Nach einer zweijährigen Corona-Zwangspause ging der Deutsche Gewerkschaftsbund bei der Wiederaufnahme seiner Mai-Kundgebung zum Tag der Arbeit neue Wege. Die Teilnehmer starteten um 12.30 Uhr unter dem Motto: „Ge(mai)nsam“ am Rathausmarkt und marschierten von dort aus zur MüGa-Drehscheibe am Ringlokschuppen. Die Polizei zählte in der Spitze 400 Veranstaltungsteilnehmer.
Auf mitgeführten Transparenten waren unter anderem folgende
Forderungen zu lesen: „Bezahlbarer Wohnraum statt Rüstung! Nein zum Krieg! Mehr
Pflegepersonal für die Krankenhäuser in NRW! Erhalt der Volkshochschule Mülheim
– Bürgerentscheid endlich umsetzen!“ Eine
Gruppe von Mitgliedern der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands
skandierten während des Marsches zur Müga lautsprecherverstärkt: „Protest auf
der Straße. Streik in der Fabrik. Das ist unsere Antwort auf eure Politik!“
Außerdem ließen sie vom Band das Arbeiterlied: „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“
hören.
Am Ringlokschuppen wurden den Teilnehmern der Mai-Kundgebung
nicht nur die politische Kost der Gewerkschaften, sondern auch etwas für das
leibliche Wohl aufgetischt, während der Nachwuchs auf einer Hüpfburg große
Sprünge machen konnte. Neben dem DGB-Chef Filip Fischer, der die Veranstaltung
schwungvoll moderierte, sprachen auch seine Stellvertreterin Katrin Schledorn,
Oberbürgermeister Marc Buchholz, der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende
des Vallourec-Mannesmann-Werkes Steffen-Lutz Wardel, die NRW-Bezirksvorsitzende
der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft, Gabriele Schmidt, die
Jugendvertreter Lennert Garnhartner und Lisa Präkel, und last but not least
NRW-Arbeits,- Sozial- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Über gut 80
Minuten waren politische Forderungen zu hören, es sei denn, man saß oder
bewegte sich im hinteren Bereich der MüGa-Drehscheibe. Dort nahm die
gesprächige Geselligkeit schnell einen Geräuschpegel an, der die politischen Inhalte
fast ungehört ließen.
Dabei war es hörenswert, was auf der Drehscheibe besprochen
wurde: Mehr gesellschaftliche Solidarität und soziale Gerechtigkeit, durch mehr
Engagement in den Gewerkschaften. „Wer von euch nicht Gewerkschaftsmitglied
ist, sollte vielleicht heute die Gelegenheit nutzen, bei uns einzutreten und aktiv
zu werden“, unterstrichen Filip Fischer und Katrin Schledorn.
Sehr konkret wurde es, als die beiden Jugendvertreter Lennert
Garnhartner und Lisa Präkel auf die Bühne kamen und davon berichteten, dass der
jetzt auf 12 Euro pro Stunde steigende .Mindestlohn nicht für Arbeitnehmer
unter 18 Jahren gelte. Außerdem seien junge Arbeitnehmer überproportional von befristeten
und sozial prekären Arbeitsverhältnissen betroffen. Deshalb forderten sie unter
anderem eine gesetzliche Ausbildungs- und Übernahmepflicht der Arbeitgeber und
die Schaffung eines Investitionsfonds, der nach dem Prinzip: „Ausbilden oder
zahlen!“ Investitionen in die Bildungsinfrastruktur und vor allem durch ein
höheres BAFÖG in mehr soziale Bildungsgerechtigkeit ermöglichen könne.
Wie abhängig unsere Stadt immer noch von Großunternehmen
ist, machte der Hinweis des stellvertretenden Vallourec-Betriebsratschefs, Steffen-Lutz
Wardel, deutlich. Er wies darauf hin, dass mit einer drohenden Schließung des Stahl-Standortes
nicht nur die 2600 Arbeitsplätze bei Vallourec, sondern insgesamt 10.000
Arbeitsplätze verloren gehen könnten, die direkt oder indirekt mit dem Werk
zusammenhängen.
„Die Stahlindustrie gehört noch zu den Branchen, in denen es
gutbezahlte Arbeitsplätze gibt. Außerdem wird es ohne eine starke
Stahlindustrie auch keine Energiewende und keine Modernisierung etwa der
Brückeninfrastruktur geben. Deshalb brauchen wir eine politische Lobby, die der
Stahlindustrie Aufträge verschafft und sie von den steigenden Energiepreisen
entlastet“, forderte Wardel. Oberbürgermeister Marc Buchholz versicherte, „dass
ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um Industriearbeitsplätze in
unserer Stadt zu erhalten.“ Außerdem wies er darauf hin, dass in Mülheim während
der vergangenen Monate einige 100 neue Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor entstanden
seien.
Verdi-Chefin Gabriele Schmidt forderte angesichts der
kriegsbedingten Folgekosten, die Inflationsverluste der Arbeitnehmer durch
deutliche Lohnerhöhungen auszugleichen, die Mehrwertsteuer zu senken, die
Erbschaftssteuer zu erhöhen und Vermögenssteuern einzuführen.
Arbeitsminister Karl-Josef Laumann bekam viel Applaus, als
er feststellte: „Da, wo es Flächen-Tarifverträge und starke Gewerkschaften
gibt, gibt es auch gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen. Und dort, wo es
beides nicht gibt, sind auch Löhne und Arbeitsbedingungen schlecht.“ Laumann
ging auch auf die Kritik ein, die
Landesregierung tue nicht genug für die Personalausstattung in der Pflege. „Ich
weiß, dass wir zu wenig Personal in der Pflege haben. Aber ich weise auch
darauf hin, dass die von CDU und FDP getragene Landesregierung dafür gesorgt
hat, das Schulgeld für Pflegeschüler abzuschaffen und eine bedarfsdeckende Zahl
von Pflegeschulplätzen zu schaffen, so dass wir heute in Nordrhein-Westfalen
17.400 Pflegeschüler im ersten Lehrjahr haben.“
Der Tag der Arbeit entstand am 1. Mai 1886, als
Arbeiter in den USA für die Einführung
des Achtstundentages und für bessere Löhne streikten. Ihr Streik wurde blutig
niedergeschlagen. Ab 1890 wurde der 1. Mai auch in Europa als Kampftag der
Arbeiter gefeiert. Arbeiter, die an den Maikundgebungen teilnahmen, mussten um
ihren Arbeitsplatz fürchten. Adolf Hitler machte den 1. Mai 1933 zum staatlichen
Feiertag der Arbeit, zerschlug aber gleichzeitig die Freien Gewerkschaften. Am
1. Mai 1946 nahmen an der ersten Mülheimer Mai-Kundgebung nach dem Krieg 10.000
Menschen teil. Sie demonstrierten auf dem Sportplatz an der Südstraße auch für
die Einführung des Achtstundentages. Damals bestand die Arbeitswoche aus sechs
Arbeitstagen und 60 Arbeitsstunden.
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