Auf dem Podium (von links): Paul Kirchhof, Michael Schlagheck, Malu Dreyer und Franz-Josef Overbeck |
Mit Blick auf die bedenkliche politische Entwicklung in der Türkei
stoppte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Mal Dreyer
2016 in ihrem Bundesland die Verhandlungen mit den Islamverbänden,
die zu einem Rahmenvertrag über die Erteilung des islamischen
Religionsunterrichtes an den Schulen des Landes führen sollte, bis
auf weiteres gestoppt. Obwohl ein Gutachten der Landesregierung
bestätigt hatte, dass der von der türkischen Regierung finanzierte
Dachverband der deutsch-türkischen Moschee-Gemeinden (Ditib) ein
politisch unbedenklicher Verband sei, sah sich Dreyer unter dem
Eindruck der politischen Zuspitzung in der Türkei des autokratisch
regierenden Staatspräsidenten Erdogan dazu gezwungen, die
Vertragsgespräche mit den Islam-Verbänden so lange auf Eis zu
legen, bis ein noch ausstehendes Gutachten die Staatsnähe oder
Staatsferne der islamischen Ditib-Gemeinden untersucht hat. Denn die
bundesweit 900 Moschee-Vereine des 1984 in Köln gegründeten
Dachverbandes unterstehen der Kontrolle des staatlichen türkischen
Präsidiums für religiöse Angelegenheiten und damit auch der
Kontrolle durch die türkische Regierung.
Vor
diesem Hintergrund war Malu Dreyer jetzt bei den Essener Gesprächen
über das Verhältnis von Staat und Kirche den Juristen, Politikern
und Theologen, die in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg über
die Rolle diskutierten, die die Islam-Verbände heute in unserem
demokratischen Rechtsstaat spielen, als Gesprächspartner willkommen.
„Auch
wenn die Rahmenbedingungen schwieriger geworden sind wollen wir auch
den muslimischen Schülern Räume geben, um ihre Religion auszuleben.
Zwar macht das Fremde Menschen Angst, aber wir wissen aus den
Erfahrungen unseres Dialogs, dass man diese Ängste, die von der AfD
politisch geschürt werden. nehmen kann, wenn man Begegnungsräume
schafft, in denen sich Christen und Muslime kennenlernen können.
Wenn sich heute Politiker für einen Moschee-Besuch kritisieren
lassen müssen, zeigt das, dass wir mit unseren Bemühungen um einen
Dialog wieder in ein besseres Fahrwasser kommen müssen“, sagte
Dreyer am Montagabend im vollbesetzten Auditorium der Katholischen
Akademie.
Auch
wenn eine übergreifende staatsrechtliche Lösung noch nicht in Sicht
ist, wies Dreyer auf gute Erfahrungen mit lokalen
Kooperationspartnern aus der islamischen Gemeinschaft hin, die an
einigen Modellschulen bereits zu fest vereinbarten Rahmenbedingungen
für einen durch islamwissenschaftlich gebildete Lehrer geführt
habe. „Diese Vereinbarungen haben den Vorteil, dass sie beide
Seiten zur Vertragstreue zwingen und allen Beteiligten deutlich
machen, was man voneinander erwarten kann“, unterstrich die
Ministerpräsidentin. Sie zeigte sich entschlossen, den
Gesprächsfaden mit den islamischen Verbänden nicht abreißen zu
lassen, aber auch im Interesse der islamischen Gemeindemitglieder
„auf einer organisatorischen Entflechtung bei Ditib“ zu bestehen
und eine politische Beeinflussung der Gemeinden durch den türkischen
Staat zu verhindern. Dreyer bekannte sich zur Rücksichtnahme auf
islamische Feiertage, lehnte die Einführung islamischer Feiertage in
Deutschland jedoch ab.
Unterstützung
für ihr Modell einer klein-schrittige Vertragslösung im Verhältnis
zwischen den islamischen Gemeinden und dem deutschen Staat erhielt
Dreyer vom Rechtswissenschaftler und ehemaligen
Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof. Auch wenn Kirchhof die
politisch motivierte Gleichsetzung von Islam und Islamismus
kritisierte, stellte er doch klar: „Der Islam der Gegenwart stellt
für unsere Gesellschaft insbesondere aufgrund der großen Zahl von
jungen, alleinstehenden, männlichen und muslimischen Zuwanderern,
ein Problem dar, weil gerade diese jungen muslimischen Männer, die
zum Teil direkt aus den Kriegsgebieten kommen, sich erst mal an
unsere freie, friedliche, gleichberechtige und großzügige
Gesellschaft anpassen müssen.“
In
Kirchhofs Augen würde eine rasche rechtliche Gleichstellung der
islamischen Gemeinden und der christlichen Kirchen als Körperschaften
des öffentlichen Rechtes sowohl die sehr heterogene islamische
Gemeinschaft, als auch die deutsche Gesellschaft überfordern und
deshalb kontraproduktiv wirken. Deshalb plädiert der ehemalige
Verfassungsrichter für einen schrittweisen Prozess, in dem „die
menschliche Anerkennung der juristischen Anerkennung vorausgeht.“
Derzeit sieht Kirchhof vor allem das Problem, „dass es eben nicht
den einen Islam mit einer personellen und organisatorischen
Stetigkeit gibt, den eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes
haben muss.“
Ruhrbischof
Dr. Franz-Josef Overbeck unterstützte ausdrücklich Kirchhofs
Forderung nach einem verbindlichen islamischen Bekenntnis „zu den
drei Fs unseres demokratischen Rechtsstaates: Freiheit, Frieden und
Frauen-Gleichberechtigung!“
Overbeck
stellte aber auch klar: „Die im Grundgesetz garantierte
Religionsfreiheit gilt für alle und damit auch für die fünf
Millionen Muslime in Deutschland. Unabhängig von allen religiösen,
kulturellen und sozialen Unterschieden, gehören wir als Gesellschaft
zusammen und dürfen uns nicht spalten lassen.“ Unter dem Eindruck
seiner Erfahrungen in der Krankenhaus- und Militärseelsorge sagte
der Bischof: „Wir sind als katholische Kirche für alle da, wenn es
zum Beispiel um religionsunabhängige Fragen, wie Familie, Erziehung,
Trennung und Pflege alter Angehöriger geht. Auch viele islamische
Menschen, die in Deutschland leben, verstehen sich, wie insgesamt
etwa 40 Prozent der deutschen Bevölkerung als säkular.“
Zur Person: Die
Juristin Maria Anna Luise (Malu) Dreyer (Jahrgang 1961) ist seit 2013
Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Zuvor war die
Sozialdemokratin und bekennende katholische Christin, die dem
Zentralkomitee der Deutschen Katholiken angehört, Sozialministerin
des Landes Rheinland-Pfalz, Sozialdezernentin der Landeshauptstadt
Mainz und Bürgermeisterin von Bad Kreuznach. Dreyer, bei der 1994
Multiple Sklerose diagnostiziert wurde, engagiert sich unter anderem
als Schirmherrin für eine Selbsthilfeinitiative von
Multiple-Sklerose-Erkrankten in Trier. Zusammen mit ihrem Ehemann
Klaus Jensen lebt Dreyer in einem inklusiven und
generationsübergreifenden Wohnprojekt der Benediktinerabtei St.
Matthias in der Nähe von Trier. Für ihren politischen Einsatz zur
Verbesserung der Pflegesituation in ihrem Bundesland wurde die
Ministerpräsidentin vom Deutschen Pflegerat 2015 mit dem Deutschen
Pflegepreis aus gezeichnet.
Dieser Text erschien am 16. März 2018 im Neuen Ruhrwort
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