Michael Rubinstein |
Jüdisches Leben bei uns. Wie sieht das aus? Diese Frage
interessiert an diesem Dienstagvormittag 40 Zuhörer. Das ist für das Forum am
Vormittag, zu dem das Katholische Bildungshaus regelmäßig ins Katholische
Stadthaus an der Althofstraße einlädt, eine Rekordkulisse. Michael Rubinstein,
den viele Mülheimer noch als Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde
Duisburg-Mülheim-Oberhausen kennen und der inzwischen die Geschäfte der
Jüdischen Gemeinden im Bezirk Nordrhein führt, gibt einen anschaulichen und informativen
Einblick. Zwei Stunden vergehen wie im Flug.
Rubinstein, der als unabhängiger Oberbürgermeisterkandidat
in der Nachbarstadt Duisburg 2012 11,5 Prozent der Stimmen erringen konnte,
zeichnet ein differenziertes Bild. Er berichtet von einem dynamischen und
selbstbewussten Gemeindeleben mit allem was dazu gehört. Jugendarbeit,
Seniorenarbeit, Sozialarbeit, Sport und Kulturfeste. Die mit rund 6700
Mitgliedern größte Jüdische Gemeinde der Region, die in Düsseldorf, unterhält
zum Beispiel eine Kindertagesstätte, eine Grundschule, ein Gymnasium und ein
Altenheim. Auch die mit 2500 Mitgliedern deutlich kleinere Gemeinde
Duisburg-Mülheim-Oberhausen unterhält zwar keine Schulen, aber doch
vergleichbare Sozial- und Kultureinrichtungen. Aus Duisburg weiß Rubinstein von
Plänen für betreute Seniorenwohnungen zu berichten. Auch in Mülheim, so
Rubinstein, habe die Gemeinde eine bei der Diakonie an der Althofstraße
angesiedelte Außenstelle.
Wie radikal sich das jüdische Gemeindeleben seit den 1990er
Jahren verändert hat, als jüdische Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen
Sowjetunion nach Deutschland kamen, zeigt Rubinstein an einem eindrucksvollen
Zahlenvergleich. Gab es in Deutschland 1989 30.000 jüdische Gemeindemitglieder,
so waren es 2006 107.000. In Mülheim stieg die Zahl der jüdischen
Gemeindemitglieder im gleichen Zeitraum von 112 auf knapp 3000 an. Das führte
Ende der 1990er Jahre zur Aufgabe des kleinen Gemeindezentrums an der
Kampstraße und dem Neubau eines großen Gemeindezentrums im Duisburger
Innenhafen.
„Inzwischen schrumpfen unsere Gemeinden wieder. Wir haben
viele alte nur wenige junge und ganz junge Gemeindemitglieder“, beschreibt
Rubinstein eine Entwicklung, die seine Zuhörer aus ihren christlichen Gemeinden
nur zu gut kennen. Dass es heute unter den jüdischen wie unter den christlichen
Deutschen einen starken Säkularisierungstrend gibt, zeigt der Geschäftsführer
des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden daran, dass weniger als die Hälfte
der 250.000 Juden, die heute in Deutschland leben, Mitglied einer jüdischen
Gemeinde sind.
Was mancher im Raum bisher vielleicht noch nicht wusste,
auch die Jüdischen Gemeinden sind Körperschaften des Öffentlichen Rechtes. Ihr
Mitglieder zahlen eine Kultussteuer und können Spenden an ihre Gemeinden von
der Steuer absetzen. Außerdem fördert das Land Nordrhein-Westfalen im Rahmen
eines 1993 geschlossenen und seitdem regelmäßig novellierten Staatsvertrag die
Jüdischen Gemeinden an Rhein und Ruhr mit insgesamt rund 20 Millionen Euro.
„Wir haben hier unsere
Heimat“, sagt Michael Rubinstein, der sich selbst „als deutscher Bürger
jüdischen Glaubens“ bezeichnet und es als solcher ablehnt „wie ein Botschafter
oder Außenminister“ die Politik der israelischen Regierung rechtfertigen zu
müssen. Angesichts eines zunehmend offen und aggressiv artikulierten
Antisemitismus fordert Rubinstein ein konsequentes Gegensteuern der
Zivilgesellschaft und des Rechtsstaates. Er weist auf den
Antisemitismus-Bericht der Bundesregierung, wonach 25 bis 30 % der deutschen
Bevölkerung antisemitisch eingestellt seine, und das oft, ohne selbst Kontakt
mit Juden zu haben.
Dieser Text erschien am 3. April 2019 in NRZ & WAZ
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