Mittwoch, 29. September 2021

Besetzte Leben

 Wer die Petrikirche besucht, kann dort bis zum 24. Oktober in ein fernes und fremdes Leben schauen. „Besetzte Leben“ heißt die Fotoausstellung, mit der der Ruhrpreisträger Heiner Schmitz 16 palästinensische Beduinenfamilien aus dem Westjordanland porträtiert.

„Auch wenn die großformatigen Fotos auf den ersten Blick romantisch wirken, dürfen wir nicht übersehen, dass diese Familien in Armut und Unfreiheit leben“, sagt der Fotograf mit Blick auf seine 2019 entstanden Bilder. Seit er als Professor an der Fachhochschule Dortmund 1997 ein Praxisfreisemester für eine Fotoexkursion nach Israel und Palästina nutzte, hat ihn das Schicksal der Menschen im Nahen Osten nicht mehr losgelassen.

Auch wenn Schmitz „große Sympathie für den modernen und demokratischen Staat Israel“ bekundet, lässt er doch ebenso wenig Zweifel an seiner Solidarität mit den Palästinensern, „die ein besetztes Leben führen müssen“, weil die israelische Regierung gegenüber den Palästinensern in den sogenannten palästinensischen Autonomiegebieten, westlich des Jordans eine menschenrechtswidrige Politik der Eingrenzung, des Mauerbaus, der militärischen Repression und der geduldeten Übergriffe sogenannter israelischer Siedler auf ihre palästinensischen Nachbarn im Westjordanland zulässt.

Gerne sähe es Schmitz, der dem Mülheimer Städtepartnerschaftsverein und dem Deutsch-Palästinensischen Freundeskreis angehört, wenn die bis 2000 vom Städtepartnerschaftsverein initiierten Bemühungen um eine trilaterale Partnerschaft zwischen Mülheim, Kfar Saba und dessen palästinensischen Nachbarstadt Qalqiliya wieder aufgenommen würde.

Mit seinem Plädoyer für eine gleichberechtigte israelisch-palästinensische Partnerschaft und Nachbarschaft, die allen Menschen in Israel und Palästina mehr Frieden, mehr Sicherheit, mehr Freiheit und damit auch mehr Lebensqualität und Lebensperspektiven bringen würde, weiß sich Schmitz mit seinem im Januar 2021 verstorbenen Freund Gadi Reich einig. Und mit einem weiteren israelischen Freund, der sich als Mitarbeiter einer Nichtregierungsorganisation um die im israelisch-palästinensischen Grenzgebiet eingeschlossenen Beduinenfamilien kümmert. Sie können ihre traditionelle Lebensweise nicht mehr aufrechterhalten.

Dieser Freund, der der arabischen Sprache mächtig ist, war es auch, der Schmitz bei seiner Fotoexkursion 2019 den Zugang zu den 16 palästinensischen Familien ermöglicht hat. Die Gespräche, die Schmitz mit seiner Hilfe führen konnte, haben ihm Leidensgeschichten von Gewalt, Tod und Perspektivlosigkeit offenbart, die in seinen Ausstellungskatalog „Besetzte Leben“ eingeflossen sind.

„Heiner Schmitz zeigt mit seinen berührenden Fotos, was Menschen Menschen antun können, aber auch, welches Friedenspotenzial in einer Menschlichkeit steckt, bei der man andere Menschen so behandelt, wie man selbst behandelt werden möchte“, sagt Pfarrer Justus Cohen von der Vereinten Evangelischen Kirchengemeinde. Die Ausstellung sei in der Petrikirche am richtigen Ort. Cohen: „Wo sollte man solche Fotos, die für mehr Menschlichkeit werben, zeigen, wenn nicht in der Kirche.“


NRZ/WAZ, 15.09.2021

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