Montag, 2. Mai 2022

Alles Arbeit oder was?

 Nach einer zweijährigen Corona-Zwangspause ging der Deutsche Gewerkschaftsbund bei der Wiederaufnahme seiner Mai-Kundgebung zum Tag der Arbeit neue Wege. Die Teilnehmer starteten um 12.30 Uhr unter dem Motto: „Ge(mai)nsam“ am Rathausmarkt und marschierten von dort aus zur MüGa-Drehscheibe am Ringlokschuppen. Die Polizei zählte in der Spitze 400 Veranstaltungsteilnehmer.

Auf mitgeführten Transparenten waren unter anderem folgende Forderungen zu lesen: „Bezahlbarer Wohnraum statt Rüstung! Nein zum Krieg! Mehr Pflegepersonal für die Krankenhäuser in NRW! Erhalt der Volkshochschule Mülheim – Bürgerentscheid  endlich umsetzen!“ Eine Gruppe von Mitgliedern der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands skandierten während des Marsches zur Müga lautsprecherverstärkt: „Protest auf der Straße. Streik in der Fabrik. Das ist unsere Antwort auf eure Politik!“ Außerdem ließen sie vom Band das Arbeiterlied: „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“ hören.

Am Ringlokschuppen wurden den Teilnehmern der Mai-Kundgebung nicht nur die politische Kost der Gewerkschaften, sondern auch etwas für das leibliche Wohl aufgetischt, während der Nachwuchs auf einer Hüpfburg große Sprünge machen konnte. Neben dem DGB-Chef Filip Fischer, der die Veranstaltung schwungvoll moderierte, sprachen auch seine Stellvertreterin Katrin Schledorn, Oberbürgermeister Marc Buchholz, der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende des Vallourec-Mannesmann-Werkes Steffen-Lutz Wardel, die NRW-Bezirksvorsitzende der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft, Gabriele Schmidt, die Jugendvertreter Lennert Garnhartner und Lisa Präkel, und last but not least NRW-Arbeits,- Sozial- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Über gut 80 Minuten waren politische Forderungen zu hören, es sei denn, man saß oder bewegte sich im hinteren Bereich der MüGa-Drehscheibe. Dort nahm die gesprächige Geselligkeit schnell einen Geräuschpegel an, der die politischen Inhalte fast ungehört ließen.

Dabei war es hörenswert, was auf der Drehscheibe besprochen wurde: Mehr gesellschaftliche Solidarität und soziale Gerechtigkeit, durch mehr Engagement in den Gewerkschaften. „Wer von euch nicht Gewerkschaftsmitglied ist, sollte vielleicht heute die Gelegenheit nutzen, bei uns einzutreten und aktiv zu werden“, unterstrichen Filip Fischer und Katrin Schledorn.

Sehr konkret wurde es, als die beiden Jugendvertreter Lennert Garnhartner und Lisa Präkel auf die Bühne kamen und davon berichteten, dass der jetzt auf 12 Euro pro Stunde steigende .Mindestlohn nicht für Arbeitnehmer unter 18 Jahren gelte. Außerdem seien junge Arbeitnehmer überproportional von befristeten und sozial prekären Arbeitsverhältnissen betroffen. Deshalb forderten sie unter anderem eine gesetzliche Ausbildungs- und Übernahmepflicht der Arbeitgeber und die Schaffung eines Investitionsfonds, der nach dem Prinzip: „Ausbilden oder zahlen!“ Investitionen in die Bildungsinfrastruktur und vor allem durch ein höheres BAFÖG in mehr soziale Bildungsgerechtigkeit ermöglichen könne.

Wie abhängig unsere Stadt immer noch von Großunternehmen ist, machte der Hinweis des stellvertretenden Vallourec-Betriebsratschefs, Steffen-Lutz Wardel, deutlich. Er wies darauf hin, dass mit einer drohenden Schließung des Stahl-Standortes nicht nur die 2600 Arbeitsplätze bei Vallourec, sondern insgesamt 10.000 Arbeitsplätze verloren gehen könnten, die direkt oder indirekt mit dem Werk zusammenhängen.

„Die Stahlindustrie gehört noch zu den Branchen, in denen es gutbezahlte Arbeitsplätze gibt. Außerdem wird es ohne eine starke Stahlindustrie auch keine Energiewende und keine Modernisierung etwa der Brückeninfrastruktur geben. Deshalb brauchen wir eine politische Lobby, die der Stahlindustrie Aufträge verschafft und sie von den steigenden Energiepreisen entlastet“, forderte Wardel. Oberbürgermeister Marc Buchholz versicherte, „dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um Industriearbeitsplätze in unserer Stadt zu erhalten.“ Außerdem wies er darauf hin, dass in Mülheim während der vergangenen Monate einige 100 neue Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor entstanden seien.

Verdi-Chefin Gabriele Schmidt forderte angesichts der kriegsbedingten Folgekosten, die Inflationsverluste der Arbeitnehmer durch deutliche Lohnerhöhungen auszugleichen, die Mehrwertsteuer zu senken, die Erbschaftssteuer zu erhöhen und Vermögenssteuern einzuführen.

Arbeitsminister Karl-Josef Laumann bekam viel Applaus, als er feststellte: „Da, wo es Flächen-Tarifverträge und starke Gewerkschaften gibt, gibt es auch gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen. Und dort, wo es beides nicht gibt, sind auch Löhne und Arbeitsbedingungen schlecht.“ Laumann ging auch auf die  Kritik ein, die Landesregierung tue nicht genug für die Personalausstattung in der Pflege. „Ich weiß, dass wir zu wenig Personal in der Pflege haben. Aber ich weise auch darauf hin, dass die von CDU und FDP getragene Landesregierung dafür gesorgt hat, das Schulgeld für Pflegeschüler abzuschaffen und eine bedarfsdeckende Zahl von Pflegeschulplätzen zu schaffen, so dass wir heute in Nordrhein-Westfalen 17.400 Pflegeschüler im ersten Lehrjahr haben.“

 Hintergrund:

Der Tag der Arbeit entstand am 1. Mai 1886, als Arbeiter  in den USA für die Einführung des Achtstundentages und für bessere Löhne streikten. Ihr Streik wurde blutig niedergeschlagen. Ab 1890 wurde der 1. Mai auch in Europa als Kampftag der Arbeiter gefeiert. Arbeiter, die an den Maikundgebungen teilnahmen, mussten um ihren Arbeitsplatz fürchten. Adolf Hitler machte den 1. Mai 1933 zum staatlichen Feiertag der Arbeit, zerschlug aber gleichzeitig die Freien Gewerkschaften. Am 1. Mai 1946 nahmen an der ersten Mülheimer Mai-Kundgebung nach dem Krieg 10.000 Menschen teil. Sie demonstrierten auf dem Sportplatz an der Südstraße auch für die Einführung des Achtstundentages. Damals bestand die Arbeitswoche aus sechs Arbeitstagen und 60 Arbeitsstunden.


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