesetzes. Die 61 Väter und vier Mütter des Grundgesetzes zogen damit die historischen Lehren aus der deutschen Emigration der NS-Zeit.

Dass vor allem die Kommunen die sozial- und finanzpolitischen Folgen einer hunderttausendfachen Zuflucht tragen müssten, war im Nachkriegsdeutschland unvorstellbar. Derzeit gehen die Vereinten Nationen davon aus, dass weltweit 100 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Vor diesem Hintergrund muss sozial- und finanzpolitisch abgewogen werden, wie aufnahmen bereit und aufnahmefähig unsere Gesellschaft ist. Vor diesem Hintergrund wird politisch darüber diskutiert, ob das individuelle Asylrecht nach Artikel 16/GG in ein institutionelles Asylrecht umgewandelt werden sollte, um die Aufnahme von Flüchtlingen von der wirtschaftlichen und sozialen Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft variabel abhängig machen zu können.

Deshalb haben die Abwerbung und Zuwanderung von Fachkräften zwei Seiten. Sie stärken zwar den Standort Deutschland, schwächen aber die Herkunftsländer und produzieren so langfristig neue Wirtschaftsflüchtlinge.

Herausforderungen

Aus dem demografischen Wandel ergeben sich für unsere Gesellschaft folgende Herausforderungen:

Wir müssen Integration, Bildung und Beschäftigung fördern. Die Bertelsmannstiftung weist darauf hin, dass rund sechs Prozent der Beschäftigten ohne eine Berufsausbildung auf den Arbeitsmarkt strömen. Unter den Zuwanderern sind es sogar 13 Prozent. Mit einer Frauenerwerbsquote von rund 45 Prozent steht Deutschland international inzwischen vergleichsweise hut da.

Angesichts des Bevölkerungsschwundes, der mit dem sogenannten Pillenknick ab 1970 einsetzte, stellt sich die Frage, was muss unsere Gesellschaft leisten, um potenzielle Eltern in die Lage zu versetzen, Familie und Beruf verantwortungsbewusst miteinander vereinbaren zu können. Denn Konrad Adenauers Feststellung: "Kinder bekommen die Leute immer", gilt angesichts einer deutschen Fertilitätsrate von 1,58 Kindern pro Frau, schon lange nicht mehr. Obwohl es in Deutschland seit 2013 einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gibt, ist das Angebot der Kinderbetreuung bei uns weiterhin unzureichend. Angesichts einer durchschnittlichen Bedarfsdeckung von 40 Prozent, müssen Unternehmen verstärkt Gemeinden mit der Schaffung betriebsinterner Kinderbetreuung, wie sie zum Beispiel schon im Mülheimer Finanzamt praktiziert wird, unterstützen und entlasten, um Familiengründung und Berufstätigkeit zu ermöglichen.

Während westliche Industrieländer, wie die Bundesrepublik, in schrumpfenden und alternden Gesellschaften leben, haben viele afrikanische Staaten mit Überbevölkerung zu kämpfen. Hier kommen statistisch vier bis sechs Kinder auf eine Frau.

Zwar profitiert Deutschland vom technischen und medizinischen Fortschritt, der die durchschnittliche Lebenserwartung seit dem Jahr 1900 von 70 auf jetzt rund 80 hat steigen lassen. Doch eine längere Lebensarbeitszeit zeigt sich auf dem Arbeitsmarkt nur als punktuelle, aber nicht als generelle Lösung. Abhängig von Beruf und Gesundheit schwanken die Renteneintrittsalter.

Um unsere sozialen Sicherungssysteme zu stabilisieren, kann man, wie in Österreich oder zahlreichen skandinavischen Ländern die Finanzierungsbasis in Form einer Bürgerversicherung, bei der alle in eine Versicherung einzahlen, erweitern und darüber hinaus soziale Leistungen auch verstärkt steuerfinanzieren. Letzteres kann das zunehmende demografische Ungleichgewicht zwischen Rentnern und Erwerbstätigen aber nur bedingt ausgleichen.

Grundsätzlich gilt für jede Gesellschaft: Sozialleistungen müssen zunächst einmal erwirtschaftet werden. Hinzu kommt: In dem Maße, in dem eine Volkswirtschaft auf prekären Arbeitsverhältnissen basiert, produziert sie keinen Wohlstand, sondern Armut und insbesondere Altersarmut, die von der Allgemeinheit in Form einer sozialen Grundsicherung finanziert werden muss. Derzeit bewegt sich der Anteil der prekären Arbeitsverhältnisse zwischen 20 und 25 Prozent. Wo das Arbeitseinkommen also nicht den Mann und die Frau, geschweige denn eine Familie ernährt, werden nicht nur soziale Transferleistungen notwendig. Gleichzeitig führt die fehlende Planungssicherheit zum Verzicht auf eine Familiengründung oder zu einer potenziell dauerhaften Abhängigkeit von sozialen Transferleistungen. In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass vor allem alleinerziehende Eltern und ihre Kinder von Armut betroffen sind.


Dieser Text ist Arbeit und wird zeitnah ergänzt.


Junge Schule

 Schülerinnen und Schüler machen Schule. Das nahm die Schülervertretung an der Willy-Brandt-Schule in Styrum an einem von ihr organisierten ...