Gestern hatte ich eine Begegnung der besonderen Art, die mir
den demografischen Wandel, also die Alterung unserer Gesellschaft, vor Augen
führte. Bei einem Richtfest traf ich auf viele junge Familien mit Kindern, die
sich auf ihren baldigen Einzug in ihre neue Eigentumswohnung freuten. Ein alter
Herr am Rollator hob den Altersdurchschnitt an der Baustelle deutlich an. Wir
grüßten uns freundlich. Und ich dachte bei mir: „Das ist aber nett, dass der
alte Vater und Opa mit seinen Kindern und Enkeln die Baustelle des künftigen Familienheims
begutachtet. Wenn er sich mit seinem Rollator bloß nicht übernimmt und ins Stolpern
oder Rutschen gerät.“ Wenig später traf ich den freundlichen alten Herrn im
Kreise der Bau- und Projektleiters wieder. Und plötzlich fragte er mich: „Was
kann ich ihnen denn über das Projekt erzählen? Ich stutzte einen Moment und
fragte erstaunt: „Was haben Sie denn mit dem Bauprojekt zu tun?“ Die Antwort des
betagten Herrn kam prompt: „Ich bin der Architekt!“ Der Baumeister alter Schule
sah die Verwunderung in meinen Augen. Er meinte lässig: „Wissen Sie: Ich bin
zwar schon 88 Jahre alt. Aber manchmal juckt es mich eben doch noch in den
Fingern etwas aufs Papier zu bringen. Und was der alte Architekt aufs Papier
gebracht hatte, konnte sich dank der Bauhandwerker in der Wirklichkeit gut
sehen lassen. Die unverhoffte Begegnung mit einem besonders ermutigenden
Beispiel der alten Garde zeigte dem auch nicht mehr ganz so jungen Pressemann, das
Kreativität und Schaffenskraft keine Frage des Alters sein müssen. Diese
Erkenntnis auf der Baustelle machte dem frühen 50er Mut für die nächsten 30 bis
40 Jahre auf seiner Lebensbaustelle. Und als Mann mit Bezug zur Vergangenheit
weiß er, dass die Jahre unter dem ältesten Bundeskanzler und Baumeister der Bundesrepublik,
Konrad Adenauer, für Deutschland nicht
die schlechtesten waren, obwohl er bei Amtsantritt auch schon 73 und bei seinem
Ausscheiden aus dem Kanzleramt stolze 85 Jahre alt war.
Dieser Text erschien am 13. Juli 2019 in der Neuen Ruhrzeitung
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