Normalerweise achte ich nicht auf Aufkleber. Doch gestern
war es anders. Da fiel mir ein Aufkleber ins Auge, der an einem Ampelmast
haftete. Seine Botschaft lautete: „Gib dem Hass keine Chance.“ Die Aufmachung
des Aufklebers erinnerte mich an die Plakate mit der Aufschrift: „Gib Aids
keine Chance.“ Die stilistische Ähnlichkeit passte. Denn wie der lebensgefährliche
HIV-Virus das menschliche Immunsystem angreift, macht sich der Hass-Virus in
den digitalen Blutbahnen des gesellschaftlichen Organismus breit. In beiden
Fällen geht es um eine Vergiftung und einen Angriff auf die Abwehrkräfte eines
gesunden Organismus.
In Zeiten von Internet und Sozialen Medien scheint so
manchem Zeitgenossen die Zeit zum Nachdenken abhandengekommen zu sein, weil die
nächste Meinungsäußerung und die nächste emotionale Erregung immer nur einen
Mouseklick oder einen Tweet entfernt ist.
Da kann der Segen des digitalen Informations- und
Kommunikationsfortschritts schnell zum Fluch werden. Nie zuvor konnten wir so
schnell Informationen bekommen und Informationen verbreiten wie das heute
möglich ist. Doch manche Kommentare im weltweiten Netz zeigen uns, dass wir gut
daran tun, öfter mal vom digitalen Fortschritt einen Schritt zurückzutreten und
uns ganz analog wie einst beim Formulieren unserer Gedanken mit Stift und
Papier oder im persönlichen Gespräch von Angesicht zu Angesicht die Zeit zum
Nachdenken zu nehmen und uns bewusst zu werden, dass wir ein Mensch unter
Menschen sind und Mensch bleiben sollten. Wenn wir uns gegenseitig Im Dialog
mehr Zeit gäben, gäben wir dem Hass automatisch weniger Raum, um unsere Seelen und
den Kreislauf unserer Gesellschaft zu vergiften. Das sollten wir uns Wert sein und
uns deshalb gegenseitig gute Besserung wünschen.
Dieser Text erschien am 10. Juli 2019 in der Neuen Ruhrzeitung
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