Freitag, 1. September 2023

Denk ich an die Demografie

Nicht nur für die Mülheimer Stadtgesellschaft gilt: Wir werden älter und bunter. Ein knappes Drittel der Bürgerschaft gehört heute zur Generation 60 Plus. Tendenz steigend. Dabei konnte Mülheim seit 2015 seine Bevölkerungsverluste durch Zuwanderung kompensieren, so dass die Stadtbevölkerung seitdem von 162.000 auf 174.000 angestiegen ist.

Die Bevölkerungsgewinne gehen aber auf die Bevölkerung nicht-deutschen Ursprungs zurück. Etwa 40 Prozent der Neugeborenen stammen aus Zuwandererfamilien. Ein Viertel der Mülheimer hat einen Migrationshintergrund. In unserer Stadt leben heute Menschen aus mehr als 140 Nationen. Das birgt Chancen und Risiken. 

Zuwanderung

Aktuell geht die Demografie davon aus, dass Deutschland jährlich 400.000 Zuwanderer bräuchte, um seine alterungsbedingten Bevölkerungsverluste ausgleichen zu können. Wir sehen schon heute den zunehmenden Fachkräfte Mangel, der uns als Gesellschaft vor allem Integration und Qualifikation abverlangt.

Die Geschichte der Gastarbeiter, die zwischen 1956 und 1973 nach Deutschland kamen, um den Personalmangel auszugleichen zeigt, dass Deutschland, anders als etwa die USA, Neuseeland, Australien und Kanada, sich nicht als Einwanderungsland sehen und deshalb auch erst ansatzweise und verspätet eine Integrationspolitik entwickelt haben.

Flucht

Sozial- und wirtschaftspolitisch müssen Arbeitszuwanderung und Flüchtlingszustrom voneinander unterschieden werden. Vor 75 Jahren verankerte der Parlamentarische Rat das Asylrecht im Artikel 16 des Grundgesetzes. Die 61 Väter und vier Mütter des Grundgesetzes zogen damit die historischen Lehren aus der deutschen Emigration der NS-Zeit.

Dass vor allem die Kommunen die sozial- und finanzpolitischen Folgen einer hunderttausendfachen Zuflucht tragen müssten, war im Nachkriegsdeutschland unvorstellbar. Derzeit gehen die Vereinten Nationen davon aus, dass weltweit 100 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Vor diesem Hintergrund muss sozial- und finanzpolitisch abgewogen werden, wie aufnahmen bereit und aufnahmefähig unsere Gesellschaft ist. Vor diesem Hintergrund wird politisch darüber diskutiert, ob das individuelle Asylrecht nach Artikel 16/GG in ein institutionelles Asylrecht umgewandelt werden sollte, um die Aufnahme von Flüchtlingen von der wirtschaftlichen und sozialen Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft variabel abhängig machen zu können.

Deshalb haben die Abwerbung und Zuwanderung von Fachkräften zwei Seiten. Sie stärken zwar den Standort Deutschland, schwächen aber die Herkunftsländer und produzieren so langfristig neue Wirtschaftsflüchtlinge.

Herausforderungen

Aus dem demografischen Wandel ergeben sich für unsere Gesellschaft folgende Herausforderungen:

Wir müssen Integration, Bildung und Beschäftigung fördern. Die Bertelsmannstiftung weist darauf hin, dass rund sechs Prozent der Beschäftigten ohne eine Berufsausbildung auf den Arbeitsmarkt strömen. Unter den Zuwanderern sind es sogar 13 Prozent. Mit einer Frauenerwerbsquote von rund 45 Prozent steht Deutschland international inzwischen vergleichsweise hut da.

Angesichts des Bevölkerungsschwundes, der mit dem sogenannten Pillenknick ab 1970 einsetzte, stellt sich die Frage, was muss unsere Gesellschaft leisten, um potenzielle Eltern in die Lage zu versetzen, Familie und Beruf verantwortungsbewusst miteinander vereinbaren zu können. Denn Konrad Adenauers Feststellung: "Kinder bekommen die Leute immer", gilt angesichts einer deutschen Fertilitätsrate von 1,58 Kindern pro Frau, schon lange nicht mehr. Obwohl es in Deutschland seit 2013 einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gibt, ist das Angebot der Kinderbetreuung bei uns weiterhin unzureichend. Angesichts einer durchschnittlichen Bedarfsdeckung von 40 Prozent, müssen Unternehmen verstärkt Gemeinden mit der Schaffung betriebsinterner Kinderbetreuung, wie sie zum Beispiel schon im Mülheimer Finanzamt praktiziert wird, unterstützen und entlasten, um Familiengründung und Berufstätigkeit zu ermöglichen.

Während westliche Industrieländer, wie die Bundesrepublik, in schrumpfenden und alternden Gesellschaften leben, haben viele afrikanische Staaten mit Überbevölkerung zu kämpfen. Hier kommen statistisch vier bis sechs Kinder auf eine Frau.

Zwar profitiert Deutschland vom technischen und medizinischen Fortschritt, der die durchschnittliche Lebenserwartung seit dem Jahr 1900 von 70 auf jetzt rund 80 hat steigen lassen. Doch eine längere Lebensarbeitszeit zeigt sich auf dem Arbeitsmarkt nur als punktuelle, aber nicht als generelle Lösung. Abhängig von Beruf und Gesundheit schwanken die Renteneintrittsalter.

Um unsere sozialen Sicherungssysteme zu stabilisieren, kann man, wie in Österreich oder zahlreichen skandinavischen Ländern die Finanzierungsbasis in Form einer Bürgerversicherung, bei der alle in eine Versicherung einzahlen, erweitern und darüber hinaus soziale Leistungen auch verstärkt steuerfinanzieren. Letzteres kann das zunehmende demografische Ungleichgewicht zwischen Rentnern und Erwerbstätigen aber nur bedingt ausgleichen.

Grundsätzlich gilt für jede Gesellschaft: Sozialleistungen müssen zunächst einmal erwirtschaftet werden. Hinzu kommt: In dem Maße, in dem eine Volkswirtschaft auf prekären Arbeitsverhältnissen basiert, produziert sie keinen Wohlstand, sondern Armut und insbesondere Altersarmut, die von der Allgemeinheit in Form einer sozialen Grundsicherung finanziert werden muss. Derzeit bewegt sich der Anteil der prekären Arbeitsverhältnisse zwischen 20 und 25 Prozent. Wo das Arbeitseinkommen also nicht den Mann und die Frau, geschweige denn eine Familie ernährt, werden nicht nur soziale Transferleistungen notwendig. Gleichzeitig führt die fehlende Planungssicherheit zum Verzicht auf eine Familiengründung oder zu einer potenziell dauerhaften Abhängigkeit von sozialen Transferleistungen. In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass vor allem alleinerziehende Eltern und ihre Kinder von Armut betroffen sind.


Dieser Text ist Arbeit und wird zeitnah ergänzt.


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