Folgt man der Bevölkerungsprognose der Stadtforschung, werden 2025 fast 54 Prozent der Mülheimer über 60 sein. Wenn dann ab 2030 das Rentenniveau auf 43 Prozent des letzten Monatsgehaltes abgesenkt werden und mehr als ein Drittel der Rentner auf Grundsicherung im Alter angewiesen sein werden, wird auch der Bedarf an bezahlbaren und barrierefreien Wohnungen deutlich ansteigen. Deshalb bescheinigte das Bochumer Institut für Wohnungswesen (Inwis) der Stadt bereits 2012 einen Nachholbedarf beim altersgerechten Wohnraum, mit einem Schwerpunkt im unteren und mittleren Mietsegment. Danach brauchen die Mülheimer Senioren ab 2025 verstärkt Wohnungen, die möglichst barrierefrei, nicht größer als 65 Quadratmeter und nicht teurer als 6 bis 9 Euro pro Quadratmeter sind. Bis 2025 braucht Mülheim, laut Inwis, 500 bis 600 neue altengerechte Wohnungen und 540 betreute Altenwohnungen.
Das sehen auch der Geschäftsführer der Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft, Frank Esser und die Sprecherin der SWB, Christina Heine, so. 52 Prozent der MWB-Wohnungen sind nicht größer als 60 und 26,5 Prozent der SWB-Wohnungen nicht größer als 70 Quadratmeter. Beide Unternehmen arbeiten mit einer Durchschnittsmiete von rund 5 Euro pro Quadratmeter und bieten zusammen mit externen Kooperationspartnern älteren Mietern bei Bedarf Hilfestellungen für die Bewältigung des Alltags an.
„Wir haben die Herausforderung erkannt, die mit diesem sozialen und demografischen Wandel verbunden ist und wir sehen uns als örtliche Wohnungsbauunternehmen vor allem der Grundversorgung mit Wohnraum verpflichtet und wollen nicht um jeden Preis den maximalen Gewinn herausholen“, sagt Heine. Und Esser formuliert es so: „Als Genossenschaft verstehen wir uns als Vorteilsgemeinschaft, die sowohl ihren schwachen, wie ihren starken Mitgliedern ein Wohnraumangebot machen will.“
Grundsätzlich ist der MWB-Chef davon überzeugt, dass die Stadt und die lokalen Wohnungsunternehmen nur dann ihr soziales und finanzielles Gleichgewicht behalten können, wenn sie Wohnraumangebote für das preiswerte und für das gehobene Wohnsegment anbieten können. Er ist zuversichtlich, dass der Wohnungsmarkt des Ruhrgebietes auf absehbare Zeit entspannt bleiben wird und es, anders als in hochpreisigen Ballungszentren, wie Düsseldorf oder Köln, auch dann zu keinen sozialen Verwerfungen kommen wird, wenn die Zahl der Mieter mit kleinen Renten zunehmen wird.
Holger Förster von der Seniorenwohnberatung der Stadt ist nicht ganz so optimistisch. Er hat in seinen Beratungsgesprächen immer wieder den Eindruck, dass das Angebot bezahlbarer und barrierefreier Altenwohnungen eher rückläufig ist und die Nachfrage vor allem alleinstehender Senioren mit kleiner Rente steigt. „Wer Geld hat, wird sich seine Wohnung aussuchen können, wer nicht, wird Abstriche bei den Wohnstandards machen müssen“, prognostiziert Förster.
Mit Esser ist er sich einig, dass viele Neu- und Umbaumaßnahmen im Bereich des barrierefreien, bezahlbaren und altersgerechten Wohnens oft deshalb nicht realisiert werden, weil vorhandene Fördermittel nicht bekannt und deshalb nicht abgerufen werden. „Das Land stellt jährlich 900 Millionen Euro für die Wohnraumförderung bereit“, sagt Esser. „Ab 2015 fördert die Pflegeversicherung Umbaumaßnahmen, die sich als Bedarf aus einer Pflegestufe heraus ergeben mit bis zu 4000 Euro“, betont Förster.
„Viele wissen das nicht, obwohl wir natürlich auch in diese Richtung beraten“, räumt Thomas Wessel vom privaten Eigentümerverband Haus- und Grund ein. Der Verband vertritt in Mülheim 4000 Mitglieder. „Das Durchschnittsalter liegt bei 59 Jahren und viele denken über einen Verkauf nach, wenn ihre selbst genutzte Immobilie nicht barrierefrei ist“, weiß Wessel. Das größte Problem sieht er darin, dass es im vergleichsweise alten Mülheim „zu viele Häuser ohne Aufzug gibt.“
Deshalb konzentrieren sich MWB und SWB dort, wo es in ihrem Bestand keine Aufzüge gibt, darauf die Erdgeschosswohnungen barrierefrei oder barrierearm umzubauen.
Barrierearm oder barrierefrei. Diesen Status haben inzwischen 11 Prozent der 8570 SWB-Wohnungen und 12,6 Prozent der 4750 MWB-Wohnungen erreicht. Diese Umbauarbeiten leisten die Wohnungsbaugesellschaften auch im eignen Interesse. Denn schon heute sind rund 30 Prozent aller SWB- und rund 43 Prozent aller MWB-Mieter über 60.
Haus- und Grund-Mann Wessel weist darauf hin, dass die privaten Hauseigentümer im Gegensatz zu den großen Wohnungsgesellschaften, keinen großen Spielraum haben, um Umbaumaßnahmen oder geringere und damit sozial verträglichere Mieten finanzieren können.
„Wer als Bauherr Wohnraum schafft, will am Ende damit auch Geld verdienen“, weiß Seniorenwohnberater Förster.
Dieser Text erschien am 9. Oktober 2014 in der Neuen Ruhr Zeitung
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