Die zweieinhalbstündige Diskussion verläuft nicht kontrovers. Sie ist eher ein gemeinsames Nachdenken und Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten. Zu diesem Gemeinsamkeiten zwischen den Fachleuten auf dem Podium und im Publikum gehören die Einsicht, dass wir in Deutschland keine aktive Sterbehilfe, sondern den Ausbau der stationären und ambulanten Versorgung sterbender Menschen brauchen, die die Angst vor Schmerzen und Einsamkeit auf dem letzten Weg nimmt und nicht nur die Patienten, sondern auch ihre pflegenden Angehörigen entlastet.
Der Essener Klinikdirektor des Geriatriezentrums Haus Berge, Hans-Georg Nehm, zitiert den Philosophen Hans-Georg Gadamer, wenn er sagt: „Geborgenheit schafft Gesundheit.“ Das gilt, darin sind sich alle Diskussionsteilnehmer einig, im übertragenen Sinn auch für den sterbenden Menschen, den es, wie das Wort Palliativmedizin sagt, zu ummanteln und von Schmerzen zu befreien gilt. „Es geht nicht um Sterbehilfe, sondern um Sterbebegleitung. Wir brauchen eine sorgende Gesellschaft, in der sich auch sterbende Menschen akzeptiert und nicht überflüssig fühlen. Denn dort wo Menschen Hilfe erfahren, wird auch der Wille zum Leben gestärkt und kommt der Gedanke an Suizid erst gar nicht auf“, stellt die SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese fest. Die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales, ist sich mit ihrem Kollegen Volker Beck von den Grünen darin einig, „dass Sterbehilfe nicht zu einer Regeldienstleistung werden darf.“ Deshalb plädieren sie auch für ein Verbot von kommerziell aktiven Sterbehelfern und Sterbehilfevereinen.
Für Andreas Jurgeleit, Richter am Bundesgerichtshof ist das aktuelle Recht, das aus dem Jahr 2009 stammt, „gut, wie es ist.“ Nur die aktive Sterbehilfe, also das Töten auf Verlangen und kommerzielle Sterbehilfe will auch er verboten wissen. Jurgeleit weist darauf hin, dass das geltende Recht schon heute passive Sterbehilfe und die selbstbestimmte Entscheidung des Patienten darüber, ob und wie behandelt werden soll, ausdrücklich zulässt. Klärungsbedarf, darin sind sich der Jurist Jurgeleit und der Berliner Palliativmediziner und Schmerztherapeut Christoph Müller-Busch einig, gibt es dagegen im ärztlichen Standesrecht, wenn es darum geht, ob die grundsätzlich straffreie Beihilfe zum Suizid Ärzten durch ihre jeweilige Ärztekammer verboten oder erlaubt werden soll.
„Zwischen dem Wunsch der Versorgungslücke klafft eine riesige Lücke“, räumt Müller-Busch mit Blick auf die ambulante und stationäre Palliativmedizin ein. Er fordert: „Wir müssen in Personal und damit die Herstellung von persönlicher Nähe durch Zeit und Zuwendung investieren.“ Der Mediziner weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gerade mal 0,3 Prozent der deutschen Gesundheitskosten im Bereich der Palliativmedizin entstehen und nur 60.000 von jährlich insgesamt 870.000 Sterbenden in Deutschland in einem Hospiz sterben. „Die meisten Menschen sterben heute immer noch auf einer Intensivstation“, weiß Müller-Busch.
„Das schnelllebige Krankenhaus ist kein Ort zum Sterben, aber die ambulanten Versorgungsstrukturen sind bei uns noch nicht belastungsfähig und müssen finanziell besser ausgestattet werden“, beschreibt Volker Beck das Grundproblem. Er wünscht sich ein palliatives Pflegenetzwerk, in dem mehr Menschen wieder zu Hause sterben können, weil ihre Angehörigen und sie in ihrer ambulanten Pflegesituation auf das Know How von Kliniken und Pflegediensten zurückgreifen und so nicht immer wieder in die Klinik müssen.
Würde der Deutsche Bundestag, der sich nach einer ersten Orientierungsdebatte bis Ende 2015 Zeit für eine Entscheidung nehmen will, die Option einer aktiven Sterbehilfe einrichten, wie es sie bereits in den Niederlanden, in Belgien, in der Schweiz oder im US-Bundestaat Oregon gibt, hätte in den Augen von Ruhrbischof Franz Josef Overbeck massive Folgen für das Selbstbestimmungsrecht der sterbenden Menschen. „Ihre Autonomie würde dann massiv unter Druck gesetzt, weil dann für sie immer die Frage im Raum stünde: Wie lange darf ich zur Last fallen? Was viel darf ich kosten?“ Diesen Rechtfertigungsdruck sieht auch der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff vom Deutschen Ethikrat. Mit Blick auf die Erfahrungen mit dem Paragrafen 218 warnt er vor einer schleichenden Verschiebung von Rechtsnormen und betont: „Der Respekt vor dem Leben und sein Schutz müssen in einem Rechtsstaat immer an erster Stelle stehen.“
Auch die Politiker Beck und Griese sind sich mit Schockenhoff darin einig, dass wir in unserer Gesellschaft auf allen Ebenen an einem Bewusstseins- und Wertewandel arbeiten müssen, damit Krankheit, Hilfsbedürftigkeit und Tod wieder stärker als selbstverständlicher Bestandteil des menschlichen Lebens akzeptiert wird. Die beste Vorbereitung auf den Ernstfall sieht der Jurist Andreas Jurgeleit darin, möglichst frühzeitig mit Angehörigen und potenziellen Bevollmächtigten darüber zu sprechen, wie man sterben möchte, wie man über Leben und Tod denkt und was man auf keinen Fall möchte. „Nutzen Sie dafür nicht nur die Formulare einer Patientenverfügung, sondern schreiben sie das auch mit Ihren eigenen Worten auf“, rät Jurgeleit
Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck, der durch eine Krebserkrankung selbst mit Frage von Leben und Tod konfrontiert worden ist, lässt am Ende der Diskussion noch einmal die christliche Hoffnung aufleuchten, „dass das Leben ein Geschenk Gottes ist und der Tod für uns deshalb kein Ende, sondern ein Durchgang ist, in dem es auf Gott zugeht.“
Dieser Text erschien im Neuen Ruhrwort vom 29. November 2014
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