Sonntag, 30. Dezember 2018

Romeros Erben

Im Rahmen einer Deutschlandreise zum Beginn der aktuellen Adveniat-Kampagne besuchte Kardinal Gregorio Rosa Chavez aus El Salvador im Advent die Pfarrgemeinde St. Mariae Geburt, um sich beim Weihbischof Franz Grave, der dort zum Patoralteam gehört, für seinen langjährigen Einsatz als Vorsitzender des bischöflichen Lateinamerika-Hilfswerkes Adveniat zu danken. In diesem Interview spiegeln sich die Fragen und Antworten eines Gesprächs, das der Kardinal vor Weihnachten mit interessierten Gemeindemitgliedern geführt hat.

??? Die aktuelle Diskussion über einen Mauerbau an der Südgrenze der USA zeigt legt die Probleme in Mittelamerika und seine angespannten Beziehungen zu den USA auf. Was sagen Sie dazu?

!!! Es gibt viele Interessen, aber keine Freunde. Es gilt: Heute bin ich Freund, morgen bin ich Feind. Es gibt keine echte Solidarität. Der Krieg in Zentralamerika war während des Kalten Krieges ein Krieg zwischen dem von Kuba und Russland angeführten Ostblock und dem nordamerikanischen Block. Wir sind ein Puzzlestück im Puzzle der geostrategischen Interessen. Es ist schlimm, das sagen zu müssen. Aber es ist die Wahrheit.

??? Wie kommen die Regierungen in El Salvador zustande? Haben Sie demokratische Wahlen?

!!! 50 Jahre lang gab es in El Salvador nur Militärdiktaturen. 1984 kam dann die erste demokratische Zivilregierung unter der Führung des Christ-sozialen Demokraten Napoleon Duarte an die Macht, die echte Werte vertreten und verfolgt hat. Doch dann kam die Arena-Partei an die Regierung, die das neoliberale Modell verfolgt hat. Es gibt freie und demokratische Wahlen, deren Ergebnisse akzeptiert werden. Und wir haben starke unabhängige Institutionen. Aber es gibt Krebs-Formen, von denen eine die Korruption ist. Ein Präsident ist zurzeit im Gefängnis. Er hat einfach zu viel geklaut. Und das ist ein sehr schwerwiegendes Problem. Wir erleben leider eine starke Polarisierung und nur unzureichende Versuche, das Beste für unser Land herauszuholen. Es ist nicht leicht, gute Wege zu finden. Aber es ist nicht unmöglich.

??? Wie frei ist die katholische Kirche in El Salvador und was kann sie für das Land und seine Menschen tun?

!!! Der 1980 ermordete und jetzt von Papst Franziskus heiliggesprochene Erzbischof von San Salvador, Oscar Romero, hat uns eine sehr freie Kirche hinterlassen. Denn er hat nie Allianzen mit der politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Macht geschlossen und er hat immer die Wahrheit gesagt. Diese Lektion haben wir in El Salvador nicht vergessen. Wir sind eine freie Kirche und die Leute wissen, dass wir auf ihrer Seite stehen. Und das macht uns glaubwürdig. Das ist unser Kapital. Aber wir haben noch nicht Romeros Größe erreicht. Und die Leute reklamieren: Was würde Romero jetzt sagen und machen? Das ist gut so, dass uns die Leute anstoßen, so glaubwürdig zu sein, wie Oscar Romero. Romero sagte einmal: „Mit diesem Volk fällt es nicht schwer, ein guter Hirte zu sein, weil die Leute uns dazu anstoßen, dem Volk zu dienen. Und das stimmt auch heute noch. Die Menschen wollen auch heute Bischöfe, die an der Seite der Armen stehen. Und in diesem Sinne ist Oscar Romero auch heute noch sehr präsent in El Salvador.

??? Wie viel staatlichen Druck spüren die katholischen Schulen in El Salvador?

!!! Es gibt private und öffentliche Schulen für die man Gebühren zahlen muss. Aber ich betreibe eine Pfarreischule, die für die Armen da ist. Wir haben als Bischofskonferenz einen Erziehungsvorschlag gemacht. Erziehung darf kein Geschäft sein. Und deshalb stecken wir immer in den roten Zahlen. Wir werden niemanden ausschließen, nur weil das Schulgeld nicht bezahlt ist. Denn Erziehung und Bildung sind der Schlüssel zur Zukunft. Wir brauchen eine ganzheitliche Bildung, die nicht nur akademische, sondern auch menschliche und spirituelle Werte vermittelt. Wir sagen unseren Schülern: „Wir wollen euch nicht als Führungspersönlichkeiten, die korrupt sind. Und wenn ihr doch korrupt werden solltet, sagt nie, dass ihr bei uns studiert habt. Mit Ihrer Hilfe gibt uns Adveniat 90 Studienförderungen für junge Menschen aus armen Elternhäusern, die sich sonst keine Ausbildung leisten könnte. Und die Ergebnisse sprechen für sich. Man muss diese jungen Leute nur anstoßen und ihnen Chancen geben. Den Rest machen sie selbst. Sie werden selbst zu  Protagonisten, in dem wir ihnen helfen, sich selbst helfen zu können. Das ist unsere Philosophie. Die Leute wissen, dass wir kein Geld verdienen, sondern ihnen die besten Rahmenbedingungen geben wollen. Das ist pastorale Arbeit, die Vorsorge betreibt.

??? Warum ist Oscar Romero erst 38 Jahre nach seiner Ermordung heilig gesprochen worden?

!!! Viele hatten Angst, dass es eine gefährliche Heiligsprechung sein könnte. Es gab die Angst, das Bild eines Menschen heilig zu sprechen, dass mit der wirklichen Persönlichkeit Romeros gar nichts zu tun hätte. Romero war eben kein Mensch, der nur gebetet und sonst nichts getan hat. Und deshalb wollten wir abwarten bis der wahre Oscar Romero heiliggesprochen wird. Papst Franziskus hat das verstanden. Und er hat den Heiligen heiliggesprochen wie er wirklich war. Und er hat genau das auch bei den Bischöfen in El Salvador reklamiert. Der Papst hat uns gesagt: „Oscar Romero ist zweimal ermordet worden. Das erste Mal am 24. März 1980. Und das zweite Mal wurde er getötet, indem er nach seinem Tod verleumdet wurde. Doch jetzt reicht es. Er ist ein echter Märtyrer. Er ist ein echter Heiliger, der alle religiösen, politischen und ideologischen Grenzen überschreitet und wirklich alle Menschen inspiriert, die sich nach einer besseren Welt sehnen. Deshalb haben die Vereinten Nationen den Tag der Ermordung Romeros, den 24. März, zum Tag der Wahrheit erklärt. Auch Papst Franziskus evangelisiert die Menschen durch sein eigenes Lebenszeugnis. Auch in Deutschland gibt es viele weise Menschen, Akademien und Fakultäten. Und doch fehlt es oft nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt an Menschen, die durch ihr Leben Jesus bezeugen und es anderen Menschen durch ihr Zeugnis ermöglichen, ihm zu begegnen. Hier geht es um Worte und Taten, die zusammenpassen. Für was gibt es die Kirche und die Menschen, die in ihr arbeiten? Es gibt sie, damit Menschen in ihnen Jesus Christus begegnen können. Das ist die Botschaft der lateinamerikanischen Kirche. Die Kirche, von der Papst Franziskus träumt ist eine Kirche, die vor allem außerhalb der Kirche funktioniert. 

 Der 1942 geborene Gregorio Rosa Chavez wurde 1970 zum Priester geweiht. Er hat Theologie, Philosophie und Kommunikationswissenschaften studiert. Der Weihbischof und Kardinal arbeitet auch als Geistlicher und Theologe in der Gemeindeseelsorge. Darüber hinaus leitet er als Präsident die lateinamerikanische Caritas und als Generalvikar die Verwaltung des Erzbistums von San Salvador. Gregorio Rosa Chavez gilt als Erbe und Sachwalter seines Mentors Oscar Romero, der als Erzbischof von San Salvador bis zu seiner Ermordung 1980 als einer der prominentesten Befreiungstheologen galt.

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