Samstag, 12. Oktober 2024

Zur Lage der Nation

Ein Geburtstag ist ein Anlass, um zu feiern, aber auch ein Moment des Innehaltens und des Nachdenkens darüber, was gut gelaufen ist und was besser laufen kann im eigenen Leben.

So ist es auch mit unserem Land und mit unserer Gesellschaft, im seit 1990 wiedervereinigten Deutschland. Deshalb hat die CDU auch am 34. Tag der Deutschen Einheit zum Herbstgespräch eingeladen.

Diesmal sorgte Hans-Georg von der Marwitz als Gastredner im Kunstmuseum Alte Post mit seinen kritischen Feiertagsrede für reichlich Gesprächsstoff.

Der Landwirt und CDU-Politiker hat eine deutsch-deutsche Biografie. In Süddeutschland geboren und aufgewachsen, bewirtschaftet er seit der Wiedervereinigung 1990 einen Teil des Landes, das seiner aus Brandenburg stammenden Familie bis 1945 gehört hat.

Während die CDU-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Astrid Timmermann-Fechter die Wiedervereinigung als einen der "glücklichsten Momente der deutschen Geschichte" bezeichnete, nannte von der Marwitz die Wiedervereinigung "ein Geschenk". Warum wir zu unserem Glück wiedervereinigt sind, machte er mit einem eindrücklichen Rückblick auf seinen Besuch in der real existierenden DDR des Frühjahres 1989 deutlich, als seine sächsischen Gastgeber und er als junger Besucher aus dem Westen Deutschlands noch mit der Willkür der SED-Diktatur konfrontiert wurden. Damit führte Hans-Georg von der Marwitz seinem Publikum noch einmal vor Augen, dass es keinen Grund gibt, der DDR nachzutrauern.

Dennoch machte er deutlich, dass er den Zustand unseres Landes und unserer Gesellschaft 35 Jahre nach dem glücklichen Mauerfall mit großer Sorge sieht und es ihm, wie seinerzeit Heinrich Heine ergehe: "Denke ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht."

Die Wahlerfolge der in Teilen rechtsextremen AFD bei den Landtagswahlen in Brandenburg Sachsen und Thüringen kommen für ihn nicht von ungefähr. Obwohl er Helmut Kohl das historische Verdienst bescheinigt, die historische Gunst der Stunde 1989/90 erkannt und entsprechend gehandelt zu haben, machte er deutlich, dass schon die westdeutsche Bundesregierung Kohl/Genscher den Menschen in der damals noch existierenden DDR Hoffnungen gemacht habe, die unhaltbar gewesen seien. Auch die mangelnde Bereitschaft der Westdeutschen im Zuge der Wiedervereinigung die Lebensleistungen ihre ostdeutschen Landsleute zu würdigen und unbestreitbare Errungenschaften der DDR für das wiedervereinigte Deutschland, auch jenseits des grünen Pfeils, für das zu übernehmen, hätten die Ostdeutschen tief enttäuscht und ihnen das Gefühl gegeben, als Bundesbürger zweiter Klasse nicht gebraucht und nicht anerkannt zu werden. Von der Marwitz erinnerte an den massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen, die das Ergebnis der Abwicklung der volkseigenen DDR-Betriebe durch die Treuhand gewesen seien, an westdeutsche Geschäftsleute, die die unerfahren Verbraucher im Osten Deutschlands finanziell über den Tisch gezogen hätten und an kontraproduktive Strukturentscheidungen, die nach der Wiedervereinigung von westdeutschen Verwaltungs- und Wirtschaftsmanagern zum Nachteil der Ostdeutschen getroffen hätten.

Mit Blick auf die aktuelle Lage der deutschen Nation, sieht von der Marwitz ein Defizit an Realismus und ehrlicher Kommunikation. Anspruch und Wirklichkeit sieht er im wiedervereinigten Deutschland des Jahres 2024 weit auseinanderklaffen. Das macht er an Defiziten in unserer Infrastruktur, in unserem Bildungswesen und an überzogenen Sozialleistungen fest. Er sieht Deutschland derzeit als eine Gesellschaft, die, wie im Märchen vom Fischer und seiner Frau, unzufrieden über ihre Verhältnisse lebt. Von der Marwitz: "Wer Rechte hat, der hat auch Pflichten. Aber wir erwarten heute oft von anderen mehr, als wir selbst zu leisten, bereit sind!" Nur wenn diese mentalen und materiellen Strukturprobleme von den demokratischen Parteien glaubwürdig angegangen und gelöst werden, kann unsere Demokratie, nach seiner Ansicht, den Anfechtungen rechter und linker Extremisten standhalten. Von der Marwitz sieht den Auftrag des Tages der Deutschen Einheit darin, dass "wir schützen und stützen, was wir lieben", damit die Vision, die Hoffmann von Fallersleben 1841 in seinem Lied der Deutschen beschrieben hat: "Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand. Danach lasst uns alles streben, brüderlich mit Herz und Hand. Blühe im Glanzes dieses Glückes, blühe deutsches Vaterland."



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