10 Mai 1933: NS-Studierende verbrennen Bücher regimekritischer Autorinnen und Autoren. 10 Mai 2023: 30 Mülheimerinnen und Mülheimer versammeln sich im Medienhaus und damit am Ort der 1938 niedergebrannten jüdischen Synagoge, um Texte von Autorinnen und Autoren zu hören, die von den Nationalsozialisten verfolgt, ermordet oder ins Exil getrieben wurden.
Zum
Vorleseteam gehören unter anderem Bürgermeisterin Ann-Kathrin Allekotte, die
Stadträtinnen, Margarete Wietelmann und Franziska Krumwiede-Steiner, der
Buchhändler Michael Fehst, Bibliothekschefin, Claudia vom Felde, ihre Kollegin
Diana Hellmuth, Theaterschauspielerin, Maria Neumann, und die Vorsitzende des
Mülheimer Geschichtsvereins Ursula Hilberath. Die zweieinhalbstündige
Veranstaltung begleitet und bereichert Hartmut Kremer mit seiner Gitarre und
seiner Stimme. Seine Lieder, zum Teil von ihm selbst und zum Teil von Hannes
Wader und Franz-Josef Degenhardt geschrieben, sind mit Ausnahme der
„Moorsoldaten“ erst nach 1945 geschrieben, passen aber in den Rahmen.
Die
gelesenen und gesungenen Texte, die man zu hören bekommt, beschreiben zeitlos
aktuelle Menschheitsthemen: Liebe und Hass, Macht und Ohnmacht, Freiheit und
Unterdrückung, Ausbeutung und Gerechtigkeit. Vieles klingt erschreckend aktuell,
etwa Erich Maria Remarques 1929 in seinem Antikriegsroman „Im Westen nichts
Neues“ geschriebenes Soldatenwort: „Gut, dass der Krieg hier stattfindet und
nicht bei uns. Besser ist es aber, wenn er gar nicht stattfindet.“ Der Krieg in
der Ukraine steht allen vor Augen.
Franziska
Krummwiede-Steiner, die Remarques Text liest und neben ihrem
kommunalpolitischen Engagement an der Gustav-Heinemann-Schule unterrichtet,
findet, „dass die nicht nur intellektuell, sondern auch emotional berührenden
Texte von regimekritischen Autorinnen und Autoren auch heute Jugendlichen
deutlich machen können, was die Abwesenheit von Freiheit, Demokratie und
Gerechtigkeit bedeuten.“ Margarete Wietelmann beendet ihre Lesung mit dem
Appell: „Da Rechtsextremisten heute wieder ihre Hassbotschaften unter
Jugendlichen verbreiten, zeigt uns, dass wir unsere Demokratie verteidigen
müssen.“ Für Maria Neumann vom Theater an der Ruhr, die Bert Brechts „letzte
Rede der heiligen Johanna der Schlachthöfe“ liest, ist es „besorgniserregend,
dass auch heute Autoren und Journalisten für ihre Texte verfolgt und politisch
angefeindet werden, so dass die Organisation Reporter ohne Grenzen auch
Deutschland in Sachen Pressefreiheit international auf Platz 16 zurückgestuft
hat.“
„Für uns als Stadtbibliothek ist eine solche Veranstaltung am Gedenktag der NS-Bücherverbrennung ein absolutes Muss“, unterstreicht Bibliothekarin Diana Hellmuth. Der in der DDR aufgewachsene Buchhändler, Michael Fehst, hat sich für Texte des 1934 im KZ Oranienburg ermordeten anarchistischen Schriftstellers, Erich Mühsam, entschieden. „Er ist ein anschauliches Beispiel, dass Menschen in einer Diktatur ihr persönliches Potenzial nicht ausleben können.“ Mit Dank und der Aussicht: „Auf Wiedersehen am 10. Mai 2024!“ entlässt Initiator Wolfgang Hausmann nach einer sozialkritischen Erzählung von Anna Segas alle Teilnehmenden und Mitwirkenden einer bedenkenswerten Literatur- und Lehrstunde.
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