Samstag, 1. Juli 2023

MIT SWING UND ROSEN INS 104. LEBENSJAHR

Ruhr-River-Jazzband und Bürgermeister Markus Püll gratulierten Margarete Schwoerer

Wer kann das schon von sich sagen, dass ihm die Ruhr-River-Jazzband daheim auf der eigenen Terrasse ein Geburtstagsständchen bringt und der Bürgermeister als Rosenkavalier vorbeikommt, um zu gratulieren. Aber Margarete Schwoerer hatte am Samstag einen ganz besonderen Geburtstag. Sie ist jetzt 103 Jahre Jahre alt geworden.

 Als sie am 10 Juni 1920 in ihrem Elternhaus an der Friedrichstraße das Licht der Welt erblickte, hatte Mülheim gerade die Revolution und den Ruhrkampf hinter sich gebracht. „Mein Vater Walter hat als Kaufmann den Lebensunterhalt der Familie verdient. Und meine Mutter Margarete hat sich als Hausfrau und Mutter um meine beiden Schwestern Waltraud und Charlotte und um mich gekümmert“, erinnert sich die Mülheimerin aus der Generation 100 Plus. Die Familie zog während ihrer Kindheit von der Friedrichstraße zum Dickswall 70. „In der unmittelbaren Nachbarschaft befand sich eine überkonfessionelle Volksschule, eine sogenannte Paritätische Bürgerschule, die von christlichen und jüdischen Kindern besucht wurde.“ Nach der Schule begann Margarete eine Sparkassenlehre. Die Sparkasse hieß damals noch Stadtsparkasse geheißen und war ein Amt der Stadtverwaltung, Ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen waren Beamte. Ich bin 1982 als letzte Sparkassenrätin pensioniert worden,“ berichtet Schwoerer. Als sie ihr Berufsleben bei der Stadtsparkasse begann, stand noch die Synagoge gleich neben der 1909 eröffneten Sparkasse am Viktoriaplatz, die im Oktober 1938 für 56.000 Reichsmark und damit für etwa ein Siebtel ihres Neubauwertes an die Stadtsparkasse verkauft und in der Reichspogromnacht vom 9. Auf den 10. November 1938 vom damaligen Feuerwehrchef und SS-Führer Alfred Freter in Brand gesteckt wurde. Für Margarete  Schwoerer war das Jahr 1938 ein glückliches. Denn damals lernte sie bei einem Ausflug mit der evangelischen Altstadtgemeinde ihren späteren Mann Walter kennen. Doch das Glück der beiden sollte nicht lange währen. Hitlers Krieg machte ihnen einen Strich durch die gemeinsame Lebensrechnung. Schwörer erinnert sich: „Wir haben 1942 geheiratet und mein Mann, der zuletzt als Soldat in Rumänien gekämpft hat, ist seit 1944 verschollen. Während der vielen Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges haben wir im Keller unseres Hauses oder in einem Bunker gesessen der sich gleich gegenüber dem Polizeipräsidium an der Von-Bock-Straße befand. Nach dem Kriegsende habe ich bis 1955 immer noch gehofft, meinen Mann in eines Tages wiederzusehen. Doch nachdem Konrad Adenauer 1955 die letzten deutschen Kriegsgefangenen aus Russland nach Hause geholt hatte, musste ich mich damit abfinden, ohne meinen Walter weiterzuleben.“ Walter Schwoerer ist einer von 2700 Wehrmachtssoldaten aus Mülheim, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges als verschollen gelten.

 Nach dem Krieg besuchte Schwoerer nebenberuflich eine Verwaltungsfachschule und stieg danach in den Höheren Dienst auf. „Ich habe immer in der Kreditabteilung der Stadtsparkasse gearbeitet“, erklärt Schwoerer. In den 1960er Jahren hatte sie genug Geld zusammen, um sich das Haus an der Ottostraße in Heißen zu bauen, in dem sie heute mit der Alltagsassistenz ihres Pflegers Marco Brändel lebt. „Das Wichtigste ist mir mein Garten. Früher habe ich dort selbst gerne gearbeitet. Doch das kann ich seit einigen Jahren nicht mehr. Aber ich genieße es bis heute, dass ich jeden Tag von meiner Terrasse in das wunderschöne Grün meines Gartens schauen kann“, sagt Schwoerer. Regelmäßig schaut die Mülheimer Nestorin auch in ihr großes iPad. Hier findet sie viel Wissenswertes, kann sich Ihre Fotos anschauen, per Video-Call mit Freunden, Familie und Nachbarn Neffen telefonieren. Margarete schaut noch jeden Tag die Fernsehnachrichten und recherchiert dann im Internet die Fakten und Zusammenhänge, die sie nach dem ersten Sehen und Hören noch nicht verstanden, hat“, berichtet ihr Hausgenosse und guter Geist Marco Brändel. „Mit 80 habe ich einen Computerlehrgang an der Heinrich-Thöne-Volkshochschule gemacht, so dass ich heute mit meinem ipad alles machen kann. Das war das Beste, was ich machen konnte. Und ich kann es nur jedem in meinem Alter empfehlen. Denn wenn man sich nicht mehr so gut bewegen kann, kann man mit Hilfe des Internets mit der Welt in Kontakt bleiben und am Leben vor der eigenen Haustür teilnehmen“, betont Schwoerer. Sie ist heute auf einen Rollstuhl angewiesen und sich in ihrem Haus einen Treppenlifter einbauen lassen. Die Frage wie sie so alt geworden ist, beantwortet die geistig hellwache und lebenszufriedene Jubilarin mit dem Hinweis auf ihre guten Gene. „Meine Mutter ist auch fast 103 Jahre alt geworden!“, sagt das reife Geburtstagskind.

Und was wünschen sich Margarete Schwoerer und ihr hilfreicher Hausgenosse Marco Brändel für die Zukunft? Mit einem Augenzwinkern sagt Brändel: „Ich habe mich auch schon um Margaretes Mutter gekümmert, die 1998 verstorben ist. Und in sechs Jahren gehe ich in Rente. Und bis dahin muss Margarete auch durchhalten.“ 


Mülheimer Presse

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