Sonntag, 27. Juni 2021

Bibliotheken bleiben

 In Zeiten leerer Kassen sind gute Nachrichten aus dem Rathaus selten. Doch am 17. Juni konnte genau so eine Nachricht verkündet werden. Die vier Stadtteilbüchereien, die dem Spardiktat zum Opfer fallen sollten, bleiben erhalten und sollen Teil von Familien-Grundschulzentren werden, in deren Rahmen sie mit acht Grundschulen kooperieren werden. Die Stadt hat einen entsprechenden, von der Bezirksregierung unterstützten Förderantrag beim Land gestellt.

Die erfreuliche Wende im Bibliotheken-Streit zwischen Rat, Verwaltung und der im März neu gegründeten Stadtelternpflegschaft der Mülheimer Grundschulen konnte durch Verhandlungen erreicht werden, in die neben der Stadtelternpflegschaft und dem Verwaltungsvorstand auch die Ratsfraktionen eingebunden waren.

Aufbau von Familien-Grundschul-Zentren mithilfe des Landes

Der jetzt gefundene Kompromiss sieht vor, dass in jeder Stadtteilbibliothek eine Vollzeit-Fachkraftstelle erhalten bleibt, die vom pädagogischen Personal der Caritas und der Diakonie im Rahmen des Offenen Ganztags unterstützt wird. So sollen die Stadtteilbibliotheken in Zusammenarbeit mit den acht Grundschulfamilienzentren, verstärkt als Kommunikations,- Begegnungs,- Lern- und Unterstützungsorte in die Stadtteile hineinwirken. Bei den zunächst acht Grundschulen, die Teil eines Familien-Grundschul-Zentrums werden sollen, handelt es sich um die Grundschulen GGS Styrum, GGS Dichterviertel, Brüder-Grimm-Schule, Martin-von-Tours-Schule, GGS Zunftmeisterstraße und Astrid Lindgren-Schule, Erich Kästner-Schule und GGS Filchnerstraße. Im Zuge der jetzt beantragten Landesfördrung könnten für jeden dieser Grundschulstandorte eine halbe Stelle und jeweils 8000 Euro Sachkosten finanziert werden.

Finanzpolitisch bedeutet der Kompromiss, der dem Rat am 1. Juli zur Abstimmung vorgelegt wird, dass im Bereich Stadtbibliothek jährlich nur 300.000 Euro statt der ursprünglich geplanten 400.000 Euro eingespart werden. "Die verbleibenden 100.000 Euro müssen jetzt im Gesamtkonzern Stadt eingespart werden", erklärt Stadtkämmerer Frank Mendack. Er bedankt sich bei der Vorsitzenden der Stadtelternpflegschaft der Grundschulen, Julia Othlinghaus und ihren Stellvertretern Frank Elberzhagen und Daniel Steinbring "für ihr bei den Verhandlungen gezeigtes Verständnis für die finanzpolitischen Einsparungsziele, die die Stadt bis 2023 im Rahmen des NRW-Stabilisierungspaktes Kommunalfinanzen erreichen muss."

Hohe Lernkurve für alle Beteiligten

Die Vertreter der Stadtelternschaft, die nach dem Bekanntwerden der geplanten Bibliotheksschließungen ein Bürgerbegehren auf denWeg gebracht hatten, bedankten sich ihrerseits bei ihren Gesprächspartnern aus Rat und Verwaltung "für offene Ohren und eine fruchtbare Kommunikation, die bei ihnen in Sachen kommunaler Finanzpolitik für eine hohe Lernkurve gesorgt" habe.

Oberbürgermeister Marc Buchholz und der Beigeordnete Peter Vermeulen zeigten sich zufrieden darüber, "das aus einer Krise und einer Konfrontation jetzt eine echte Chance geworden ist." In diesem Zusammenhang machte OB Buchholz noch einmal deutlich, dass die angestrebten Personalkürzungen zur Entlastung des Stadthaushaltes nicht durch betriebsbedingte Kündigungen, sondern durch die Nicht-Besetzung von Stellen erreicht werden, die durch die Pensionierung der bisherigen Stelleninhaber freiwerden. 

Derweil haben die Vorstände der Stadtelternpflegschaft der Mülheimer Grundschulen die Einleitung ihres Bürgerbegehren gestoppt und zugesagt, um Mitglieder für den Freundeskreis der Stadtbibliothek zu werben, der die Stadtbibliothek finanziell unterstützt. Außerdem hoffen Julia Othlinghaus, Frank Elberzhagen und Daniel Steinbring, dass sie auch in ihrer künftigen Arbeit für die Mülheimer Grundschulen auf einen konstruktiven Dialog mit Rat und Verwaltung bauen können.


Mülheimer Woche, 18.06.2021

Mittwoch, 23. Juni 2021

In Memoriam: Dr. Hildegunde Nuth

 Hildegunde Nuth war innerhalb der Dozentenschaft der Heinrich-Thöne-Volkshochschule eine Institution. Sie gehörte zu den ersten Nachkriegslehrenden, als die VHS noch dezentral in Mülheimer Schulen, ihre Kurse abhielt. Über 50 Jahre hat sie dort Mülheimern die englische Sprache vermittelt. Auch im katholischen Bildungswerk auf dem Kirchenhügel war sie als Englisch-Dozentin gefragt. Hauptberuflich verdiente die aus Ostfriesland stammende Hildegunde Nuth ihren Lebensunterhalt als kaufmännische Angestellte und Fremdsprachenkorrespondentin bei Klöckner.

Sie lebte das lebenslange Lernen. Im Rentenalter studierte sie An glistik an der Universität Duisburg-Essen und wurde dort mit einer Dissertation zur deutsch-britischen Wirtschaftsgeschichte promoviert. 2019 engagierte sie sich im Rahmen eines am Ende erfolgreichen Bürgerbegehrens für den Erhalt der VHS an der Bergstraße. Dort hatte die Heinrich-Thöne-Volkshochschule 1979 ein eigenes Haus der Erwachsenenbildung und ihren heutigen Namen erhalten.

Hildegunde Nuth wäre am 10. Mai 2021 100 Jahre alt geworden. Doch sie starb, acht Tage vor ihrem runden Geburtstag im Franziskushaus an der Ruhr. Dort hat sie letzten Lebensmonate verbracht, nachdem sie zuvor über Jahrzehnte am Broicher Ruhrufer gewohnt hatte.

Ein echter Kumpel

Nach Hans Meinolf erhält der langjährige Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie und Leder (IGBCE), Willi Bruckhoff, als zweiter Mülheimer die Hans-Böckler-Medaille des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Mit der höchsten DGB-Auszeichnung wird das jahrzehntelange Engagement des heute 84-jährigen Gewerkschafters geehrt. Die Auszeichnung wird am 2. Juli im Saal des Bürgergartens verliehen.

„Komm mir gar nicht nach Hause, ehe du dich hast organisieren lassen.“ Diese Mahnung bekam Willi Bruckhof als Dreizehnjähriger von seinem Großvater Johann mit auf den Arbeitsweg zu seinem ersten Tag unter Tage. Die Mahnung kam nicht von ungefähr. Denn Johann Bruckhoff hatte zu den Organisatoren des Bergarbeiterstreiks von 1889 gehört. Damals mussten die Kumpel an der Ruhr noch für die Legalisierung ihrer Gewerkschaft, ihres Mai-Feiertages und für die Einführung des Achtstundentages kämpfen. Streikende wurden damals  mit der Entlassung bedroht. „Bevor ich meine erste Arbeitnehmernummer als Bergmann auf der Zeche Rose blumendelle, hatte ich meine Mitgliedsnummer bei der Industriegewerkschaft Bergbau“, erinnert sich Bruckhoff. Wie sein Großvater Johann und sein Vater Wilhelm, wurde Willi Bruckhoff gleich nach dem Abschluss der Volksschule zum Kumpel. „Ich bin am 1. April 1948 zu meiner ersten Schicht auf Rosenblumendelle angefahren und im Juli 1948 14 Jahre alt geworden. Ab diesem Zeitpunkt musste ich die volle 8-Stunden-Schicht unter Tage arbeiten“, berichtet Bruckhoff.

Hans Böckler, den ersten DGB Vorsitzenden, hatte Bruckhoff 1946 bei einer Gewerkschaftsveranstaltung im Essener Ruhrkohle Haus kennengelernt. „Ich hab sein Gesicht noch genau vor Augen, aber ich habe damals als kleiner Knirps nicht mit ihm geredet“, erinnert sich der Bergmann aus Winkhausen.

Bruckhoff, für den die Bezeichnung Kumpel ich nur eine Berufsbezeichnung, sondern eine Lebensaufgabe wurde, hat Solidarität erfahren und gelebt. In den 1950er Jahren konnte er miterleben, wie die Gewerkschaften die betriebliche Mitbestimmung und den arbeitsfreien Samstag durchsetzen. Am Beginn seines Berufslebens hatte die Arbeitswoche noch 48 Stunden und nur der Sonntag war arbeitsfrei. Erst 1957 konnte der DGB mit der Parole „Samstags gehört Vati mir“ den arbeitsfreien Samstag erkämpfen.

„Damals gab es in Mülheim 10 Ortsgruppen der IG Bergbau, die alle mehr als 1000 Mitglieder hatten“, erinnert sich Bruckhoff an den gewerkschaftlichen Organisationsgrad der Wirtschaftswunder-Jahre. Er selbst wurde als Betriebsrat und ab 1962 auch als Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes für seine Kollegen aktiv. Über die Gewerkschaften kam er 1965 zur Sozialdemokratie, für die er von 1974 bis 1989 in der Bezirksvertretung 2 (Rechts-Ruhr Nord) mitarbeitete. Sich für die Belange seiner Kollegen und Nachbarn einzusetzen, das war und ist das Lebenselixier des Willi Bruckhoff.

Er lässt keinen Zweifel daran, dass er mit der digitalen Kommunikationswirklichkeit 2021 hadert. „Die Leute wollen persönlich angesprochen werden. sie wollen persönlich betreut werden. Ich habe immer Wert darauf gelegt, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, ein offenes Ohr für ihre Sorgen zu haben und ihnen zu ihren Ehrentagen ein kleines Präsent zu überreichen Nur so kann man die Leute für die Gewerkschaft gewinnen und bei der Stange halten“, ist Bruckhoff überzeugt. Es bereitet ihm Schmerzen, dass diese Basis- und Kommunikationsarbeit von jungen Gewerkschafts- und Parteigenossen kaum noch geleistet werden will. Aber für ihn steht fest, „dass wir als Gewerkschaften und als Sozialdemokratie nichts gewinnen können, wenn wir nicht wieder rausgehen und auf die Leute zugehen und mit ihnen darüber ins Gespräch kommen, wo sie der Schuh drückt.“

Beim sozialdemokratischen Bundesarbeitsminister Hubertus Heyl sieht Bruckhoff gute Ansätze, beklagt aber, „dass er das, was er für die Arbeitnehmer erreicht, nicht wirklich offensiv und öffentlichkeitswirksam genug vertritt.“ Gewerkschaftern und Sozialdemokraten rät Bruckhoff zu einer konsequenten zwischenmenschlichen 1:1- Kommunikation, um den Kontakt zur Basis zurückzugewinnen und für die Belange der Arbeitnehmer und Bürger politisch mobilisieren zu können.

Dabei erinnert sich der designierte Träger der Hans-Böckler-Medaille daran, dass auch die frühen Gewerkschaftsjahre, in denen der Mülheimer DGB noch von Heinrich Melzer (1890-1967) geführt wurde, kein Zuckerschlecken waren. Immer wieder musste um gerechten Lohn, Mitbestimmung, Arbeitszeit und Arbeitsschutz gekämpft werden. „Nichts kommt von allein wir dürfen nicht erwarten, dass andere uns helfen. Wir müssen uns selber helfen“, sagt Bruckhoff.

Kritisch sieht er die Individualisierung und Entsolidarisierung unserer Gesellschaft. Dass es heute Menschen gibt, für die Gewerkschaft, Sozialdemokratie und Betriebsrat Schimpfworte sind, kann er nicht nachvollziehen. „Die jungen Leute müssen einsehen, dass sie nicht nur Rechte haben, sondern auch für ihre Rechte kämpfen müssen, um sie zu erhalten oder auszubauen“, unterstreicht Bruckhoff.

Er hat den Strukturwandel am eigenen Leibe erfahren. Nachdem 1966 mit Schließung der Zeche Rosenblumendelle für den Bergbau in Mülheim Schicht im Schacht war, arbeitete er noch fast zwei Jahrzehnte als Bergmann auf Essener Zechen, zuletzt auf der Zeche Zollverein, die heute als Weltkulturerbe der UNESCO zur Ikone des Ruhrgebietes geworden ist.

Solidarität beginnt für Willi Bruckhoff nicht erst beim Gewerkschaftsmitglied, sondern auch schon in der Nachbarschaft. „Die Menschen haben früher mit ihren Nachbarn öfter zusammengesessen, sich unterhalten, gemeinsam gefeiert und gemeinsam angepackt. Das brauchen wir wieder, aber davon ist viel kaputt gegangen“ sagt Bruckhoff.

Wie Integration gelingen kann,, hat er als Betriebsrat und Bergbau- Ausbilder ab 1960 auf Rosenblumendelle vorexerzierte. „Damals kamen die ersten türkischen Kumpel zu uns. Ich habe anfangs bei ihnen im Ledigenheim an der Rosendeller Straße übernachtet, um sie mit dem deutschen Arbeitsleben unter und übertage vertraut zu machen. Später habe ich die Kollegen auch nach Hause eingeladen, um unsere Kameradschaft zu stärken. Das hat sich ausgezahlt. Wir haben bis zum Schluss ein gutes Verhältnis gehabt und ich werde heute noch von vielen türkischen Kollegen gegrüßt, wenn sie mich in der Stadt sehen“, berichtet Bruckhoff. „Wenn man die Menschen gut behandelt, bekommt man auch viel Gutes von ihnen zurück“, beschreibt Bruckhoff eine seiner wichtigsten Lebenserfahrungen. Auch wenn die letzte Zeche in Mülheim lange geschlossen ist, pflegt er in seinem Haus in Winkhausen mit einem Garten eine alte Kumpel-Tradition. „Heute will keiner mehr einen Garten haben, aber damals war der Garten hinterm Haus für die Kumpel lebenswichtig. Alle Kollegen haben Kartoffeln, Salat Kohlrabi und Möhren angepflanzt. Viele haben auch ein Schwein oder eine Ziege gehalten, so dass sie sich weitgehend selbst versorgen konnten. Das war echtes Geld wert“, schaut Bruckhoff auf eine Zeit zurück, als er noch ein junger Kumpel war, der im 2018 beendeten Ruhrbergbau erlebte, was Herbert Grönemeyer in Willi Bruckhoffs letztem Berufslebensjahr 1984 mit der „Bochum“-Liedzeile besang: „Dein Grubengold hat uns wieder hochgeholt.“

Erinnerung an Hans Böckler wachhalten

Anlässlich seiner Auszeichnung mit der Hans-Böckler-Medaille wünscht sich Willi Bruckhoff auch, dass der 1970 nach dem ersten DGB-Bundesvorsitzenden Hans Böckler (1875-1951) benannte Platz in der Innenstadt wieder mehr gepflegt wird und das Schild, das auf den Namensgeber Hinweis wieder gut sichtbar wird. Gerade heute hält er es für wichtig, an die Männer und Frauen zu erinnern, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Arbeitnehmerrechte erkämpft und damit einen wichtigen Beitrag zur sozialen und politischen Stabilität unserer Gesellschaft geleistet haben.


NRZ/WAZ, 21.06.2021 

Mittwoch, 16. Juni 2021

Nationale Angelegenheit

 Ob Würstchen, Grillfleisch oder Brot. In der Werbe-Beilage, die mir jetzt ins Haus flatterte, wird plötzlich das tägliche Brot zur nationalen Angelegenheit. Hier und dort sehe ich Schwarz, Rot, Gold. Habe ich eine deutsche Meisterschaft im Lebensmittelhandel verpasst oder haben wir einen mir unbekannten Nationalfeiertag gehabt. Ach Nein. Die Europameisterschaft hat begonnen. Was wir Deutschen und sonst nicht trauen, wird zum guten Ton, sobald es König Fußball regiert. Dann zeigen wir Flagge. Jetzt bleibt nur noch abzuwarten, ob Jogi Löws letztes Aufgebot der schwarzrotgoldenen Kicker, bei der Europameisterschaft auch wirklich ins Schwarze trifft und am Ende die Goldmedaille und den Pokal des Europameisters gewinnen wird oder ob sie wieder, wie bei der letzten Weltmeisterschaft das harte Brot des Verlierers essen müssen und als arme Würstchen vom Platz gehen, so dass wir daheimgebliebenen Fußballfans Rot sehen, wenn wir in die Röhre schauen, die heute ein Flachbildschirm ist. 


NRZ, 14.06.2021

Samstag, 12. Juni 2021

Kirche muss weiter sparen

 Vor der Kreissynode, die am kommenden Samstag, 12. Juni, Corona-bedingt als Online-Konferenz abgehalten wird,  äußert sich Mülheims oberster Protestant, der aus der Gemeinde Broich-Saarn kommende Pfarrer, Gerald Hillebrand  zu den aktuellen Kernthemen, die auf dem Beratungs- und Beschlusstisch der Synodalen liegen. 64-jährige steht seit 2017 an der Spitze des Kirchenkreises An der Ruhr.

 

Das Kirchenparlament wird unter anderem über die Finanzlage des Kirchenkreises beraten. Der demografische Wandel und Kirchenaustritte führen tendenziell zum Absinken der Gemeindegliederzahlen. Was bedeutet das perspektivisch für die Finanzausstattung und die Handlungsfähigkeit des Kirchenkreises?

Wir müssen kreativ um flexibel sein, um mit weniger Geld weiter gute Arbeit zu machen. Es ist damit zu rechnen, dass die finanziellen Spielräume kleiner werden. Perspektivisch projiziert die von der Evangelischen und Katholischen Kirche in Deutschland gemeinsam in Auftrag gegebene „Freiburger Studie“ bis 2035 ein finanzielles Minus von 26 Prozent. Aktuell wird das durch Entnahmen aus den Rücklagen aufgefangen, das kann aber keine Dauerlösung sein. Die größten Kostenpositionen in allen unseren Haushalten sind das Personal. Das bedeutet also für uns, dass wir in Zukunft nicht mehr mit ebenso viel Personal und an ebenso vielen Standorten arbeiten können, wie wir es jetzt tun. Dennoch bleiben wir aktiv: insbesondere in Gottesdiensten und Seelsorge, aber auch in den Schwerpunkten „Zum Glauben ermutigen“ und „Familien stärken“ – wobei mit „Familie“ nicht allein das Modell „Vater-Mutter-Kind“, sondern umfassend jede Form Generationen übergreifenden solidarischen Zusammenlebens gemeint ist.

 

Was bedeutet die vorgesehene Auflösung der Anstaltskirchengemeinde bei der Theodor-Fliedner-Stiftung für die Seelsorge der Bewohnerinnen und Bewohner im Selbecker Fliednerdorf?

Es wird nicht nur die Anstaltskirchengemeinde aufgelöst, sondern auch eine neue, zum großen Teil durch die Fliedner Stiftung refinanzierte, Pfarrstelle eingerichtet. So ist gewährleistet, dass die Bewohner*innen der Stiftung weiter seelsorglich begleitet werden. Das Konstrukt der „Anstaltskirchengemeinden“, hat sich mittlerweile überholt, so dass in der gesamten Rheinischen Kirche diese an Einrichtungen orientierten Gemeinden aufgelöst worden sind. Die Gemeinde bei der Fliedner Stiftung in Mülheim war die letzte dieser Art in unserer Landeskirche.

 

 Mit Blick auf die inhaltliche und die Finanzierung und die Finanzplanung werden auch Arbeitsberichte zu den Bereichen Jugendarbeit sehr Sorge und Kirchenmusik diskutiert: Welche Herausforderungen und handlungsschwerpunkte sehen sie in diesen Bereichen

Die Frage ist, inwieweit wir unseren Blick über den Tellerrand richten, um auch mit einem langfristig schmaleren Stellenplan Kirchenmusik, Jugendarbeit und Seelsorge anzubieten. Dabei kann es helfen, wenn man sich nicht mehr allein an Gemeindegrenzen orientiert, sondern die inhaltliche Arbeit in diesen Feldern stärker als gemeinsame Aufgabe für ganz Mülheim in den Blick nimmt. Wir werden perspektivisch nicht mehr so sehr in der Fläche präsent sein können wie zuvor. Dennoch ist uns an der Qualität der Arbeit gelegen. Wie Seelsorge, Jugendarbeit und Kirchenmusik künftig gestaltet werden können, damit beschäftigen sich Arbeitsgruppen, die zur Synode einen Zwischenbericht abgeben.

 

Gibt es mehrere Kandidaten für den zu wählenden Vorsitz des neuen kirchenkreisübergreifenden MEO-Schulausschusses und welche Aufgabe hat diese Kommission?

Bei uns ist es üblich, dass die Arbeit in kreiskirchlichen Aufgabengebieten von einem Ausschuss begleitet wird. Über die Ausschüsse bekommen die Arbeitsbereiche eine Rückbindung an die Kirchengemeinden und es ist eine Plattform zum Austausch gegeben. Neu ist an dieser Stelle die kirchenkreisübergreifende Zusammenarbeit von Mülheim, Essen und Oberhausen in einem gemeinsamen Schulreferat, daher gibt es auch einen neuen gemeinsamen Ausschuss. Für den Vorsitz gibt es eine Kandidatin.


Hintergrund:

Die Kreissynode ist das aus 57 gewählten Abgeordneten bestehende Kirchenparlament des Evangelischen Kirchenkreises, das jeweils im Frühjahr und im Herbst sowohl über finanzielle, sozialethische und theologische Fragen berät und beschließt und zum Beispiel den zwölfköpfigen Kreissynodalvorstand und den Superintendenten wählt. Der Superintendent ist auch Aufsichtsrat und Kurator des Diakonischen Werkes, des Diakoniewerkes Arbeit und Kultur und der Evangelischen Altenhilfe ist. Zum Kirchenkreis gehören zurzeit die Gemeinden Broich-Saarn, Speldorf, Lukas, Markus, Vereinte Kirchengemeinde Mülheim, die Theodor-Fliedner-Stiftung und Heißen. Stadtweit gehören der Evangelischen Kirche 42.700 Gemeindemitglieder an. Der Schwund der Gemeindemitglieder, der zum Teil demografisch und zum Teil durch Kirchenaustritte hervorgerufen worden ist, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass es 1973 in Mülheim 193.000 Einwohner gab, von denen 105.000 der Evangelischen Kirche angehörten. 2010 gab es in Mülheim noch 60.000 evangelische Gemeindemitglieder. Zum Vergleich: Heute leben in Mülheim 172.000 Menschen aus mehr als 140 Nationen. Vor diesem Hintergrund hat die Kreissynode bereits 2014 eine umfassende Strukturreform beschlossen.


NRZ/WAZ, 11.06.2021

 

Freitag, 11. Juni 2021

Ein ausgezeichneter Mülheimer

 Papst Franziskus hat Fritz Zander aus der Heißener Gemeinde St. Joseph die päpstliche Verdienstmedaille Bennemerenti („dem Wohlverdienten“) verliehen. Die Auszeichnung, die dem 88-jährigen Mülheimer vom Essener Weihbischof Ludger Schepers am 27. Juni um 15 Uhr in der Gemeindekirche St. Joseph überreicht wird, würdigt sein inzwischen vier Jahrzehnte währendes Engagement für das katholische Kinderheim und die dazugehörige Mädchenschule in Medellín/Kolumbien.

Mit seinen inzwischen 40 Unterstützern, die zum großen Teil aus der zur Pfarrei St. Mariae Geburt gehörenden Gemeinde St. Joseph kommen, in den vergangenen 40 Jahren mehr als 300.000 Euro gesammelt, die Mädchen und jungen Frauen im politisch, sozial und wirtschaftlich zerrissenen und durch die Corona-Pandemie besonders hart getroffenen Kolumbien ein geschütztes Aufwachsen und eine fundierte Ausbildung verschaffen. Fritz Zander steht seit 40 Jahren in stetiger Verbindung mit der Ordensfrau Theresa Jacqueline Purtscher, die im Kinderheim und in der Schule von Las Granja Infantiles arbeitet. Die aktuellen Nachrichten aus dieser Korrespondenz gibt Zander in einem regelmäßigen Rundschreiben an seinen Unterstützerkreis, zu dem auch seine Frau Irene und sein Sohn Norbert gehören, weiter.

 Kolumbien, wo etwa ¼ der Bevölkerung in Armut lebt, wird zurzeit von sozialen Unruhen erschüttert. Erst 2016 wurde ein 50-jähriger Bürgerkrieg durch ein Friedensabkommen beendet.

Menschen Sinnvoll und gezielt helfen

„Wir wollen Menschen in existenzieller Not sinnvoll und gezielt helfen“, erklärt Fritz Zander, was seine Unterstützer und ihn bei der Aktion Medellín vorantreibt. „Ich habe die päpstliche Verdienstmedaille nicht verdient“, sagt Zander. Doch der Gemeinderatsvorsitzende von St. Joseph, Johannes Kretschmann, sieht das ganz anders. Er sagt: „Man spürt förmlich, wie sehr Fritz Zander hinter der Aktion Medellín steht, deren Erfolg oder Misserfolg auch seine Stimmungslage beeinflusst.“

Wer die Aktion Medellín unterstützen möchte, kann sich mit Fritz Zander (Rufnummer: 0208/763514) oder mit der Pfarrbüro von St. Mariae Geburt (Rufnummer: 0208/32525) in Verbindung setzen. Auch ein Mail-Kontakt ist unter: fritz.zander@t-online.de oder an: st.mariae-geburt.muelheim@bistum-essen.de

Donnerstag, 10. Juni 2021

Jüdisches Leben gestern, heute und morgen

 Jüdisches Leben gestern heute und morgen. Darüber diskutierte am Sonntagnachmittag (6. Juni) Oberbürgermeister Marc Buchholz mit seinen Amtskollegen Daniel Schranz (Oberhausen) und Sören Link (Duisburg) bei einer Online-Veranstaltung, zu der die jüdische Gemeinde Duisburg Mülheim Oberhausen eingeladen hatte. Die jüdische Politikwissenschaftlerin und Soziologin Gila Baumöl und die Präsidentin der Jüdischen Studierenden-Union in Deutschland, Anna Staroselski komplettierten die von Sabena Donath moderierte Runde.

Vor der Diskussion gab der Münchener Kabarettist Christian Springer in seiner engagierten Rede über 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland den Grundton vor, indem er sagte: „Über die historischen und politischen Ursachen des Antisemitismus sind dicke Bücher geschrieben worden. Aber was man konkret dagegen tun kann, wenn man im Alltag mit Antisemitismus konfrontiert wird, darüber gibt es nur einen schmalen Schnellhefter, wenn da überhaupt etwas drin ist. Dabei muss es heute doch egal sein, ob man katholisch, evangelisch, jüdisch, muslimisch, buddhistisch oder sonst was oder gar nichts ist, um frei und unbehelligt ins unserem Land leben zu können. So steht es in unserem Grundgesetz.“

Dazu, wie der verfassungsrechtliche Anspruch des Grundgesetzes in die soziale Wirklichkeit übersetzt werden kann, sagte Mülheims Oberbürgermeister Marc Buchholz: „Wir dürfen in unserem Zusammenleben auch heute und morgen nicht vergessen, dass es im Nationalsozialismus Deutsche waren, die Deutschen Unrecht angetan haben, als sie ihre jüdischen Mitbürger verfolgt, vertrieben und umgebracht haben. Angesichts unserer Geschichte ist es ein Geschenk, dass es heute wieder ein vitales jüdisches Leben In Mülheim und seinen Nachbarstädten gibt. Die jüdische Gemeinde ist mit ihren Veranstaltungen ein heute fester Bestandteil unseres Kulturkalenders. In unserem gesellschaftlichen Leben darf nicht die Religion im Mittelpunkt stehen. Es muss der Mensch im Mittelpunkt stehen. Ich empfinde Gotthold Ephraim Lessings „Ringparabel“ als wegweisend. Hier geht es um einen Vater, der seine 3 Söhne alle gleich liebt und ihnen deshalb 3 absolut gleiche Ringe vererbt, weil er keinen von ihnen benachteiligen will. So wissen  seine Söhne nicht, welcher der 3 Ringe der Ursprungsring ist. Diese Parabel zeigt uns, dass wir, egal ob wir Christen, Juden oder Moslems sind, alle einen Vater haben. Wir müssen begreifen, dass uns nur der Frieden in die Zukunft führen kann. Wir wissen aus unserer Vergangenheit, dass Hass, Tod und Vertreibung uns nur zurückwerfen. Unser Zusammenleben kann heute und morgen nur gelingen, wenn wir uns unabhängig von unserer kulturellen und religiösen Herkunft mit Achtung und Respekt begegnen. Durch unser eigenes Vorbild und Handeln müssen wir als Kommunalpolitiker den Menschen in unserer Städte Hoffnung geben. Dabei muss unser Ziel sein, dass sich  in der nächsten Generation auch alle Zuwanderer als Deutsche fühlen können.

Buchholz Duisburger Amtskollege, Sören Link,  betonte: „Die Jüdische Gemeinde ist heute mit ihren kulturellen Impulsen ein wohltuender Teil unserer regionalen Stadtgesellschaft. Sie schottet sich nicht ab und ihr Gemeindezentrum hat nicht von ungefähr die Form eines aufgeschlagenen Buches. Damit kommt zum Ausdruck, dass die jüdische Gemeinde trotz des in der Vergangenheit erfahrenen Leides ein neues Kapitel der Normalität aufschlagen möchte. Aber es ist eben nicht normal, wenn heute die Polizei vor Synagogen stehen muss. Und ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der eben nicht nur jüdische Synagogen, sondern auch jüdische Friedhöfe und jüdische Kindertagesstätten ein ganz normales Angebot darstellen, das keinem Polizeischutz braucht. Ich wünsche mir für unsere Zukunft, dass wir uns im Ruhrgebiet am Geist der Kumpel im Bergbau orientieren, indem es nicht darauf ankommt, woher jemand kommt, sondern darauf, ob er ein guter Kumpel ist, auf den man sich verlassen kann und der mit anpackt, um die Arbeit zu erledigen, die wir zu tun haben. In diesem Sinne müssen wir auch Jugendlichen aus Zuwandererfamilien deutlich machen: ‚Wenn du Deutscher sein willst, musst du dich auch mit der deutschen Geschichte auseinandersetzen. Und wenn es um Antisemitismus geht, darf es keine falschen Rücksichtnahmen geben. Antisemitismus kann man nicht deeskalieren, sondern nur stoppen, und das mit allen Strafen, die unserem Rechtsstaat zur Verfügung stehen. Da dürfen wir uns als Politik und als Gesellschaft nicht weggucken.“ Oberhausens Oberbürgermeister, Daniel Schranz, machte am Beispiel der alten Synagoge im Stadtteil Holten, die in einem Begegnungs- und Erinnerungszentrum umgestaltet werden soll, deutlich „wie man in einer Stadt konkrete Anlaufpunkte für einen Dialog schaffen kann, der Vorurteilen entgegenwirkt und einen Dialog fördert, der die Gesellschaft sozial stabilisiert.

Für Moderatorin Sabena Donath, die als Bildungsreferentin beim Zentralrat der Juden In Deutschland arbeitet, kommt es darauf an, „dass in unser Zusammenleben nicht von den 2 großen Elefanten erdrückt wird, die mit dem Holocaust und dem Nahostkonflikt im Raum stehen. Sie forderte einen gesellschaftlichen Dialog, „in dem man mit uns Juden und nicht über uns spricht.“ Die Politikwissenschaftlerin Gila Baumöhl und die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion in Deutschland, Anna Staroselski warnten vor der Vorstellung, „dass wir es in Deutschland nur mit einem durch arabische Zuwanderung importierten Antisemitismus zu tun haben“. Beide wiesen darauf hin, dass sozialwissenschaftliche Studien zeigen, dass zwischen 25 und 40% der deutschen Bevölkerung einen latenten oder manifesten Antisemitismus hegen. Beide empfinden es als ungerecht und unangenehm, dass sie als deutsche Staatsbürgerinnen jüdischen Glaubens in privaten Gesprächen und bei Diskussionen regelmäßig die Politik Israels erklären müssen. Anna Staroselski machte ein wachsendes Interesse an der jüdischen Religion deutlich, dass viele aus der ehemaligen Sowjetunion zugewanderte Juden herausfordere, sich mit ihrer eigenen jüdischen Identität auseinanderzusetzen. Gila Baumöl lobte die wachsende Sensibilität und Solidarität, die es heute in der deutschen Öffentlichkeit gegenüber antisemitischen Anfeindungen gebe. Anna SAnna Staroselski ließ allerdings keinen Zweifel daran,  dass es bei dieser Solidarität noch viel Luft nach oben gebe. Ähnlich wie Christian Springer, wies sie darauf hin, dass oft Tausende zu Demonstrationen gegen Israel kämen, aber nur Hunderte zu Demonstrationen gegen Antisemitismus. (T.E.)

Stationen Jüdischen Lebens in Mülheim

1620: Erste urkundliche Erwähnung jüdischer Mülheimer, die eine Schutzsteuer zahlen müssen.

1750: Errichtung des Jüdischen Friedhofs an der Gracht

1870: Erste Synagoge an der heutigen Friedrich-Ebert-Straße

1907: Zweite Synagoge am Viktoriaplatz/heute Synagogenplatz

1918-1933: Die jüdische Gemeinde zählt rund 650 Mitglieder und hat ein eigenes Gemeindehaus an der Löhstraße. Außerdem gibt es einen christlich-jüdischen Fahrradclub.

1933: Der Stadtrat schließt jüdische Unternehmen von städtischen Aufträgen aus. Außerdem werden jüdische Beamte aus dem Dienst entlassen und jüdische Geschäfte mit einem Boykott belegt.

1934: Im Gemeindehaus finden die ersten Abschiedsfeiern für Gemeindemitglieder statt, die ins Exil gehen.

1935: Mit den Nürnberger Rassegesetzen werden christlich-jüdische Ehen und Liebesbeziehungen verboten. Immer mehr Vereine schließen ihre jüdischen Mitglieder aus.

1936: Jüdische Schüler werden vom Unterricht an öffentlichen Schulen geschlossen.

1938: Die an die Stadtsparkasse zwangsverkaufte Synagoge am Viktoriaplatz wird auf unter Leitung des Feuerwehrchefs Alfred Fretr in der Reichspogromnacht niedergebrannt. Jüdische Geschäfte und Wohnungen werden verwüstet. Polnische Gemeindemitglieder werden nach Polen ausgewiesen.

1941: Jüdische Bürger müssen einen „Judenstern tragen. Sie werden in „Judenhäusern“ interniert und von dort aus mit Unterstützung der Polizei und der Reichsbahn in die Vernichtungslager deportiert.

1945: Bis Kriegsende werden 270 jüdische Mülheimer im Rahmen des Holocaust ermordet

1960: 80 Mitglieder gründen die Jüdische Gemeinde neu und treffen sich in einem Betsaal an der Kampstraße

1965: Gründung einer Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit

1979: Gerhard Bennertz beginnt mit der Aufarbeitung der Jüdischen Geschichte Mülheims

1983: Erstmals besuchen ehemalige jüdische Mitbürger, die 1933 ibs Exil gingen, ihre alte Heimatstadt

1990: Mit der jüdischen Einwanderung aus der Sowjetunion steigt die Mitgliederzahl der Jüdischen Gemeinde von 100 auf mehr als 2500 an.

1999: Die Stadt Mülheim unterstützt den Neubau des Jüdischen Gemeindezentrums in Duisburg

2009: Der Viktoriaplatz wird in Platz der ehemaligen Synagoge umbenannt

2020: Die Stadt ernennt den langjährigen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Jacques Marx, zu ihrem Ehrenbürger.


NRZ/WAZ, 08.06.2021


Mittwoch, 9. Juni 2021

Endlich wieder Frühschoppen

 Früher was gehörte der Frühschoppen zum Sonntag wie das Amen in der Kirche. Doch das Corona-Virus hat den Gastwirten eine Rechnung einen Strich durch ihre Sonntagvormittagsrechnung gemacht. Aber seit dem ersten Sonntag im Juni dürfen Gaststätten wieder ihre Türen öffnen, um Gäste nicht nur zum Frühschoppen willkommen zu heißen. Allerdings kommt vorerst vor dem Bierchen an der Theke ein Corona-Test, der nicht älter, als 48 Stunden sein darf. Befreit davon sind nur Gäste, die einen vollständigen Ompfschutz nachweisen können.

Auf unserer dienstlichen Kneipentour wurden wir am Sonntagvormittag zum Beispiel im Schlosstreff an der Schloßstraße fündig. Dort hatte Gastwirt Heinrich van Kempen seine kleine Gaststätte geöffnet und zur Feier des Tages nicht nur belegte Gratis-Brötchen spendiert, sondern auch einen Akkordeonspieler engagiert, der alte Gassenhauer wie „Junge, komm bald wieder“ oder „Wo die Nordseewellen schlagen an Land“  zum Besten gab.

„Der gemeinsame Frühschoppen im Schlosstreff ist für uns ein Stück wiedergewonnener Normalität. Es ist einfach schön, in netter Runde gemeinsam ein Bier oder zwei zu genießen, statt am Sonntagvormittag allein zu Hause herumzusitzen“, sind sich die Stammgäste Aldo Falcone und Erich Steffen einig.

„Früher gehörte der Frühschoppen am Sonntagvormittag zum guten Ton. Aber das hat sich nicht erst seit der Corona-Pandemie geändert. Vor allem junge Menschen pflegen den geselligen Frühschoppen am Sonntag nicht mehr. Das ist etwas, was wir erst wieder aufbauen müssen. Aber es ist ein großer Vorteil und war auch dringend nötig, dass wir jetzt wieder öffnen können“, sagt der Schlosstreff-Pächter Heinrich van Kempen, der seine Wirtschaft an der Schloßstraße im neunten Jahr betreibt.

Die einst von Peter Alexander besungene „kleine Kneipe in unserer Straße“ tut sich heute offensichtlich schwer. Traditionelle EckkKneipen wie der Rauchfang an der Wallstraße, die Walliser Stuben am Löhberg, das Schräge Eck an der Bruchstraße, das Haus Wehner an der Eppinghofer Straße oder der Landsknecht am Kohlenkamp haben an diesem ersten Sonntagvormittag im Juni noch nicht wieder geöffnet. Einen Aushang am Landsknecht: „Personal gesucht!“ zeigt ein zentrales Problem, das sich für viele Gastwirte nach der langen Corona-Zwangspause ergibt. Viele Service mitarbeitende mussten in Kurzarbeit geschickt gekündigt werden und haben sich in der Zwischenzeit einen anderen Job gesucht. Jetzt müssen erst wieder neue Servicekräfte für den Schankbetrieb gewonnen werden.

Geöffnet hat allerdings der Saarner Hof an der Düsseldorfer Straße, wo sich Brigitte und Ernst Haupt an ihrem 54. Hochzeitstag zur besten Frühschoppenzeit ein Glas Wein und ein Glas Bier gönnen. „Das ist nicht nur eine gute Gaststätte mit einer guten Küche, sondern auch einen Treffpunkt,. an dem man sich alles trifft und gesellig miteinander ins Gespräch kommt“, sagt Brigitte Haupt. „Wir schätzen die Geselligkeit, die den Sonntagvormittag auf angenehme Weise füllt, besonders, weil wir hier eine sehr familiäre Atmosphäre wie in einem zweiten Zuhause erleben können“, pflichtet Ernst Haupt seiner Frau bei.

Auch im über 100 Jahre alten Lindenhof an der Lindenstraße in Speldorf können sich an diesem Vormittag die Freunde Frank Köbernick und Manfred Schrey ein vom Wirt Daniel Stöber frisch gezapftes Bierchen munden lassen. „Nicht nur die Corona-Pandemie hat dem sonntäglichen Frühschoppen zugesetzt. Schon vorher gab es viele Verbote wie das Rauchverbot oder die 22:00-Uhr-Grenze für die Außengastronomie, die den klassischen Kneipen und Gaststätten zugesetzt und das Geschäft schwer oder unmöglich gemacht hat. Hinzu kommt, dass vielen Menschen heute das Geld nicht mehr so locker sitzt wie früher. Doch manche Gastronomen wollen das, anders als die hiesigen, nicht einsehen und erhöhen ihre Preise weiter. Wir schätzen diese Gaststätte Lindenhof auch deshalb, weil hier noch das Preis-Leistungsverhältnis stimmt und wir uns das eine oder andere Glas Bier gönnen können, ohne gleich traurig auf unser Portemonnaie zu schauen“, sagt Köbernick. Er kennt „viele Leute in seinem Quartier, die ihrem traditionellen Frühschoppen aus der Eckkneipe aufgegeben und ihn stattdessen in die eigenen vier Wänden oder im Schrebergarten verlegt haben.“

Der Junior-Chef des Lindenhofes, Daniel Stöber ist überzeugt: „Es ist für Gastwirte und Gäste gut, wenn wir jetzt alle mal wieder rauskommen und etwas zu tun haben und wenn jetzt auch noch das Wetter stabil bleibt, kann das Geschäft auch wieder richtig anlaufen. Es tut allen gut, wenn nicht nur mit dem Sonntagsfrühschoppen wieder etwas Normalität und zwanglose Geselligkeit in unseren Alltag einzieht.“


NRZ/WAZ, 06.06.2021

 

 

Samstag, 5. Juni 2021

Früh studiert sich

 Die gerade erst mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnete Grundschule am Dichterviertel und die im ehemaligen HausJugendgroschen an der Hahnenfähre ansässige Junior-Uni-Ruhr haben am 1. Juni eine Zusammenarbeit vereinbart. Rektorin Nicola Küppers und die ehrenamtliche Geschäftsführerin der Junior-Uni, Dagmar Mühlenfeld unterzeichneten an der Bruchstraße einen entsprechenden Kooperationsvertrag. Als erstes Gemeinschaftsprojekt wird es in den Sommerferien einen einwöchigen Junior-Uni-Kurs für 15 Mädchen und Jungen geben, die das Thema ihrer Sommerakademie selbst bestimmen können.

Mühlenfeld, die als ehemalige Leiterin der Luisenschule und als ehemalige Oberbürgermeisterin eine ausgewiesene Bildungspolitikerin ist, sagte bei der Vertragsunterzeichnung: „Wir freuen uns mit der gemeinschaftsgrundschule am dichterviertel eine mehrfach ausgezeichnete und gerade mit dem deutschen schulpreis Spezial in der Kategorie Bildungsgerechtigkeit fördern geehrte Grundschule für das Kooperationsnetzwerk gewonnen zu haben. Denn zum einen gehört auch für die junioruni Ruhe ein mehr an Bildungsgerechtigkeit zu unserem Leitzielen zum anderen ist es uns somit möglich einer großen Zahl von Schülerinnen und Schülern die Angebote der Junior Uni näherzubringen so können Sie herausfinden welche Talente in ihrem in ihnen schlummern außerdem werden sowohl die Ideen und Anregungen der Kinder als auch ihre formulierten Forschung Interessen und Fragen dazu beitragen das Kursangebot entsprechend ausrichten und weiterentwickeln zu können.“


Gemeinsame Ziele

Als gemeinsame Ziele werden in den Kooperationsvertrag unter anderem definiert: "Talente zu erkennen zu gewinnen und zu fördern neugierigen und wissensdurstigen jungen Menschen durch erproben experimentieren und forschen zu selbstwirksamkeit Erfahrung zu verhelfen und in jungen Menschen einen wissenschaftlich forschenden Habitus zu entwickeln und sie dabei zu unterstützen Wissenschaft Forschung und Technik als Instrumente zu erkennen mit deren Hilfe es gelingen kann positive Bilder und Vorstellungen von einer lebenswerten Zukunft zu entwerfen."

Für Nicola Küppers geht es vor allem darum, "unseren Kindern neue Möglichkeiten zu erschließen, um ihre persönlichen Stärken zu stärken und ihren Wissensdurst zu löschen." Auch wenn sich Küppers und Mühlenfeld keinen Illusionen über die materiellen Grenzen der Kooperation zwischen der in den Lehrplan des Landes eingebundenen Gemeinschaftsgrundschule im Stadtteil Eppinghofen und der allein spendenfinanzierten Junior-Uni-Ruhr hingeben, sind sie sich doch einig: "Unsere Kooperation hat Signalwirkung und kann sich im gemeinsamen praktischen tun Schritt für Schritt weiterentwickeln." 

Digitalisierung nutzen

Mit Blick auf die Erfahrungen des digitalen Homeschoolings übt sich Küppers in Visionen: "Warum sollte es nicht möglich sein, dass sich Kinder aus verschiedenen Ländern in einer Livestream-Videokonferenz über ein gemeinsames Lernprojekt oder auch über den Alltag in ihrem Land und in ihrer Stadt austauschen, ohne das man einen aufwendigen internationalen Schüleraustausch finanzieren müsste."

Personifizierter Verknüpfungspunkt zwischen der Gemeinschaftsgrundschule am Dichterviertel und der Junior-Uni an der Ruhr in Menden-Holthausen ist Dr. Elisabeth Kühnel-Terjung. Die aus der wissenschaftlichen Forschung kommende Medizin-Biologin unterrichtet an der Schule im Dichterviertel das in den Lehrplan integrierte Fache Forschen. Ihr aktuelles Thema ist der menschliche Körper. Dabei legt Nicola Küppers Wert darauf, dass alle 194 Schülerinnen und Schüler im Laufe eines Schuljahres in den Genuss des praxisbezogenen Forschen-Unterrichts kommen. "Es ist einfach großartig, die Begeisterung und Neugier der Kinder zu erleben und sich mit ihren immer neuen Fragen zu konfrontieren", betont die Medizin-Biologin, die neben ihrer Lehrtätigkeit an der Bruchstraße die wissenschaftlich-pädagogische Leitung des Studienbetriebs an der Junior-Uni-Ruhr verantwortet. Aktuell sind dort 400 Kinder eingeschrieben. 

Finanzielle Förderung

Obwohl die Junior-Uni rein spendenfinanziert ist und ihre ehrenamtliche Geschäftsführerin Dagmar Mühlenfeld schon jetzt Geld für das Studienjahr 2022 einwirbt, hat die Junior-Uni-Ruhr mit ihrer wissenschaftlichen Leiterin Dr. Elisabeth Kühnel und ihrer kaufmännisch-organisatorischen Leiterin Anke Hötzel bereits zwei hauptamtliche Mitarbeiterinnen verpflichten können. Von zentraler Bedeutung ist für die Junior-Uni die Zusammenarbeit mit der Hochschule Ruhr-West und die finanzielle Unterstützung durch einen Förderverein, dessen aktuell 35 Mitglieder sich über jede Verstärkung freuen. Der Jahresbeitrag des Fördervereins liegt bei 50 Euro. Unternehmen zahlen als juristische Personen einen Jahresbeitrag von 100 Euro, dürfen aber gerne auch mehr spenden. Natürlich wäre auch ein breiter angelegtes Sponsorenmodell denkbar, wie es zum Teil private von Unternehmen geförderte Hochschulen in Anspruch nehmen können. Denn klar ist: Bildungskooperationen, wie die zwischen der Junior-Uni-Ruhr und der Gemeinschaftsgrundschule Am Dichterviertel können die dringend benötigten Fach- und Führungskräfte von Übermorgen hervorbringen. Weil das natürlich auch für die technisch und intellektuell immer anspruchsvolleren Handwerksberufe, wird am 2. Juni ein Kooperationsvertrag zwischen der Junior-Uni an der Hahnenfähre und der an der Zunftsmeisterstraße ansässigen Kreishandwerkerschaft geschlossen.

Weitere Informationen 

Weitere Informationen zu den beiden Kooperationspartnern finden Sie im Internet unter: www.junioruni.ruhr und: www.ggschule-am-dichterviertel.de


Mülheimer Woche, 01.06.2021

Donnerstag, 3. Juni 2021

Sprechen wir über unsere Demokratie

 100 haupt- und ehrenamtliche Fachleute aus allen Bereichen der Bürgerschaft ließen sich am 26. Mai bei einer Demokratiekonferenz Ideen für eine Stadtgesellschaft liefern, in der der Rassismus überwunden und alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, Verantwortung für das kommunale Gemeinwesen übernehmen, in dem heute Menschen aus mehr aus 140 Nationen leben. Bürgermeister Markus Püll erinnerte in seinem Grußwort an die jüngsten antisemitischen Vorfälle als Beispiel dafür, wie menschenverachtender Extremismus unsere Demokratie gefährden kann.

Die Impulse der vierstündigen Veranstaltung lieferten die Theologin und Pädagogin Anne Broden und die an der Technischen Hochschule Köln lehrende und forschende Sozialwissenschaftlerin Yasmine Chehata. Eingeladen hatten das Centrum für bürgerschaftliches Engagement, die Katholische Akademie Die Wolfsburg und das Kommunale Integrationszentrum. Mit den Referentinnen hatten die finanziell von Bund, Land, MEG und Westenergie unterstützten Veranstalter zwei Fachfrauen, die sich mit ihrer Antirassismusarbeit in Theorie und Praxis Verdienste erworben haben. Anne Broden hat 17 Jahre das Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen geleitet.

„Wir müssen erkennen, dass wir alle nicht frei von Rassismus sind. Das geistige Erbe des Kolonialismus und des Nationalsozialismus wirkt in unserer Gesellschaft bis heute nach.“, sagte Broden. Nur auf der Basis dieser Selbsterkenntnis kann in ihren Augen „das Schubladendenken überwunden werden.“ Dass ein bio-deutscher Mann eine schwarze Frau in der Straßenbahn auf Englisch anspricht, weil er davon ausgeht, dass sie selbstverständlich kein Deutsch versteht oder die Vorstellung, dass eine muslimische Frau mit Kopftuch eine Islamistin sein müsse, waren nur zwei Beispiele, mit denen sie aufzeigte, dass Alltagsrassismus nicht gleich mit der politischen Extremismus-Keule auftreten muss, sondern auch unterschwellig, bewusst oder unbewusst daherkommen kann.

Brodens Ko-Referentin Ysmine Chehata nannte das „eine rassistische Mikro-Aggression. Sie ließ aber keinen Zweifel daran, dass der sehr viel offenere Rassismus, der Menschen mit offensichtlicher Zuwanderungsgeschichte zum Beispiel bei der Wohnungs- und Arbeitssuche massiv benachteiligt, die eigentliche politische Baustelle in unserer Demokratie sei.

Chehata machte unumwunden klar, dass Integration, Inklusion und Überwindung von Rassismus für alle Beteiligten eine anstrengende und oft auch schmerzhafte Marathonaufgabe darstelle. Im Kern geht es für die Sozialwissenschaftlerin, die selbst eine Zuwanderungsgeschichte hat, um „um soziale Gerechtigkeit und um die Umverteilung von Macht und Kapital.“ Dabei denkt Chehata nicht nur ans Geld, wenn Sie vom Kapital spricht. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Teilhabe sind für sie die eigentliche Währung, an der sich ablesen lässt, ob die Überwindung von Rassismus und gesellschaftlicher Desintegration ein Lippenbekenntnis bleibt oder eine Tatsache wird. Entscheidend dafür, ob der Schritt vom guten Vorsatz zur guten Tat gelingt, ist aus ihrer Sicht die Reflexions- und Einsichtsfähigkeit der „weißen Eliten“ in Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Schule und Hochschule.

Von ihnen erwartet Chehata, dass sie Zuwanderern echte Handlungsräume eröffnen und nicht nur eine symbolpolitische Repräsentation einräumen. Vor allem in kommunalen Integrationsräten erlebe sie immer wieder Stadträte, die sich in diesen Gremien profilieren, aber keine gesellschaftspolitischen Probleme lösen wollten. Mit Begriffen wie „Ermächtigung“, „Machtteilung“, „Selbstbehauptung“ und „Selbstbefreiung“ machte Chehata deutlich, dass es für die Zuwanderer der zweiten und dritten Generation nicht mehr nur um Akzeptanz und Hilfe, sondern um faktische Teilhabe und Mitgestaltung in unserer faktischen Einwanderungsgesellschaft gehe.

Am Beispiel der amerikanischen Bürger- und Frauenrechtsbewegung zeigte Yasmine Chehata, dass diese Gleichberechtigung nur mit Verantwortung und politischer Selbstorganisation möglich sei. Unter dem Eindruck der beiden Vorträge und den sich anschließenden Arbeitsgruppen bilanziert die aus dem Senegal stammende und dem Vorstand des Integrationsrates angehhörende Pädagogin und CBE-Mitarbeiterin Gilbert Raymonde-Driesen,“ dass diese Demokratiekonferenz dazu beigetragen hat, dass viele Entscheidungsträger in unserer Stadt eingesehen haben, dass Rassismus in unserer Stadt ein Thema ist und das wir gemeinsam an dieser Baustelle arbeiten müssen.“ Wichtig ist ihr dabei, „dass die von Diskriminierung betroffenen Menschen selbst definieren, was sie als rassistisch oder als nicht rassistisch empfinden!“ Sie selbst erinnert sich in diesem Zusammenhang ungern daran, dass ein Zuwanderer, der heute als Diplom-Chemiker seine Doktorarbeit schreibt, von seiner Grundschullehrerin dringend davor gewarnt wurde, sich mit dem Besuch des Gymnasiums intellektuell zu überfordern. Auch das zuletzt Zuwanderer verdächtigt wurden, sich nicht an die Corona-Schutzregeln zu halten und damit für steigende Infektionszahlen verantwortlich zu sein, erlebte sie als praktizierten Rassismus. Vor diesem Hintergrund hofft sie auf die Einrichtung einer städtischen Anti-Rassismus-Stelle, die von Diskriminierung Betroffenen als Anlauf- und Beratungsstelle dienen könnte. 

INFO

Von den aktuell 172.565 Mülheimern haben 27.557 keine deutsche Staatsangehörigkeit. Das sind 16 Prozent der Stadtbevölkerung. Der Anteil der Mülheimer, die deutsche Staatsangehörige sind, aber auch einen zweiten Pass haben, ist zwischen 2006 und 2020 von 5,2 auf 8,8 Prozent. 1910 lag der Anteil der Mülheimer ohne deutsche Staatsangehörigkeit bei knapp 4 Prozent. Im Jahr 2006 war bereits jeder zehnte Mülheimer ein Mensch mit Zuwanderungsgeschichte. Zu den früh zugewanderten Mülheimern gehört unter anderem der aus Belgien stammende Jean Baptiste Coupienne. Er kam als entlassener Soldat 1795 nach Mülheim, baute hier eine der führenden Gerbereien auf und gehörte 1808 dem ersten Stadtrat an. Seine Nachkommen schufen die Grundlagen für den Aufstieg der Mülheimer Lederindustrie. Auch in der Hochindustrialisierung um 1900 kannten die Mülheimer Menschen, die als Zuwanderer in die Stadt kamen, um in der örtlichen Industrie zu arbeiten und damit die Existenz ihrer Familien zu sichern. Neben den Zuwanderern aus dem deutschen Reich, waren es auch Polen, Franzosen, Italiener, Niederländer und Belgier, die zu Mülheimern wurden und ihren ganz eigenen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufstieg der Stadt am Fluss leisteten. Das galt auch für die in den 1950er, 1960er und in den frühen 1970er Jahren angeworbenen Gastarbeiter aus Italien, der Türkei, Griechenland, Spanien und Portugal. Sie beseitigten den damals akuten Arbeitskräftemangel und leisteten damit einen Beitrag zum westdeutschen Wirtschaftswunder. Viele von ihnen blieben mit ihren Familien auch nach dem Ende ihres Berufslebens an der Ruhr und wurden zu Mülheimern.


NRZ/WAZ, 31.05.2021

Dienstag, 1. Juni 2021

Weniger ist mehr

Ob im Geschäft oder im Online-Shop: Vieles, was man auf den ersten Blick braucht, lockt uns da das hart verdiente Geld aus dem Portemonnaie. Wer auf Shoppingtour geht und dem Kaufrausch verfällt,  der sollte therapeutisch vorbeugend an einer Haushaltsauflösung teilnehmen und erleben, wie viele vermeintlich wertvolle und unverzichtbare Dinge, für die sich Generationen krumm gelegt und geschuftet haben, plötzlich zum Ballast werden, der vielen selbst geschenkt zu teuer erscheint. Nicht nur unsere Lebenszeit, auch der Wert der Dinge, die wir heute unbedingt zu brauchen glauben, um uns das Leben schön zu machen, ist begrenzt. Wer anschafft, muss viel Zeit, Geld und Nerven investieren. Doch wer unbeschwert und leichten Herzens leben will, der reist am besten mit leichtem Gepäck. Das ist gescheiter und bringt uns erheblich weiter. Der Klügere erkennt: Weniger ist mehr.


aus der NRZ vom 31.05.2021

Kunst inklusive

 "Ab in die Mitte", heißt es noch bis Mitte Dezember bei der Jahresausstellung des inklusiven Vereins Art Obscura. Es geht dabei n...