Zu Weihnachten hat der 1939 geborene Mülheimer Klaus Kocks, den
viele seiner älteren Mitbürger noch aus seiner Zeit als Mitarbeiter des Jugendamtes
kennen, die Feldpostbriefe hervorgeholt, die sein Vater Willi vor 75 Jahren von
der Ostfront an seine Familie schrieb. Sie sind ein bewegendes und berührendes Zeitzeugnis,
das uns zum Frieden und zur Liebe mahnt.
Vor 75 Jahren ist der 43-jährige Mülheimer Postbeamte Willi
Kocks als Feldpostoffizier Soldat der deutschen Wehrmacht, die 1944 an allen Fronten
auf dem Rückzug ist. Er kämpft in Russland und dann in Ostpreußen. Dort
schreibt er bis zum 14. Januar 1945 40 Briefe an seine Frau Else, mit der er
seit 1933 verheiratet ist und zwei gemeinsame Kinder (Elsie und Klaus, damals 9
und 5 Jahre jung) hat. Seine Familie lebt seit 1943 nicht mehr in Mülheim,
sondern in Württemberg, wohin sie evakuiert worden ist, nachdem der Luftkrieg ihre
Heimatstadt in eine Trümmerlandschaft verwandelt hat und 1100 Mülheimer das
Leben kosten wird. Obwohl Willi Kocks an die Ostfront strafversetzt worden ist,
nachdem er als deutscher Soldat in Bordeaux gegen die Verhaftung und Misshandlung
von Franzosen protestiert hat, verraten seine zensierten Feldpostbriefe keine offene
Kritik an Adolf Hitler und der NSDAP, der er seit 1933 angehört. Auch innerhalb
der Evangelischen Altstadtgemeinde gehört Kocks vor dem Krieg zu den
regimetreuen Deutschen Christen. Doch zwischen den Zeilen kann man aus seinen
Feldpostbriefen herauslesen, wie überdrüssig er 1944 des Krieges ist, aus dem
er nicht nach Hause zurückkehren wird. Willi Kocks ist einer von 2700 Mülheimern,
die seit Kriegsende als vermisst gelten. 3500 seiner Mitbürger fallen als Soldaten
der Wehrmacht.
Willi Kocks schreibt am:
11. Oktober 1944: „Noch glaubt ein jeder, Weihnachten wieder
zu Hause zu sein. Aber es wäre zu schön, um wahr zu sein. Ich glaube nicht mehr
daran. Man darf gar nicht mehr denken.“
19. Oktober 1944: „Sie glauben tatsächlich, nach einem
verlorenen Krieg ruhig nach Hause gehen zu können. Ich bin es auch verdammt
leid. Zu Hause denkt man bestimmt anders, als wenn man vorne ist. Dort
verflucht man alles, was mit dem Krieg zu tun hat. Man wünscht sich, das alles
zu Ende geht, gleich wie. Es steht fest: Nach einem verlorenen Krieg haben wir
nichts zu erwarten, nur Not und Elend. Es kommen noch harte Zeiten. Wer die übersteht,
hat Glück gehabt.“
20. Oktober 1944: „Der böse Krieg wird es ja dem Christkind besonders
schwer machen.“
3. November 1944: „Jetzt kommt die Weihnachtszeit heran. Wir
sind noch hier. Das wird wohl die letzte Kriegsweihnacht sein.“
9. November 1944: „Mit den Weihnachtsgeschenken für die
Kinder sieht es ja trostlos aus. Denn in dieser elenden Walachei ist nichts aufzutreiben.“
22. Dezember 1944: „So können wir abschließend zu diesem
Jahr sagen, dass wir beide in diesem Elend, besonders ich, Glück gehabt haben. So
mancher Kamerad, der nicht daran gedacht hat, ist nicht mehr. Wir wollen nur
hoffen, dass der Krieg bald zu Ende geht. Also Schätzchen, feiert nur schön
Weihnachten und denkt ein bisschen an den Vati. Ich werde bestimmt an euch
denken.“
25. Dezember 1944: „Da habe ich zu diesem Weihnachten Pech
gehabt. Keine Post, kein Päckchen ist angekommen. Du kannst dir denken, wie es mit
meiner Weihnachtsstimmung aussieht. Ansonsten war die Weihnachtsfeier sehr
dürftig.“
1. Januar 1945: „Wir wollen hoffen, dass es die letzte
Kriegsweihnacht ist. Nach der Führerrede scheint es doch noch zu dauern, bis
dieser Wahnsinn aufhört. Wir wollen aber trotzdem den Mut und die Hoffnung nicht
sinken lassen.“
Und in seinem letzten Brief schreibt Willi Kocks am 14.
Januar 1945 aus dem ostpreußischen Deutsch Eylau, das heute Ilwa heißt und zu
Polen gehört, an seine Frau und an seine Kinder: „Das Jahr 1944 hat mir körperlich
viel Schaden getan. Der Vati kommt als alter Mann nach Hause. Auf Wiedersehen. Vielleicht
in 3 bis 4 Wochen und viele herzliche Grüße Dein Wim“
Weihnachten 1944
24. Dezember 1944. Die britische Luftwaffe greift mit 170 Bombern
gegen 14.30 Uhr den Flughafen Essen/Mülheim an, der seit 1940 als militärischer
Fliegerhorst genutzt wird. 600 Menschen aus Raadt suchen im Hochbunker an der
Windmühlenstraße Zuflucht und Schutz. Eine 200-Kilo-Bombe durchschlägt die Betondecke
des Bunkers. Viele Menschen sterben oder werden schwer verletzt. Die Zahl der Toten
wird nie genau ermittelt. Die Schätzungen schwanken zwischen 50 und 340. Die
Druckwellen des Luftangriffs lassen auch im Evangelischen Krankenhaus Fenster
bersten. Viele Verwundete aus Raadt müssen notdürftig im Keller des Krankenhauses
gelagert werden. Auch ein im Haus Jugendgroschen untergebrachtes Kinderkrankenhaus
an der Mendener Straße wird durch die Bomben zerstört. Doch seine kleinen
Patienten überleben, weil sie während des Luftangriffs nicht im Haus
Jugendgroschen, sondern bei einer weiter entfernt stattfindenden
Weihnachtsfeier weilen.
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