Donnerstag, 31. Dezember 2015

12 Uhr in: Grün und zentral - Ein Rundgang durch das Luisental

Die Wohnhäuser im Luisental wurden 1928 im
Bauhausstil errichtet,
Grün und zentral. Das ist das Luisental, zu dem auch die Schleuseninsel mit dem Wasserbahnhof und dem Haus Ruhrnatur gehört. Die markanten Wohnhäuser, die die Sachlichkeit des Bauhauses ausstrahlen, wurden 1928 mit bestem Blick auf die Ruhr errichtet. Eberhard Scharmüller und seine Frau Angelika wohnen hier schon seit 36 Jahren. Gleich nebenan ist ein Spielplatz, den sie früher mit ihren Kindern und heute mit ihren Enkeln besuchen.

"Wir leben hier schon sehr privilegiert", sagt Eberhard Scharmüller. Um spazieren zu gehen oder eine Radtour zu machen, braucht er nur vor die Tür zu treten. Schwieriger ist es schon mit dem Einkauf. "Dass der Tengelmann-Markt an der Leineweberstraße 2012 dicht gemacht hat, war für die Einwohner des Luisentals ein herber Einschnitt. Jetzt finden wir den nächsten Supermarkt erst im Forum", berichtet er. Der 73-Jährige freut sich darüber, dass es neben vielen alten Nachbarn jetzt auch wieder mehr junge Nachbarn mit Kindern gibt, so dass der schöne Spielplatz zwischen den Wohnhäusern und dem Franziskushaus nicht verwaist.

"Die Wohnungen sind geräumig und die Decken sind hoch, aber wir haben keine Aufzüge in den Häusern", beschreibt Scharmüller die Vor- und Nachteil des Wohnens im Altbau. Auch wer im Alter nicht mehr alleine wohnen kann und Betreuung braucht, findet im Luisental eine gute Adresse. Das Franziskushaus wurde 1926 von Pastor Konrad Jakobs als Waisenhaus errichtet. Seit 1965 wird des als Altenheim genutzt und gehört heute zur Contilia-Gruppe. Vor zehn Jahren wurde die Senioreneinrichtung an der Ruhr um und ausgebaut, um der ab 2018 verpflichtenden gesetzlichen Vorschrift zu genügen, mindestens 80 Prozent aller Zimmer als Einzel-Apartments mit ebenerdigem Badezimmer anbieten zu können. Heute kümmern sich im Franziskushaus, zu dem auch ein öffentliches Café gehört, rund 80 Mitarbeiter um das Wohl von rund 120 Bewohnern.

Schon August Thyssen Bruder Josef und seine Frau Jula wussten die Vorteile des Wohnens im Luisental zu schätzen. Ende des 19. Jahrhunderts errichteten sie auf dem ehemaligen Gelände der Troostschen Weberei eine Villa, die bis heute geschäftlich genutzt wird und für gut zwei Jahrzehnte Sitz des NRW-Zentrums für Innovation und Technik (ZENIT) war. Gleich hinter dem Franziskushaus findet man noch heute ein seit Jahren leerstehendes und zusehends verfallendes Gebäude der Troostschen Weberei. 1791 von Johann Caspar Troost errichtet, war sie einst Mülheims erster Industriebetrieb. "Da wird wohl nicht mehr viel zu machen sein, wenn man so ein altes Haus über Jahre ungenutzt leerstehen lässt", befürchtet Scharmüller.

Wo die einen sich im Grünen erholen und ihre Freizeit mit Blick auf die Ruhr genießen, wird auch gearbeitet. Zum Beispiel im Café Plati auf dem Dudel. Dieses Haus, das gleich neben dem alten Schifferhaus von 1784 liegt, dass die Familie Kamieth in den späten 1980er Jahren restauriert hat und seitdem auch bewohnt, war schon im 18. Jahrhundert ein Wirtschafts- und Gasthaus. 1972 wurde es von der italienischen Familie Plati erworben und in ein seitdem sehr beliebtes Eiscafé umgewandelt. Seit 2009 wird das Café, in dem man jetzt auch im Herbst und Winter Eis, Kaffee, Kuchen, Waffeln und mehr genießen kann, von Enzo Tunc und seinen Mitarbeitern betrieben.

Auch die 235 Mitarbeiter des nahe (an der Wilhelmstraße) gelegenen Finanzamtes wissen das Café Plati in ihrer Mittagspause zu schätzen, obwohl das Finanzamt auch selbst eine öffentliche Kantine betreibt. Was viele nicht wissen, ist die Tatsache, dass das Finanzamt auch ein wichtiger Ausbildungsbetrieb ist. Derzeit absolvieren dort und an einer externen akademischen Internatsschule 24 angehende Finanzbeamte des höheren Dienstes ihre Ausbildung zum Diplom-Finanzwirt. Das heutige Finanzamt wurde Mitte der 1960er Jahre auf dem Grundstück der ehemaligen Stinnes-Unternehmenszentrale errichtet. "In unserem Keller haben wir noch einen alten Tresor der ehemaligen Stinnes-Bank", erzählt der stellvertretende Vorsteher des Finanzamtes, Gerald Gruse. Doch im Gebäude des Finanzamtes werden nicht nur "große Kröten" versteuert, sondern auch die "Kleinen Kröten" in der gleichnamigen Kindertagesstätte des Vereins für Kinder und Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten des Ruhrgebietes betreut. Auch wenn das Luisental alles andere, als ein sozialer Brennpunkt ist, hat der Trägerverein VKJ 2014 gerne vormals von der zur Kreuzstraße umgezogenen Kindertagesstätte Puzelbaum übernommen, um hier mit vier Erziehern 50 Kinder zu betreuen und zu fördern.

Ebenfalls an der Wilhelmstraße ansässig sind der 1981 gegründete Verlag an der Ruhr, der aktuell rund 1000 pädagogische Titel in seinem Programm hat und der Verein Haus und Grund, der die Interessen von rund 4000 privaten Haus- und Grundbesitzern vertritt.
Haus und Grund residiert in einer alten Villa, die der Mülheimer Architekt und Bauunternehmer Franz Hagen 1904 für den Fabrikanten Carl von Roesch und seine Familie errichtet hat. Nach der Familie Roesch war in der Villa zwischenzeitlich auch eine Ballettschule ansässig, bevor dort der Eigentümverband Haus und Grund einzog, der seine repräsentativen Räume aus als Ausstellungsfläche für Künstler zur Verfügung stellt.

Wer im Luisentahl die Ruhseite wechselt und an der 1846 errichteten Ruhrschleuse vorbei geht, kommt dort zum Wasserbahnhof und zu dem dahinter gelegenen Haus Ruhrnatur. Der Wasserbahnhof, an dem seit 1927 die Ausflugsschiffe der Weißen Flotte ablegen, ist heute ein beliebtes Restaurant, in dem nicht nur gut gegessen und getrunken, sondern auch getagt und gefeiert wird. Aus der selben Zeit, wie der Wasserbahnhof, stammt auch das 1926 als Bootshaus errichtete Haus Ruhrnatur. Mit der Landesgartenschau Müga wurde das Haus Ruhrnatur, in dem auch ein kleines Café ansässig ist, zu einem interaktiven Naturkundemuseum. Hier kann man heute nicht nur die Flora und Fauna an und in der Ruhr studieren, sondern seit dem Umbau im Jahr 2010 auch anschaulich etwas über erneuerbare Energieträger und die Auswirkungen lernen. Schüler und Studenten schätzen das Haus Ruhrnatur nicht nur als Lern,- sondern auch als Arbeitsort, um dort ihre Fach- und Seminararbeiten zu schreiben. 

Dieser Text erschien am 23. Dezember 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung

Mittwoch, 30. Dezember 2015

Der närrische Blattmacher: Hans Klingels

Hans Klingels
Was tut man nicht alles für seinen Bruder. Als Heiner Jansen seinen Bruder Hans Klingels bat, die Liste mit den Spendern der Rosenmontagstombola zu führen, war der heute 65-Jährige gerne zur Stelle. Es blieb nicht beim Tippen der Sponsorenlisten. Seit inzwischen 13 Jahren hält Klingels, seinem Bruder, dem Präsidenten des Hauptausschusses Groß-Mülheimer Karneval, als Geschäftsführer den Rücken frei.
Ob der Prinzenball oder der Rosenmontagszug organisiert werden müssen, ob der Narrenkurier mit Geld einbringenden Anzeigen und lesenswerten Texten rund um das karnevalistische Treiben gefüllt werden muss: Klingels legt los.

„Alleine wäre da nichts zu machen. Das Tolle am Karneval ist, dass seine Aktiven wie eine Familie sind“, sagt Klingels. Natürlich gebe es da auch mal Streit, „weil man sich nicht immer nur beliebt machen kann.“ Aber am Ende zögen doch alle an einem Strang, um Menschen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern und sie den Alltag für ein paar Stunden vergessen zu lassen.

„Ich bin eigentlich ein ernster und kein extrovertierter Typ“, betont Klingels. Trotzdem sieht man ihn seit einigen Jahren auch immer öfter als Moderator und Sitzungspräsidenten, mal bei Veranstaltungen des Hauptausschusses oder auch bei der KG Stadtwache, die das Organisationstalent vor einigen Jahren als Vorsitzenden anheuerte.
„Der Karneval hat mir viel gegeben. Ich habe viele Freunde gewonnen und meinen persönlichen Horizont erweitert“, resümiert er im Gespräch mit dieser Zeitung.
Klingels schätzt, dass er jährlich etwa 1000 Stunden in seine ehrenamtliche Arbeit investiert. Die steckt er nicht nur in seinen Dienst am Frohsinn, sondern auch in sein Ehrenamt als Vorsitzender des Fördervereins für Turnier- und Reitsport.

Zu diesem Verein kam er ebenfalls durch familiäre Bande, als seine Tochter Denise 1986 durch eine Freundin ihre Freude am Reiten entdeckte. Davor hatte er sein Organisationstalent bereits im sogenannten „Vergnügungsausschuss“ des Tennis-Clubs Heißen eingebracht. Der Mann geht offensichtlich an keinem Ehrenamt vorbei. Klingels formuliert es so: „Ich habe eine Schwäche. Ich mache immer den Mund auf, wenn mir etwas nicht gefällt. Und dann bekomme ich zu hören: Mach es doch besser!“ Und dann macht er es einfach, wie es in seinen Augen besser ist. Und, das gibt er freimütig zu: „Ich erkläre anderen gerne, wie etwas besser funktionieren kann, wenn sie etwas so machen, wie ich es mir vorstelle.“ Mit so einer Vorliebe ist man wohl der geborene Geschäftsführer.

Auch wenn es im Karneval nicht ohne Geld geht und der kommunikative Kaufmann gefragt ist, um einträgliche Kontakte für den Frohsinn zu knüpfen, sieht er das Hauptanliegen des organisierten Karnevals vor allem als ein soziales. „Wir gehen in alle Altheime und bringen den Senioren ein Stück Lebensfreude mit. Und wir sorgen mit unseren Tanzgarden, Musikzügen und anderen Gruppen dafür, dass Kinder und Jugendliche mit einer vernünftigen Freizeitgestaltung und wertvollen sozialen Kontakten von der Straße geholt werden.“

Dieser Text erschien am 28. Dezember 2015 in der NRZ und in der WAZ

Dienstag, 29. Dezember 2015

Wenn Geschichte sichtbar wird:Im Kloster Saarn wurde die Wappen-Galerie der Äbtissinnen vervollständigt

Hans-Theo Horn (links), Heinz Weirauch (Mitte) und
Gregor Knaak schauen sich im Kreuzgang von
Kloster Saarn einige der "neu" entdeckten Wappen an.
Als Vorsitzender der Saarner Klosterfreunde führt Hans-Theo Horn regelmäßig viele kleine und große Menschen durch das ehemalige Zisterzienserinnenkloster Mariensaal, das seit 25 Jahren als Bürgerbegegnungsstätte genutzt wird. Nicht nur das 2008 eingerichtete Klostermuseum, sondern die seit 2006 im unteren Kreuzgang aufgemalten Wappen der 36 Äbtissenen erzählen anschaulich von der Geschichte des Klosters, in dem von 1214 bis 1808 gebetet und gearbeitet wurde. "Ist das etwa eine Angel" wurde Horn bei einer seiner Führungen von einem kleinen Jungen gefragt.

Dass die Äbtissinnen eines Klosters damals auch einen Bischofsstab hatten, weil sie diesem geistlich gleichgestellt waren, wusste er nicht. "Die Anekdote zeigte, wie man über solche Kleinigkeiten über die Geschichte des Klosters ins Gespräch kommen kann", findet Horn. Bisher konnte die mit den Klosterfreunden verbundene Malerfirma van Heekern aber nur 15 von 36 Äbtissinnen-Wappen auftragen. Doch jetzt konnte sie auf Initiative der Klosterfreunde und mit finanzieller Unterstützung der Pfarrgemeinde St. Mariä Himmelfahrt 15 weitere Wappen aufmahlen. Möglich wurde das durch die Nachforschungen des Saarners Heinz Weirauch, der im Stadt- und Landesarchiv Wappen- und Urkundenbücher gewälzt hat. "Es bleiben noch einige unbekannte Wappen, weil wir von einigen Äbtissinnen nur den Vor-, aber nicht den Familiennamen kennen", erklärt Weirauch, warum immer noch sechs Äbtissinnen nur mit ihrem Namen und ihrer Amtszeit, aber nicht mit ihrem Wappen an den Wänden des unteren Kreuzgangs verwigt sind.

Dennoch freuen sich Klosterfreund Horn und Kirchenvorstand Gregor Knaak, dass die schon im Vorbeigehen aufgenfälligen Zeugnisse der Klostergeschichte, wie Steine eines Mosaiks, vervollständigt werden konnten. "Damit wird ein weiteres Stück unserer historischen Wurzeln sichtbar", erklärt Kirchenvorstand Knaak, warum die aus dem ehemaligen Kloster hervorgegangene Pfarrgemeinde St. Mariä Himmelfahrt die entsprechenden Malerarbeiten im unteren Kreuzgang bezahlt hat. Heute leben in dem ehemaligen Zisterzienserinnenkloster übrigens drei Patres der Oblaten des heiligen Franz von Sales, die als Seelsorger in der Pfarrgemeinde arbeiten.

Dieser Text erschien am 12. Dezember 2015 im Neuen Ruhrwort

Montag, 28. Dezember 2015

12 Uhr an der Friedrichstraße: Ein Rundgang ab der ehemaligen Straße der Millionäre

Das Hotel Handelshof an der Friedrichstraße 15 bis 19
Die Friedrichstraße, die ihren Namen seit 1859 trägt, ist heute eine der zentralen stark befahrenen Verkehrsachsen der Innenstadt. Hier fahren täglich unzählige Autos und die Straßenbahnlinie 104. Letztere bringt ihre Fahrgäste nach Essen-Borbeck und zum Hauptfriedhof nach Holthausen.

"Hier wohnt es sich gut. Die Wohnungen sind geräumig und haben hohe Decken. Das gibt einem das Gefühl von Freiheit. Aber über die Energiekosten brauchen wir nicht zu reden. Solche Altbauwohnungen aus der Gründerzeit sind eben nichts für Leute, die zu jeder Jahreszeit im T-Shirt in ihrer Wohnung sitzen wollen", erzählt die Lehrerin Annette Lostermann-DeNil.

Die Lehrerin, die viele Mülheimer durch ihr politisches Engagement bei den Grünen kennen, lebt in einem der schmucken Altbauten, die den ehemaligen Unternehmer-Villen an der oberen Friedrichstraße gegenüber liegen. Ihr früheren Bewohner, Fabrikanten, Bankiers, Verleger gaben der Friedrichstraße einst im Volksmund den Beinamen "Straße der Millionäre." Mit den bis heute sehr repräsentativen Villen, die heute zum Teil in Eigentumswohnungen aufgeteilt worden sind, hat sich der Architekt und Bauunternehmer Franz Hagen ein Denkmal gesetzt.

Auch das heutige Hotel Handelshof an der Friedrichstraße 15 bis 19 wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von Hagen geplant und errichtet, zunächst als Haus der Evangelischen Kirche und später als Hotel. Seit 1934 wird das Hotel mit rund 50 Gästezimmern und einem Restaurant von der Familie Hesse geführt. Das Gros ihrer Gäste sind Geschäftsreisende. Das ist ein Geschäft, das zunehmend schwieriger wird, weil die Unternehmen bei den Übernachtungskosten sparen und auch die Zahl der Messen zurückgegangen ist.

In einer der alten Unternehmervillen, die zuletzt im Besitz der Familie Thyssen war, findet man seit dem November 2012 das stationäre Hospiz. Das vom Diakoniewerk und vom Evangelischen Krankenhaus betriebene Hospiz wird bis heute zu einem erheblichen Teil durch Spenden aus der Bürgerschaft getragen und durch aktuell rund 40 ehrenamtliche Mitarbeiter tatkräftig unterstützt. In der alten Villa an der Friedrichstraße 40, die um einen modernen und lichtdurchfluteten Anbau erweitert worden ist, kümmern sich 15 hauptamtliche Fachkräfte um jeweils bis zu zehn schwerst- und sterbenskranke Menschen, um ihnen bis zu letzt ein Leben in Würde und ohne Schmerzen zu ermöglichen.

Bis zu ihren Arbeitsplatz hat es Annette Lostermann-DeNil nicht weit. Denn sie unterrichtet als Lehrerin am ehemaligen städtischen Gymnasium, das seit 1974 den Namen des Mülheimer Chemie-Nobelpreisträgers Karl Ziegler trägt. Die Schule, die vor einigen Jahren als Ganztagsschule ausgebaut und modernisiert worden ist, wird derzeit von rund 1000 Jugendlichen besucht. Lostermann-DeNil leitet dort unteranderem eine internationale Förderklasse für Zuwanderer und Flüchtlinge, die dort an den deutschsprachigen Regelunterricht herangeführt werden.

Mitte der 70er Jahre haben auch die Mülheimer Gewerkschaften ihre Hauptverwaltung an der Friedrichstraße errichtet. Im Erdgeschoss des Gewerkschaftshauses ist auch das Mülheimer Arbeitslosenzentrum MALZ untergebracht. Dessen Arbeit wird im Wesentlichen von der Leonhard-Stinnes-Stiftung finanziert. Und unweit des Gewerkschaftshauses residiert im ehemaligen Haus des Unternehmerverbandes an der Friedrichstraße 50 residiert heute eine islamische Gemeinde mit ihrer Moschee.

Ein echter Hingucker an der Friedrichstraße, die während der Nazi-Zeit den Namen Adolf-Hitler-Straße trug, ist die Bronzeskulptur eines Laternenanzünders. Diese Skulptur wurde 20006 von der Mülheimer Energiedienstleistungsgesellschaft Medl gestiftet. Anlass war der 150. Jahrestag der Einführung von Gaslaternen zur öffentlichen Straßenbeleuchtung. Die Ära der Gaslaternen dauerte in Mülheim noch bis ins Jahr 1961. Wo heute, an der Ecke zwischen Friedrichstraße, Friedrich-Ebert-Straße und Bachstraße der Laternenanzünder und eine Sitzbank stehen, stand bis zum Jahr 2006 die Jobs-Statue. Sie kehrte damals mit Hilfe der Freunde und Förderer der Altstadt zu ihrem historischen Standort, einem Brunnen an der Petrkirche zurück.



Dieser Text erschien am 11. November 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung

Sonntag, 27. Dezember 2015

Die Mülheimer Kindertollitäten freuen sich auf 100 Sessionsauftritte

Die Kindertollitäten und ihre Adjutanten
im Dümptener Autohaus Extra
„Die Kinder sind echt cool“, staunt Groth. Eigentlich wollte er in dieser Session kürzer treten. Deshalb hat er auch sein Präsidentenamt beim Mülheimer Carnevalsclub abgegeben. „Doch als die Kinder mich fragten: Kannst du uns durch die Fünfte Jahreszeit begleiten, konnte ich nicht Nein sagen“, erzählt der Mann, den viele Karnevalsfreunde auch aus dem Männerballett Christ König kennen. 

Auch Adjutantin Gabi Hüßelbeck ist eine erfahrene Karnevalisten. Schon zum vierten Mal begleitet sie ein Kinderprinzenpaar durch die Session: „Die Kinder lernen im Karneval und auf der Bühne viel. Sie werden selbstbewusster und freier, lernen, auf Menschen zuzugehen“, schildert sie ihre Erfahrungen.


Kinderprinz Luka und sein brüderlicher Minister Nick haben außerdem noch einen guten Ratgeber hinter den Kulissen. Denn ihr älterer Bruder Mirko schwang bereits in der Session 2009/2010 als Kinderprinz das närrische Zepter. „Einmal tief durchatmen und dann Augen zu und durch“, hat er ihnen mit auf den Weg gegeben.

„Diese Session ist zwar sehr kurz. Aber wir werden trotzdem, wie unsere Vorgänger, bis Aschermittwoch rund 100 Auftritte absolvieren“, erzählt die designierte Kinderprinzessin Chiara. Sie tanzt bereits seit 10 Jahren in der Garde des Mülheimer Carnevalsclubs und hat deshalb schon reichlich Bühnenerfahrung sammeln können. „An den Tollen Tagen haben wir schulfrei. Und für frühere Auftritte bekommen wir die eine oder andere Unterrichtsstunde erlassen“, freut sich der designierte Kinderprinz Luka, der die 8. Klasse der Gesamtschule Saarn besucht.

Und wie ihre Vorgänger können auch die närrischen Nachwuchsregenten der Session 2015/2016 auf die Unterstützung des Dümptener Autohauses Extra rechnen. Das Unternehmen stellt nicht nur den Veranstaltungsort der Kinderprinzenproklamation, sondern auch das Prinzenmobil, mit dem die Kindertollitäten von einem Karnevalstermin zum nächsten eilen werden. 

„Ich führe die von meinem Vorgänger Helmut Pissarek 1998 begonnene Tradition gerne fort, weil die Kinder im Karneval eine wichtige soziale Gemeinschaft erleben und lernen können, selbst Verantwortung zu übernehmen,“ sagt der Geschäftsführer des Autohauses, Jörn Backhaus.

Das Kinderprinzenpaar und sein Hofstaat werden am 3. Januar um 14 Uhr mit einer Kinderkarnevalsparty im Autohaus Extra an der Fritz-Thyssen-Straße 6 inthronisiert.

Dieser Text erschien am 23. Dezember 2015 in der Mülheimer Woche

Samstag, 26. Dezember 2015

So gesehen: Sportliche Fußgängerzone

Nicht das Mutter unsportlich wäre. Aber in ihrem Alter hat sie einfach keine Lust mehr auf Fußball, es sei denn in ihrem Sessel vor dem Fernsehen. Doch gestern Mittag wäre sie, so wie einige andere betagte Passanten, die mit Rollator oder am Stock mühsam, aber tapfer und mit Ausdauer ihre Meter in der Innenstadt machen, beinahe und unfreiwillig zur passiven Beteiligten eines wilden Straßenfußballspiels geworden. Denn an der Ecke Schloßstraße/Kohlenkamp machten kleine Kicker ohne Rücksicht auf Rollator, Gehstöcke und Schaufenster ihr Spiel. Doch Gott sei Dank spielten einige Schutzengel mit, so dass niemand am Ende vom Platz getragen werden musste.

Dieser Text erschien am 23. Dezember 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung

Freitag, 25. Dezember 2015

Geschenkt!? Eine Umfrage zum Weihnachtsfest

Nicht jedes Weihnachtsgeschenk macht
Freude
Eigentlich sollte es Freude machen, das Schenken und das Beschenktwerden zum Frohen Fest. Doch wie mir eine Umfrage im Auftrag der NRZ zeigte, gibt es alle Jahre wieder Lust und Frust am Gabentisch.

Pfarrer Michael Manz freut sich, wenn er mit allen seinen fünf Kindern ruhig und gemütlich Weihnachten feiern kann, ob mit oder ohne Geschenke. Nicht so erfreut war er, als er vor einigen Jahren von einem seiner Söhne ein T-Shirt mit der Aufschrift geschenkt bekam: "Ich kann auch freundlich sein."

Gar nicht erfreut war die Bundestagsabgeordnete Astrid Timmermann-Fechter als sie von einer Beinahe-Schwiegermutter ein Nähkästchen geschenkt bekam. "Das war wohl ein Wink mit dem Zaunpfahl", erinnert sich Timmermann-Fechter an ihr schrecklichstes Weihnachtsgeschenk. Aus der Verbindung wurde dann ja auch nichts. Ihr schönstes Weihnachtsgeschenk bekam Timmermann-Fechter Mitte der 80er Jahre, als sie an den Weihnachtstagen mit ihrem Bruder unterwegs war und einen schweren Autounfall unverletzt überlebte.

Der Otto-Pankok-Schulleiter Ulrich Stockem wünscht sich bis heute innigst, aber vergeblich ein Weihnachtsfest, ganz ohne Geschenke. "Mein schrecklichstes Geschenk, das ist kein Witz, waren Einweghandschuhe", erinnert sich der Pädagoge.

Bürgermeisterin Margarete Wietelmann freute sich als Sechsjährige riesig über eine Holzeisenbahn, die man mit einem Schwungrad in Gang setzen konnte. Der Clou waren die abnehmbaren Zugdächer, so dass man Puppen als Fahrgäste in die Abteile setzen konnte. Das Geschenk lag nahe. Denn ihr Vater war Lokomotivführer. Mit Weihnachtsgeschenken hat die Bürgermeisterin noch nie schlechte Erfahrungen gemacht. Dafür bekam sie von ihrem damaligen Mann zum 30. Geburtstag einen Regenschirm. "Da hätte ich mir schon was romantischeres gewünscht", sagt sie.

Ihre Amtskollegen Ursula Schröder freute sich als Sechsjährige über knallrote Skier, die ihr Vater ihr zu Weihnachten schenkte. Damals wuchs sie im schneereichen Sauerland auf. Nicht so toll fand sie die Kuchengabeln, die es für sie "als meine künftige Aussteuer" einige Jahre später zu Weihnachten gab.

"Mein schrecklichstes Weihnachtsgeschenk war eine Weihnachtsdekoration für meine Junggesellenbude, die Gott sei Dank niemand je zu Gesicht bekommen hat. Besonders gefreut habe ich mich dagegen über die Hochzeitsfotos, die mir meine Frau Julia zu Weihnachten schenkte", erinnert sich der amtierende Stadtprinz Markus Steck.

Der Satiriker Rene Steinberg vermisste als Junge unter dem Christbaum das Piratenschiff der Marke Playmobil. Umso glüchlicher machte es ihn, als er genau dieses Schmuckstück etliche Jahre später seinem Sohn zu Weihnachten schenken konnte.

Eine Action-Figur namens Big Jim, die mit Wasser spritzen konnte, ließ das Kinderherz des Landtagsabgeordneten Heiko Hendriks höher schlagen. Scheußlich fand der 19-Jährige dagegen, die grün-orangene Krawatte mit Bärchen-Motiv, die ihm der Opa zu Weihnachten überreichte.

Riesig gefreut hat sich die Dümptener Realschulrektorin Judith Koch, als sie vier Jahre jung war und ihr Großvater ihr einen großen Kaufladen zum Fest schenkte. Doch als die 14-jährige Geigen-Schülerin später von ihren Eltern einen Geigen-Bogen geschenkt bekam, ar Koch alles andere, als begeistert.

Bezirksbürgermeister Hermann-Josef Hüßelbeck erinnert sich besonders gerne an ein Fahrrad, das er als Neun- oder Zehnjähriger unter dem Weihnachtsbaum fand. Überhaupt nicht angetan war er dagegen von dem Mathematikbuch, dass er einige Jahre später dort vorfand.

Der Vorsitzende des Mülheimer Behindertenverbandes AGB, Alfred Beyer, erlebte als Zehnjähriger die Diagnose einer Hirnhautentzünduing als sein "schreckliches Weihnachtsgeschenk". Auch das sein schönstes Weihnachtsgeschenk, das er 1976 bekam, hat mit seiner Gesundheit zu tun. Denn damals teilten ihm seine Ärzte mit, dass er seine Krebserkrankung überwunden habe und als geheilt gelten dürfe.

Der Vorsitzende der Saarner Kliosterfreunde, Hans-Theo Horn und der Leiter der Styrumer Feldmannstiftung, Max Schürmann, wollen sich partout an kein schreckliches Weihnachtsgeschenk erinnern. Dafür fällt ihnen aber sofort ihr schönstes Weihnachtsgeschenk ein. Für den im Kriegsjahr 1941 geborenen Horn war es eine elektrische Eisenbahn, die er als kleiner Junge geschenkt bekam und die im Laufe der Jahre immer wieder ausgebaut wurde, so dass er daran auch noch im fortgeschrittenen Teenageralter seine Freude hatte. Und Max Schürmann erinnert sich besonders gerne an einen Gutschein, "den mir meine Tochter zu Weihnachten schenkte und der für jeden Monat des folgenden Jahres ein gemeinsame schöne Aktivität für uns beide  beinhaltete." Wirklich ein tolle Idee, die die Nachahmung lohnt.

Das gilt natürlich auch für die Geburt eines Wunsch-Enkelkindes, wie sie der Unternehmer und stolze Großvater Ulrich Turck erlebt hat. Für ihn war die Geburt seines Enkelsohnes Theo "mein schönstes Weihnachtsgeschenk"! Maßlos geärgert hat er sich als Junge aber darüber, "als mein Bruder die zu Weihnachten die Eisenbahn geschenkt bekam, die ich mir immer gewünscht hatte."

Dieser Beitrag erschien am 23. Dezember 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung



Donnerstag, 24. Dezember 2015

So gesehen: Vorsicht vor dem Dezemberfieber

Der Dezember ist nicht nur besinnlich. Er nervt auch. Denn man merkt: Das alte Jahr geht zu Ende. Man selbst wird unweigerlich ein Jahr älter. Und das löst ein Dezemberfieber aus.

Jetzt will man noch schnell erledigen, was man in den letzten 12 Monaten auf die lange Bank schob. Ganz nebenbei will man auch noch alles für ein möglichst schönes Weihnachtsfest im Kreis seiner Lieben vorbereiten. Hat man auch alle Geschenke zusammen?

Dabei sollte man sich lieber fragen, ob man sie noch alle auf dem Christbaum hat. Denn eines ist sicher. Es gibt auch noch ein Leben nach Weihnachten und Sylvester. 


Dieser Text erschien am 22. Dezember in der Neuen Ruhr Zeitung

Mittwoch, 23. Dezember 2015

Theologen, Religionspädagogen und interessierte Bürger diskutierten in der Katholischen Akademie darüber, ob die Gewalt zum Islam gehört

Auf dem Podium (von links) Rabeya Müller, Detlef Schneider-Stengel, Heinz-Günter Stobbe und Abdel Hakim-Ourghi. 
Terror und Islam. Für manche Deutsche erscheinen sie angesichts islamistischer Terroranschläge, wie zwei Seiten derselben Medaille. Deshalb fragten die Katholische Akademie und die Bundeszentrale für politische Bildung jetzt: „Gehört die Gewalt zum Islam?“ 400 Zuhörer im Auditorium der Wolfsburg staunten nicht schlecht, wie offen und kritisch der islamische Theologe Abdel-Hakim Ourghi mit der Rolle umging, die die Gewalt im Koran spielt. „Die Muslime dürfen das Thema nicht verdrängen, wenn sie nicht ihre eigene Religion und den interreligiösen Dialog beschädigen wollen“, machte Ourghi deutlich. Er wies darauf hin, dass „Mohammed nicht nur ein Religionsverkünder, sondern auch ein Staatsmann“ gewesen sei. So könne man sich auch erklären, dass in den zwischen 610 und 622 offenbarten Koranversen Barmherzigkeit, Frieden und Nächstenliebe, aber in den zwischen 624 und 632 verkündeten Koranversen auch die Gewalt gegen die Andersgläubigen gutgeheißen werde.
Aus Sicht des islamischen Theologen steht der Dialog vor der Herausforderung, die das Christentum mit der Reformation und der Aufklärung schon bewältigt habe. Die Muslime, so Ourghis These, müssten auf der Basis einer historisch-kritischen und vernunftorientierten Quellenanalyse eine praktische Theologie und Ethik entwickeln.
Der katholische Theologe und Friedensforscher Heinz-Günter Stobbe stellte in der vom Religionsphilosophen Detlef Schneider-Stengel moderierten Diskussion heraus, „dass es weder den Islam, noch das Christentum, sondern nur verschiedene Richtungen innerhalb der jeweiligen Religion gibt.“ Er erinnerte daran, dass auch das Christentum mit seinen mittelalterlichen Kreuzzügen, dem Dreißigjährigen Krieg oder den Waffensegnungen der beiden Weltkriege seine Gewaltgeschichte habe. „Im Alten Testament finden wir auch Gewalt, die für uns heute schwer verdaulich ist“, ordnete Stobbe das Thema historisch ein.
Einig war man sich auf dem Podium und im Publikum, dass die im Grundgesetz verankerten Menschen- und Freiheitsrechte auch für die Religionsgemeinschaften verbindlich und unantastbar seien. Kontrovers bewerteten Stobbe, Ourghi und die Islamwissenschaftlerin Rabeya Müller die Frage nach den verbindlichen Grundlagen des Islamunterrichtes an deutschen Schulen. „Der Staat braucht verbindliche islamische Präferenzpositionen, auf die sich die islamischen Gemeinschaften untereinander einigen müssen“, verlangte der katholische Theologe. „Wir wollen keine islamische Amtskirche und keinen Stellvertreter auf Erden. Wir brauchen keine Dachverbände. Unsere Vertretung ist die Vernunft. Und wir brauchen einen aufgeklärten Religionsunterricht, der unsere Kinder mündig macht“, hielt sein islamischer Kollege Ourghi dagegen.
Papier ist geduldig“, relativierte Müller die Wirksamkeit staatlicher Lehrpläne. Sie begrüßte es ausdrücklich, „dass wir jetzt einen Islamunterricht in deutschen Schulen und nicht mehr in den Hinterhöfen haben.“ Ermutigend empfanden viele Zuhörer, die zum Teil selbst im interreligiösen Dialog aktiv sind, ihre Erfahrungsberichte aus Kulturworkshops, in denen muslimische, christliche und jüdische Jugendliche „in einem geschützten Raum über ihre Religion reden und nachdenken konnten.“ Gemeinsame Theater, - Musik- und Tanzprojekte hätten in ihnen das Bewusstsein für ihre eigene Religion und den Respekt vor den jeweils Andersgläubigen gestärkt.
Ausgesprochen kritisch beleuchtete Ourghi die Islamkonferenzen der Bundesregierung und die Auswahl ihrer Gesprächspartner. „Ditib und der Zentralrat der Muslime vertreten eine sehr konservative Theologie und vertreten nur etwa 15 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime“, machte der islamische Hochschullehrer deutlich. Doch eine im interreligiösen Dialog engagierte Religionslehrerin machte deutlich: „Wir müssen doch mit den Vertretern islamischer Gemeinden sprechen, die wir vor Ort haben, egal, zu welchem der bundesweit 35 islamischen Dachverbände sie auch gehören mögen.“ Thomas Emons

Die Podiumsteilnehmer

Der Religionspädagoge und Religionsphilosoph Dr. Detlef Schneider-Stengel hat als Pastoralreferent in der Gemeinde St. Urbanus (Gelsenkirchen-Buer) gearbeitet und zahlreiche theologische Bücher, darunter: „Denken im offenen Raum“, „Das Kreuz der Helenisierung“ und: „Das Christentum in der Postmoderne“ verfasst. Heute arbeitet er als Referent für den interreligiösen Dialog beim Bistum Essen.
Die Pädagogin, Ethnologin und Islamwissenschaftlerin Rabeya Müller ist stellvertretende Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes (LIB), der unter anderem auch interreligiöse Eheschließungen akzeptiert. Unter dem Motto „Extrem out“ oder „Abrahams Söhne“ hat sie vielbeachtete interreligiöse Jugenddialoge organisiert. Sie arbeitet im Bereich der Lehrerfortbildung und hat zahlreiche religionspädagogische Publikationen verfasst und mit herausgegeben, etwa: „Gemeinsam vor Gott“ und „Der Koran für Kinder und Erwachsene“
Professor Dr. Heinz-Günter Stobbe arbeitet seit 1996 als katholischer Theologe und theologischer Friedensforscher an der Universität Siegen. Davor lehrte er an der Wilhelms-Universität in Münster/Westfalen Ökumenik und Friedensforschung.
Der aus Algerien stammende Islamwissenschaftler und Philosoph Dr. Abdel Hakim Ourghi lehrt an der Pädgagogischen Hochschule in Freiburg/Breisgau. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen islamische Theologie, Koranforschung und Religionspädagoge an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg/Breisgau.
Dieser Text erschien am 5. Dezember 2015 im Neuen Ruhrwort


Dienstag, 22. Dezember 2015

Gedanken über den Generationenkonflikt: Im Theater an der Ruhr diskutierte der ehemalige SPD-Bundesvorsitzende Franz Müntefering mit Theatermachern und dem Publikum über die Herausforderungen des demografischen Wandels

Helmut Schäfer und Franz Müntefering
„Alt werden ist nichts für Feiglinge“, wusste schon Billy Wilder. Aber wer will schon jung sterben? Das Leben ist ein Schauspiel, bis zu letzt. Und gerade das Alter hat seine tragischen und zugleich seine komischen Seiten. Doch bis zuletzt sucht jeder Mensch seinen ganz eigenen Weg und seine persönlichen Freiräume. Das Theater an der Ruhr zeigt es mit seinem Stück „Clowns 2 ½“ amüsant und nachdenklich machend. Danach bittet Dramaturg Helmut Schäfer im Politischen Salon des Theaters den ehemaligen SPD-Bundesvorsitzenden, Vizekanzler und Bundesarbeitsminister Franz Müntefering zur Diskussion mit den gut 100 Zuhörern aus allen Generationen.

Da kommen mit Blick auf den demografischen Wandel unserer Gesellschaft auch ungemütliche Fragen zur Sprache. „Wird es zu einem Verteilungskonflikt zwischen Alt und Jung kommen, wenn immer weniger Junge die Renten von immer mehr Alten erwirtschaften müssen? Können wir uns die Pflege im Alter überhaupt noch leisten, wenn unsere Berufs- und Erwerbsbiografie den einen oder anderen Bruch mit sich gebracht hat?“

Eine Antwort auf die daraus resultierende Altersarmut hat auch der 75-jährige Sozialpolitiker Müntefering nicht. „Es ist gut, dass wir 1995 die Pflegeversicherung geschaffen haben. Aber sie ist keine Vollkasko,- sondern nur eine Teilkaskoversicherung“, räumt der Sozialdemokrat ein. „Aber längst nicht alle Menschen werden im Alter pflegebedürftig“, macht Müntefering mit Blick auf die aktuellen Zahlen Mut.

Sein Rezept für ein gutes und gesundes Altwerden lautet: „Lernen, laufen und lachen!“ Angesichts einer weiter steigenden Lebenserwartung sieht er die Lebensperspektive der künftig noch zahlreicher werdenden Rentner nicht darin, „sich in die Hängematte zu legen und Kreuzworträtsel zu löse

n.“

Sein Appell an alle Bürger: „Wir müssen unseren Körper und unseren Geist möglichst lange bewegen, um auch noch im Alter Lebensqualität zu erfahren.“

Anders, als ein junger Mann, der sich als „politisch engagiert“ vorstellt und seine Sympathien für die Sozialdemokratie zu erkennen gibt, sieht Müntefering auch künftig keinen Generationenkonflikt heraufziehen, wenn es zum Beispiel um die Frage gehen sollte: Investieren wir in ein Altenheim und in eine Seniorentagesstätte oder in ein Schwimmbad und ein Jugendzentrum? „Wir werden nicht erleben, dass sich die reichen und die armen Alten gegen die armen und reichen Jungen zusammentun. Vielmehr geht es darum die Soziale Frage zu lösen, deren Auswirkungen quer durch die Generationen geht“, unterstreicht Müntefering.

Mit Blick auf das Thema der Generationen-Gerechtigkeit geht der Sozialdemokrat aber auch mit seiner eigenen Partei ins Gericht. „Über die Rente mit 63 und über die Mütterrente war ich nicht glücklich“, gibt Müntefering zu. Was ihn vor allem stört, ist die Tatsache, dass diese beiden Sozialleistungen aus der Rentenkasse finanziert werden, die durch den demografischen Wandel zunehmend belastet wird. Die Rente mit 63, so Müntefering, komme außerdem nur relativ wenigen Menschen zugute, die ohnehin aufgrund ihrer langen Erwerbsbiografie vergleichsweise gut gestellt seien. „Ich habe nichts gegen eine Mütterrente, aber die hätte man anders finanzieren müssen“, erklärt der ehemalige Bundesarbeitsminister.

Und dann macht er seinen Zuhörern zum guten Schluss noch einmal richtig Lust aufs Alter, in dem er eine alte Dame aus Karlsruhe zitiert, die jüngst bei ihrem 106. Geburtstag fröhlich festgestellt habe: „Nachdem ich jetzt meine beiden Kinder im Altenheim habe, geht es mir heute so gut, wie noch nie.“


Dieser Text erschien am 21. Dezember in der NRZ und in der WAZ

Montag, 21. Dezember 2015

Mit Liebe gekocht: Erika und Ernst Siepmann

Erika und Ernst Speipmann, hier zusammen
mit Pfarrerin Katrin Schirmer vor dem
Gemeindehaus an der Duisburger Straße
„Wenn wir einkaufen gehen, kann das lange dauern“, erzählen Ernst und Erika Siepmann. Nicht das der Weg zum nächsten Supermarkt so weit wäre. Die Siepmanns leben seit 1997 in einer Wohnung an der Duisburger Straße.

Doch dass das Ehepaar, das lange in Heißen gewohnt hat, sich heute in Speldorf so heimisch fühlt, hat damit zu tun, dass es auf andere Menschen zugehen und andere Menschen auf die Siepmanns zukommen. Denn die 74-jährige Erika Siepmann und ihr 75-jähriger Ehemann Ernst haben sich seit ihrem Umzug durch ihr ehrenamtliches Engagement in der Evangelischen Kirchengemeinde Speldorf bei ihren Nachbarn im Stadtteil bekannt gemacht.

Anpacken ohne zu fragen
Das Ehepaar gehört zu den Menschen, die Arbeit sehen und einfach anpacken, ohne zu fragen: „Was bekomme ich dafür?“ Sie besuchen alte und kranke Menschen in ihrer Gemeinde, kaufen für sie ein oder erledigen kleine Reparaturen.

Immer wieder donnerstags bekochen sie im Gemeindehaus an der Duisburger Straße Senioren. Auch ihr Spieletreff oder ihre Seniorenfreizeiten sind bei der älteren Generation gefragt. Da sind locker 30 bis 40 reife Semester mit von der Partie. Ganz nebenbei kümmern sie sich auch noch um eine alte Tante, die im Fliednerdorf in Selbeck wohnt.

Wie viele Stunden sie in ihre ehrenamtliche Arbeit stecken, haben die Siepmanns noch nie nachgehalten und wollen auch gar nicht damit anfangen. „Wer anderen Menschen hilft, bekommt auch immer viel zurück“, sagen die Siepemanns. Das spüren sie nicht nur an freundlichen Gesten und Worten, in denen sich die Dankbarkeit für ihren unentgeltlichen Einsatz ausdrückt. „Wir erleben hier in unserer Gemeinde Gemeinschaft, Geborgenheit und das gute Gefühl, gebraucht zu werden“, beschreiben Erika und Ernst Siepmann den wichtigsten und unbezahlbaren Lohn für ihre Arbeit.

Diese Geborgenheit hat Ernst Siepmann zuletzt sehr wohltuend erlebt, als er ein gesundheitliches Problem hatte und in den Gesprächen mit Pfarrerin Katrin Schirmer immer wieder den Rücken gestärkt bekam. Dass der christliche Glaube in der Gemeinde nicht nur gepredigt, sondern auch gelebt wird, hat den ehemaligen Katholiken, der als junger Mann frustriert aus der Kirche ausgetreten war, 2001 dazu gebracht, in die evangelische Kirche einzutreten. „Ich habe hier immer eine große Offenheit erlebt, die ich im Gemeindeleben meiner Jugend immer vermisst habe“, begründet er seine persönliche Entscheidung, die er bis heute nicht bereut hat.

„Die Siepmanns sind für unsere Gemeindeleben eine sichere Bank“, freut sich Pfarrerin Schirmer. Sie hat den Eindruck, dass die Menschen in der Gemeinde für das agile und hilfsbereite Rentner-Ehepaar „über die Jahre zu einer zweiten Familie geworden sind.“

Die Siepmanns nicken und erzählen von dem guten Gefühl, dass sie mit ihren älteren Gästen nicht nur bei dem von zünftiger Hausmannskost geprägten Mittagstisch erfahren, wenn sie sehen, dass alte Menschen, deren Partner verstorben sind, wieder aus ihrer Trauerhöhle herauskommen und neue Lebensfreude und soziale Bindungen entwickeln.

„Uns macht die Arbeit Spaß und deshalb machen wir auch so lange weiter, wie unsere Gesundheit mitspielt“, versichern die Siepmanns, die ihre Eltern und Schwiegereltern zuhause gepflegt haben.

Aber was wird sein, wenn die Siepmanns mal nicht mehr können? „Ich bin davon überzeugt, dass immer wieder Jüngere nachkommen und das Ehrenamt in unserer Gemeinde nicht aussterben wird“, gibt sich Pfarrerin Schirmer optimistisch. Doch sie glaubt, „dass sich die Formen des Ehrenamtes verändern werden.“ Das sieht sie schon heute an den Gemeindegruppen, die zum Beispiel als Wandvögel gemeinsam unterwegs sind oder gemeinsam Filmabende organisieren.




So gesehen: Es gibt doch noch Christkinder


Wer glaubt heute noch an das Christkind? Der muss doch von gestern sein. Das Christkind kennen die meisten Kinder heute bestenfalls aus der Krippe im Wohnzimmer oder in der Kirche. Jedes Kind weiß, dass seine Weihnachtsgeschenke von Mama und Papa bezahlt werden müssen. Deshalb klingeln vor Weihnachten nicht nur die Glocken, sondern auch die Kassen. Der Einzelhandel freut sich. Doch wer auf unserer Stadtteilseite die Geschichte der Siepmanns liest, die sich beschenkt fühlen, in dem sie andere Menschen beschenken, weiß, es gibt sie noch, die Christkinder, auch wenn sie schon etwas größer sind. 

Dieser Text erschien am 19. Dezember 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung

Sonntag, 20. Dezember 2015

Vom Schüler zum Minister und Reporter: Heißener Gymnasiasten lernen spielend etwas über das Wechselspiel von Politik und Medien

Montagnachmittag: Lisa, Tim, Julian, Wei Fang, Omid, Robin, Leon, Teresa und ihre Mitschüler aus dem vom Lehrer Marc Thaper geleiteten Sozialwissenschaftskurs der Jahrgangsstufe 12 haben schon sieben Stunden Schule hinter sich, als sie in die Rolle von Journalisten, eines Ministers, einer Referentin oder eines Pressesprechers schlüpfen.

Bevor die 16 Schüler des Gymnasiums Heißen ihren Unterrichtsraum in einen Pressesaal des Schulministeriums verwandeln, diskutieren sie mit den Journalisten Steffen Bender und der Kommunikationswissenschaftlerin Lisa Debo von der NRW-School of Governence an der Universität Duisburg Essen über die Frage: „Was ist eigentlich Öffentlichkeit und wie wird öffentliche Meinung gebildet?“ Beim Schnelldurchgang durch die deutsche Medienlandschaft wird Lisa klar: „Es gibt Medien, die wirklich wichtige Informationen für unser Leben transportieren und andere, die vor allem unterhaltsamen Promiklatsch verbreiten.“

„Nur weil der Video-Blogger LeFloid auf Youtube ein Millionenpublikum erreicht und Angela Merkel interviewt, sagt seine Reichweite noch nichts über seine Kompetenz und seine Absichten aus“, findet Luca. Und Tim macht mit Hinweis auf wirre Verschwörungstheoretiker deutlich, dass das Internet nicht nur seriösen Informationsquellen ein Plattform bietet.

„Es geht mir um einen handlungsorientierten Ansatz, der die Schüler in ihrer Lebenswirklichkeit abholt und sie dazu motiviert, Informationen auch kritisch zu hinterfragen,“ erklärt Sozialwissenschaftslehrer Thaper das Ziel seines praktischen Politik-Blocks, in dem auch schon ein Gesetzgebungsverfahren und eine Parteigründung simuliert worden sind.

Diesmal geht es bei einer Pressekonferenz um die Frage: Wie man den Unterricht alltagstauglicher machen kann. Als Schulminister präsentiert Robin ein 25-Millionen-Programm, das Projektwochen, Arbeitsgemeinschaften, Exkursionen und Vorträge ermöglichen soll.

Das Spektrum der Medienvertreter reicht von Tagesschau bis RTL 2 News und von Bild.de bis Süddeutsche Zeitung. Das Kaliber der Fragen reicht von: „Müssen Lehrer auf ihre Alltagstauglichkeit überprüft werden?“ über „Ist das ganze Programm nicht viel zu teuer?“ bis zu: „Befürchten Sie, dass unser Land durch schlechte Schulbildung zugrunde geht?“ Ganz professionell weist Leon als Pressesprecher darauf hin, dass die Zeit für Fragen begrenzt ist, weil der Minister heute noch andere Termine hat.“

Julian und Teresa finden es nicht leicht, „sich auf das unterschiedliche journalistische Niveau zu begeben.“ Für Robin ist nach der Pressekonferenz klar: „Man sollte sich nicht nur aus den Medien informieren, sondern bei wichtigen Themen auch direkt an die eigentliche Informationsquelle herangehen, um sich ein eigenes Bild zu machen!“ Und Leon meint: „Es ist wichtig, sich selbst für Themen zu engagieren, die einem wichtig sind.“

Dieser Text erschien am 15. Dezember 2015 in der NRZ und in der WAZ

Samstag, 19. Dezember 2015

Das Gemeindeleben wird sich radikal verändern“ Der Pfarrer von St. Barbara geht davon aus, dass seine Pfarrei mittelfristig mit der Nachbar-Pfarrei St. Mariae Geburt fusionieren wird

Manfred von Schwartzenberg
Bei der Gemeindeumstrukturierung des Jahres 2006 konnte Manfred von Schwartzenberg als Stadtdechant dafür sorgen, dass die 169.000-Einwohner-Stadt an der Ruhr nicht nur zwei, sondern drei Pfarrgemeinden behalten konnte. Warum sieht er jetzt die langfristige Perspektive der Stadtkirche in einer zentralen Pfarrgemeinde? Das Neue Ruhrwort fragte nach.

??? 2019 werden Sie 75 Jahre alt. Dann gehen Sie nach 27 Jahren als Pfarrer von St. Barbara in Pension. Was passiert dann?

!!! Der akute Priestermangel, die demografische Entwicklung und der langfristige Rückgang der Kirchensteuereinnahmen ist bekannt. Ich gehe davon aus, dass es 2019 nur noch einen Pastor, aber keinen Pfarrer von St. Barbara geben wird.

??? Muss das denn sein? Ihre Pfarrgemeinde hat ein lebendiges Vereins- und Verbandswesen und viele ehrenamtlich engagierte Katholiken.

!!! Es stimmt. St. Barbara ist mit etwa 19.000 Gemeindemitgliedern die größte Pfarrei der Stadt. Aber die demografische Entwicklung ist eindeutig. In den letzten 15 Jahren hat die heute noch etwa 51.000 Katholiken zählende Stadtkirche mehr als 10.000 Mitglieder durch Tod oder Austritt verloren. Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass katholische Familien heute zu wenige Kinder und noch weniger Priester produzieren. Das hat meiner Ansicht nach weniger mit dem Pflichtzölibat oder damit zu tun, dass Frauen nicht zum Priesteramt zugelassen werden. Der eigentliche Grund ist eine Glaubenserosion. In den Familien wird der Glaube heute nicht mehr selbstverständlich vorgelebt und weitergegeben. Heute gehen gerade noch rund 6 Prozent der Katholiken regelmäßig in die Heilige Messe. Und 2030 werden es vielleicht nur noch ein Prozent sein.

??? Das hört sich nach dem Untergang des christlichen Abendlandes an.

!!! Nein, das zeigt nur, dass wir keine Volkskirche, sondern eine Kirche im Volk sind, die in Zukunft noch mehr auf ehrenamtlich engagierte Laien angewiesen sein wird, die bereit sind, nicht nur organisatorische, sondern auch seelsorgerische Aufgaben zu übernehmen. Es gibt diese Leute heute schon, aber sie müssen ihre Begabungen auch entdecken und von der Kirche geschult werden.

??? Sehen Sie in der Krise auch eine Chance für die Kirche?

!!! Auf jeden Fall. Wir werden in Zukunft weniger Taufschein-Katholiken haben. Die ökumenische Zusammenarbeit verstärken und ganz neue Formen des Gemeindelebens entwickeln. Wir werden vielleicht Kirchen abreißen müssen, die in der Unterhaltung nicht mehr finanzierbar und für die kleine Schar der Gläubigen zu groß geworden sind. Gleichzeitig werden wir vielleicht Kirchen zusammen mit unseren evangelischen Mitchristen teilen. Das kann auch für Gemeindezentren gelten, in denen man nicht nur Gottesdienste feiern, sondern auch gemeinsame Veranstaltungen über die Bühne gehen lassen kann. Und auch Hausmessen, zu denen Familien ihre Nachbarn aus der Gemeinde einladen, sind gut denkbar. Ganz wichtig ist und bleibt für mich eine professionelle und hauptamtliche Kirchenmusik, weil sie sehr viele Menschen anspricht und verbindet.


Dieser Text erschien am 12. Dezember 2015 im Neuen Ruhrwort

Donnerstag, 17. Dezember 2015

Fahren mit Fingerspitzengefühl: Der Straßenbahnfahrer Lloyd Thurairaj

Lloyd Thurairaj
„Kenne ich Sie nicht aus der Straßenbahn“, wird Lloyd Thurairaj nicht nur gefragt, wenn er mit Frau Sherin, Sohn Shane (16) und Tochter Laura (11) einkauft. „Ich bin immer freundlich zu den Menschen, die mich kennen, die ich aber nicht kenne“, sagt der 46-Jährige und lächelt.

Thurairaj kann nicht alle Menschen kennen, die er täglich als Straßenbahnfahrer auf den Linien 104, 112 und U18 sieht. Es sind wohl mehrere Tausend. „Ich habe eine gute Familie und eine schöne Arbeit“, sagt der Tamile, der vor 26 Jahren vor dem damaligen Bürgerkrieg aus seiner Heimat Sri Lanka floh und in Mülheim landete. In seiner Tasche hatte er nur das Abschlusszeugnis des Gymnasiums, das er in der sri-lankischen Hauptstadt Colombo besucht hatte. „Ich wollte mich hier schnell integrieren und im öffentlichen Dienst arbeiten“, erinnert sich Thurairaj an das Ziel, mit dem er in Mülheim ankam. „Mein erster Weg führte mich zur Volkshochschule, wo ich mich für einen Deutsch- und einen Englisch-Kurs anmeldete“, erzählt er. Gerne erinnert er sich an einen deutschen Kollegen im Englisch-Kurs, der ihn partout mit dem Auto nach Hause bringen wollte, obwohl ihm Thurairaj damals noch gar nicht genau erklären konnte, wo er eigentlich wohnte. Die Folge war eine Irrfahrt durch die Stadt, die am Ende aber mit vereinten Kräften und mit Hilfe ortskundiger Passanten doch zum Ziel führte.

Nicht nur in dieser Episode erlebte Thurairaj die Bürger seiner zweiten Heimat „als gastfreundlich und hilfsbereit“. Auch wenn mancher Fahrgast verdutzt aus der Wäsche schaut, wenn er den dunkelhäutigen Straßenbahnfahrer sieht, hat Thurairaj, so sagt er, noch keine Diskriminierung in Deutschland erlebt.
Besonders freut es ihn, wenn ihm Kinder vom Straßenrand zuwinken oder der eng getaktete Fahrplan eine Minute übrig hat, in der Thurairaj neugierigen kleinen Fahrgästen seinen Führerstand in der Straßenbahn zeigen kann. Dort sieht man heute keine Kurbel mehr, sondern nur noch einen Bremshebel und Monitore, die als Touchscreens nur mit viel Fingerspitzengefühl bedient werden können. Wenn sich Kinder für seinen Beruf und seinen Arbeitsplatz interessieren, steht er ihnen gerne Rede und Antwort. Denn er weiß: „Das könnten die Straßenbahnfahrer von morgen sein!“
Hochgearbeitet
Doch sein Berufsleben in Deutschland begann Thurairaj 2001 nicht als Straßenbahnfahrer bei der Mülheimer Verkehrsgesellschaft, sondern als Reinigungskraft bei den Betrieben der Stadt. 2011 machte er dann den Straßenbahnführerschein und wurde MVG-Fahrer. „Es war für mich anfangs gewöhnungsbedürftig, so hoch zu sitzen und auf den Straßenverkehr hinunterzuschauen und zu erleben, dass die Lenkwirkung in Kurven aufgrund der Länge des Fahrzeugs und seiner Achsen leicht zeitverzögert einsetzt“, erzählt Thurairaj. Als Autofahrer ist er seit 25 Jahren unfallfrei auf Mülheims Straßen unterwegs.

Als Straßenbahnfahrer musste er im dichten Verkehr in vier Jahren zwei Blechschäden erleben. „Ich war schuldlos, weil mir die Autofahrer in die Bahn gefahren sind, aber so ein Unfall lässt einen nicht unberührt“, sagt der Bahnfahrer. Er ist froh, dass bei beiden Unfällen „keine Personen zu Schaden kamen.“

Während er im Tunnel der U18 nur auf die Leuchtsignale achten muss, die ihm die Höchstgeschwindigkeit auf dem jeweiligen Streckenabschnitt anzeigen, muss er auf dem Fahrersitz der bis zu 50 Tonnen schweren Straßenbahnen seine Augen überall haben. „Autofahrer und Fußgänger unterschätzen den langen Bremsweg von 50 Metern und mehr,“ weiß Thurairaj.
Er freut sich, dass die neuen Niederflurbahnen dafür gesorgt haben, dass Fahrer und Fahrgäste auch dann entspannter unterwegs sind, wenn Fahrgäste mit Rollstuhl oder Rollator in die Bahn einsteigen müssen. „Wenn es darauf ankommt, helfen Fahrgäste oder auch ich selbst Fahrgästen mit Handicap beim Ein- und Aussteigen!“ Der Dank der in ihrer Mobilität eingeschränkten Fahrgäste ist ihm sicher. Andere ärgern sich jedoch: „Die Fahrgäste, die an der nächsten Haltestelle auf die Uhr schauen, haben in der Regel kein Verständnis für die daraus resultierende Verspätung.“

Thurairaj liebt seinen aus seiner Sicht gut bezahlten Beruf als Straßenbahnfahrer, auch wenn er ihm einen Wechselschichtdienst abverlangt. „Die Frühschicht fällt mir besonders schwer, weil ich dann um drei Uhr nachts aufstehen muss“, gibt Thurairaj zu. Doch das ist vergessen, wenn er an einem seiner freien Tage mit seiner Familie ganz gemütlich zu Hause frühstücken kann.

Dieser Text erschien am 12. Dezember 2015 in der Neuen Ruhr Zeitung

Mittwoch, 16. Dezember 2015

Macht die Region krank? Mediziner und Medizininteressierte diskutierten in der Katholischen Akademie die Gesundheitsversorgung im Ruhrgebiet

Auf dem Podium (von links) Josef Hilpert, Klaus Pfeffer, Moderatorin Judith Wolf,
Monika Hoffmann-Badache, Christoph Hanefeld und Ansgar Wübker
„Macht die Region krank?“ Die Frage wollte und sollte provozieren. Der Bistumsrat für Gesundheit und Medizinethik diskutierte jetzt mit rund 400 Medizinern und Medizininteressierten in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg den Stand der Gesundheitsversorgung im Ruhrgebiet. Die Zahlen, die Professor Josef Hilbert vom Gelsenkirchener Institut für Arbeit und Technik und Gesundheitsforscher Dr. Ansgar Wübker vom in Essen ansässigen Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung auf den Tisch legten, ließen aufhorchen.
 
Einerseits arbeiten im Ruhrgebiet 370.000 Menschen im Gesundheitssektor. Sie verdienen ihr Geld nicht nur als Ärzte und Pflegekräfte, sondern auch im wachssenden Dienstleistungsbereich der Medizintechnik, die zuletzt im Jahresvergleich ein Plus von rund 18 Prozent aufweisen konnten.
Andererseits haben Menschen in Bonn und im Münsterland, statistisch betrachtet, fünf Lebensjahre mehr zu erwarten, als Menschen in Gelsenkirchen. Und in der Stadtregion Ruhrgebiet müssen sich im Durchschnitt rund 2100 Bürger einen Hausarzt teilen, während im Bundesdurchschnitt nur 1600 Bürger auf einen Hausarzt kommen. „Da brennt was an. Da besteht akuter Handlungsbedarf“, betonte denn auch Professor Hilbert. NRW-Gesundheits-Staatssekretärin Monika Hoffmann-Badache sieht die zentrale Herausforderung in den Folgen des demografischen Wandels. „Wir haben im Ruhrgebiet eine vergleichsweise alte Bevölkerung mit entsprechendem Versorgungsbedarf“, machte sie deutlich. Das Land finanziert in diesem Zusammenhang, laut Hoffmann-Badache, zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen und vor allem stadtteil- und quartiersorientierte Förderprojekte. Besondere Hoffnungen richten sich dabei auf die sogenannten Stadtteil- und Quartiermanager. Sie sollen alle Akteure vor Ort an einen Tisch bringen zu konzertierten Aktionen motivieren, die sich nicht nur, aber auch auf die vorbeugende Gesundheitsfürsorge beziehen können.
 
Eine strukturelle Handlungsunfähigkeit des Landes räumte Hoffmann-Badache bei der Ärzteversorgung des Ruhrgebietes ein. „Als die jetzt geltende Quote 2012 durch den gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkasse festgelegt wurde, haben wir sehr wohl unsere Bedenken geäußert. Wir haben in diesem Entscheidungsgremium, ebenso wie die Patientenverbände, aber leider nur einen beratenden Mitgliedsstatus“, erklärt die Gesundheitsstaatssekretärin das Grundproblem. „Ein bisschen mehr Rumoren könnte da weiter helfen“, appellierte Professor Hilpert an Ärzte, Politiker und Patientenvertreter der Region. Professor Christoph Hanefeld vom katholischen Universitätsklinikum Bochum und Dr. Wübker vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung kamen bei der Betrachtung ihrer Zahlen und ihrer praktischen Erfahrungen zu dem Ergebnis, dass das Ruhrgebiet aufgrund seiner sozialen Struktur eher ein soziales als ein medizinisches Problem habe.
Denn einerseits ist das Ruhrgebiet bei der 112-Notarztversorgung mit einer maximalen Anfahrtszeit von acht Minuten im Landesvergleich Spitze. Außerdem konnte die Zahl der Herzinfarkte und Schlaganfälle in den vergangenen 15 Jahren durch Gesundheitsvorsorge halbiert werden. Andererseits leben im Ruhrgebiet viele einkommens- und bildungsarme oder sogar unversicherte Menschen, die seltener zum Arzt oder zu Vorsorgeuntersuchungen gehen und auch weniger Einsicht in den Zusammenhang von Bewegung, Ernährung und Gesundheit mitbringen.

Wenn es um das Thema Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsaufklärung im Ruhrgebiet geht, sieht Generalvikar Klaus Pfeffer auch die Kirche gefordert. Er sagt: „Wir dürfen uns nicht nur auf uns selbst beziehen. Wir müssen heraus aus unseren Zirkeln und hinein in die Stadtteile, um zusammen mit anderen Akteuren aktiv zu werden. Wir müssen uns stärker fragen, für wen unsere vorhandenen Einrichtungen eigentlich da sind und da sein sollten. Denn alleine können die Gemeinden vor Ort nur wenig bewirken.“
 
Dieser Text erschien am 21. November 2015 im Neuen Ruhrwort 

Dienstag, 15. Dezember 2015

Der Künstler Alexander Voß zwischen Atelier und Krankenhaus

Ich habe mein Ding gemacht“, sagt Alexander Voß. Wenn man mit dem 54-jährigen Familienvater über seine Arbeit als freier Künstler und Kommunikationsdesigner spricht, merkt man, dass er mit sich selbst im Einklang ist. „Ich habe meinen Weg im Leben gefunden, weil ich das tun kann, was in mir und was meins ist“, betont er.

Dass der dreifache Vater tagsüber im Atelier ohne materielle Existenzsorgen an Kunstobjekten, Webdesigns, Kunstreproduktionen und Ausstellungskatalogen arbeiten kann, hat mit seiner Nachtarbeit im Evangelischen Krankenhaus zu tun. Dort ist er einer von 50 Kollegen, die nachts im Einsatz sind. „Ich bin seit langer Zeit mit dem Evangelischen Krankenhaus verbunden. Hier habe ich schon in den 70er und 80er Jahren mein erstes Auto und einen Teil meines Studiums an der Folkwanghochschule finanziert“, erzählt Alexander Voß.

Da er auch einen Nachtzuschlag bekommt, kommen seine Frau Ute, die als Krankenschwester im gleichen Krankenhaus arbeitet, und er selbst finanziell ganz gut über die Runden. Im Rückblick ist Voß besonders glücklich, dass er im Evangelischen Krankenhaus nicht nur einen Brotberuf, sondern bei seinen nächtlichen Kontrollgängen auch die Frau fürs Leben gefunden hat.

Während seine Frau auf der Geburtsstation arbeitet, sitzt Voß zwischen 20.30 Uhr und 6 Uhr am Empfang im Foyer der Klinik. Seit das Evangelische Krankenhaus eine zentrale Schließanlage hat, haben sich die meisten seiner regelmäßigen Kontrollgänge erledigt. Doch wenn Not am Mann ist, muss er auch vor Ort sein, wie etwa bei einem Brandmeldealarm in der Augenklinik, der in diesem Fall glimpflich verlief, weil sich der Brandherd „nur“ als glimmende Zigarette in einem Papierkorb herausstellte.

„Auch wenn die Nächte oft ruhig verlaufen, muss man für den Notfall immer hellwach und konzentriert sein,“ unterstreicht Voß. Denn während der Nacht muss er am Empfang nicht nur alle Anrufe entgegennehmen, die das Krankenhaus von außen erreichen, sondern auch alle Patientenrufe aus den Krankenzimmern annehmen. Oft hat er es auch mit Menschen zu tun, die am Empfang stehen und über Schmerzen in der Brust, über Schwindel und Übelkeit oder über Lähmungserscheinungen klagen.

„Man braucht für diese Arbeit viel Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen, um eine Situation richtig einzuschätzen“, weiß Voß. Handelt es sich etwa bei den beschriebenen Beschwerden der ambulanten oder stationären Patienten um eine Kreislaufschwäche oder doch um Anzeichen für einen lebensbedrohlichen Schlaganfall oder Herzinfarkt? Geht es um Sekunden? Müssen die Bereitschaftsärzte über den Notruf alarmiert werden? Bis heute läuft ihm der Mann nach, der plötzlich mit Herzinfarktsymptomen vor ihm stand und trotz einer sofort eingeleiteten notärztlichen Versorgung wenige Minuten später im Krankenhaus starb.

„Aber auch mit solchen Extremsituationen muss man umgehen können“, sagt Voß. Und er fügt hinzu: „Ich habe hier gelernt, dass Leben und Tod zusammengehören und einen natürlichen Kreislauf bilden.“ Keinen Zweifel lässt er daran, dass Gesichter und Gespräche, die er an seinem Arbeitsplatz aufgenommen hat, auch in seine künstlerische Arbeit und in seine Lebenseinstellung eingeflossen sind. Diese Begegnungen haben ihn gelehrt, dass das Sein im Leben wichtiger ist als das Haben.

Keine Begegnungen und Gespräche, sondern Stille und einsame Routinearbeit stehen auf seinem nächtlichen Arbeitsprogramm, wenn er im Krankenhauskeller Informationsmappen für Patienten zusammenlegt, den Bestand des ausliegenden Informationsmaterials überprüft und medizinische Formulare druckt. Deren Bandbreite reicht von der Dienstanweisung für Desinfektionsmaßnahmen über die Sicherheitschecklisten für Operationen bis hin zu Privatrezepten und Vortragsunterlagen. Und wenn er nach seinem frühen Feierabend am Morgen mit seiner Frau Ute nach Hause fährt, wird zu Hause erst mal gefrühstückt und dann ausgeschlafen.

Später stehen dann Einkäufe und die Arbeit im Atelier auf der Tagesordnung. Und weil die Eltern meistens nachts arbeiten, ist nicht das Mittagessen, sondern das Abendessen gegen 19 Uhr der Zeitpunkt, an dem sich die ganze Familie um den Tisch versammelt.

Dieser Text erschien am 11. September 2015 in der NRZ und in der WAZ

Montag, 14. Dezember 2015

Morgens um Sieben ist die Welt noch in Ordnung Zumindest für die Mülheimer Verkehrsgesellschaft: Denn dann haben ihre Bahnen und Busse besonders viele Fahrgäste. Sie wollen möglichst pünktlich zur Arbeit oder zur Schule kommen, was nicht immer gelingt: Eindrücke einer Dienstfahrt

Wer behauptet, dass Busse und Bahnen doch ohnehin meistens halb leer durch die Stadt fahren würden, war noch nie Fahrgast im Berufsverkehr. Kurz vor Sieben. Noch schnell einen Kaffee als kleine Energiespritze für den Tag und dann nichts wie hin und hinunter in den gut gekühlten Untergrund der Schloßstraße. Die elektronische Anzeige der Mülheimer Verkehrsgesellschaft zeigt, dass die Stunde geschlagen hat. Die Straßenbahnlinie 102 in Richtung Oberdümpten fährt in fünf Minuten in den U-Bahnhof Stadtmitte ein.

Wer am U-Bahnhof Stadtmitte auf die Bahn wartet, muss sich warm anziehen. Ein junger Mann im Kapuzenpulli geht so intensiv auf und ab, als denke er noch darüber nach, ob er überhaupt einsteigen solle oder nicht. Aber eine Klassenarbeit wartet. Und die Bahn ist pünktlich. Er muss einsteigen. Sitzplatz? Fehlanzeige! Die Bahn ist rappelvoll. Wer mitfahren will, muss sich zu diesem frühen Zeitpunkt an den Stangen und ihren Schlaufen im Gang gut festhalten. Standfestigkeit ist gefordert. Das ändert aber nichts daran, dass man richtig durchgeschüttelt wird.

Zwischen Uhlenhorst, Stadtmitte und Oberdümpten sehen die meisten Fahrgäste der 102 um kurz nach Sieben noch recht müde und oft auch etwas geistesabwesend aus. Man sieht die Zeitungs- und Buchleser mit einem Kaffeebecher und die gut verkabelten Smartphone-Nutzer. Nur wenige Leute wollen sich am frühen Morgen unterhalten. „Ich habe am liebsten meine Ruhe“, meint ein Fahrgast. „Es macht einfach Spaß, vor dem Unterricht noch mal zu entspannen und Musik zu hören“, sagt eine Schülerin, die ihre Stöpsel kurz aus den Ohren nimmt. Einem 57-jährigen Bankkaufmann reicht der morgendliche Blick aus den großen Straßenbahnfenstern, um sich vor Dienstbeginn zu entspannen. Ein 59-jähriger Kollege lenkt sich um 7.30 Uhr lieber mit der Lektüre eines Kriminalromans ab. Er sagt: „Morgens mit der Straßenbahn statt mit dem Auto zur Arbeit zu fahren, hat schon seine Vorteile. Man braucht nicht auf den Verkehr zu achten, steht nicht im Stau und muss anschließend auch keinen Parkplatz suchen. Aber die Bahn könnte pünktlicher und die Information über Verspätungen und Ausfälle besser sein.“

Und worüber unterhält man sich zwischen 7 und 8 Uhr auf dem Weg zur Schule, wenn man denn Lust hat, sich seinen Schulkameraden mitzuteilen? „Natürlich über die bevorstehende Oberbürgermeister-Wahl“, flunkert ein Jugendlicher. Seine Klassenkameraden lachen, und der weitere Verlauf ihrer Morgenkonversation zeigt: Schülergespräche drehen sich, wie eh und je um die Macken von Lehrern und Mitschülern. Die Anwesenden werden natürlich ausgenommen.

„Natürlich werden in der Straßenbahn auch schon mal Hausaufgaben abgeschrieben“, gibt eine Schülerin zu. Doch an diesem Morgen bleiben Hefte, Stifte und Bücher in den Schultaschen. Alle Schüler, die hier an Bord sind, scheinen ihre Hausaufgaben gemacht zu haben.

„Die neuen Niederflurbahnen sind schon klasse“, lobt ein Schüler im Rollstuhl die auf der Linie 102 pendelnde Neuanschaffung der Mülheimer Verkehrsgesellschaft und ihrer Nachbargesellschaften im Verkehrsverbund Via.

Einige Mütter und Väter, die an diesem Morgen mit Kind und Kinderwagen ein- und aussteigen, um den Nachwuchs vor der Arbeit noch schnell in die Kindertagesstätte zu bringen, sehen die Niederflurbahn als einen Fortschritt.

„Man kann einfach bequemer ein- und aussteigen“, sagen sie. Aber sie klagen auch über rücksichtslose Fahrgäste, die manchmal die für Kinderwagen vorgesehenen Sitznischen einfach nicht freigeben wollen. Und wie ist das mit dem Schülerlärm am frühen Morgen oder in der Mittagszeit? „Manchmal werden sie schon sehr laut, und wenn sie es übertreiben, macht der Fahrer auch schon mal eine Durchsage, aber was soll’s. Wir waren auch mal jung“, meint ein Mitarbeiter der Fliedner-stiftung.

Und Straßenbahnfahrer Dirk Rasinski findet: „Wirklich stressig ist morgens nur der sehr dichte Straßenverkehr. Da muss man höllisch aufpassen.“

Sein Arbeitstag beginnt in der Regel schon kurz nach 4 Uhr. Doch in 27 Dienstjahren hat der Frühaufsteher, wie er glaubhaft versichert, noch nie verschlafen.


Dieser Text erschien am 11. September 2015 in der NRZ und in der WAZ 

Sonntag, 13. Dezember 2015

„Ich war eigentlich immer ein Bürgermeister-Typ“

Günter Weber
Am Vorabend seine 80. Geburtstages sprach ich mit dem Alt-Bürgermeister Günter Weber 

??? Was wünschen Sie sich zu ihrem Geburtstag?

!!! Wenn man so alt geworden ist, wie ich, weiß man den Wert der Gesundheit zu schätzen. Und ich bin dankbar für ein reiches Leben, in dem ich gestalten durfte und ein gute Frau an meiner Seite hatte. Auch für meine Kinder und Enkelkinder bin ich sehr dankbar.

??? Wie sehen Sie als ehemaliger Stadtrat, Bürgermeister und Landtagsabgeordneter die heutige Politik?

!!! Die Politiker haben es heute schwerer, als zu meiner aktiven Zeit. Wir hatten damals noch mehr Geld in der Kasse und haben es an der einen oder anderen Stelle versäumt, rechtzeitig Rücklagen zu bilden. Wir konnten aufbauen und gestalten. Heute müssen Politiker Krisen managen und Probleme lösen, die kaum zu lösen sind, wenn ich alleine an die finanzielle Situation der Stadt denke und an die Herausforderung, die mit den Flüchtlingen verbunden sind. Man merkt, dass es überall grummelt. Viele Menschen haben Existenzängste und fragen: Was wird aus meinem Arbeitsplatz? Was wird aus meiner Rente?

??? Was wünschen Sie vor diesem Hintergrund Ihrer Partei und der Politik insgesamt?

!!! Es hilft nur eines. Politiker müssen mit den Menschen sprechen, müssen in Vereinen und Verbänden präsent sein, um zu wissen, wo die Leute der Schuh drückt. Nur so kann man Vertrauen und Wahlen gewinnen. Ich wünsche mir eine Politik, die nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen und mit Gefühl gemacht wird. Außerdem müssen Politiker immer daran denken, dass Bürger keinen Streit, sondern nur Geschlossenheit und gute Entscheidungen belohnen.

??? Was sehen Sie im Rückblick auf Ihre Laufbahn als politischen Erfolg?

!!! Dass ich am Stadtbahnbau, am Ausbau des Horbachtals und an der Gründung der Bürgerbegegnungsstätte im Alten Bürgermeisteramt mitarbeiten und Fördermittel des Landes nach Mülheim holen konnte. Dass die Dümptener Bürgerbegegnungsstätte jetzt aufgegeben werden muss, weil sich keine neuen ehrenamtlichen Mitarbeiter gefunden haben, stimmt mich sehr traurig.


Günter Weber: Lebensstationen

1935: Günter Weber wird am 11. Dezember als Sohn eines Bergmanns Paul Weber und seiner Frau Käthe Dekker und seiner Frau in Mülheim geboren und wächst in der Heißener Mausegattsiedlung auf.

1951: Nach dem Besuch der Volksschule beginnt er bei Siemens eine Lehre als Maschinenschlosser und arbeitet 45 Jahre im Unternehmen.

1956: Nachdem er sich bereits seit 5 Jahren bei Siemens als Jugendvertreter der IG Metall engagiert hat, tritt er der SPD bei.

1960: Zusammen mit seiner Frau Christel übernimmt er für 15 Jahre die ehrenamtliche Leitung des Jugendheimes an der Nordstraße.

1964: Er wird in den Rat der Stadt gewählt und 1978 für seine dortige Arbeit mit dem Ehrenring der Stadt ausgezeichnet.

1975: Für 5 Jahre arbeitet Günter Weber in der neuen Bezirksvertretung Rechtsruhr-Nord mit.

1979: Er wird zum stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Ratsfraktion gewählt.

1980: Er übernimmt für 10 Jahre das Amt des Bürgermeisters.

1990: Wahl in den nordrhein-westfälischen Landtag, dem er bis zum Jahr 2000 angehört.

1998: Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande.


Dieses Interview erschien am 11. Dezember 2015 auf der Internetseite der Mülheimer SPD-Ratsfraktion

Schöne Straße?!

  Für die Mülheimer Presse und das neue Mülheimer Jahrbuch habe ich mich an 50 Jahre Schloßstraße erinnert. So alt bin ich also schon, dass ...