Dienstag, 16. Mai 2023

SPITZENFORSCHUNG VOR DER HAUSTÜR

 Chemische Energiekonversion. Damit beschäftigt sich das jüngere der beiden Max-Planck-Institute am Kahlenberg. Das interessiert doch nur Chemiker! Könnte man denken. Doch man würde damit falsch liegen, Das zeigte der publikumsübergreifende Publikumsandrang beim Tag der offenen Tür, zu dem das 2012 gegründete und derzeit von Walter Leitner geführte Institut an der Stiftstraße jüngst eingeladen hatte. "Freudig überrascht und begeistert", zeigte sich der Institutsdirektor und sprach von einem "Supertag"!


Interesse zeigten die Besucherinnen und Besucher des MPI für Chemische Energiekonversion (MPI-CEC) nicht nur an der für die Energiewende relevanten Grundlagenforschung, die daran arbeitet, dass auch die Energie, die von Wasser, Wind und Sonne erzeugte "erneuerbare" Energie mittels chemischer Reaktionen gespeichert, transportiert und wieder freigesetzt werden kann. So könnte eines Tages die an der deutschen Nordseeküste produzierte Windenergie auch im Süden der Republik ankommen, wenn denn die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dafür geschaffen würden.

Damit die wissenschaftliche Erkenntnis auch in der sie anwendenden Wirtschaft und von dort aus hoffentlich auch in die Politik gelangen, kooperiert das MPI-CEC, dessen Vorläufer am Ende der 1950er Jahre als eine strahlenchemische Abteilung des 1912 gegründeten MPI für Kohlenforschung angefangen hat, auch mit Unternehmen, wie Thyssen-Krupp oder anderen Forschungsinstituten, wie dem Frauenhofer-Institut in Oberhausen. 

Finanziert wird die Grundlagenforschung an den beiden Mülheimer MPIs im Rahmen der steuerfinanzierten Forschungsförderung, die Bund und Länder an die Max-Planck-Gesellschaft vergeben, die wiederum das Geld an ihre bundesweit 85 Institute verteilt. Im Jahr 2021 belief sich diese Forschungsförderung des Bundes und der Länder, nach Angaben der Max-Planck-Gesellschaft auf insgesamt 1,97 Milliarden Euro.

Aktuell arbeiten 280 Mitarbeitende in den vier Fachabteilungen des MPI-CEC, von denen sich 250 an den 35 Informationsstationen und in zwei, mit jeweils 120 Zuhörerinnen und Zuhörern, vollbesetzten Experimentalvorlesungen beteiligten. Dabei zeigte ein Rundgang durch die seit 2017 neuerrichteten Institutsgebäude, dass das MPI-CEC nicht nur naturwissenschaftliche, sondern auch verwaltungstechnische Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu bieten hat.

Ende 2024 soll auch der vierte Neubau des MPI-CEC fertiggestellt sein. Im sogenannten C-Gebäude werden dan die Elektronenmikroskope des Institutes aufgestellt. Langfristig braucht das Institut auch zwei neue Abteilungsleiterinnen oder Abteilungsleiter. Wann diese wissenschaftlich hochqualifizierten Stellen besetzt werden können, ist nach Angaben der Institutsleitung aber noch nicht abzusehen.


Mülheimer Presse & MPI-CEC



Samstag, 13. Mai 2023

Aufgelesen

 Hans-Georg Specht ist einer von vier noch lebenden Altoberbürgermeistern. Das Ende seiner durch die erste schwarzgrüne Ratsmehrheit (1994 bis 1999) ermöglichte Amtszeit liegt bereits 24 Jahre zurück. Und doch kümmert sich der heute 82-Jährige, der früher in der Stadtmitte und seit 2017 in Saarn zu Hause ist, immer noch ganz handfest darum, was in unserer Stadt und in seinem Wohnumfeld passiert und vor allem darum, was besser nicht passieren sollte.

Der pensionierte Polizeihauptkommissar mit einer kommunalpolitischen Vergangenheit in der CDU versteht sich als ein Wertkonservativer. Verstöße gegen Recht und Ordnung und damit gegen soziale Normen, die ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben erst möglich machen, sind ihm ein Dorn im Auge. Mit seinem Spazierstock und mit seinem Hund streift er gern und viel durch Stadt und Natur. Dabei sind ihm immer wieder und überall achtlos weggeworfenen Anti-Corona-Schutzmasken aufgefallen und aufgestoßen.

Doch Specht wollte sich nicht nur ärgern, sondern auch etwas tun und sammelte deshalb ab Anfang 2022 eine Schutzmasken nach der anderen, um sie ordnungsgemäß zu entsorgen. Dabei diente ihm sein Spazierstock als tragbarer Maskenpicker und Maskenträger.

So unterwegs, erntete er manche Anerkennung und auch manchen Spott und manches mitleidige Lächeln. Doch eine Zahl spricht für ihn und sein selbstgewähltes bürgerschaftliches Engagement seit Beginn der vergangenen 17 Monate. Denn Specht bei seinen Spaziergängen, bei denen er sich buchstäblich um den Dreck anderer Leute kümmerte, 5207 weggeworfene Schutzmasken ordnungsgemäß von der Straße geholt und ordnungsgemäß entsorgt. Doch bei dieser löblichen Aktion, für die er mindestens ein dickes Dankeschön der Mülheimer Entsorgungsgesellschaft (MEG) verdient hätte, beließ es der Alt-OB nicht. So manchen Drecksspatz, den er auf frischer Tat ertappte, hat er angesprochen.

Vor allem im Umfeld des Schulzentrums Sam und an den Bushaltestellen zwischen Düsseldorfer Straße und Kölner Straße, auch auf dem Auberg wurde er fündig. Bei seinen Streifzügen in Sachen öffentlicher Sauberkeit, sammelte er nicht nur Masken, sondern auch etliche ausgetrunkene Tetrapacks auf. Vor allem die zahlreich von ihm angetroffenen und angesprochenen jugendlichen Umweltsünder aus der Fridays-for-Future- Generation packte er rhetorisch bei ihrem Umweltgewissen. Manche kommentierten seine Ansprache mit gleichgültigem Achselzucken oder der rhetorischen Gegenfrage: „Was willst du Opa denn eigentlich?“ Andere zeigten sich einsichtig, entschuldigten sich und hoben die weggeworfene Maske oder den weggeworfenen Tetrapack wieder auf und warfen ihren Müll in den nächsten Mülleimer.

Über ein Erlebnis, dass er als Wanderprediger in Sachen praktizierter Umweltschutz hatte, muss er noch heute lachen. Specht erzählt: „Einen Schüler, der seine Anti-Corona-Schutzmaske achtlos weggeworfen hatte, fragte ich: Was hältst du eigentlich von Fridays for Future? Seine Antwort kam prompt: Das ist echt cool! Als ich ihn dann fragte: Und warum verschmutzt du dann deine eigene Umwelt, wurde der junger Mann nachdenklich und hob die weggeworfene Maske kleinlaut wieder auf, während einer seiner Klassenkameraden Specht mir im Weitergehen zurief: Das hast du echt cool gemacht, Opa!“ Im Halse stecken blieb Specht das Lachen aber, als er eines Tages einen Jugendlichen dabei beobachtete, wie er seinen ausgetrunkenen Tetrapack über eine Gartenhecke warf. Als er ihn auf sein Fehlverhalten ansprach, antwortete ihm dieser: „Ich bin doch Basketballer!“ und ging uneinsichtig seiner Wege.

Für den langjährigen Polizeibeamten, Kommunalpolitiker und Familienvater, Hans-Georg Specht, dem auch mit 82 nicht egal ist, was um ihn herum und bei uns passiert, sieht den Umweltvandalismus vor allem als ein Erziehungsproblem, der nach seiner Ansicht nicht von Polizei, Ordnungsamt, MEG oder Ruhrbahn gelöst werden kann, sondern nur von engagierten Eltern, Lehrern und Erziehern. Schülerinnen und Schüler, die zum Beispiel regelmäßig mit einer Müllzange das Umfeld ihrer Schule vom wilden Müll befreien, wäre für ihn gutes pädagogisches Mittel der Wahl.


Mülheimer Presse und: Zur MEG

Freitag, 12. Mai 2023

Texte und Lieder gegen das Vergessen

 10 Mai 1933: NS-Studierende verbrennen Bücher regimekritischer Autorinnen und Autoren. 10 Mai 2023: 30 Mülheimerinnen und Mülheimer versammeln sich im Medienhaus und damit am Ort der 1938 niedergebrannten jüdischen Synagoge, um Texte von Autorinnen und Autoren zu hören, die von den Nationalsozialisten verfolgt, ermordet oder ins Exil getrieben wurden.

 

Zum Vorleseteam gehören unter anderem Bürgermeisterin Ann-Kathrin Allekotte, die Stadträtinnen, Margarete Wietelmann und Franziska Krumwiede-Steiner, der Buchhändler Michael Fehst, Bibliothekschefin, Claudia vom Felde, ihre Kollegin Diana Hellmuth, Theaterschauspielerin, Maria Neumann, und die Vorsitzende des Mülheimer Geschichtsvereins Ursula Hilberath. Die zweieinhalbstündige Veranstaltung begleitet und bereichert Hartmut Kremer mit seiner Gitarre und seiner Stimme. Seine Lieder, zum Teil von ihm selbst und zum Teil von Hannes Wader und Franz-Josef Degenhardt geschrieben, sind mit Ausnahme der „Moorsoldaten“ erst nach 1945 geschrieben, passen aber in den Rahmen.

 

Die gelesenen und gesungenen Texte, die man zu hören bekommt, beschreiben zeitlos aktuelle Menschheitsthemen: Liebe und Hass, Macht und Ohnmacht, Freiheit und Unterdrückung, Ausbeutung und Gerechtigkeit. Vieles klingt erschreckend aktuell, etwa Erich Maria Remarques 1929 in seinem Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“ geschriebenes Soldatenwort: „Gut, dass der Krieg hier stattfindet und nicht bei uns. Besser ist es aber, wenn er gar nicht stattfindet.“ Der Krieg in der Ukraine steht allen vor Augen.

 

Franziska Krummwiede-Steiner, die Remarques Text liest und neben ihrem kommunalpolitischen Engagement an der Gustav-Heinemann-Schule unterrichtet, findet, „dass die nicht nur intellektuell, sondern auch emotional berührenden Texte von regimekritischen Autorinnen und Autoren auch heute Jugendlichen deutlich machen können, was die Abwesenheit von Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit bedeuten.“ Margarete Wietelmann beendet ihre Lesung mit dem Appell: „Da Rechtsextremisten heute wieder ihre Hassbotschaften unter Jugendlichen verbreiten, zeigt uns, dass wir unsere Demokratie verteidigen müssen.“ Für Maria Neumann vom Theater an der Ruhr, die Bert Brechts „letzte Rede der heiligen Johanna der Schlachthöfe“ liest, ist es „besorgniserregend, dass auch heute Autoren und Journalisten für ihre Texte verfolgt und politisch angefeindet werden, so dass die Organisation Reporter ohne Grenzen auch Deutschland in Sachen Pressefreiheit international auf Platz 16 zurückgestuft hat.“

 

„Für uns als Stadtbibliothek ist eine solche Veranstaltung am Gedenktag der NS-Bücherverbrennung ein absolutes Muss“, unterstreicht Bibliothekarin Diana Hellmuth. Der in der DDR aufgewachsene Buchhändler, Michael Fehst, hat sich für Texte des 1934 im KZ Oranienburg ermordeten anarchistischen Schriftstellers, Erich Mühsam, entschieden. „Er ist ein anschauliches Beispiel, dass Menschen in einer Diktatur ihr persönliches Potenzial nicht ausleben können.“ Mit Dank und der Aussicht: „Auf Wiedersehen am 10. Mai 2024!“ entlässt Initiator Wolfgang Hausmann nach einer sozialkritischen Erzählung von Anna Segas alle Teilnehmenden und Mitwirkenden einer bedenkenswerten Literatur- und Lehrstunde.

Mittwoch, 10. Mai 2023

"Menschen sind Menschen und Politik ist Politik!"

Die Weltpolitik betrifft auch Mülheim. Das machte Oberbürgermeister, Marc Buchholz, am Freitag bei einer Feierstunde im Ratssaal deutlich. 25 Aktive der 1992 von Dagmar van Emmerich ins Leben gerufenen Initiative Tschernobyl-Kinder wurden von Buchholz mit einer Urkunde und mit einem Eintrag ins Gästebuch der Stadt für ihr humanitäres Engagement geehrt.

Jürgen Skotschke, der seit 2022 an der Spitze der Tschernobyl-Initiative steht, ließ mit einer Fotoshow den seit 30 Jahren geleisteten Einsatz für die Menschen in Weißrussland Revue passieren. Zwei Drittel der atomaren Verstrahlung traf 1986 zwei Millionen Menschen in Weißrussland. In der 45.000-Einwohner-Stadt-Zhodino, 60 Kilometer östlich von der Hauptstadt Minsk  und im 2000-Einwohner-Ort Dobryn, das 260 Kilometer östlich von Minsk und damit nahe der ukrainischen Grenze liegt, hat die Unterstützung der Tschernobyl-Initiative für die dort lebenden Menschen segensreich gewirkt. Neben vielen Freundschaften, die seit 1992 entstanden sind, stehen die Förderung mehrerer Schulen, einer Sozialstation, Fortbildung, Einzelfallhilfen sowie die Gründung und Förderung eines inklusiven Jugendzentrums und einer inklusiven Werkstatt auf der Haben-Seite der Initiative Tschernobyl-Kinder Möglich wurde all das durch bürgerschaftliches Engagement in unserer Stadt. Denn hier arbeiten Ehrenamtliche im Tschernobyl-Laden am Kohlenkamp 2. Sie verkaufen (werktags von 10 bis 15- und samstags von 10 bis 13 Uhr) dort für kleines Geld Gutes aus zweiter Hand, dass ihnen Menschen gespendet haben. So kommt ein Euro für die guten Taten der Initiative Tschernobyl-Kinder zum anderen.

Bis 1990 waren Weißrussland und die Ukraine Teil der Sowjetunion. Seit der russische Präsident Putin am 24. Februar 2022 den Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen hat, sind Russlands Verbündeter Weißrussland und die Ukraine Kriegsgegner.

„Wir haben darüber diskutiert, ob ich das Grußwort des weißrussischen Botschafters, in dem er sich für die humanitäre Hilfe der Initiative Tschernobyl-Kinder bedankt, vorlesen soll“, räumt Oberbürgermeister Buchholz ein. Dass er sich dafür entschieden hat, begründet er mit dem Hinweis, „dass wir uns einen baldigen Frieden und eine positive Veränderung der geopolitischen Lage wünschen, die humanitäre Hilfe für die Menschen in Weißrussland und in der Ukraine möglich macht.“ Für Buchholz hat die Reaktor-Katastrophe in Tschernobyl unser Leben ebenso nachhaltig verändert, wie die islamistischen Terroranschläge des 11. September 2001.

Der 44-jährige IT-Fachmann Oliauzimir Malkowich, seine Mutter Galina Malkowich, die weißrussische Lehrerin Swetlana Kosiecka, die aus der Ukraine stammende Elena Briel und die aus Usbekistan stammende Irina Borosaja verbindet ihr Engagement in und mit der Tschernobyl-Initiative. Für sie gilt: „Politik ist Politik. Und Menschen sind Menschen.“

Auch der Vorsitzende der Initiative, Jürgen Skotschke, ist überzeugt, „dass wir als Vertreter einer zivilgesellschaftlichen Hilfsorganisation mehr für die Menschen in Weißrussland und in der Ukraine erreichen können, als es Politiker könnten. Allerdings weist er darauf hin, „dass wir derzeit aufgrund der internationalen Sanktionen gegen Weißrussland derzeit weder Geld- noch Sachspenden dorthin bringen können.“

Deshalb schickte die Initiative Tschernobyl-Kinder e.V. im November 2022 mehr als 900 „Schuhkartons der Hoffnung“, gut gefüllt mit gespendeten Dingen, die man fürs Über-Leben braucht, nicht nach Weißrussland, sondern über die polnischen Partnerstadt Opole (Oppeln) in deren ukrainische Partnerstadt Iwano-Frankiwsk.

Damals packte auch OB Buchholz mit an und ließ sich von Jürgen Skotschke als Mitglied für die Initiative Tschernobyl-Kinder werben. Tatsächlich konnte Skotschke nach dem Festakt im Ratssaal neue Mitglieder begrüßen, die ihm im Vorbeigehen einen Aufnahmeantrag in die Hand drückten. „Sobald das möglich ist, werden wir unsere Hilfe für die Menschen im weißrussischen Zhodino und in Dobryn wieder aufnehmen. Wir sind aber auch bereit, uns in das neue Städtepartnerschaftsdreieck zwischen Mülheim, Oppeln und Iwano- Frankiwsk  einzubringen“, betont Jürgen Skotschke.

Für Oliauzimir Malkowich, der 1993 zu den ersten Tschernobyl-Kindern gehörte, die bei den van Emmerichs und anderen Mülheimer Gasteltern einen Erholungsurlaub erlebten und im Bonner Kinderkrankenhaus gegen ihre aus der atomaren Verstrahlung resultierenden Krebserkrankung behandelt wurden, ist es heute noch wie ein Wunder, „dass ich mithilfe so vieler sozial engagierter und guter Menschen in Deutschland meine Krankheit überleben und meinen Horizont erweitern konnte.“ 


Montag, 8. Mai 2023

Als die Bücher brannten

 10. Mai 1933. In Deutschland brennen Bücher von Autorinnen und Autoren, wie etwa Erich Kästner, Anna Segas, Bert Brecht, Kurt Tucholsky oder Heinrich Mann. „Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man irgendwann auch Menschen“, sagt damals Erich Kästner, der heute Namensgeber einer Mülheimer Grundschule ist. Er sollte Recht behalten.

Auch wenn in Mülheim, das damals noch kein Hochschulstandort war, am 10. Mai 1933 keine Bücher verbrannt wurden, weil die Bücherverbrennungen von NS-Studentenschaften initiiert wurden, haben Rezitator Wolfgang Hausmann aus Heimaterde und Liedermacher Hartmut Kremer aus der Stadtmitte, am 10. Mai im Medienhaus am Synagogenplatz, mit einer musikalisch begleiteten Lesung „ein Zeichen gesetzt für Demokratie, Freiheit und Menschenwürde, die auch heute leider gefährdet sind und deshalb aktiv verteidigt werden müssen.“ So hat Wolfgang Hausmann mit Bestürzung in dieser Zeitung gelesen, dass die republikanische Regierung des US-Bundesstaates Idaho kürzlich angeordnet hat, alle Büch aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt werden müssen, die die Themen Homosexualität und Asexualität zum Thema haben. 

Auch in der Mülheimer Stadtbibliothek verschwanden während der NS-Zeit Bücher, die den Nationalsozialisten nicht in ihr Weltbild passten aus den Regalen. Un neben Presse und Hörfunk wurden ab 1933 auch die Schulbücher politisch gleichgeschaltet, weshalb sie 1945 wieder aus dem Verkehr gezogen werden mussten und nicht wenige Lesetexte für die Mülheimer Schülerinnen und Schüler, mangels Papiers, zunächst nicht in neuen Schul- und Lesebüchern, sondern in der von den Alliierten beaufsichtigten Lokalpresse erschienen.


„Wir wollen mit unserer Lesung nicht nur mahnen und erinnern, sondern auch zeigen, dass wir es hier mit Autorinnen und Autoren zu tun haben, deren vom freiheitlichen und demokratischen Geist geprägte Texte auch Spaß machen“, sagt Hartmut Kremer. Mit seiner Gitarre und seiner Stimme wird Kremer die Lesung am 10. Mai musikalisch begleiten. Wolfgang Er weist darauf hin, dass die Lesung, angesichts von 130 Autoren, deren Texte am 10. Mai 1933 von Nationalsozialisten verbrannt wurden, nur einen Ausschnitt der verfemten Literatur darstellen kann.




Samstag, 6. Mai 2023

Hitlers Schlag gegen die Gewerkschaften

 Gewerkschaften machen sich nicht immer beliebt. Die Tarifauseinandersetzung im Öffentlichen Dienst und die damit verbundenen Belastungen der steuerzahlenden Bürgerschaft zeigen es. Doch ein Blick in den Mai 1933, zeigt wie systemrelevant Gewerkschaften für eine funktionierende Demokratie sind.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) werden die Ende März gewählten Betriebsräte im April 1933 abgesetzt und durch Mitglieder der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NBO) ersetzt. Am 1. Mai 1933 begeht man den seit 1890 gefeierten Kampftag der deutschen Arbeiterbewegung erstmals als staatlichen Feiertag der „nationalen Arbeit“.

Im Rückblick auf den 1. Mai 1933 schreibt die von der NS-Regierung gleichgeschaltete Mülheimer Zeitung: „Ganz Mülheim feierte die Volksgemeinschaft. Es war ein Maifest, wie es noch keines gegeben hat und wie es nur die weltgeschichtliche Umformung des politischen Lebens unserer Tage zustande bringen konnte.“ Am 2. Mai 1933 zeigen die neuen Machthaber auch in Mülheim ihr wahres Gesicht. Die Gewerkschaften werden zerschlagen. SA- und SS-Männer stürmen als „Hilfspolizei“ die Gewerkschaftshäuser. Sie beschlagnahmen das Gewerkschaftsvermögen, verhaften Gewerkschaftsführer und durchsuchen ihre Wohnungen. Regimekritische Gewerkschafter, die bisher in Häusern ihrer Gewerkschaft gewohnt haben, werden auf die Straße gesetzt und müssen sich eine neue Bleibe suchen. Am 3. Mai 1933 schreibt die Lokalpresse im Sinne des Regimes: „Das Ende der freien Gewerkschaften geschah zur Befreiung des deutschen Arbeiters von den letzten marxistischen Fesseln. Eine neue große Arbeitsfront soll nun entstehen. Es soll keine Zersplitterung mehr geben.“ Die politisch gleichgeschaltete Deutsche Arbeitsfront (DAF) zieht in das bis dahin christliche Gewerkschaftshaus an der Bahnstraße ein. Die NS-Führung verkauft der Bevölkerung die DAF als „Einheitsgewerkschaft“. In ihr, so die NS-Propaganda, hätten sich alle Gewerkschaften „Hitlers Führung unterstellt.“

Das Ermächtigungsgesetz, das der Reichstag am 24. März 1933 gegen die Stimmen der SPD-Fraktion verabschiedet hat, legalisiert das Vorgehen der Regierung gegen die Gewerkschaften. Die Mülheimer Zeitung nennt am 5. Mai 1933 „eine skandalöse Korruption und Misswirtschaft“ der Gewerkschaftsfunktionäre, durch die „Arbeitergroschen vergeudet“ worden seien, als den Grund für die Zerschlagung der freien Gewerkschaften. Deshalb, so vermutet das Lokalblatt, „werden die Anhänger der freien Gewerkschaften ihren abgesägten Führern keine Träne nachweinen.“ Weiter ist zu lesen: „Die Gewerkschaftsbeiträge sollen gesenkt und die Leistungen erhöht werden. Nachdem die Aktion gegen die Gewerkschaft beendet ist, hat sich das Aktionskomitee zum Schutz der deutschen Arbeit aufgelöst. Der bisherige Leiter des Komitees, Dr. Robert Ley, wurde vom Reichskanzler mit der Neubildung der Deutschen Arbeitsfront beauftragt. Am 10. Mai findet der erste Kongress der Deutschen Arbeitsfront statt, auf dem der Führer die Parole für die künftige Arbeit ausgeben wird. Die Reichsregierung hat alles Interesse daran, dass sich die Wirtschaft beruhigt. Alle rigorosen Eingriffe haben zu unterbleiben und werden auch unterbleiben. Da die Stabilität der Verhältnisse jetzt gewährleistet ist. Deshalb kann sich die Wirtschaft mit Projekten einbringen und langfristig und großzügig planen. Wer damit beginnt, kann sich der wärmsten moralischen Unterstützung der Reichsregierung sicher sein.“

Hintergrund: Seit dem Zusammenbruch der New Yorker Börse, im Oktober 1929, ist die Weltwirtschaft in der Krise. Anfang 1933 sind in Deutschland 6 Millionen Menschen und in Mülheim fast 17.000 von damals 132.000 Menschen ohne Arbeit und Lohn. Viele sind auf öffentliche Fürsorge und Suppenküchen angewiesen.

Die Zerschlagung der Gewerkschaften und ihrer Arbeitervereine, wird dadurch erleichtert, dass die es damals keine Einheitsgewerkschaften, sondern nur parteipolitisch und weltanschaulich orientierte Einzelgewerkschaften gibt.

Mit dem 2. Mai 1933 beginnt für regimekritische Gewerkschafter der illegale, aber legitime Widerstand gegen die NS-Diktatur. Diesen Widerstand müssen Mülheimer Gewerkschafter und Stadtverordnete wie der Sozialdemokrat Wilhelm Müller und die Kommunisten Fritz Terres und Otto Gaudig gegen Kriegsende mit ihrem Leben bezahlen.

Mit dieser traumatischen Erfahrung im Gepäck, gründen 1500 Menschen nach dem Ende des NS-Regimes am 12. August 1945 im Tengelmann-Saal an der Wissollstraße unter der Führung Heinrich Melzers, der seine Arbeit als Gewerkschafter vor 1933 und seinen Widerstand gegen Hitler ab 1933 mit KZ-Haft und Zwangsarbeit bezahlt hat, den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund. Aus ihm geht 1949 der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hervor. 


Mülheimer Presse

99 Styrumer Jahre

 Der Styrumer Fritz Heckmann ist einer von 45 Mülheimerinnen und Mülheimern, die 99 Jahre alt sind. Ein Gespräch mit dem vierfachen Familienvater und Nestor des mit dem Mülheimer Heimatpreis ausgezeichneten Styrumer Geschichtsgesprächskreises ist eine spannende „Geschichtsstunde“, die zeigt, wie sich unsere Gesellschaft verändert hat.

Obwohl Styrum mit den Thyssenwerk industriell geprägt war, erinnert sich Heckmann an Felder, „weil Styrum früher weniger bebaut war als heute.“ Heckmanns Vater und Großvater arbeiteten als Schmied und Schreiner auf der Oberhausener Zeche Concordia. Die Familie lebte mit drei Generationen in dem Haus, dass der Großvater 1900 an der Kaiser-Wilhelm-Straße errichtet hatte. Im Erdgeschoss betrieb die Tante einen Lebensmittelladen, in dem der kleine Fritz manchmal die Pumpe des Petroleumfasses bedienen durfte. „Viele Styrumer beleuchteten ihre Wohnungen damals noch nicht elektrisch, sondern mit Öllampen, die regelmäßig begossen werden mussten“, erinnert sich Heckmann. „Salz und das für die Wäsche benötigte Soda wurden mit einer Schäppe aus einer Schublade in Tüten gefüllt“, erzählt der alte Styrumer.

In bester Erinnerung ist ihm sein Volksschullehrer Klang geblieben. Der weckte in der Evangelischen Volksschule an der Augustastraße unter anderem mit Segelflugmodellbau das technische Interesse und damit seine Begabung des Jungen weckte, die er ab 1938 als Mitarbeiter, der an der Neudecker Straße ansässigen Apparatebaufrma Ernst Haage zu seinem Beruf machte, den er bis zu seiner Pensionierung 1988 dort ausüben konnte, ganz ohne Computer. Heckmann lernte das Schreiben noch mit Schiefertafel und Griffel, den die Mutter jeden Morgen anspitzte.

Heckmann gehört noch zu der Schülergeneration, die zu 90 Prozent die schulgeldfreie Volksschule besuchte und sich später durch berufsbegleitende Fortbildung hocharbeiten konnte. „Schon als Lehrling durfte ich manchmal den Meister vertreten. Und nach der Lehre habe ich in Abendkursen die Technikerschule besucht und selbst meinen Meister gemacht“, berichtet der vierfache Familienvater nicht ohne Stolz.

Als Angehöriger des Jahrgangs 1923 wuchs Heckmann während der NS-Zeit auf und musste nach der Volksschule bei einem Bauern in Menden das staatlich verordnete Landjahr absolvieren. „Damals habe ich mit Pferd und Pflug die Ackerfurchen gezogen und bin oft mit Pferd und Wagen von Menden nach Styrum gefahren oder auch mit dem Pferd dorthin geritten“, berichtet Heckmann aus einer anderen Zeit.

Die NS-Ideologie, so sagt er, begegnete ihm nicht in der Schule, wo er einen jüdischen Klassenkameraden hatte, dessen Eltern einen Schrotthandel betrieben, sondern zum Beispiel am 1. Mai. Heckmann: „Dann marschierten auf dem Styrumer Marktplatz eine Militärkompanie und die Hitlerjugend auf und der Ortsgruppenleiter der NSDAP hielt eine Rede.“ Im November 1938 sah er die Oberhausener Synagoge brennen. Vom Brand der Mülheimer Synagoge am Viktoriaplatz hörte er nur. 1938 wurde er in der Evangelischen Kirche an der Kaiser-Wilhelm-Straße von Pfarrer Karl Falkenroth konfirmiert, der zur regimekritischen Bekennenden Kirche gehörte und zwischen 1932 und 1963 in der Gemeinde wirkte.

Die Folgen der NS-Ideologie bekam Heckmann am eignen Leib zu spüren, als er im Kriegsjahr 1942 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Aufgrund seiner technischen Fähigkeiten hatte er Glück im Unglück, weil er als Techniker in einem Luftlandegeschwader eingesetzt wurde. Dort arbeitete er mit seinen Kameraden unter anderem an der JU87 und an einem Lastensegler, mit dem die Wehrmacht 1943 den entmachteten und inhaftierten italienischen Diktator Mussolini befreite.

Das Kriegsende überlebte Heckmann als amerikanischer Kriegsgefangener in Österreich. Im Juli 1945 konnte er nach Styrum zurückkehren und seinen Eltern bei der Reparatur des kriegsbeschädigten Hauses an der Kaiser-Wilhelm-Straße helfen. „An der Oberhausener Straße ist damals viel kaputt gewesen. Die Trümmer wurden mit Pferdefuhrwerken, Handkarren, aber auch auf den Straßenbahnschienen mit von E-Loks gezogenen Loren abtransportiert“, erinnert sich Heckmann. Dankbar ist er dafür, „dass wir keinen Hunger leiden mussten, weil wir einen Garten hatten, in dem wir als Selbstversorger anbauen konnten, was wir zum Überleben brauchten.“ Seinen Arbeitsplatz bei Ernst Haage erreichte er damals, wie viele Kollegen, mit der Straßenbahn. Die Fahrt von Styrum in die Stadt kostete 20 Pfennige. „Die Fahrgäste saßen sich auf langen Holzbänken gegenüber. Und in jedem Wagon fuhr ein uniformierter Schaffner mit, der mit einer Klingel dem Fahrer erst dann das Startsignal gab, wenn er allen Fahrgästen einen von ihm abgeknipsten Fahrschein verkauft, hatte“, berichtet Heckmann. Sein Wirtschaftswunder erlebte Fritz Heckmann, als er von 1955 bis 1957 mit seinem Schwiegervater an der Blumenstraße ein Haus bauen konnte, in dem er bis heute lebt.


Mülheimer Presse

Wo die Kumpel zuhause waren

  Der Mülheimer Bergbau ist Geschichte. 1966 machte mit Rosen Blumen gelle die letzte Zeche dicht Punkt Mülheim war damals die erste Bergbau...