„Gehe für uns am Wochenende doch mal in den Zirkus“, bat
mich eine Kollegin aus der Lokalredaktion. Ich war skeptisch. Ich habe doch
genug Theater. Warum jetzt auch noch Zirkus? Schon als kleiner Junge konnte ich
mich, anders als meine beiden älteren Schwestern, für den Zirkus nicht begeistern.
Wenn meine Schwestern begeistert kreischten, weil ein waghalsiger Mann in
luftiger Höhe mit seinem Motorrad über ein Seil fuhr und ein anderer einen
Elefanten dazu brachte, sich auf die Hinterbeine zu stellen und wie ein Hund Männchen
zu machen, fragte ich mich nur: „Was soll der Quatsch? Das ist doch gefährlich.“
Jahrzehnte später wurde ich nun also zu einem Zirkusbesuch dienstverpflichtet
und dachte wieder: „Was soll der Quatsch?“ Doch diesmal schmolz meine Skepsis
dahin und mich packte die Begeisterung über Guillaume, Eric und David von der Defracto-Compagnie.
Die artistischen Jongleure dressierten im Ringlokschuppen keine Elefanten. Sie
mussten auch kein Hochseil mit einem Motorrad überqueren. Sie spielten sich
lediglich kleine Bälle zu und tollten wie Kinder über die Bühne. Dabei waren
ihre Jonglierkünste und ihre Bewegungen so aberwitzig und unvorhersehbar, dass
man wie beim Lesen eines guten Buches immer wieder neu gespannt war, was nun
als nächstes käme. Beim Blick auf die sich kunstvoll abstrampelnden Männer, die
liefen, stolperten, hinfielen und wieder aufstanden, musste ich an den Wort-Jongleur
Karl Valentin und seine Einsicht denken: „Kunst ist schön, macht aber auch viel
Arbeit.“ Nach der Show mit den sich tollkühn bewegenden und jonglierenden
Männern aus Frankreich öffnete mir eine Zuschauerin die Augen, in dem sie die atemberaubenden
Verrenkungen auf der Bühne als Sinnbild dafür interpretierte, „dass man im Leben
zusammenarbeiten und nach dem Hinfallen wieder aufstehen muss.“ Jetzt weiß ich,
dass man erst zirkusreif werden muss, um den Sinn hinter dem höheren Blödsinn
zu erkennen.
Dieser Text erschien am 16. Dezember 2019 in der NRZ
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen