Mittwoch, 10. April 2019

Mülheim vor dem Grundgesetz


Frühling 1949. Im Parlamentarischen Rat zu Bonn wird das Grundgesetz für die westdeutsche Bundesrepublik beraten und durch dessen Präsidenten Konrad Adenauer am 23. Mai verkündet. „Soweit uns das Grundgesetz größere Freiheit gibt, ist es uns geschenkt und nicht von uns selbst erkämpft“, kommentiert die damals nur alle zwei Tage erscheinende NRZ. Doch ihr Mülheimer Lokalteil nimmt andere Themen in den Blick. Da wird über die sich abzeichnenden Bausünden beim Wiederaufbau der Stadt berichtet. Mülheims damaliger Baudezernent Paul Essers klagt der NRZ sein Leid: „Das Stadtbild soll Herz und Gemüt ansprechen. Doch beim raschen Wiederaufbau sind zu wenig Bau- und Handwerkskunst und zu viel Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit am Werk. Die Bauaufsicht steht den Bauherrn gerne mit Rat und Tat zur Seite. Aber die Leute sind immer böse, wenn sie daran gehindert werden, Dummheiten zu begehen.“

Derweil fordert ein Dr. K. in einem Leserbrief an die Lokalredaktion, dass die Mittel aus dem Notopfer für das durch die sowjetische Blockade eingeschlossene West-Berlin in den Wohnungsbau investiert werden müssten, sobald die Blockade beendet sein werde. Wie sich die Zeiten nicht ändern. Die Diskussion über den Sinn des Solidaritätszuschlag für den Aufbau Ost lässt grüßen.

Im Frühjahr 1949 machen sich die Mülheimer Hoffnungen, dass im Uhlenhorst eine Filmproduktion angesiedelt werden könnte. Doch der Hauch von Hollywood weht in Mülheim vorbei, weil sich keine internationalen Geldgeber finden und das drei Jahre zuvor gegründete Land Nordrhein-Westfalen nicht bereit ist, mit einer Anschubfinanzierung in die Bresche zu springen.

Über ein filmreifes Happyend berichtet dagegen ein Zuwanderer aus dem rumänischen Siebenbürgen, der im Krieg ein Bein und seine Eltern verloren, aber nach einer langen Odyssee in Mülheim eine neue Heimat und bei den späteren Mannesmann-Röhrenwerken einen Arbeitsplatz und eine Werkswohnung gefunden hat. „Jetzt schaue ich wieder mit Hoffnung in die Zukunft. Denn ich lebe in Mülheim, in einer sauberen Stadt mit aufgeräumten Straßen“, beschließt der Neu-Mülheimer seine Erfolgsgeschichte.

Dieser Text erschien in der Neuen Ruhrzeitung vom 9. April 2019

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