Die Pflegestärkungsgesetze des Bundes haben die Realität in den Pflegeheimen nicht verbessert. Darin waren sich rund 30 Führungs- und Fachkräfte der Mülheimer Pflegeheime mit ihrem Referenten, dem Hamburger Sozialrechts-Professor und Rechtsanwalt Roland Richter einig.
Bei einer Fachtagung ihrer Arbeitsgemeinschaft im Haus Ruhrgarten kritisierte Roland Richter nicht nur die verantwortlichen Gesundheits- und Sozialminister des Bundes und der Länder, sondern auch die „nicht funktionierende Rückkopplung“ zwischen den Spitzenfunktionären der Berufsfachverbände und den Praktikern in den Pflegeheimen.
Bei einer Fachtagung ihrer Arbeitsgemeinschaft im Haus Ruhrgarten kritisierte Roland Richter nicht nur die verantwortlichen Gesundheits- und Sozialminister des Bundes und der Länder, sondern auch die „nicht funktionierende Rückkopplung“ zwischen den Spitzenfunktionären der Berufsfachverbände und den Praktikern in den Pflegeheimen.
Finanzierung aus einer Hand
Viel wäre aus Sicht des Hamburger Pflegerechtsexperten gewonnen, wenn die Pflegedienstleistungen nicht aus diversen Budgets über Landschaftsverbände, Bezirksämter und Sozialämter, sondern einheitlich durch den Bund finanziert würde. „Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen“, sagt Richter mit Blick auf die Auswirkungen der Pflegestärkungsgesetze auf die stationäre und ambulante Pflege. Er plädiert für eine Pflegeversicherung im Rahmen einer umfassenden gesetzlichen Krankenversicherung. Auch die Tatsache, dass Pflegekräfte in der ambulanten Pflege im Durchschnitt 20 Prozent weniger verdienen als ihre Kollegen in den stationären Pflegeeinrichtungen, würde er als Bundesgesundheitsminister revidieren. „Diese Einkommensschere muss weg“, sagt er. Unabhängig von der Frage, ob die in der Altenpflege gebrauchten Fachkräfte auf dem deutschen oder internationalen Markt zu bekommen sind, weist Richter darauf hin, dass das Schließen der Personallücke in der stationären Pflege in Deutschland bis zu 5 Milliarden Euro kosten würde.
Auch auf die Basis hören
Den Gesundheits- und Sozialministern des Bundes und der Länder rät der Jurist, sich nicht nur von sogenannten Pflegeexperten aus den Chefetagen der Fachverbände, sondern auch von Leuten aus der Pflegepraxis beraten zu lassen. Mit welcher Bürokratie die Pflegekräfte in den Pflegeheimen von ihrer eigentlichen Arbeit abgehalten werden, macht sein Parforceritt durch die 400-seitige Pflegedokumentation deutlich.
Der Geronto-Psychiater, Helmut Schaffert, der die Arbeiterwohlfahrt in Fragen der Altenpflege berät, sieht das Grundproblem darin, „dass der tatsächliche Zeit- und Arbeitsaufwand in der Pflege in ihrer auf den fünf Pflegraden basierenden Finanzierung nicht abgebildet wird.“ Er könnte sich auch eine steuerfinanzierte Pflege vorstellen wie sie in Dänemark bereits praktiziert wird.
Pflegefachlehrer fehlen
„Positiv überrascht“ ist der Leiter der Bildungsakademie für pflege Berufe des Kreises Mettmann, Bodo Keißner-Hesse davon, „dass immer noch so viele junge Leute positiv und mit voller Überzeugung trotz der schwierigen Rahmenbedingungen in die Altenpflege gehen.“ Er weist darauf hin, dass es zurzeit nicht nur einen Mangel an Pflegefachkräften sondern auch an Pflegefachlehrern gibt. Allein in Nordrhein-Westfalen fehlen, laut Keißner-Hesse, aktuell 770 Pflegefachlehrer. Dieser Mangel führe dazu, so Keissner-Hesse, derzeit stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes der Altenpflege, dass 15.000 Bewerber für den Altenpflegeberuf gar nicht ausgebildet werden könnten. Die Folge: Trotz eines akuten Fachkräftemangels in der Altenpflege hat Keißner-Hesses Bildungsakademie eine Warteliste, auf der bisher noch nicht berücksichtigte Bewerber stehen. Ebenso wie Roland Richter, sieht Keißner-Hesse die ab 2020 greifende Generalisierung der Pflegeausbildung sehr skeptisch: „Wir werden an Breite gewinnen, aber an Tiefe verlieren“, fürchtet er. In diesem Zusammenhang macht der Sozialrechts Professor Richter deutlich, dass die von der Bundesregierung versprochen 13.000 Pflegekräfte noch lange nicht in der Praxis angekommen sind. Seine Blitz-Umfrage unter den 50 anwesenden Altenpflege-Führungs- und Fachkräften macht das deutlich. Nur eine Hand geht nach oben, als er danach fragt, welche Pflegeeinrichtung denn schon eine der 13.000 neuen Altenpflegefachkraftstellen habe einstellen können. Helmut Schaffert erklärt diese Tatsache mit dem ungemein aufwendigen Antragsverfahren, das viel zu viel Zeit von Altenpflegefachkräften binde.
Der Personalschlüssel entscheidet
Professor Richter macht deutlich, dass die Schaffung neuer Stellen nicht ausreicht, wenn nicht auch der Personalschlüssel an die praktischen Bedürfnisse der Altenpflege angepasst werde. „So werden zusätzliche Kräfte in der nächtlichen Betreuung der Pflegeheimbewohner kontraproduktiv auf den Personalschlüssel der Tagesbetreuungskräfte angerechnet, so dass am Ende kein wirklicher Gewinn für die Einrichtung und ihre Bewohner bleibt.“
Dieser Text erschien am 17. Juli 2019 im Lokalkompass der Mülheimer Woche
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