Die Prozession an diesem Fronleichnamstag im Juni 2023 passt ins Bild. 250 Katholiken ziehen von der Albertus-Magnus-Kirche zur Kirche St. Mariae Rosenkranz. Es ist eine bunte Schar. Deutsche, kroatische und kamerunische Christen machen sich gemeinsam auf den Weg von der 1956 eingeweihten und jetzt profanierten Albertus-Magnus-Kirche zur 1894 eingeweihten Marienkirche am gleichnamigen Platz in Styrum.
Das waren noch Zeiten, als Styrum einen ortsansässigen und katholischen Großunternehmer (August Thyssen) hatte, der sich verpflichtet sah, einen wesentlichen finanziellen Beitrag zum Bau einer katholischen Kirche zu leisten, um seinen katholischen Arbeitern im damals noch protestantisch geprägten Mülheim die Feier der Heiligen Messe und die damit verbundene Seelsorge zu ermöglichen.
Grundlegender Strukturwandel
Lang ist's her. Auch 1956, als Mülheim-Styrum noch zum Erzbistum Köln gehörte, und die bereits in den 1920er Jahren angedachte Gründung eines Ruhrbistums noch zwei Jahre auf sich warten ließ, war der Neubau einer weitaus bescheideneren Kirche an der Eberhardstraße, angesichts zahlreicher katholischer Arbeiterfamilien, so sicher, wie das Amen in der Kirche.
Doch weil auch die Industriearbeitsplätze schwinden und angesichts von 523.000 Katholiken, die allein im Vorjahr landesweit ihrer Kirche den Rücken zugewandt haben, musste nach Herz Jesu in Broich mit Albertus Magnus in Styrum schon die zweite Mülheimer Kirche, innerhalb eines Jahres, aufgegeben werden. Mit Heilig Geist in Holthausen steht bereits eine weitere Kirche vor dem Aus. Denn auch in unserer Stadt bewegen sich die Kirchenaustrittszahlen nicht erst seit gestern auf Rekordniveau.
Weil nicht nur die Menschen, sondern auch das Geld fehlen, um Gotteshäuser mit Leben zu füllen und instand zu halten, muss auch die Mülheimer Stadtkirche schrumpfen, die zudem unter der Überalterung ihrer Mitglieder leidet. Waren vor 50 Jahren noch mehr als 80 Prozent der Mülheimer Mitglied der evangelischen oder katholischen Kirche, so sind es heute weniger als 50 Prozent. Damit liegt unsere Stadt im Landestrend.
Zum demografischen Wandel, mehr als 40 Prozent der Neugeborenen haben in unserer Stadt, einen Zuwanderungshintergrund und kommen damit in der Regel eher aus muslimischen als aus christlichen Familien, kommt der gesellschaftliche Wandel. Individualisierung, Liberalisierung und Pluralisierung stellen die christliche Prägung unserer Gesellschaft durch eine in der Regel christliche Sozialisation in Frage.
Zwischen Trauer und Zweckoptimismus
Die Teilnehmenden der Styrumer Fronleichnamsprozession sehen die Zukunft ihrer Kirche realistisch. Sie schwanken zwischen Trauer und Zweckoptimismus. Wenn man mit ihnen auf dem Weg von Albertus Magnus nach Mariae Rosenkranz ins Gespräch kommt, hört man Sätze wie diese: "Die Kirche wird kleiner und bunter." "Wir brauchen Räume, in denen wir uns treffen und unseren Glauben gemeinsam leben können. Das können, müssen aber keine Kirchen sein" "Sie muss das, was sie an Positivem für unsere Gesellschaft leistet, auch öffentlichkeitswirksamer darstellen." "Die Kirche muss ehrlicher, familienfreundlicher und zeitgemäßer werden. werden!" Der Schatten des Missbrauchsskandals in der Katholischen Kirche überschattet alles, auch den gut gemeinten und notwendigen Reformprozess des Synodalen Weges und seines ungewissen Ausgangs. "Unser Bischof ist Gott sei Dank liberal und hat die Zeichen der Zeit erkannt. Aber andere deutsche Bischöfe verweigern sich einer Kirchenreform", sagt eine in der Pfarrgemeinde St. Barbara aktive Frau. Auch bei dieser Prozession. spürt man, dass Kirchenvolk ist auf dem Weg von der alten zur neuen christlichen, ökumenischen und multikulturellen Kirche schon weiter als so mancher Hirte in der Kirchenhierarchie, angefangen bei der römischen Kurie.
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