Für die Meisten ist es ein stilles Örtchen, das sie noch einmal schnell
aufsuchen, bevor sie den nächsten Zug nehmen. Für die 38-jährige Karla Nimet und
den 50-jährigen Paul Baning ist es ihr Arbeitsplatz, die öffentliche Toilette im
Hauptbahnhof.
Wenn man sie dort hinter der Kasse oder beim Durchwischen
der Toiletten antrifft, machen sie einen zufriedenen Eindruck. Hygienebewusste
Zeitgenossen, die beim Wort Bahnhofstoilette zusammenzucken, werden überrascht
sein. Ob Fliesen, Waschbecken oder Toiletten: Alles sieht frisch, sauber und
hell aus.
Dass das so ist, ist das Werk von Karla
und Baning. Sie sorgen für ein stilles, sicheres und sauberes und sauberes
Örtchen. Manchmal müssen sie dabei Handschuhe anziehen und ihren Ekel
überwinden, weil manche WC-Nutzer, die offensichtlich nicht ganz sauber ticken.
Karla und Baning nehmen es gelassen: „Das gehört zum Job. Da muss man durch“,
sagen sie.
Einen Job zu haben, mit dem sie Geld verdienen können, ist für
die alleinerziehende Mutter von drei Söhnen und den Familienvater einer Tochter
und eines Sohnes keine Selbstverständlichkeit.
Beide haben lange von
Arbeitslosengeld 2 gelebt und erlebt, wie es sich anfühlt, wenn man zuhause
sitzt und einem die Decke auf den Kopf fällt, weil der Arbeitsmarkt einen nicht
braucht. „Wir können nicht einfach zu Hause sitzen und nichts tun. Wir wollen
arbeiten und unser eigenes Geld verdienen, weil das unser Selbstbewusstsein
hebt“, sind sich die beiden einig. „Jetzt kann ich endlich mal mit meiner Frau
und meinen Kindern Essen gehen“, beschreibt Baning, was den Unterschied
ausmacht, wenn man vom Hilfsempfänger zum Arbeitnehmer wird. „Es ist ein schönes
Gefühl, wenn ich mich nach der Arbeit auf der Couch ausruhen kann und meine
Kinder um mich habe“, erzählt Karla. Was sie sich mit ihrem verdienten Geld
gönnen kann, fällt ihr nicht ein. Aber das sie ihren Söhnen ein Handy kaufen
konnte und sie jetzt beim Einkauf nicht auf jeden Cent gucken muss, macht die
Mutter stolz.
Natürlich gab es für Karla und Baning auch ein Berufsleben
vor der Arbeitslosigkeit und dem Arbeitslosengeld 2. Sie hat als Hilfskraft in
der Altenpflege und als Reinigungskraft gearbeitet, bevor sie ihre Arbeit
verlor. Baning, der vor 13 Jahren aus Ghana nach Deutschland kam, um hier mit
der Frau seines Herzens zu leben und eine Familie zu gründen, hatte in seiner
afrikanischen Heimat als Buchhalter in einer Brotfabrik gearbeitet. Doch das war
in Deutschland nicht möglich, weil er sich mit der deutschen Sprache schwer tut.
So schlug er sich als Reinigungskraft und Zeitarbeiter durch. Doch irgendwann
hatten Karla und Baning in der durchrationalisierten Arbeitswelt keinen Platz
mehr. Doch dann holte sie die städtische Job-Service GmbH aus der Zwangspause
heraus und vermittelte sie an die Stadtdienste der PIA-Stiftung, die
zuverlässige Mitarbeiter für ihre saubere Dienstleistung im Hauptbahnhof suchte.
Natürlich kennen Baning und Karla die Leute,
die ihre Nase rümpfen, wenn sie erfahren, dass sie in der Bahnhofstoilette,
freundlich, zuverlässig und bestimmt ihren Mann und ihre Frau stehen. Solchen
Spöttern sagen sie ganz selbstbewusst: „Was wollt ihr? Wir arbeiten auf ehrliche
Weise für unseren Lebensunterhalt.“
Von ihren Kunden, die für den Besuch
des stillen Bahnhofsörtchens 50 Cent bezahlen müssen, wenn sie nicht als
Hilfeempfänger einen Mülheim-Pass vorweisen können, werden sie in 99 von 100
Fällen respektvoll und oft sogar dankbar behandelt.Wenn sie nicht gerade von
ihrem Kollegen Christian Glöckner vertreten werden, arbeiten Karla und Baning
werktags von 7 bis 19 Uhr, samstags von 7 bis 18 Uhr und sonntags von 9 bis 17
Uhr für alle Eiligen, die unter Druck stehen. Die Zahl der Menschen, die täglich
bei ihnen Erleichterung suchen, schwankt zwischen 10 und 500. Geschäftige
Anzugträger sind darunter, frustrierte Ehefrauen, die ihnen vom Stress mit ihrem
Gatten berichten oder Obdachlose, die ziellos durch die Stadt streifen und sich
manchmal auch an einer Flasche festhalten.
Dabei müssen sie sich an
ihrem Arbeitsplatz auf unterschiedlichste Charaktere einstellen und auch dann
ihre ruhige Freundlichkeit bewahren, wenn Kunden nicht einsehen wollen, dass der
Besuch einer öffentlichenToilette, die für viel Steuergeld eingerichtet wurde,
50 Cent wert sein sollte. Gerne denken Baning und Karla an den Mann zurück, der
ihnen freudestrahlend einen Blumenstrauß überreichte und feststellte: „Ich komme
im Land viel herum und deshalb weiß ich, dass das hier die sauberste
Bahnhofstoilette in NRW ist.“ Und auch wenn ihre Arbeitsstelle bei den
PIA-Stadtdiensten zunächst nur auf ein Jahr befristet ist, leisten sie gute
Arbeit und sind guter Hoffnung, dass es für sie weitergeht.
Dieser Text erschien am 19. Juli 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung
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