Gewerkschaften machen sich nicht immer beliebt. Die Tarifauseinandersetzung im Öffentlichen Dienst und die damit verbundenen Belastungen der steuerzahlenden Bürgerschaft zeigen es. Doch ein Blick in den Mai 1933, zeigt wie systemrelevant Gewerkschaften für eine funktionierende Demokratie sind.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialistischen
Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) werden die Ende März gewählten Betriebsräte im
April 1933 abgesetzt und durch Mitglieder der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation
(NBO) ersetzt. Am 1. Mai 1933 begeht man den seit 1890 gefeierten Kampftag der
deutschen Arbeiterbewegung erstmals als staatlichen Feiertag der „nationalen
Arbeit“.
Im Rückblick auf den 1. Mai 1933 schreibt die von der
NS-Regierung gleichgeschaltete Mülheimer Zeitung: „Ganz Mülheim feierte die
Volksgemeinschaft. Es war ein Maifest, wie es noch keines gegeben hat und wie
es nur die weltgeschichtliche Umformung des politischen Lebens unserer Tage
zustande bringen konnte.“ Am 2. Mai 1933 zeigen die neuen Machthaber auch in
Mülheim ihr wahres Gesicht. Die Gewerkschaften werden zerschlagen. SA- und
SS-Männer stürmen als „Hilfspolizei“ die Gewerkschaftshäuser. Sie
beschlagnahmen das Gewerkschaftsvermögen, verhaften Gewerkschaftsführer und
durchsuchen ihre Wohnungen. Regimekritische Gewerkschafter, die bisher in
Häusern ihrer Gewerkschaft gewohnt haben, werden auf die Straße gesetzt und müssen
sich eine neue Bleibe suchen. Am 3. Mai 1933 schreibt die Lokalpresse im Sinne
des Regimes: „Das Ende der freien Gewerkschaften geschah zur Befreiung des
deutschen Arbeiters von den letzten marxistischen Fesseln. Eine neue große
Arbeitsfront soll nun entstehen. Es soll keine Zersplitterung mehr geben.“ Die politisch
gleichgeschaltete Deutsche Arbeitsfront (DAF) zieht in das bis dahin
christliche Gewerkschaftshaus an der Bahnstraße ein. Die NS-Führung verkauft der
Bevölkerung die DAF als „Einheitsgewerkschaft“. In ihr, so die NS-Propaganda,
hätten sich alle Gewerkschaften „Hitlers Führung unterstellt.“
Das Ermächtigungsgesetz, das der Reichstag am 24. März 1933
gegen die Stimmen der SPD-Fraktion verabschiedet hat, legalisiert das Vorgehen
der Regierung gegen die Gewerkschaften. Die Mülheimer Zeitung nennt am 5. Mai
1933 „eine skandalöse Korruption und Misswirtschaft“ der
Gewerkschaftsfunktionäre, durch die „Arbeitergroschen vergeudet“ worden seien,
als den Grund für die Zerschlagung der freien Gewerkschaften. Deshalb, so
vermutet das Lokalblatt, „werden die Anhänger der freien Gewerkschaften ihren
abgesägten Führern keine Träne nachweinen.“ Weiter ist zu lesen: „Die
Gewerkschaftsbeiträge sollen gesenkt und die Leistungen erhöht werden. Nachdem
die Aktion gegen die Gewerkschaft beendet ist, hat sich das Aktionskomitee zum
Schutz der deutschen Arbeit aufgelöst. Der bisherige Leiter des Komitees, Dr.
Robert Ley, wurde vom Reichskanzler mit der Neubildung der Deutschen Arbeitsfront
beauftragt. Am 10. Mai findet der erste Kongress der Deutschen Arbeitsfront
statt, auf dem der Führer die Parole für die künftige Arbeit ausgeben wird. Die
Reichsregierung hat alles Interesse daran, dass sich die Wirtschaft beruhigt. Alle
rigorosen Eingriffe haben zu unterbleiben und werden auch unterbleiben. Da die
Stabilität der Verhältnisse jetzt gewährleistet ist. Deshalb kann sich die
Wirtschaft mit Projekten einbringen und langfristig und großzügig planen. Wer
damit beginnt, kann sich der wärmsten moralischen Unterstützung der
Reichsregierung sicher sein.“
Hintergrund: Seit dem Zusammenbruch der New Yorker Börse, im
Oktober 1929, ist die Weltwirtschaft in der Krise. Anfang 1933 sind in
Deutschland 6 Millionen Menschen und in Mülheim fast 17.000 von damals 132.000
Menschen ohne Arbeit und Lohn. Viele sind auf öffentliche Fürsorge und
Suppenküchen angewiesen.
Die Zerschlagung der Gewerkschaften und ihrer
Arbeitervereine, wird dadurch erleichtert, dass die es damals keine Einheitsgewerkschaften,
sondern nur parteipolitisch und weltanschaulich orientierte
Einzelgewerkschaften gibt.
Mit dem 2. Mai 1933 beginnt für regimekritische Gewerkschafter
der illegale, aber legitime Widerstand gegen die NS-Diktatur. Diesen Widerstand
müssen Mülheimer Gewerkschafter und Stadtverordnete wie der Sozialdemokrat Wilhelm
Müller und die Kommunisten Fritz Terres und Otto Gaudig gegen Kriegsende mit
ihrem Leben bezahlen.
Mit dieser traumatischen Erfahrung im Gepäck, gründen 1500
Menschen nach dem Ende des NS-Regimes am 12. August 1945 im Tengelmann-Saal an
der Wissollstraße unter der Führung Heinrich Melzers, der seine Arbeit als
Gewerkschafter vor 1933 und seinen Widerstand gegen Hitler ab 1933 mit KZ-Haft
und Zwangsarbeit bezahlt hat, den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund. Aus ihm
geht 1949 der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hervor.
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