Samstag, 13. Juli 2019

Adenauer lässt grüßen

Gestern hatte ich eine Begegnung der besonderen Art, die mir den demografischen Wandel, also die Alterung unserer Gesellschaft, vor Augen führte. Bei einem Richtfest traf ich auf viele junge Familien mit Kindern, die sich auf ihren baldigen Einzug in ihre neue Eigentumswohnung freuten. Ein alter Herr am Rollator hob den Altersdurchschnitt an der Baustelle deutlich an. Wir grüßten uns freundlich. Und ich dachte bei mir: „Das ist aber nett, dass der alte Vater und Opa mit seinen Kindern und Enkeln die Baustelle des künftigen Familienheims begutachtet. Wenn er sich mit seinem Rollator bloß nicht übernimmt und ins Stolpern oder Rutschen gerät.“ Wenig später traf ich den freundlichen alten Herrn im Kreise der Bau- und Projektleiters wieder. Und plötzlich fragte er mich: „Was kann ich ihnen denn über das Projekt erzählen? Ich stutzte einen Moment und fragte erstaunt: „Was haben Sie denn mit dem Bauprojekt zu tun?“ Die Antwort des betagten Herrn kam prompt: „Ich bin der Architekt!“ Der Baumeister alter Schule sah die Verwunderung in meinen Augen. Er meinte lässig: „Wissen Sie: Ich bin zwar schon 88 Jahre alt. Aber manchmal juckt es mich eben doch noch in den Fingern etwas aufs Papier zu bringen. Und was der alte Architekt aufs Papier gebracht hatte, konnte sich dank der Bauhandwerker in der Wirklichkeit gut sehen lassen. Die unverhoffte Begegnung mit einem besonders ermutigenden Beispiel der alten Garde zeigte dem auch nicht mehr ganz so jungen Pressemann, das Kreativität und Schaffenskraft keine Frage des Alters sein müssen. Diese Erkenntnis auf der Baustelle machte dem frühen 50er Mut für die nächsten 30 bis 40 Jahre auf seiner Lebensbaustelle. Und als Mann mit Bezug zur Vergangenheit weiß er, dass die Jahre unter dem ältesten Bundeskanzler und Baumeister der Bundesrepublik, Konrad  Adenauer, für Deutschland nicht die schlechtesten waren, obwohl er bei Amtsantritt auch schon 73 und bei seinem Ausscheiden aus dem Kanzleramt stolze 85 Jahre alt war.



Dieser Text erschien am 13. Juli 2019 in der Neuen Ruhrzeitung

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