Montag, 22. Juli 2019

Drei Mülheimer gegen Hitler


20. Juli 1944: Das Attentat auf Adolf Hitler scheitert. Doch dieser Versuch den deutschen Diktator zu stürzen, um Krieg und Gewaltherrschaft zu beenden, bleibt zeitlos erinnernswert und identitätsstiftend. Die Widerstandskämpfer um den Grafen von Stauffenberg stehen für ein besseres Deutschland. Zu den Rund 5.000 Regimegegnern, die nach dem Attentat reichsweit verhaftet wurden, gehörten auch die im März 1933 gewählten und im Juni 1933 von der NS-Regierung abgesetzten Mülheimer Stadtverordneten Fritz Terres (KPD) und Wilhelm Müller (SPD). Ihr Ratskollege Otto Gaudig von der KPD saß zum Zeitpunkt des Attentats bereits in Haft und wurde im August 1944 wegen seiner Widerstandsaktivitäten gegen die Hitler-Herrschaft zu acht Jahren Haft verurteilt. Terres, Müller und Gaudig bezahlten ihren Kampf gegen Hitler mit dem Leben. Heute erinnert eine Gedenktafel am Eingang zum Ratssaal an sie. Terres, Gaudig und Müller waren Teil des politischen Widerstandes gegen die Nationalsozialisten, die nach ihrer Machtübernahme mithilfe des greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und seiner Notverordnungen die Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung abschafften, um ihre Gegner ungehemmt verfolgen zu können. Kommunisten und Sozialdemokraten gehörten zu den Hauptgegnern der Nationalsozialisten.

Waren die kommunistischen Stadtverordneten Terres und Gaudig bereits nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 verhaftet und ins Konzentrationslager Börgermoor gebracht worden, konnte ihr Ratskollege Wilhelm Müller, damals Vorsitzender der SPD Fraktion, mit seinem Genossen am 30. März 1933 noch gegen die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und der Reichskanzler Adolf Hitler stimmen. Das verziehen ihm die Nationalsozialisten nicht und setzten ihn wie Terres und Gaudig auf ihre schwarze Liste.

Der 1907 geborene Terres, der 1878 geborene Gaudig und der 1890 geborene Müller waren gewerkschaftlich aktive Arbeiter und Handwerker. Müller arbeitete von 1921 bis 1933 als hauptamtlicher Sekretär für den Deutschen Metallarbeiterverband. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten bedeutete für Müller, Gaudig und Terres die Zerstörung ihrer politischen und bürgerlichen Existenz. Sie wurden in Schutzhaft genommen, von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) verhört und gefoltert. Ihre Arbeit als Gastwirt (Gaudig) und als Brotfahrer (Müller) war für sie Broterwerb und Teil ihrer Widerstandsaktivitäten. Bis zu dessen Zerschlagung im Jahr 1936 bewegten sie sich in einem Widerstandskreis, zu dem Kommunisten, Sozialdemokraten und regimekritische Christen gehörten. Ihnen allen war klar, dass der Nationalsozialismus für unser Land eine moralische Katastrophe war. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges verschärfte die GESTAPO die Beobachtung der Regimegegner. Nachdem das Attentat auf Adolf Hitler gescheitert war und sich die militärische Niederlage der Wehrmacht abzeichnete, wurden auch Fritz Terres und Wilhelm Müller im Juli und August 1944 verhaftet. Zunächst im Oberhausener Polizei Gefängnis inhaftiert, deportierte man sie von dort aus in die Konzentrationslager Sachsenhausen-Oranienburg und Hamburg-Neuengamme. Der Sozialdemokrat Wilhelm Müller machte den Fehler, sich in Neuengamme krank zu melden. Das bedeutete seinen Tod durch unterlassene Hilfe, Gewalt und Hunger. Die Todesursache Lungenentzündung, die Müllers Frau Margarete mitgeteilt wurde, war eine Schutzbehauptung, keine Tatsache.

Vergeblich hatte Margarete Müller nach der Verhaftung ihres Mannes in einem Brief an die SS-Dienststelle Düsseldorf geschrieben: „Ich vertrete meinen Mann als Brotfahrer und trage damit zur Ernährung der Bevölkerung bei. Mein Mann hat auch Bäckereien mit Brot beliefert deren Meister eingezogen sind. Für unseren Sohn Willi, der seit zwei Jahren Frontkämpfer ist, ist es niederdrückend, seinen Vater in Schutzhaft zu wissen Ich bitte dies zu würdigen und meinen Mann schnellstmöglich zu entlassen. 
Wilhelm Müller hatte noch wenige Wochen vor seinem Tod im Konzentrationslager Neuengamme an seine Frau und seinen Sohn Willi, der von 1965 bis 1980 für die SPD im Bundestag sitzen sollte, geschrieben „Ich muss den Weg gehen, den das Schicksal mir vorschreibt. Aber ich bin überzeugt, dass wir uns wiedersehen. Ich habe manche Härte überwunden und gebe die Hoffnung nicht auf. Ich glaube fest daran, dass du (Willi)  uns gesund und munter nach Hause kommst. Dann wird das große Europa und die neue Welt gebaut. Und dabei werden wir ein gewichtiges Wort mitreden. Denn siegen werden nur wir.“

Auch der am 20. Juli verhaftete Fritz Terres erlebte das Ende des Zweiten Weltkrieges nicht. Er wurde am 10. April 1945 Opfer eines Luftangriffs auf das Konzentrationslager Sachsenhausen. Wenige Tage danach wurde sein Genosse Otto Gaudig mit 70 anderen Inhaftierten bei Langenfeld von SS-Einheiten erschossen und in einem Markt Massengrab verscharrt.



Dieser Text erschien am 16. Juli 2019 in NRZ & WAZ

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