Sie schätzt, das etwa ein Drittel ihrer Gäste Probleme hat mit ihrer Rente über den Monat zu kommen. Viele, die es könnten und müssten, beantragen keine Grundsicherung im Alter, weil ihre Scham zu groß ist und sie zu Unrecht befürchten, dass ihre Kinder für sie zahlen müssten.
Wie sieht Altersarmut in der Awo-Tagesstätte an der Bahnstraße aus?
Man merkt es daran, dass viele Gäste nicht mehr jeden Tag am Mittagstisch teilnehmen oder sich nachmittags Kaffee und Kuchen gönnen, weil sie sich ein Mittagessen mit Vor- Haupt- und Nachspeise für 4,90 Euro, eine Tasse Kaffe für einen Euro oder ein Stück Kuchen für 1,50 Euro nicht täglich leisten kann. Auch die Teilnahme an einem Tagesausflug für kleines Geld ist für viele der Senioren, die zu uns kommen, ein großer Luxus geworden. Früher haben unsere Gäste regelmäßig von ihrem Urlaub berichtet. Heute reicht es, wenn überhaupt, oft nur noch für eine alles andere, als altersgerechte Tagesreise mit dem Bus, erzählt die Leiterin der Seniorentagesstätte.
Mit den Tränen kämpfen musste Domann-Jurkiewicz, als ihr vor einiger Zeit ein alter Herr ganz stolz erzählte, dass er sich einen Stövchen für Teelichter so umgebaut hatte, dass er sich jetzt damit ohne Strom Einsatz den Tee oder eine Mahlzeit warm machen könne.
Wenn jemand dieses Land mit aufgebaut, gearbeitet und Kinder groß gezogen hatte, sollte Er oder Sie doch wohl das Recht haben, im Alter sorgenfrei leben zu können, findet Domann-Jurkiewicz. Doch wenn sie sich in der Generation ihres Sohnes umschaut und umhört, ahnt sie: Mit der Altersarmut wird es in der Zukunft prickelnder. Denn wer bekommt heute noch einen gut bezahlten und unbefristeten Job. Und wie viele Menschen müssen sich mit 450-Euro-Jobs über Wasser halten.
Angesichts der hohen Mieten und Nebenkosten für Strom und Heizung, die jetzt schon viele Senioren mit kleiner Rente überfordern und machen Rentern monatlich nur noch 200 Euro für den täglichen Bedarf übriglassen, ist ihr mit Blick in die Zukunft klar: Die Frage der Miete und des Wohnens ist das A und O. Kleine, barrierefreie und bezahlbare Wohnungen werden nach ihrer Ansicht künftig mehr den je vonnöten sein. Auch Seniorenhäuser, wie sie sie in den Niederlanden kennengelernt hat, sieht Domann-Jurkiewicz als gute Idee. Hier leben Senioren in kleinen Häusern zusammen, sind nicht allein und bekommen bei Bedarf im Alltag professionelle Hilfestellung von außen.
Große Altenheime, das weiß die Leiterin der Seniorentagesstätte aus Gesprächen, sind vielen alten Menschen ein Graus. So lange wie möglich in den eigenen vier Wänden leben, ohne den Kindern zur
Last zu fallen. Das wollen die Meisten.
Das kann aus Domanns Perspektive nur dann klappen, wenn der Irrweg der Einkaufszentren auf der grünen Wiese beendet und die Nahversorgung wieder näher zu den alten und oft nicht mehr so beweglichen Menschen kommt. Wer soll die Einkaufszentren denn noch erreichen, zumal wenn das Geld für die Fahrkarte fehlt, weil die Rente schon nicht fürs tägliche Leben reicht, fragt sich die Altentagesstätte. Initiativen, wie den Styrumer Bürgerbus, den Fahrdienst des Styrumer Nachbarschaftsvereins oder das Sozialticket der Mülheimer Verkehrsgesellschaft sieht sie in diesem Zusammenhang als wegweisend, um Mobilität und damit auch Teilhabe am sozialen Leben einer Stadt im Alter zu garantieren.
Auch die Seniorentagesstätten müssen sich in Zukunft ganz neu positionieren. Ohne ehrenamtliche Mitarbeiter wird es nicht gehen. Aber wir brauchen auch mehr hauptamtliche Mitarbeiter, die dort auch sozial in allen alltagsrelevanten Fragen Senioren beraten und betreuen können, glaubt Domann-Jurkiewicz.
Ihre eigene Altentagesstätte sähe sie am liebsten nicht an der Bahnstraße, wo unsere Gäste auf einen Innenhof schauen, wenn sie aus dem Fenster gucken, sondern an einem noch zentraleren Ort, etwa an der Leineweber- oder an der Schloßstraße. Alte Menschen wollen nicht auf den Hof, sondern auf die Straße schauen, wo Menschen vorbeikommen und das Leben ist.
Deshalb könnte sie sich Seniorentagesstätten künftig auch als Stadtteilzentren vorstellen, in denen nicht nur Senioren, sondern Menschen aller Generationen ein und ausgehen, um sich dort zum Beispiel in einem Cafe zu treffen, eine Beratungsstelle aufzusuchen oder dort auch Arbeits- und Verantsaltungsräume zu nutzen.
Am liebsten würde ich im Lotto gewinnen, um zumindest hier, wo ich bin all das zu finanzieren, was alte Menschen brauchen und verdient haben, sagt Domann, die in ihrer Altentagesstätte zum Beispiel eine barrierefrei Toilette vermisst. Doch die rührige Awo-Frau, die sich an der Bahnstraße weit über das Maß hinaus engagiert, das ihre Arbeitsstelle erfordert, weiß, dass die Altersarmut mit einem noch so großen Lottogewinn nicht zu besiegen sein wird.
Wir brauchen eine Kultur der Wertschätzung, die die Lebensleistung alter Menschen auch mit einer auskömmlichen Rente anerkennt, betont Domann-Jurkewiecz und wünscht sich deshalb für die Renter von morgen gut bezahlte Arbeitsplätze und dann eine steuerfinanzierte Grundrente, die niemanden dazu zwingt, mit 70 noch putzen zu gehen.
Sie wünscht sich aber auch Politiker, die sich wirklich für die Alltagsbedürfnisse alter Menschen interessieren und sich nicht nur um Senioren kümmern, wenn eine Wahl ansteht und sie ihre Stimme haben wollen.
Dieser Text erschien am 11. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr
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