Die Hyperinflation des Jahres 1923 ist als Horrorszenario ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegangen. Damals wie heute führte ein Krieg zur Geldentwertung. Doch anders als heute, sahen sich die Menschen nicht mit einer Inflationsrate unterhalb der zehn Prozent, sondern mit einer Inflationsrate von mehr als 7000 Prozent konfrontiert.
Fünf Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war die deutsche Währung nichts mehr wert. Die Kosten des Krieges, einschließlich der nachfolgenden Reparationsforderungen hatten die deutschen Staatsfinanzen ruiniert.
Sargnagel der deutschen Währung
Zum Sargnagel der Mark wurde vor 100 Jahren der passive Widerstand, mit dem die Menschen im Ruhrgebiet auf den Einmarsch französischer und belgischer Truppen reagierte. Die ebenfalls vom Krieg gebeutelten Franzosen und Belgier wollten und brauchten die Kohle aus dem Ruhrgebiet.
Der passive Widerstand geschah von Staats wegen. Auch die Mülheimer Zeitung hatte im Januar 1923 den entsprechenden Aufruf der Reichsregierung veröffentlicht. Niemand geringeres als der Mülheimer Industrielle Fritz Thyssen, stellte sich an die Spitze des Widerstandes gegen die Besatzung und wurde so zum Volkshelden.
Doch schon im September 1923 musste die Reichsregierung den passiven Widerstand an der Ruhr abbrechen, weil sie nicht mehr in der Lage war, die damit verbundenen Lohnausfallkosten zu bezahlen. Die Inflation, die bereits 1922 eingesetzt hatte, wuchs sich im Laufe des Jahres 1923 zur Hyperinflation aus.
Unkalkulierbares Wirtschaftsleben
War im Sommer 1922 der 1000-Mark-Schein noch die zahlungskräftige deutsche Banknote, so gab die Reichsbank im Herbst 1923 einen 100-Billionen-Mark-Schein heraus. Auch Mülheim gehörte zu den deutschen Städten, die im finanziellen Chaos der Hyperinflation aus der Not eine Tugend machte und eigenes Notgeld druckte, mit dem sie unter anderem den Bau der Stadthalle als notlindernde Arbeitsbeschaffungsmaßnahme finanzierte.
Doch die Not der Hyperinflation, die zu einer massehaften Verarmung der Spargroschenbesitzer führte, führte auch in Mülheim zu Tumulten. Das alltägliche Wirtschaftsleben wurde unter dem Eindruck der Hyperinflation unkalkulierbar.
Gewinner in der Not
Doch in der größten Not gab es auch Inflationsgewinner. Zu ihnen gehörte nicht nur der deutsche Staat, der mit der Einführung der Rentenmark einen Währungsschnitt machte und sich so seiner kriegsbedingten Schulden entledigte. Auch der Mülheimer Industrielle Hugo Stinnes, der aktiv gegen die Mark spekulierte, ging als Inflationskönig in die deutsche Geschichte ein.
Denn Stinnes, der sich tiefstapelnd als "Kaufmann aus Mülheim" bezeichnete, hatte sich bei seinen Zeitgenossen den Ruf erarbeitet, "zu sammeln, wie andere Leute Briefmarken." Stinnes, der damals auch dem Reichstag angehörte, stand vor 100 Jahren an der Spitze eines Weltkonzerns, zu dem mehr als 1500 Unternehmen mit insgesamt 600.000 Beschäftigten gehörten. Die Hyperinflation war für Stinnes ein Geschenk des Himmels. erlaubte sie ihm doch, seine zahlreichen Kredite defacto zum Nulltarif zurückzuzahlen.
Doch Stinnes' wirtschaftlicher Höhenflug währte nicht lange. Denn schon ein Jahr später starb er 54-jährig an den Folgen eines ärztlichen Kunstfehlers. Auf dem Sterbebett hatte er seinen Erben geraten, den größten Teil seines Konzerns zu verkaufen, "weil meine Kredite eure Schulden sind." Stinnes behielt Recht. Schon 1925 verlor die Familie Stinnes die Kontrolle über ihr Firmenimperium. Von nun an gaben amerikanische Geldgeber und Teilhaber bei Stinnes den Ton an.
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