|
Die Frauen der KFD vor ihrer Kirche in Styrum |
"Wenn ich vor 100 Jahren gelebt hätte, hätte ich wohl
echte Probleme gehabt", sagt Elisabeth Ronig, während sie sich die graue
Perücke überzieht und ihren eleganten Schleierhut mit einer Nadel am Haarknoten
fest macht. Jetzt ist sie schick, wie zu Großmutters Zeiten. Doch wir sind in
der Gegenwart des Jahres 2015. Unterstützt von Stefanie Hecke von der
katholischen Familienbildungsstätte nimmt die Ko-Vorsitzende der Katholischen
Frauengemeinschaft St. Joseph 35 ihrer 160 KFD-Schwestern mit auf eine
Zeitreise.
Im 100. Jahr ihrer Gemeinschaft machen sich die KFD-Frauen
auf den Weg um die Spuren von Frauen zu suchen, die im Licht der Öffentlichkeit
oder auch im Stillen Gutes bewirkt und so auf ihre Weise Geschichte geschrieben
haben. "Zum 100. Geburtstag unserer Gemeinschaft, den wir am 3. Oktober
mit einem Empfang in St. Joseph feiern werden, möchten wir an diese Frauen
erinnern, die mit ihrem Wirken bis heute unsere Gemeinde und unsere Stadt
prägen und mit denen wir in einem historischen Bogen stehen und verbunden
sind", betont Ronig.
Bevor die Damen diesen Bogen schlagen, stimmen sie sich in
ihrer 1873 eingeweihten Gemeindekirche mit dem Lied "Gehe aus mein Herz
und suche Freud in dieser schönen Sommerzeit" ein. Auch wenn die
Sommerzeit sich mit Regenschauern an diesem Samstagvormittag nicht von ihrer
schönsten Seite zeigt, lassen sich die Zeitreisenden nicht davon abhalten, den
Spuren tatkräftiger aus ihrem Umfeld nachzugehen. Nur wenige Schritte von St.
Joseph entfernt schauen sie auf das Elisabeth-Krankenhaus, das heute zur
Helios-Gruppe gehört.
Ronig berichtet von den Elisabethschwestern, die das
Krankenhaus unter der Führung ihrer Oberin Mutter Klara 1869 eröffneten. Es sei
für die Bevölkerung, so lobte die Lokalpresse damals, "ein echtes
Bedürfnis und eine echte Wohltat."
Eine echte Wohltat für die Menschen in St. Joseph war auch
das Engagement, das Kaplan Heinrich Küppers und seine Haushälterin Klara Bäumen
dort in den schweren Jahren der Weltwirtschaftskrise und der NS-Diktatur an den
Tag legten. In einer Zeit von Not und staatlicher Repression ließen sich der
Kaplan und seine Haushälterin, die Ronig, bei der Station am Kaplan-Küppers-Weg
als "mutige und beherzte Frau" beschreibt nicht davon abhalten,
kirchliche Jugendarbeit und Nothilfe für die Armen zu leisten. Weil Bäumen und
Küppers bekennende Gegner der Nazis waren und in der Kaplanei regimekritische
Flugblätter gefunden wurden, nahm sie die Gestapo 1942 in Haft. Nur Bäumens glaubhaft
vorgetragene Notlüge, sie habe die Flugblätter außerhalb Oberhausens gefunden
und dem Kaplan übergeben, der sie für den Aufbau eines späteren Kriegsmuseums
verwahren wollte, ließ das tatkräftige Tandem die Anklage der Vorbereitung zum
Hochverrat überleben.
Erlebt haben viele ältere Teilnehmerinnen der Zeitreise den
unermüdlichen Einsatz der 1934 geborenen und 2006 verstorbenen
Gemeindeschwester Richarda Reinhold. "Sie war wie ein fröhlicher
Wirbelwind, der von einer Aufgabe zur nächsten flog", hieß es an der
Klörenstraße. Dort hatte Schwester Richarda, die zwischen 1970 und 2000 in der
Kranken- und Altenpflege von St. Joseph segensreich wirkte im ehemaligen
Gemeindekindergarten eine Altentagesstätte eingerichtet. Außerdem organisierte
sie Ferienfreizeiten für pflegebedürftige Menschen, um ihnen und ihren
Angehörigen Lebensqualität und Entlastung zu verschaffen. "Sie hatte immer
Verständnis und nie ein Problem damit, unkomplizierte Lösungen zu finden",
sagte Ronig über die tatkräftige Ordensfrau.
Zunächst an der Joseph- und später im Vincenzhaus an der
Wörthstraße richtete sich der Rückblick der Styrumer KFD-Frauen auf das
Lebenswerk der Antonie Savels. Als Schwester und Haushälterin des ersten
Pfarrers von St. Joseph, August Savels, kam sie 1866 nach Styrum und wurde dort
schnell auf die soziale Not der Waisenkinder aufmerksam. Diese betreute sie
zusammen mit ehrenamtlichen Helferinnen, die aufgrund ihrer schwarzen
Diensttracht, im Volksmund bald liebevoll "Schornsteinpfegerinnen"
genannt werden, zunächst in der Styrumer Kaplanei und ab 1882 im neu
errichteten Vinzenzhaus. Dort wurde aus Antonie Savels die Dominikanerin
Schwester Dominika. Sie machte aus der Not eine Tugend macht und gründete später
sogar eine eigene Vincenzschule. Denn ihre bis zu 300 Waisen und
vernachlässigten Sozialwaisen wurden damals in den öffentlichen Schulen
ausgegrenzt.
Eine tödliche Ausgrenzung erleben Antonies Nachfolgerinnen, als
sie während der Nazi-Zeit im Vincenzhaus unter anderem geistig behinderte
Kinder betreuten. Einige, aber nicht alle von ihnen konnten sie vor dem
Euthanasieprogramm der braunen Machthaber retten, indem sie ihre Schützlinge
bei deren Verwandten verstecken. Heute betreuen unter anderem 14
Dominikanerinnen im Vincenzhaus alte und pflegebedürftige Menschen. Ein Gemälde
"Jesus segnet die Kinder" erinnert in der Kapelle an die frühere
Bestimmung des Hauses.
Da die Styrumer Kirchengemeinde St. Joseph zum Teil auch auf
Mülheimer Stadtgebiet liegt, schauten die KFD-Frauen an der Luisenschule am
Glockenstraße auch über die Stadtgrenzen hinaus. Sie betrachteten die
Namenspatronin der Schule, die mecklenburgische Prinzessin und spätere
preußische Königin Luise. Als Mädchen war sie mit ihrer Großmutter, der
Landesmutter Marie-Luise-Albertine von Hessen Darmstadt in den 1780er und
1790er Jahren mehrfach zu Gast auf Schloss Broich. Weil die sehr natürliche,
freundliche und volksnahe Prinzessin, bei ihren Aufenthalten auch den Kontakt
mit ihren Untertanen suchte und zum Beispiel Kindern vorlas oder ihnen Dinge
aus ihrem persönlichen Besitz schenkte, blieb die mit nur 34 Jahren 1810
verstorbene Luise den Menschen in bester Erinnerung. Daran änderte auch die von
Elisabeth Ronig berichtete Tatsache nichts, dass sie keine fleißige Schülerin
war und ihre Aufsätze vor Fehlern nur so strotzten. Deshalb wurde sie von ihren
Lehrern gerne auch mal "Prinzessin Husch" genannt.
Keine Monarchin, sondern eine gewählte und nicht weniger
beliebte Politikerin stellte Stefanie Hecke an der Luise-Albertz-Halle vor. Denn
die Halle trägt den Namen der langjährigen Oberhausener Oberbürgermeisterin,
Ratsfrau und Bundestagsabgeordneten. Hecke zeichnete das Lebensbild einer
couragierten Sozialdemokratin, die 1901 geboren wurde und politisch ab 1945 in
die Fußstapfen ihres von den Nazis ermordeten Vaters und Landtagsabgeordneten
Hermann Albertz trat. Hecke erinnerte nicht nur daran, dass die vormalige
Verwaltungsangestellte Luise Albertz die erste Frau an der Spitze einer
Großstadt war. Sie berichtete auch davon, dass sich Albertz als Bundestagsabgeordnete
und Vorsitzende des Petitionsausschusses im Volksmund den Ehrentitel
"Mutter der Bedrängten“ erwarb und bis zu ihrem Lebensende 1979 politisch
aktiv blieb.
Last, but not least lernten die Frauen von St. Joseph an der
Elsa-Brandström-Straße den "Engel von Sibirien" kennen. Als solcher
ging die 1888 in St. Petersburg geborene Tochter eines schwedischen Diplomaten
geborene und 1948 in den USA gestorbene Rotkreuz-Schwester in die Geschichte
ein. Denn ohne Rücksicht auf ihre eigene
Gesundheit und politische Widerstände kümmerte sie sich seit Beginn des
Ersten Weltkrieges in Russland,
Deutschland und in den USA um Kriegsgefangene, Flüchtlinge und deren Kinder.
(Thomas Emons)
Stimmen, Eindrücke und Kontakte:
Doris Rickmann: "Ich fand unseren Rundgang und unsere
Rundfahrt auf den Spuren bedeutender Frauen interessant. Einiges hat man
gewusst. Vieles war aber auch neu. Was ich von dieser Zeitreise zu unserem
Jubiläum mitnehme, ist die Erkenntnis, dass die Rechte, die Frauen heute haben,
erst durch die Frauen erkämpft worden sind, die wir heute kennengelernt haben.
Es ist schön, dass diese Frauen gelebt und für uns den Weg freigemacht
haben."
Irene Wilhelm: "Diese Aktion passt wirklich gut zu
unserer katholischen Frauengemeinschaft und ihrem Jubiläum, weil sie uns zeigt,
dass man auch in schwierigen Zeiten etwas bewegen kann. <
Annelie Glunz: "Es hat mich überrascht, dass es in
unserer Stadt und in unserer Gemeinde so viele Frauen gab, über die man
berichten konnte. Was sie auf ihrem Gebiet geleistet haben, ist wirklich
anerkennenswert und kommt in unserer Zeit viel zu wenig rüber, weil vieles an
Tradition und kirchlichen Bindungen leider verloren geht. Gott sei Dank wird in
unserer Gemeinde auch heute noch viel gemacht, ob für Kinder, Senioren oder
auch durch die Gründung neuer Familienkreise. Aber es könnte noch mehr
sein."
Hedi Gröger: "Ich fand es schön, heute viel, aber nicht
zu viel über bekannte Frauen zu erfahren, die uns Mut machen, weil sie zeigen,
dass es sich lohnt, sich einzusetzen. Ich habe diese Zeitreise aber nicht nur
als sehr informativ, sondern auch als sehr gesellig empfunden. Schön, dass wir
auch gemeinsam gesungen und Kaffee getrunken haben."
Gertrud Deutsch: "Auch ich fand es schön, beim
gemeinsamen Singen, Gemeinschaft zu erleben. Es ist doch erstaunlich, dass wir
oft in der ganzen Welt unterwegs sind und so wenig über unsere Heimatstadt
wissen. Die Frauen, deren Lebensgeschichte wir heute kennen gelernt haben,
können uns auch heute noch als Vorbilder inspirieren. Besonders beeindruckt hat
mich die Tatsache, dass diese Frauen so aktiv geworden sind und so viel
erreicht haben, obwohl sie früher weniger Rechte hatten, als die Frauen von
heute."
Die Gemeinschaft KFD in St. Joseph wurde vor 100
Jahren als katholischen Frauen- und Mütterverein aus der Taufe gehoben. Heute
wird die auch für interessierte Nichtmitglieder offene KFD-Gruppe von Gotlinde
Hampen und Elisabeth Ronig geleitet. Ihre Aktivitäten reichen von der Andacht
über Wallfahrten bis zu Karnevalsfesten, Erzählcafés und Wohlfühltagen. Eine
Kontaktaufnahme ist für interessierten Frauen, die mitmachen oder auch erst mal
nur vorbeischauen wollen per E-Mail an: elisabeth.ronig@web.de möglich.
Dieser Text erschien am 20. Juni im Neuen Ruhrwort