Dieser Text erschien am 29. Juli 2019 in der Neuen Ruhrzeitung
Montag, 29. Juli 2019
Mülheim mediteran
Ich kann mich noch daran erinnern, dass wir unsere Nachbarn
im Süden Europas immer etwas mitleidig und herablassend belächelt haben. Siesta
war das Schlüsselwort. Für uns Wirtschaftswunder-Deutsche Arbeitstiere war es
immer etwas seltsam, dass es Menschen gab, die Lebensfroh und ohne schlechtes
Gewissen existieren konnten, obwohl sie sich eine mehrstündige Mittagspause gönnten
und stattdessen abends länger arbeiteten. „Abends werden die Faulen fleißig“, sagt
ein Sprichwort. Doch ein anderes weiß es besser. Es mahnt den Spötter: „Beurteile
einen Menschen erst, wenn du einige Kilometer in seinen Schuhen gelaufen bist.“
Apropos laufen. An den heißen Tagen, die wir jetzt erlebten, war selbst die
natürlichste Form der Fortbewegung zuweilen eine Zumutung. Da blieb man lieber im
Schatten sitzen, wenn man ihn denn fand und tat am liebsten nichts. Und plötzlich
entdeckt man in seiner arbeitswütigen deutschen Seele so etwas wie Reue und
Verständnis, ob das eigenen Hochmutes vergangener Tage , als man 40 Grad im
Schatten nur vom Hörensagen her kannte. Jetzt müssen wir auf unserem heimischen
Teutonengrill unseren südlichen Nachbarn Abbitte tun und es ihnen gleichttun, um
über den heißen Tag zu kommen. Das fiel mir auch am Samstag auf, als ich eine
Familie sah, die ein Eis vom Italiener schleckte und ihre heißen Füße im feuchten
Nass des Rasche-Brunnens auf der Schlossstraße abkühlten. Sage noch einer, Kunst
im öffentlichen Raum sei Geldverschwendung und habe keinen Mehrwert für den
Alltag. Dem seligen Mülheimer Bildhauer Ernst Rasche, der sich auch von seinen
italienischen Kollegen inspirieren ließ, sei Dank. Vergelte es ihm Gott. Möge seine
edle Seele an einem wohltemperierten Ort jenseits von Zeit und Raum die ewige Glückseligkeit
genießen und zuweilen auf seinen seinen Brunnen an der Schloßstraße schauen und
sich über dessen handfesten Mehrwert freuen.
Dieser Text erschien am 29. Juli 2019 in der Neuen Ruhrzeitung
Dieser Text erschien am 29. Juli 2019 in der Neuen Ruhrzeitung
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