Ministerpräsidentin, Oberbürgermeisterin, Bundeskanzlerin.
Alles schon mal dagewesen. Und doch bleibt die Gleichberechtigung der
Geschlechter in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bis heute ein Thema. Als
die Christdemokratin Gisela Prätorius vor 70 Jahren als erste Frau für Mülheim
in den zweiten Deutschen Bundestag gewählt wurde, waren Frauen in der Politik
noch die Ausnahme. Mit der chritdemokratischen Juristin Dr. Elisabeth
Schwarzhaupt sollte erst 1961 erstmals eine Frau, in ihrem Fall als
Bundesgesundheitsministerin, Teil einer Bundesregierung werden. Dank der vier
Mütter des Grundgesetztes, Elisabeth Selbert, Helene Müller, Helene Wessel und
NN Nadig war die Rechtsgleichheit von Frau und Mann damals seit vier Jahren im
Artikel 3 des Grundgesetzes verankert.
Aber die gesellschaftliche Wirklichkeit sah noch anders aus-
Von Rechtswegen war der Ehemann und Vater das Oberhaupt der Familie. Nur mit
seiner Zustimmung durften Ehefrauen und Mütter ein eigenes Konto eröffnen oder
einen Arbeitsvertrag unterschreiben. Und nichtverheiratete Paare bekamen weder
ein Hotelzimmer, geschweige denn eine Wohnung. Das sollte sich erst Mitte der
1970er Jahre ändern.
Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund trat die damals
51-jährige CDU-Landtagsabgeordnete Gisela Prätorius am 6. September 1953 bei
der zweiten Bundestagswahl im Wahlkreis Mülheim an. Der wurde damals vom Sozialdemokraten
Otto Striebeck in Bonn vertreten. Die aus Ostdeutschland stammende Berufsschullehrerin
und fünffache Mutter hatte sich dort vor allem um die Jugend und Familie
gekümmert. Gisela Prätorius, die in den 1920er Jahren an der Berliner
Hochschule für Politik studiert hatte
und ihr Mann, der Pfarrer Wilhelm Prätorius gehörten während der NS-Zeit
zur regimekritischen Bekennenden Kirche und standen deshalb unter ständiger
Beobachtung und Repression der Geheimen Staatspolizei.
Vor allem die Erfahrung der NS-Diktatur und die von den
deutschen Christen fast widerstandlos hingenommene Verfolgung und Ermordung
ihrer jüdischen Nachbarn, motivierte Prätorius dazu, nach dem Kriegsende in der
CDU politisch aktiv zu werden, die sich, anders, als die Zentrumspartei der
Weimarer Republik, als überkonfessionelle christliche Volkspartei aufgestellt
hatte. Neben Chris-, Sozial- und Freien Demokraten standen bei der zweiten
Bundestagswahl am 6. September auch die 1956 vom Bundesverfassungsgericht
verbotene Kommunistische Partei Deutschlands, die konservative Deutsche Partei,
die Gesamtdeutsche Volkspartei und der Bund der Heimatvertriebenen und
Entrechteten auf dem Wahlzettel.
Zwar konnten die Christdemokraten auf Bundesebene vom
einsetzenden westdeutschen Wirtschaftswunder und von ihren populären
Spitzenkandidaten, Bundeskanzler Konrad Adenauer und Bundeswirtschaftsminister
Ludwig Erhard profitieren. Hinzu kam, dass der von der Roten Armee und der SED
am 17. Juni 1953 blutig niedergeschlagene Volksaufstand in der DDR Adenauers
Politik der Westbindung in der Öffentlichen Meinung als alternativlos
erscheinen ließ. Doch in Mülheim rechnete niemand mit dem Sieg der damals in
Düsseldorf lebenden Christdemokratin Prätorius. Denn bei der Kommunalwahl 1952
hatten die Mülheimer Sozialdemokraten mit ihrem beliebten Oberbürgermeister
Heinrich Thöne die politischen Früchte des Wiederaufbaus einfahren können. Sie
waren mit 46,9 Prozent der Stimmen zur stärksten Partei geworden, während die
CDU mit 27,2 Prozent der Stimmen abgeschlagen auf Platz Zwei der Wählergunst
gelandet war.
Doch am Wahlabend des 6. September 1953 konnte Gisela
Prätorius mit 42,6 Prozent der Erststimmen das Mülheimer Direktmandat gewinnen.
Der amtierende SPD-Bundestagsabgeordnete Otto Striebeck ging diesmal mit 40,9 Prozent der Stimmen nur als zweiter
durchs Ziel. Auch bei den Zweitstimmen hatten die Christdemokraten mit 40,5
Prozent die Nase vorn. Die Sozialdemokraten errangen 39,8 Prozent der
Zweitstimmen und folgten mit knappem Abstand auf Platz Zwei.
Mülheimer Christdemokraten chauffierten ihre unerwartete
Wahlsiegerin mit einer Autokolonne zum Gesellenhaus an der Pastor-Jakobs-Straße
und ließen dort bei ihrer Wahlparty die Sektkorken knallen.
Für Gisela Prätorius blieb das Mülheimer Bundestagsmandat
nur ein politisches Intermezzo. Bei der dritten Bundestagswahl schickten die
Mülheimer Christdemokraten ihren Kreisvorsitzenden Max Vehar ins Rennen um das
Mülheimer Direktmandat, dass dieser mit nur 844 Stimmen Vorsprung gewinnen
sollte. Gisela Prätorius wechselte 1958 als Abgeordnete erneut in den Landtag.
Sie starb 1981 im Alter von 79 Jahren. Bis heute sind Gisela Prätorius und Max
Vehar die einzigen Christdemokraten geblieben, die das Mülheimer Direktmandat
gewinnen konnten. Max Vehar, Helga Wex. Andreas Schmidt und Astrid
Timmermann-Fechter sind später jeweils über die Landesliste der CDU in den
Deutschen Bundestag eingezogen.
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